Variable Ventilsteuerungen

Variable Ventilsteuerungen Ducati Multistrada 1200 DVT, Kawasaki GTR 1400, Honda VFR 800 Zauberei oder Firlefanz?

Variable Steuerzeiten sind bei Automotoren heute weit verbreitet. Nun kommt diese Technologie vermehrt auch beim Motorrad. Bei der neuen Ducati Multistrada 1200 DVT soll das mehr Drehmoment, weniger Verbrauch und mehr Laufkultur bringen. Und wie funktionieren die variablen Ventilsteuerungen bei anderen Modellen wie der Honda VFR 800 und Kawasaki GTR 1400?

Zauberei oder Firlefanz? Ducati
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Im Prinzip ist ein Verbrennungsmotor solide, aber schlichte Mechanik, wenn auch ringsherum heutzutage viel elektronischer Aufwand getrieben wird. Doch im Kern kommt es doch immer noch auf das an, was im Brennraum passiert. Bei der Verbrennung des Luft-Kraftstoff-Gemischs entsteht Druck, aus dem über Kolben und Kurbelwelle das Antriebsmoment entsteht. Hier werden also Charakteristik, Laufkultur oder Verbrauch primär bestimmt. Ein wichtiger Faktor für eine effiziente Verbrennung sind beim Viertakter die Steuerzeiten, die durch die Nockenprofile vorgegeben werden und daher zunächst einmal fix sind. Das ist aber eigentlich nicht ideal, das wären vielmehr variable Steuerzeiten, dazu vielleicht noch ein flexibler Ventilhub, und zwar je nach Lastzustand und Motordrehzahl. Aufblasbare Nocken wären eine gute Idee, gibt es aber noch nicht.

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Dafür mechanische Lösungen. In vielen aktuellen Automodellen werkeln unter der Haube ganz unauffällig sehr komplexe variable Ventilsteuerungen. Manche variieren die Steuerzeiten durch Umschalten auf verschiedene Nockenprofile, manche den Ventilhub mittels komplizierter Mechanik/Hy­draulik, manche machen beides. BMW ­verzichtet in einigen Automotoren sogar auf die übliche Drosselklappensteuerung und reguliert die Drehzahl allein über den Ventilhub (Valvetronic). Dazu braucht es viel Mechanik, Hydraulik und Elektronik, teuer, kompliziert, schwer und voluminös. Daher gibt es das im Motorrad noch nicht.

Viel Ventilüberschneidung gut für Spitzenleistung

Einfachere Lösungen gibt es hingegen bereits seit vielen Jahren. Hondas Vtec-Ventilsteuerung beispielsweise schaltet bei den Vierventilmotoren der Honda VFR 800 seit 2002 im unteren Drehzahlbereich einfach je ein Ein- und Auslassventil ab. Oben arbeitet der Motor als Vierventiler, unten als Zweiventiler. Eigentlich eine pfiffige Idee, die sich aber bisher noch nicht wirklich durchsetzen konnte. Einen anderen Weg ging Kawasaki bei der Kawasaki GTR 1400. Hier integrierten die Konstrukteure ab Modelljahr 2010 eine kompakte Hydraulik-Einheit am Steuerketten-Zahnrad der Einlassnockenwelle, die per Hydraulik elektronisch gesteuert das Antriebsrad gegenüber der Nockenwelle verdreht.

Was bringt das? Es hat vor allem erheblichen Einfluss auf die Ventilüberschneidung. Das ist die Zeit, in der Ein- und Auslassventile am Ende des Ausstoßtaktes kurz gleichzeitig geöffnet sind. Viel Ventilüberschneidung ist gut für die Leistung bei hohen Drehzahlen, da die in den Auspuff ausströmenden Verbrennungsgase Frischgas in den Brennraum mit hineinziehen und den Zylinder spülen. Das bringt eine bessere Füllung und somit mehr Leistung. Dabei muss man sich vor Augen halten, dass die Gasschwingungen in einem Motor eine komplexe Angelegenheit sind und von vielen Parametern abhängen. Außerhalb des Motors versucht man zum Beispiel auch mit Tricks wie Auspuffklappen oder variablen Ansaugtrichtern, Einfluss zu nehmen. Doch zurück zur Ventilüberschneidung: Viel ist wie gesagt gut für die Spitzenleistung, aber nicht gut für die Leistung bei niedrigen Drehzahlen, da funktioniert der Ladeeffekt nicht. Es ist auch nicht gut für die Laufkultur im Teillastbereich, die Abgasemissionen und den Verbrauch. Eine variable Überschneidung ist somit eine logische Idee.

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Bei Multistrada 1200 DVT beide Nockenwellen verdreht

Ducati verdreht bei der neuen Ducati Multistrada 1200 DVT gleich beide Nockenwellen, das eröffnet natürlich noch mehr Möglichkeiten. Bisher hatte der Testastretta-V2 in der Multistrada elf Grad Ventilüberschneidung, im Supersportler 1198 aber satte 41 Grad. Dazu muss erwähnt werden, dass die Ducati-V2 dank Desmodromik mit ziemlich scharfen Steuerzeiten, also hohen Ventilbeschleunigungen, laufen, weswegen sie hart und rau hämmern, besonders bei großer Überschneidung.

Die bisher publizierten Erhebungskurven des DVT-Motors lassen erahnen, dass Ducati die Überschneidung zwischen nahe null Grad bis über 50 Grad variiert. Dabei lassen die beiden dreiflügeligen Aktuatoren jeder Nockenwelle jeweils knapp über 20 Grad zu. Laut Ducati soll DVT enorme Vorteile bringen, primär natürlich beim Drehmomentverlauf. Eine Steigerung von 125 auf 136 Nm wird versprochen, für einen 1200er ein außerordentlicher Wert. BMW und KTM geben zum Beispiel 125 Nm für ihre 1200er-Enduros an. Gleichzeitig steigt die Spitzenleistung der Ducati Multistrada 1200 DVT auf satte 160 PS, was nur noch 10 PS von der letzten 1198 entfernt ist. Der Verbrauch soll gegenüber dem Vorgängermodell um acht Prozent sinken.

Neu ist ein Klopfsensor am Zylinderkopf

Vielleicht noch wichtiger sind die Vorteile in der Laufkultur. Ducati misst dazu den sogenannten Imep-Koeffizienten, der ein Maß für die Gleichmäßigkeit der Verbrennung ist. Dabei wird jede einzelne Verbrennung mit der vorhergehenden verglichen. Bei der Befüllung der riesigen Brennräume kommt es immer zu Unregelmäßigkeiten, die den rumpelnden Leerlauf früherer Ducati-Motoren verursachten. Auch das Ansprechverhalten im unteren Drehzahl- und Lastbereich litt. Der Elf-Grad-Testastretta mit ­Doppelzündung brachte zwar schon eine spürbare Verbesserung, der neue DVT-Motor soll in dieser Hinsicht aber noch einmal 78 Prozent besser geworden sein. Laut Ducati-Messungen übertrifft er damit „einen namhaften Mitbewerber“ deutlich, womit offensichtlich die aktuelle GS-BMW gemeint ist. Schauen wir mal.

So könnte der Antrieb der Ducati Multistrada 1200 DVT einen großen Schritt vorwärtsmachen. Flankierende Maßnahmen sollen diese Effekte verstärken. Doppelzündung hatte der Testastretta zuletzt ja schon, neu ist ein Klopfsensor am Zylinderkopf. Und die moderne Bordelektronik eröffnet unendliche Möglichkeiten bei der Abstimmung, die Motorcharakteristik in den unterschiedlichen Fahrprogrammen könnte dank DVT noch stärker gespreizt werden. So weit die Theorie. Aber warten wir mal ab, wie das Ganze dann in der Praxis funktioniert. Eines lässt sich jedoch sicherlich schon jetzt prophezeien: Andere Hersteller werden auf diesen Zug aufspringen. Wetten, dass auf Münchner Prüfständen schon Versuchsmotoren laufen?

Ventilsteuerung Multistrada

Quelle: Ducati
22,5 Grad Drehwinkel erlauben die hydraulischen Aktuatoren jeder Nockenwelle.

Ducati Multistrada 1200 DVT

22,5 Grad Drehwinkel erlauben die hydraulischen Aktuatoren jeder Nockenwelle. Daraus ergibt sich eine große Bandbreite bei der Ventilüberschneidung. Ein Blick auf die rote Linie im Steuerzeiten-Diagramm zeigt, dass das Auslassventil (linke Seite) bereits vollkommen geschlossen ist, wenn das Einlassventil sich zu öffnen beginnt. Im anderen Extremfall (grüne Linie) ist eine Überschneidung wie beim Supersportler möglich. Zwischen diesen Extremen reguliert die Elektronik die Steuerzeiten kontinuierlich je nach Drosselklappenstellung und Drehzahl.

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Ventilsteuerung GTR 1400

Kawasaki
Der hydraulische Aktuator sitzt nur an der Einlassnockenwelle, das Prinzip ist das gleiche wie bei Ducati.

Kawasaki GTR 1400

Die Japaner waren die Ersten, die hydraulisch verdrehbare Steuerkettenräder in Serie gingen ließen, und zwar an der Kawasaki GTR 1400 ab Baujahr 2010. Der hydraulische Aktuator sitzt nur an der Einlassnockenwelle, das Prinzip ist das gleiche wie bei Ducati. Auch hier ist das Ziel, die Verbrennung im unteren Drehzahlbereich effektiver zu machen, um einen besseren Drehmomentverlauf bei reduziertem Verbrauch zu bekommen. Allerdings hielt sich der Fortschritt in Grenzen.

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Ventilsteuerung VFR 800

Quelle: Honda
Der Motor arbeitet unten quasi wie ein Zweiventiler, oben dann als Vierventiler.

Honda VFR 800

Honda hat für die VFR 800-Modelle einen Mechanismus unterhalb der Tassenstößel konstruiert, der das jeweilige Ventil unterhalb einer gewissen Drehzahlgrenze abschaltet. Dazu wird über die Steuer-Hydraulik ein kleiner Sperrbolzen verschoben, sodass das Ventil entweder geschlossen bleibt oder von der Nocke geöffnet wird. Der Motor arbeitet also unten quasi wie ein Zweiventiler, oben dann als Vierventiler. Das Umschalten ist mehr oder weniger deutlich spürbar. Die Vorteile sind umstritten. Manche Fahrer schätzen diesen Sprung in der Leistungscharakteristik, der auch akustisch klar wahrnehmbar ist.

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