
Aus dem in einer Lücke am Waldrand versteckten Messwagen war das Motorrad nur als kurzer dunkler Wischer erkennbar. Doch die beiden roten Blitze waren klar zu sehen. Polizeihauptmeister Carlo Stengel schaut auf den Monitor und murmelt: „Messung annulliert, irgendwas stimmt da noch nicht.“ Der Fahrer der - soweit das auf die Schnelle identifizierbar war - dunklen Yamaha XJ 900 hatte Glück. Bei erlaubten 100 km/h war er mit mindestens 115 am graugrün unter der Leitplanke hindurch-lugenden „ES 3.0 Einseitensensor“ vorbeigerauscht, einer von der deutschen Polizei häufig eingesetzten Hightech-Tempomessanlage. Hätte da schon alles gestimmt, hätte der Yamaha-Fahrer in den folgenden Wochen Post von der Bußgeldstelle mit zwei hübschen Fotos von sich bekommen. „Prüf doch bitte die Anschlüsse noch mal“, fordert Carlo Stengel seinen Kollegen, Polizeikommissar Uwe Kleinmann, auf.
Sensor kann beide Richtungen überwachen
Ein paar Minuten später stimmt da alles, und die Kontrollstelle an der B 463 ist über beide Fahrspuren schussbereit. Vor und hinter dem „Einseitensensor ES 3.0“ haben die Beamten zwei Kameras und zwei Blitze positioniert. Das in vier separaten, wetterfesten Metallgehäusen auf Stativen zwischen Gras und jungen Bäumen platzierte Fotoequipment ist für Auto- oder Motorradfahrer kaum zu sehen. Fährt man von Sigmaringen Richtung Norden nach Balingen, hat man die Anlage auch noch links der Fahrbahn und damit erst recht keine Chance, sie rechtzeitig zu erkennen. Carlo Stengel: „Der Sensor kann von einer Fahrbahnseite aus beide Richtungen überwachen.“ Der Mercedes Vito-Messwagen, in dem die Beamten vor dem Monitor sitzen, ist von der Straße gar nicht zu sehen.
Hersteller der hier eingesetzten, 80 000 Euro teuren Anlage (Preis ohne Mercedes) ist die süddeutsche Firma Eso in Tettnang. In ihren Prospekten, Presseinfos und Katalogen wird Eso nicht müde zu betonen, dass „durch synchrones Auslösen aller Fotografieeinrichtungen () auch Geschwindigkeitsverstöße von Motorradfahrern beweissicher dokumentierbar“ sind. Einfacher formuliert: „ES 3.0“ kann von vorn oder der Seite und von hinten gleichzeitig blitzen, bei zu schnellen Motorrädern werden sowohl Fahrergesicht als auch Kennzeichen aufgenommen - an der Kontrollstelle von Uwe Kleinmann und Carlo Stengel allerdings nur, wenn das Motorrad die B 463 Richtung Norden fährt. Fährt es in Richtung Sigmaringen und Bodensee nach Süden, löst nur eine Kamera von vorn aus. „Für zwei Aufnahmen in jede Richtung müssten wir die zweite Kamera auf der anderen Straßenseite aufstellen. Das geht mit unserer kabelgebundenen Anlage aber nicht“, erklärt Kommissar Kleinmann.
Technisch freilich wäre das locker machbar, nämlich mit der von Eso angebotenen „WLAN Funkfotoeinrichtung FE4.5“. Doch die war für seine Dienststelle, die Verkehrspolizei Balingen, „bisher einfach zu teuer“, sagt der Kommissar. Und ergänzt: „Aber auch so haben wir im Vergleich zu früher, als man noch mit Nassfotografie gearbeitet hat, enorme Möglichkeiten.“ So können die beiden Kameras in vier Zoomstufen aus dem Wagen heraus per Touchscreen-Monitor ferngesteuert werden. Sie erfassen laut Hersteller über eine Fahrbahnbreite von 18 Metern selbst parallel auf bis zu vier Spuren gleichzeitig fahrende Fahrzeuge, in jede Richtung, auch in Kurven, auf Autobahnen, bei Tag und Nacht und sogar im Tunnel.
Festplatte kann bis zu 80 000 Messungen speichern
Herzstück der Blitz-Anlage ist neben der Rechnereinheit im Messwagen, deren Festplatte bis zu 80 000 Messungen speichern kann, der 4,4 Kilo schwere Einseitensensor unten an der Straße. Über seine fünf Helligkeitssensoren kann er nicht nur die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs bei gleichzeitiger Kontrollmessung erfassen -(stimmen beide Ergebnisse nicht überein, wird die Messung wie beim Yamaha-Fahrer am Anfang annulliert), sondern eben auch dessen Entfernung und damit die Fahrspur. Überschreitet ein Fahrzeug die zuvor programmierte Auslösegeschwindigkeit, blitzt’s. Da für Lastwagen auf Bundes- und Landstraßen maximal 60 km/h erlaubt sind, kann der Messbeamte im Wagen, sobald er einen Brummi ankommen sieht oder hört, mittels Knopfdruck auf die grüne „Lkw-Taste“ auf eine entsprechend niedrigere Auslösegeschwindigkeit umschalten - so kommt ihm keiner aus.

„Im Sommer haben wir an einer durchschnittlichen Kontrollstelle über drei bis vier Stunden normalerweise rund 30 bis 50 Messungen“, erläutert Polizeihauptmeister Stengel. Mit dem Begriff „Messungen“ meint Stengel, der an vier von fünf Wochenarbeitstagen mit der Anlage draußen ist, Blitzfotos. „Im Schnitt sind bei jeder Kontrolle ungefähr zehn Prozent zu schnell. Wir hatten schon drei Prozent, aber auch schon zwölf.“ Und Motorradfahrer? „Die sind dabei meist weniger auffällig, das Gros machen doch Autos und Laster aus“, schildert der Messbeamte, schränkt jedoch ein: „Die richtig schnellen Ausreißer sind aber schon Motorräder. Mein Spitzenkandidat kam mit 217 bei erlaubten 100 an. Bei den Autofahrern hatte ich nur einmal einen mit 201 km/h.“ Auf der B 463 fahren zwei R 1200 GS mit Gepäck vorbei. Offenbar unterwegs in den Urlaub. Beide mit erlaubten 100 km/h, alles o. k. Bei einem Opel Corsa blitzt’s bei 126 km/h, eine Audi-Fahrerin ist mit 141 dabei und wird nächsten Monat vermutlich viel zu Fuß gehen. Dann setzt leichter Nieselregen ein, Motorradfahrer sind an diesem späten Nachmittag nun nicht mehr viele zu erwarten. Was aber Motorradfahrer erwartet, und zwar an neuer, vielseitig einsetzbarer Fototechnik, weiß nun, wer diesen Text aufmerksam gelesen hat.
Messtechnik ES 3.0

Der Sensor misst nicht mit Radar, sondern mit fünf Helligkeitssensoren. Dabei stehen Sensor 1, 2 und 3 je im Abstand von 250 Millimetern. Die Geschwindigkeit ergibt sich aus der Zeit, die das zu messende Fahrzeug für die beiden jeweils 250 mm langen Messstrecken benötigt. Nur wenn die Werte von Sensorpaar 1 und 2 mit 2 und 3 übereinstimmen, wird die Messung mit Foto verschlüsselt gespeichert. Andernfalls wird sie annulliert, die Blitze haben dennoch ausgelöst - die Annullierung ist für den Fahrer nicht erkennbar. Die Sensoren 4 und 5 sind um 0,4 Grad schräg zum mittleren Sensor 2 versetzt und messen den Abstand des Fahrzeugs vom Sensor, woraus sich die befahrene Spur ergibt.