Servicetest beim Motorradhändler
Inzahlungnahme und Kaufberatung

Was passiert, wenn plötzlich eine alte BMW vor den Toren steht und in Zahlung genommen werden möchte? Zwei verdeckt ermittelnde Redakteure probierten es bei verschiedenen Motorradhändlern in Deutschland aus.

Inzahlungnahme und Kaufberatung
Foto: mps-Fotostudio

Die gute Nachricht zuerst: Onkel Heini lebt! Oder anders gesagt: Es gibt ihn gar nicht, und die traurige Geschichte von seinem überraschenden Ableben ist von vorn bis hinten frei erfunden. Womit wir bei der schlechten Nachricht wären: Zwölf Motorradhändler opferten 2015 mehr oder weniger viel Zeit und Energie, um sich Onkel Heinis Erbstück genauer anzuschauen, einen Inzahlungnahme-Preis zu ermitteln und ein Neumaschinen-Angebot zu ­erstellen. Und das alles völlig vergeblich, denn die beiden Herren, die mit Onkel Heinis BMW quer durch die Republik tourten, wollten gar nichts Altes in Zahlung geben und auch nichts Neues kaufen. Die beiden schwer getarnten MOTORRAD-Redakteure wollten nur eins: die Servicequalität deutscher Motorradhändler stichprobenartig prüfen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob es die viel beklagte „Servicewüste Deutschland“ in unserer Branche tatsächlich gibt. Vorweg gesagt: Es lief deutlich besser als befürchtet. In unserer Szene sind noch genug Überzeugungstäter aktiv, die ihren Beruf mit viel Herzblut ausüben. Und trotzdem lässt sich noch einiges verbessern.

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Doch der Reihe nach: Wer plant, bundesweit mit ein und demselben Motorrad und in der immer gleichen Besetzung einen Händlertest zu absolvieren, stößt schnell auf vermeintliche Ungereimtheiten, die sich im ersten Moment nur schwer erklären lassen. Warum zum Beispiel sollte jemand ein in München zugelassenes, aber nicht auf seinen Namen laufendes Motorrad im hohen Norden der Republik in Zahlung geben wollen? Oder umgekehrt: Warum tauchen zwei sehr norddeutsch sprechende Typen im tiefsten Oberbayern mit einem Motorrad auf, dessen Halter sie nicht sind und das sie auch nie gefahren haben? Und überhaupt: Wie transportiert man ein abgemeldetes Motorrad möglichst unauffällig, und wie kommt man beim Händler an Innenaufnahmen, ohne Misstrauen zu erregen? Ganz abgesehen von möglichen Fragen wie „Was macht ihr denn so beruflich?“ und „Wie erreicht man euch am besten?“ Motorradfahrer und -händler sind oft sehr kommunika­tive Leute, und da sollte man auf jede Frage gefasst sein. Ganz abgesehen davon: Welches Motorrad eignet sich eigentlich am besten dafür, markenübergreifend den Lockvogel zu spielen?

Die Motorrad-Frage war schnell geklärt

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Unsere Redakteure und Onkel Heinis Bike.

Zu teuer durfte das Schätzchen nicht sein, wir wollten ja niemanden abschrecken. Zu billig aber auch nicht, denn etwas Mühen und Schmerzen sollte die Inzahlungnahme ja schließlich schon bereiten. Nicht zu exotisch, nicht zu wenig oder zu viel ­gelaufen, zum Alter des angeblichen Vorbesitzers passend. Am Ende landete das Test-Team beim klassischen BMW-Boxer: einer R 1100 S im Originalzustand mit ABS, Heizgriffen, BMW-Koffern und -Tankrucksack; Erstzulassung im Frühjahr 2003, seit 2008 in dritter Hand (Onkel Heini!); knapp 61.000 Kilometer gelaufen, durchgehend beim gleichen BMW-Vertragshändler scheck­heftgepflegt, letzte große Inspektion vor 500 Kilometern erledigt. Ebendieses Motorrad hat Onkel Heinis Neffe Jörg L. geerbt und vom besagten BMW-Händler per Miettransporter abgeholt, um das gute Stück in die norddeutsche Heimat zu überführen. Begleitet wird er vom Freund und Kollegen Claus H., der durch eine heftige Knieverletzung schwer mobilitätseingeschränkt ist und sich nur mithilfe von Unterarmstützen bewegen kann – was übrigens ausnahmsweise der Wahrheit entsprach und der ganzen Sache noch einen besonderen Pfiff verlieh. Die beiden Herren betreiben in der norddeutschen Provinz das Unternehmen WAU WIE? – Hundeschule und Tierpension – und sind mit passenden Visitenkarten ausgestattet.

Merke: Über nichts anderes lässt sich so unverfänglich und ausführlich klönen wie über Haustiere.

Vollständiges Scheckheft ist Geld wert

Motorrad und Vita passten, es konnte losgehen. Und zwar immer nach dem gleichen Muster: prominent vorm Laden parken, gezielt in den Laden gehen beziehungsweise humpeln und sich dann in aller Ruhe im Verkaufsraum umschauen. Und zwar schon ziemlich gezielt nach einem bestimmten Modell, denn die Geschichte vom völlig unbedarften Motorrad-Einsteiger, der eine Rundum-Beratung mit Bedarfsanalyse erwartet, klingt etwas zu unglaubwürdig, wenn sie fernab der angeblichen Heimat und des dort nächstgelegenen Händlers ­erzählt wird. Wer zum Jahresanfang durch den Verkaufsraum eines Motorradhändlers schleicht, bleibt meist unter sich. Der Andrang hält sich gemeinhin in Grenzen. Was ein Teil der Händlerschaft nach einer kurzen Anstandswartezeit auch dazu nutzte, den potenziellen Kunden anzusprechen. Oder auch nicht, womit wir beim ersten Das-kann-man-besser-Machen wären. Da wurde fleißig hinterm Tresen, aber durchaus in Sichtweite herumgefuhrwerkt; da puzzelte man an Ausstellungsmaschinen herum – doch auf die Idee, den Kunden anzusprechen, kam nicht jeder.

Aber Testkäufer können hartnäckig sein und fragen selbst nach. Das Ansinnen, eine BMW in Zahlung zu geben, wurde überall freundlich aufgenommen, es folgte die Sichtung der Papiere. Wichtigste Erkenntnis dabei: Ein vollständiges Scheckheft ist Geld wert – vor allem bei einer BMW, denn viele Händler wussten BMW-Inzahlungnahme-Horrorgeschichten zu erzählen. Die Liste potenzieller Macken war lang, aber dank Scheckheft waren die Händler beruhigt und beließen es meist bei einer kurzen Sichtprüfung im Transporter.

Zwischen 2400 und rund 4300 Euro war alles drin

www.mobile.de ist bei der Mehrzahl der besuchten Händler die Referenz in Sachen Preisrecherche. Die genannten Inzahlungnahme-Tarife unterschieden sich aber schon recht stark. Zwischen 2400 und rund 4300 Euro war alles drin. Und in jedem Fall nachvollziehbar, denn wer schon vier baugleiche Boxer im Laden hat, ist nicht unbedingt heiß auf eine fünfte Standuhr. Und wer einen Vorvorjahres-Vorführer loswerden möchte, macht preislich fast jede Sauerei mit. Es gilt die alte Kaufmannsweisheit: Jede Sache ist so viel wert, wie der Nächste dafür ausgeben möchte.

Es folgte die Erstellung eines Neumaschinenangebots, wobei einige Händler die zart angedeutete Bereitschaft, dass es ­eventuell auch eine Tageszulassung oder Vorführmaschine sein dürfe, nutzten, um ­äußerst attraktive Angebote zu machen. ­Allerdings nicht immer im Sitzen: Es macht keinen guten Eindruck, wenn man einen (gehbehinderten!) Kunden im Laden herumstehen lässt oder nur am Tresen verarztet. Umso schöner ist es, wenn man (im Sitzen) einen Kaffee sowie Prospekte und Preislisten angeboten bekommt – nicht überall eine Selbstverständlichkeit. Aus Händlersicht fast schon unverzeihlich ist es aber, wenn man den Kunden einfach gehen lässt, ohne nach seinen Kontaktdaten zu fragen. Denn so vergibt man sich als Händler die Chance, höflich nachzufassen und eventuelle Fragen zu klären. Zum Beispiel die, ob der daheim gebliebenen Ehefrau die Farbe des im Laden fotografierten Motorrads gefallen hat...

So testet MOTORRAD

Test-Team on Tour: netto 1300 Kilometer, mit An- und Abreise noch rund 1000 Kilometer mehr.

Die Inzahlungnahme-BMW liehen sich die MOTORRAD-Tester beim BMW-Händler des Vertrauens, luden sie in einen Miettransporter und gingen damit für vier ­Tage auf Deutschland-Tour. Je vier zufällig ausgewählte Händler in den Regionen Nord, Mitte und Süd wurden zu normalen Geschäftszeiten und ohne Vor­ankündigung besucht. Die Innenaufnahmen entstanden unter dem Vorwand „Meine Frau möchte die Farbe sehen“ oder als private Erinnerungsfotos, die Außenaufnahmen wurden heimlich gemacht. Besuchsdauer, Zitate, Aussagen zum Ambiente und Verkäuferverhalten sowie alle Preise notierten die Tester sofort nach jedem Besuch in einem Gedächtnisprotokoll.

Für die Vergabe des Top-Job-Logos spielten Inzahlungnahme- und Verkaufspreis keine Rolle, dafür aber Ansprache und Betreuung durch den Verkäufer, seine Produktkenntnisse, die Fähigkeit, diese zu vermitteln, und die Flexibilität, um auf Kundenwünsche einzugehen. Kurz gesagt: Es zählte eine Rundum-wohlfühl-Kaufatmosphäre.

Die besten Händler

mps-Fotostudio
Welche Händler einen Top-Job gemacht haben, lesen Sie im Folgenden.

Harms & Herrmann

Herder
3500 Euro hätte es für die BMW gegeben.

DAS ANGEBOT:
TRIUMPH SPEED TRIPLE
EZ 3/2013, Vorführer, 3800 km
Listenpreis                 11.960 Euro
Kaufpreis:                  10.500 Euro
Inzahlungnahme BMW:  3.500 Euro
Zuzahlung:                 7.000 Euro

So lief’s: Die Hallen des altgedienten Suzuki- und Yamaha-Händlers, dem der Triumph-Händlervertrag gekündigt wurde, haben ihre besten Zeiten lange hinter sich. Geschniegelter Showroom? Vergiss es! Braucht der Laden auch nicht, denn Inhaber Hans-Jürgen H. ist genau der Typ grundehrlicher Motorradhändler, dem man ein Leben lang treu bleiben möchte. Im Monteursanzug steckend, spricht er uns nach kurzer Anstandswartezeit freundlich an und erklärt ausführlich, warum es mit der Suzuki GSX-S 1000 leider noch nicht und mit einer Yamaha FZ1 mit ABS leider nicht mehr klappt. Aber wie wäre es mit dem Triumph-Vorführer? Der Mann ist einer von uns!

Harley-Davidson von Herz

Herder
Nur 2700 Euro wäre unsere BMW hier wert gewesen.

DAS ANGEBOT:
HARLEY-Davidson FAT BOB
Modell 2015, neu
Listenpreis                 16.995 Euro
Kaufpreis:                  16.995 Euro
Inzahlungnahme BMW:   2.700 Euro
Zuzahlung:                14.295 Euro

So lief’s: Mit einer alten BMW zum Harley-Dealer – ob das gut geht? Und wie, denn wir geraten nach der freundlichen Begrüßung durch einen Nachwuchsverkäufer(?) an zwei echte Experten: Andy H. und Detlef J., beide Ex-BMW-Mitarbeiter, begutachten den Boxer sehr ausführlich, erklären genau, was damit passieren würde („Geht fürs gleiche Geld an einen Aufkäufer und dann vermutlich nach Tschechien“) und machen uns keine Illusionen in Sachen Fat Bob-Tarif: Listenpreis. Eine Stunde lang erläutern die beiden sehr genauen Beobachter in gemütlicher Atmosphäre ausführlichst, warum und wieso ein Harley-Kauf vermutlich das Beste wäre, was uns passieren kann. Ganz große Show. 

Stadel Motorrad

Herder
3000 Euro bot man für Onkel Heinis BMW.

DAS ANGEBOT:
BMW R 1200 GS ADVENTURE
Dienstmotorrad, EZ 11/2013, 5900 km, Vollausstattung
Listenpreis          ca. 21.000 Euro
Kaufpreis:               17.000 Euro
Inzahlungnahme BMW:3.000 Euro
Zuzahlung:              14.000 Euro

So lief’s: Hätten Sie erwartet, dass bei einem sehr seriösen schwäbischen BMW-Motorradhändler ein bärtiger Kuttenträger als Verkaufsberater arbeitet, der privat seit 23 Jahren höchst zufrieden Suzuki Intruder fährt? Wir auch nicht. Nicht genug mit dieser – nun ja – etwas skurrilen Kombination: Besagter Peer F. brachte es fertig, seinen Brötchengeber satte 80 Minuten lang bestens und absolut glaubwürdig zu vertreten und bei dieser Gelegenheit den Interessenten für eine neue F 800 GS Adventure auf eine leicht gebrauchte R 1200 GS Adventure umzuleiten. Breit grinsend und hervorragend beraten verließen wir den Laden. Das war ein Top-Job!

FAZIT

Servicewüste Deutschland? Zumindest nicht bei den von uns besuchten Motorradhändlern – wer freundlich fragt, wird freundlich bedient. Vor allem in der Nebensaison: Der Jahresanfang ist nach unseren Erfahrungen perfekt zum Kauf in aller Ruhe. Ob wir uns besonders wohlgefühlt haben, hing übrigens nicht vom durchgestylten Showroom, CI-Gedöns oder dem letzten Inzahlungnahme-Euro ab. Maßgeblich war die offene, verbindliche und mit Spaß an der Arbeit einhergehende Art des Gegenübers. Dazu ein Lächeln, ein Kaffee, ein Sitzplatz und Ahnung vom Produkt – fertig ist der Top-Job.

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023