Der Neuseeländer Paul McLachlan fixiert den Kolben an einer zweiten Lagerstelle, und fertig ist ein neues Motorenkonzept für Zweitakter.
Der Neuseeländer Paul McLachlan fixiert den Kolben an einer zweiten Lagerstelle, und fertig ist ein neues Motorenkonzept für Zweitakter.
Kolbenklemmer, stinkende Blaurauchfahnen, deftige Vibrationen und ständige ausgelutschte Zylinderbuchsen - von all dem hatte Paul McLachlan, zwischen 1975 und 1980 als Rennfahrer in diversen Zweitaktklassen in den USA und Europa tätig, gründlich die Schnauze voll. Selbst ist der Neuseeländer, dachte er sich, brachte den Entwurf eines seiner Meinung nach besseren Zweitaktmotors zu Papier und rannte damit zum nächstbesten Uni-Prof. Der verwies ihn an Mace Engineering, ein Maschinenbau-Unternehmen in Christchurch, Neuseeland. Dessen Chef war so beeindruckt, daß er McLachlan kurzerhand anstellte. So began der Erfinder ab Mitte 1993 an der Umsetzung seiner Idee zu tüfteln.
Als Basis diente ihm ein Yamaha TZ 250 Triebwerk, das er kurzerhand enthauptete: Zylinder, Zylinderkopf und Kolben ersetze der Kiwi durch seine eigene Kreation, von den Pleueln bis zum Getriebeausgang blieb dann alles original. Da die Baubreite trotz des Hubraumzuwachs von 250 auf 400 cm³ gleich geblieben ist, paßte der Motor auch nach dem chirugischen Eingriff noch in das Fahrgestell der Yamaha. Nach einigen weiteren kleinen An- und Umbauten war es im August 1995 endlich soweit: Der erste Roll-Out eines Zweizylinder-Zweitakt-Pivotalmotors.
Ein »pivotal-point« ist - ins Deutsche übersetzt - ein Dreh- und Angelpunkt, dieser ist beim Pivotalmotor die zweite Lagerstelle des Kolbens - daher der Name. Anstatt wie bei einem konventionellen Motor im Zylinder auf und ab zu gleiten, führt der Kolben zusätzlich eine Drehbewegung um diesen zweiten Lagerpunkt aus. Der Kolbenboden ist auch nicht zylindrisch, sondern rechteckig, und die Hubbewegung desselben nicht gerade, sondern bogenförmig. Von daher ist die Bezeichnung Zweizylinder-Motor für den fahrfertigen Prototypen eigentlich falsch, es müßte Motor mit zwei Arbeitskammern heißen. Der Einfachheit halber sei hier weiterhin von Zylindern die Rede, die jeweils von vier Zylinderwänden begrenzt werden: In der vorderen Zylinderwand sind die Auslaß- und Überströmkanäle untergebracht, seitlich bilden mit Kühlwasser durchströmte Platten die Begrenzung. Die hintere Zylinderwand ist Bestandteil des Kolbens, sie besitzt zusätzliche Einlaßschlitze für den Zustrom von Frischgas aus dem Kurbelgehäuse. Anstelle von Kolbenringen sitzen federbelastete Dichtleisten in den Nuten rund um den Kolben.
Wie bei den meisten Zweitaktmotoren übernehmen Membranen die Einlaßsteuerung. Sie wirken wie ein Rückschlagventil und lassen das Frischgas nur in Richtung Kurbelgehäuse strömen, sobald dort ein Unterdruck durch den nach oben schwingenden Kolben entsteht. Doch selbst wenn der Kolben nach unten schwingt, saugt der Pivotalmotor Frischgas an: Über einen Bypass in die sogenannte Boost-Kammer über dem Kolben. Schwingt der Kolben wieder nach oben, wird dieses Gas in das Kurbelgehäuse gepreßt - eine einfache, aber laut McLachlan effektive Form der Motoraufladung.
Gegenüber konventionellen Zweitaktern führt McLachlan beim Pivotal-Motor eine ganze Reihe von Vorteilen ins Feld:- Der Kolben wird nicht mehr von der Zylinderwand, sondern von dem zweiten Lager geführt. Nur die Dichtleisten gleiten an den Zylinderwänden auf und ab, der Kolben berührt sie nicht. Dadurch sind die Reibungsverluste geringer, der Kolben kann nicht klemmen, und es tritt kein Verschleiß mehr am Kolben auf. Die Lebensdauer ist somit wesentlich länger, zugleich können Kolben und Zylinder aus weniger hochwertigem Werkstoff hergestellt werden.- Das Schmieröl kann über Bohrungen im Kolben direkt zu den Dichtleisten an den Zylinderwänden gepumpt, und braucht nicht mehr wahllos in das Kurbelgehäuse geblasen werden (Voraussetzung: auch die Kurbelwellen- und das Pleuellager werden über Leitungen mit Öl versorgt).
Die stinkenden Blaurauchfahnen schrumpfen zu Fähnchen, der Ölverbrauch geht zurück, Ölkohle kann die Katalysatoren nicht mehr so schnell zusetzen.- Auf dem Kolbenauge lastet weniger Gewicht, die oszillierende Masse ist kleiner (bezogen auf eine konventionelle Lösung mit gleichem Hubraum), da die zweite Lagerstelle einen Teil des Kolbengewichts trägt. Weniger Vibrationen zum einen und eine höhere Standfestigkeit zum anderen sind die Vorteile.- Aus den gleichen Basisteilen lassen sich im Baukastensystem beliebig viele Zylinder aneinanderreihen, was eine wirtschaftliche Massenproduktion und einen hohen Grad an Fexibilität garantiert.- Wegen seiner rechteckigen Brennräume baut ein Mehrzylinder-Pivotal-Motor kompakter, zumindest wenn die Zylinder in Reihe angeordnet sind.
So ist der Zweizylinder-Prototypen-Motor mit 400 cm³ Hubraum genauso breit und so hoch wie der ursprüngliche Yamaha-Paralleltwin mit 250 cm³ - und genauso leicht.- Die Frischgaszufuhr nur von zwei Seiten in den rechteckigen Zylinder sollte eine bessere Trennung zwischen Frisch- und Abgasen während des Gaswechsels möglich machen. Somit entstehen weniger Spülverluste, der Verbrauch und der Schadstoffausstoß sinken.- Durch die Schwenkbewegung des Kolbens und der entgegen der Fahrtrichtung drehenden Kurbelwelle wirkt schon früher als beim konventionellen Motor nach dem Überschreiten des oberen Totpunkts (OT) ein effektiver Hebelarm auf die Kurbelwelle. Ein höheres Drehmonent ist daher theoretisch möglich.- Das aus der Boost-Kammer in das Kurbelghäuse gepreßte Frischgas steigert die Vorverdichtung im Kurbelgehäuse, was ebenfalls leistungssteigernd wirken kann. Allerdings darf sich dieses Gas in der Boost-Kammer nicht zu stark erwärmen, sonst tritt der gegenteilige Effekt ein.
Vor allem bei den drei letztgenannten Vorteilen ist McLachlan den Beweis bisher noch schuldig geblieben: Der Prototyp leistet knapp 35 PS bei 11500/min - eine nicht gerade berauschende Ausbeute aus 400 cm³ Hubraum. Doch der Konstrukteur ist überzeugt, daß in seiner Erfindung noch eine Menge Entwicklungspotential steckt, daß 140 PS und über 14000/min bei einem 500er Zweizylinder-Pivotal-Motor durchaus drin sein müßten. McLachlan hat dabei die GP-Königsklasse im Auge, die seiner Meinung nach die beste Chance auf eine schnelle und zugleich werbewirksame Weiterentwicklung des Konzepts bietet.
Da aber weder er noch sein Arbeitgeber Mace Engineering über das nötige Equipment und Kleingeld für aufwendige Strömungsberechnungen oder Prüfstandsversuche verfügen, gingen McLachlan und sein Prototyp vor wenigen Wochen auf Europa-Tournee, um einen geeigneten Entwicklungspartner zu finden. Motorrrad- und Motorenhersteller in England, Deutschland und Österreich klapperte er ab, doch auf Anhieb wollte noch keiner eine Zusage machen, denn der Pivotal-Motor birgt auch Entwicklungsrisiken: Gelingt die Abdichtung des Brennraums, vor allem in den Ecken? Wie wirkt sich die ungüstige rechteckige Brennraumform auf die Leistung aus? Läßt sich eine ausreichend große Kanalquerschnittsfläche in der einen Zylinderwand unterbringen? Wie teuer ist die Herstellung der komplizierten Kolben?
Zur Zeit stellt McLachlan einigen amerikanischen Firmen seinen Zweitakter vor, anschließend will er damit nach Japan reisen. Vielleicht findet er dort jemand, der ebenfalls von Kolbenklemmern, Blaurauchfahnen und ausgelutschten Zylindern die Schnauze voll hat und sich des Konzepts annimmt. Der Pivotal-Motor hätte auf jeden Fall eine Chance verdient.