Stellen Sie sich vor, eine Firma muss zum TÜV, um ein neues Bauteil prüfen zu lassen. Sofort poppen Erinnerungen von den eigenen TÜV-Erfahrungen hoch, erlitten bei unzähligen Prüfungen des geliebten Zweirads, immer begleitet vom legendären blauen „TÜV-Kittel“, oder? In diesem modischen Umhang steckte früher in aller Regel eine übelgelaunte, schrullige Gestalt, die – eine veraltete Eierschale auf dem Kopf – mit einem „Kundenmotorrad“ über den TÜV-Hof gurkte und dabei Mensch und Maschine in Achtung bremste.
Ha, wussten wir’s doch, dass Sie den kennen! Was das aber mit einer Magura-Bremspumpe und einer ABE-Erteilung zu tun hat? Bis auf den TÜV-Stempel rein gar nichts, und das macht es ja so spannend. Vergessen wir also schnell die ollen blauen Flitzpiepen und krallen uns lieber in der Gegenwart an einer Tasse Kaffee fest.
HC3-Bremspumpe für Straßenfahrer
Punkt zehn zeigt die Uhr in einem ruhigen Besprechungszimmer bei Magura. Wer noch Kreidler, Hercules und Maico erleben durfte, kennt Magura als Armaturenhersteller und Produzent des legendären M-Lenkers, die Jüngeren von den Fahrradbremsen und BMW-Fahrer haben die Hände dran, ohne es zu wissen.
Nun also eine Produktoffensive mit „Hardcore-Tech“ und neuen Patenten. Conor McRory, dank irisch-bayerischer Herkunft und seines grandiosen Dialekts als Einziger in der Lage, Magura mit vier „uuuu“ auszusprechen, erklärt den Sinn des heutigen Tages. „Weil wir unsere neue HC3-Bremspumpe nicht als reines Rennsportzubehör anbieten wollen, sondern auch für alle Straßenfahrer, organisieren wir diese ABE-Erteilung. Dann kannst du die Pumpe nach korrekter Montage direkt eintragen lassen.“ Wer zu den Themen Allgemeine Betriebserlaubnis, E-Prüfzeichen oder Zertifizierung ratlos über Europas Paragraphenberge stolpert, könnte sich ja direkt, entsprechendes Budget vorausgesetzt, mit der Hauptperson dieses Prüftages in Verbindung setzen.
Dokumentationen über Dokumentationen
Max Höhler ist Ingenieur und amtlich anerkannter Sachverständiger beim TÜV SÜD, mit stattlichen 27 Jahren Berufspraxis im Nacken. Freundlich, ruhig und ganz ohne Blaukittel-Mentalität erklärt der Fachmann das Labyrinth aus Verordnungen und Möglichkeiten. „Wir, der TÜV SÜD und natürlich auch unsere Mitbewerber wie der TÜV Rheinland oder die Dekra, sind ein Service zwischen Behörde und Hersteller. Unsere Prüfungs-Bandbreite geht von der Erstellung einer Motorradkomponenten-ABE und Homologationen bis zur kompletten Zertifizierung eines Zubehör-Herstellers.“
Magura besitzt eine solche Klassifizierung und beantragt für ein neues Produkt, wie hier die HC3-Radialbremspumpe, beim Kraftfahrtbundesamt (KBA) eine ABE. In unserem Fall erhielten die Bad Uracher die KBA-Nummer 91441 und bestellten Max Höhler, um eine Prüfung vornehmen zu lassen. Dieser steht dann höchstpersönlich mit seinem Namen in der ABE für das Prüfungsergebnis gerade.
Das klingt simpler als es ist, denn bis dahin mussten in Skandinavien ein paar Baumstämme zu Papier werden, und in den daraus entstandenen Magura-Dokumentationen sortieren jetzt Stefan Fritschle und Alex Pohle Ergebnisse und Tabellen. Vor allem Stefan Fritschle gewinnt den Preis für den längsten Visitenkartentitel: „Leiter Innovationsmanagement und Versuch.“ Das schlägt klar das Projekt Management von Alex Pohle. So richtig aufgeregt scheinen die Herren beim TÜV-Termin allerdings nicht zu sein. So meint Stefan Fritschle, der schon seine Diplomarbeit bei Magura zum Thema Bremsen ableistete: „Die Werks-Normen von Magura sind deutlich höher als die geforderten ECE-Richtlinien, das macht uns also kein Bauchweh.“
Von der Theorie zum Versuchslabor
Max Höhler lässt erst einmal die Magura-Truppe in Vorlage gehen. „Wir nennen dies ein Witness- oder auf deutsch Zeugen-Verfahren“, erklärt er. „Wir könnten auch in unserem Prüfzentrum eine solche Pumpe testen, oder eben hier alles in Augenschein nehmen.“ Eine Mischung aus Schulabfrage und Hosen runterlassen: Konzeption, Konstruktion, Materialien, Werkzeuge, Prüfstände, Normen, Richtlinien, das gesamte Hin und Her eben.
11.28 Uhr. Es geht entspannt zu. Motorradfahrer unter sich verlieren sich nur allzu gern in Fachgesprächen. „Ginge statt Bremsflüssigkeit auch normales Öl?“ Also jetzt nicht, meine Herren, keine Zeit verlieren – es geht von der Theorie zum Versuchslabor. Kameras müssen hier normalerweise komplett draußen bleiben, aber mit gewissen Einschränkungen, wie etwa dem Bremsenprüfstand, geht es heute doch. Für TÜV-Mann Höhler natürlich eine höchst spannende Sache. Es ist sein erster Besuch bei Magura überhaupt, und so interessiert er sich auch für jedes noch so kleine Detail.
Klimakammer und Schmutzbad
Pffft, tock, pffft, tock. Ohne Unterlass drücken Pneumatik-Zylinder auf die im Prüfstand eingebauten Handbremspumpen und ihre Hebel. Sie simulieren Belastungsspitzen und jede Form von Zug-, Druck-, Hand- und auch sogenannten Missbrauchskräften. Weiter geht es zur Klimakammer und zum Schmutzbad, wo das neue Bauteil Hitze, Kälte und Dreck ausgesetzt ist. Versuchsmeister Markus Buck erklärt und Max Höhler hakt seinen Fragekatalog systematisch ab.
Zu guter Letzt folgt die praktische Prüfung am Motorrad auf abgesperrtem Gelände. Eine BMW HP2 Megamoto und eine KTM 1290 Super Duke R dienen als rollende Labors. Bevor es losgeht werden Anbau, Handkräfte und Verdreh-Sicherheit geprüft. Der TÜV-Mann stellt klar: „Ich bin nicht hier, um zu testen, wie gut die Bremse funktioniert, sondern nur um Funktion, Sicherheit und Zulässigkeit zu prüfen.“ Dann donnern Stefan Fritschle und Max Höhler über die Teststrecke. Rauf, runter – bremsen, aufzeichnen, umbauen. Sobald Versuchstechniker Bernd Bossler die jeweiligen Daten auf dem Rechner in Sicherheit gebracht hat, geht es mit definierten Bremsungen weiter. Nachdem die unterschiedlichen Hebellagerpunkte, die ABS-Tauglichkeit und alles andere geprüft wurden, geht dieser Tag zu Ende – auch die praktische Überprüfung war erfolgreich! Jetzt folgt für Max Höhler noch jede Menge Papierkram, für Magura der Schritt zum Serienanlauf und beim TÜV Süd klingelt die Kasse. Und das alles ohne den unseligen TÜV-Kittel.
Technik Radialbremspumpe HC3

Mit der neuen Radialbremspumpe HC3 präsentiert das schwäbische Traditionsunternehmen eine radiale Bremspumpe der Extraklasse. Die Besonderheit dieser Bremsarmatur ist die Möglichkeit, das Hebelverhältnis des Bremshebels zum Primärzylinder in drei Positionen zu verändern und so drei verschieden große Bremskolbendurchmesser zu simulieren. An sich ist diese Idee nicht neu, doch die Umsetzung von Magura ist brillant. Denn nur bei der HC3-Armatur wird der Kolben des Bremszylinders immer mittig mit der Bremskraft des Hebels beaufschlagt. Dies stellt eine immer gleichbleibende Reibung innerhalb der Armatur und somit das gleiche Bremsgefühl am Hebel her, egal ob der 14er-, 15er- oder 16er-Kolbendurchmesser simuliert wird.
Ein weiterer Vorteil der immer mittigen Beaufschlagung des Bremskolbens in der Pumpe ist die hohe Haltbarkeit der Dichtungen innerhalb der Armatur. Außer einer vollen ABS-Tauglichkeit besticht die HC3 auch noch mit einer weiteren Innovation, die vor allem Racer interessiert. Die Sekundärdichtung des Geberkolbensist in X-Form ausgeführt. Mit dieser Doppeldichtung wird sichergestellt, dass selbst bei kritischen Motorvibrationen keine Luftbläschen ins Bremssystem eindringen können. Weicher Druckpunkt oder Fading sind mit dieser Armatur also passé – zumindest von Pumpenseite aus.
Was bringen drei simulierte Kolbendurchmesser? Wer die HC3 in Stellung 15 fährt, bedient die Bremse mit geringer Handkraft über eine längeren Hebelweg. Wer die 16er-Stellung bevorzugt, muss etwas härter ziehen, dies allerdings nur über einen kürzeren Hebelweg.