Mit einem neuen Motor, neuen Modellen und einer neuen Struktur drängt Cagiva-Chef Claudio Castiglioni zurück in die Motorradszene.
Mit einem neuen Motor, neuen Modellen und einer neuen Struktur drängt Cagiva-Chef Claudio Castiglioni zurück in die Motorradszene.
Zugeben möchte es bei Cagiva noch niemand, doch die Zeichen mehren sich: Der 750er Sportler mit Vierzylinder-Motor, den Cagiva nach einigen Verzögerungen nun auf dem Mailänder Salon im September vorstellt, wird aller Wahrscheinlichkeit nach den Markennamen MV Agusta tragen.
Wohl eine kluge Wahl, denn Caigva hält die Namensrechte an MV, und »der Name Cagiva hat in den letzten Jahren arg gelitten, gibt selbst Cagiva-Chef Claudio Castiglioni, 50, im Gespräch mit MOTORRAD zu. »Jeder hat über Cagiva hergezogen, wir haben uns schließlich gar nicht mehr die Mühe gemacht, zu dementieren. Von ungefähr kamen die Negativ-Schlagzeilen allerdings nicht, machte die Firma doch weniger durch Motorräder als durch ihre Leidensgeschichte von sich reden. Denn die Cagiva-Gruppe mit den Motorradmarken Ducati, Cagiva, Husqvarna, einer Beteiligung an CZ in der Tschechischen Republik sowie zwei Gießereien, zwei Hotels und einer Metallwarenfabrik steckte in einer tiefen Krise: Bei Ducati wurde aus Geldmangel kaum mehr gearbeitet, die Cagiva- und Husqvarna-Belegschaft war monatelang auf Kurzarbeit Null, der Parkplatz vor dem Werk in Varese wie leergefegt.
Inzwischen sind 51 Prozent von Ducati verkauft, und die Motorradmarken Husqvarna und Cagiva sowie der Name MV Agusta wurden in der neugegründeten Firma Cagiva Motor neu organisiert. Cagiva Motor, an der auch eine italienische Bank beteiligt ist, leitet Claudio Castiglioni jetzt allein; sein älterer Bruder Gianfranco, 56, kümmert sich um die übrigen Unternehmen der Familie.
Bislang scheint das neue Konzept aufzugehen, zumindest im Motorradbereich, denn in Varese tut sich was: Beim MOTORRAD-Besuch im Cagiva- und Husqvarna-Werk wurde so emsig gearbeitet wie schon lange nicht mehr; ein voller Firmenparkplatz und volle Kisten mit zugelieferten Motorradteilen dürfen als gutes Zeichen gewertet werden.
Über die harten letzten Jahre will Claudio Castiglioni lieber gar nicht reden: »Da ist viel schief gegangen, gibt er zu, »aber jetzt wollen wir einen Neuanfang wagen. An Ideen und Konzepten mangelt es nicht, und zwar weder für Cagiva noch Husqvarna (siehe Kästen). Dreh- und Angelpunkt der Rückkehr in die Motorradszene bleibt jedoch der 750er Vierzylinder, der am 15. September vorgestellt wird. Die Rahmenbedingungen scheinen zu stimmen: Das Ferrari-Grundkonzept des Motors wurde bei Cagiva in Varese endlich auf den Punkt gebracht. Für Fahrwerk und Design zeichnet das Cagiva Research Center in San Marino verantwortlich, und dort hat der legendäre Massimo Tamburini das Sagen. Daß der sein Handwerk versteht, bezweifelt niemand: Schließlich trägt auch die Ducati 916 seine Handschrift.
Claudio Castiglioni jedenfalls ist guten Mutes: »Ich kann Ihnen zwar noch nicht verraten, wie das Motorrad heißt, sagt er, »aber eines kann ich Ihnen garantieren: Es wird sehr schnell, sehr schön und sehr verläßlich sein.
Die wohl legendärste Motorradmarke der Welt machte zwischen 1945 und 1977 hauptsächlich durch brillante Rennmotorräder von sich reden. Fahrer wie John Surtees und Giacomo Agostini verhalfen MV zu 37 WM-Titeln. Die Straßenversionen waren dagegen nicht sonderlich zuverlässig und außerdem rar, da das Hauptgeschäft von MV Agusta der Hubschrauberbau war und ist. 1977 verkaufte MV die Sparte Motorrad an Cagiva; seit 1993 gehören Cagiva auch die Namesrechte.Voraussichtlich präsentiert Cagiva in Mailand ihren supersportlichen 750er Vierzylinder unter dem Namen MV Agusta, von dem im nächsten Jahr rund 100 Stück produziert werden sollen: »Wir wollen hohe Qualität, sagt Claudio Castiglioni, »und werden deshalb die Stückzahlen erst allmählich hochschrauben. Der Preis soll sich im Rahmen halten, MOTORRAD-Schätzpreis: rund 25000 Mark. Später wird eine 900er folgen, darunter eine limitierte Auflage von 20 Stück mit mindestens 301 km/h Topspeed. Außerdem plant Castiglioni die Teilnahme an der Superbike-WM, allerdings nicht sofort: »Wenn wir antreten, wollen wir konkurrenzfähig sein und das geht nicht von heute auf morgen.Das Grundkonzept des 750er Motors lieferte Ferrari Ende 1994, und seither arbeitet man bei Cagiva an seiner Weiterentwicklung. Mitte 1995 war die erste Version fertig, ebenso ein Fahrwerk mit Aluminium-Brückenrahmen und ein Design, das stark an die einstigen GP-Renner von Cagiva erinnert (siehe MOTORRAD 12/1995). Doch gebaut wurde die F 4 so nie: »Die Herstellungs- und Wartungskosten für den Motor wären viel zu hoch gewesen, erklärt Projektleiter Andrea Goggi, 33. Der Kopf wurde zum Beispiel montagefreundlicher umgestaltet. Fahrwerksguru Massimo Tamburini entwarf ein neues Gitterrohr-Chassis und sitzt den Motorenentwicklern weiter im Nacken. »Er wollte den Motor immer noch schmaler«, so Goggi. »Der mißt jetzt 420 Millimeter an seiner breitesten Stelle und wiegt 68 Kilogramm, aber das ist Tamburini natürlich noch zu viel, seufzt er. Und so verzichten die Cagiva-Entwickler auf die Sommerferien und feilen lieber noch ein paar Gramm ab.
Die Firma entstand 1978 aus dem Aermacchi-Harley-Davidson-Werk, das damals von den Brüdern Gianfranco und Claudio Castiglioni übernommen und nach ihrem Vater umbenannt wurde: Cagiva steht für Castiglioni Giovanni Varese.An neuen Modellen geplant sind die Canyon 900, ein Reise-Enduro mit 900er Ducati-Motor, die bereits letztes Jahr präsentiert wurde und ab Januar 1998 produziert wird. Außerdem ist eine 500er Canyon geplant, die schneller und natürlich leichter als die derzeitige 600er sein soll.Bereits in Italien auf dem Markt ist die Cagiva Planet, eine sportliche 125er mit wassergekühltem Einzylinder-Zweitakt-Motor und 15 PS. Die Planet ist eine überarbeitete Version der N1, die bereits vor zwei Jahren vorgestellt wurde, aber nie in Produktion ging. Die Planet soll im Oktober nach Deutschland kommen.Und last but not least: Auch der 50er Roller Cucciolo (sprich: Kutscholo), der ebenfalls bereits vor zwei Jahren präsentiert wurde, soll ab Januar gefertigt werden.
Die Brüder Castiglioni übernahmen die Cross- und Enduro-Marke 1986 vom schwedischen Elektrolux-Konzern und verlegten die Produktion nach Varese, Italien.Über der Begeisterung für den neuen Vierzylinder hat der Firmenchef sein Off Road-Publikum nicht vergessen. »Husqvarna soll stärker werden, sagt der motorsportbegeisterte Castiglioni. »Wir haben uns auch um einen deutschen Cross-Fahrer bemüht, bisher aber noch keinen Vertrag abgeschlossen.Die einfachste Maßnahme zur Stärkung der Marke ist der neue, komplett überarbeitete Motor mit E-Starter, Ölpumpe, Ausgleichswelle, ungeregeltem Kat und rund 50 PS, den die Fans bereits sehnsüchtig erwarten. Diese TE 610 E soll Anfang 1998 endlich in Produktion gehen und voraussichtlich ab Mai in den Handel kommen. Außerdem baut Husqvarna eine straßentaugliche Supermoto-Version für Frankreich und Deutschland.Darüber hinaus entwickelt Husqvarna einen 250er Viertakt-Motor, da es ab nächstem Jahr diese Kategorie in der Cross-WM geben wird. »Der neue Motor wird sehr schmal, sagt der Husqvarna-Verantwortliche Ampelio Macchi, »fast wie ein Zweitakter. Gebaut werden zwei Versionen: eine mit, eine ohne E-Starter. »Wir wollen unsere Werksmaschine unbedingt bis zum Saison-Start fertig haben, erklärt Macchi. »Die reguläre Produktion beginnt aber erst später.