Das Spiegelbild im Schaufenster bringt die Crux einer Winterausfahrt ziemlich schonungslos zutage. Die dick vermummte Tonne, die da auf dem Hobel sitzt, bin ich. Dagegen wirkt sogar das Michelin-Männchen rank und schlank. In solchen Momenten hat Motorradfahren weder etwas mit Ästhetik noch mit Eleganz zu tun.
Doch der Tag hatte absolut genial begonnen. Sonne satt und der Himmel so blau wie die Augen von Paul Newman. Aber eben ein Tag im Januar. Kalt wie am Nordpol. Na ja, fast so kalt. Auf jeden Fall sind, um nicht gleich von der Kiste auf den gefrorenen Boden zu fallen, deutlich mehr Maßnahmen erforderlich als nur warme Gedanken: Thermounterwäsche, Windstopper, Fleecepulli, extra dicke Socken, fette Handschuhe, Halskrause und Sturmhaube. Dann noch Hose und Jacke und die Thermokombi im Sinn. Wenn man erst einmal im Sattel sitzt, gehts. Und bei Schaufensterscheiben einfach nicht hingucken.

Irgendwo zwischen Geiselhöring und Gmunden in der bayerischen Provinz. Am Hals ziehts bitterkalt, und trotz Griffheizung bilden sich rein gefühlsmäßig Eisbeulen rund um die Knöchel. Der BMW scheint der eisige Fahrtwind auch nicht zu gefallen. Entweder ist die Temperaturanzeige im FID für Nicht-BMWler: Fahrerinformationsdisplay eingefroren, oder der Boxer kommt wirklich nicht auf Temperatur. Egal, beim ersten Pass wird es den Zylindern schon warm um die Köpfe werden.
Tatsächlich ist es bis in die Berge noch ein ganzes Stück. Obwohl die Alpen bei diesem Königswetter zumindest optisch zum Greifen nahe erscheinen. Eine gewaltige, mit tonnenweise Neuschnee berzogene Barriere, die sich da vor mir erhebt. Mein Plan: ein Abstecher nach Slowenien, einen Cappuccino in den Dolomiten und weil mein Kopf ein Ziel braucht ein Besuch am Großglockner.
Alpen-Wintertour (Infos)
Eine Motorradtour im Winter ist ein fantastisches Erlebnis vorausgesetzt, man bewegt sich mit einem Gespann. Es muss ja nicht gleich ein neues Fahrzeug der Oberklasse sein. Gute gebrauchte Exemplare gibt es ab etwa 5000 Euro. Für Anfänger empfiehlt sich allerdings ein Fahrkurs.
Das Motorrad
Flach und breit so kommt die BMW R 1150 R mit dem RX-S-Beiwagen vom Stern-Gespannservice aus dem bayerischen Geiselhöring daher. Das Dreirad besticht in erster Linie durch eine hervorragende Verarbeitungsqualität und überaus positive Fahreigenschaften: Bremsen und Fahrwerk sind sehr gut abgestimmt, egal, ob eine Autobahnetappe oder ein holpriger Alpenpass anstehen. Nettes Detail: jeweils ein Gasdruckdämpfer an Kofferraumklappe und Scheibenaufsatz. Preisgünstig ist das oben abgebildete Fahrzeug jedoch nicht. Wer ein Motorrad anliefert, muss für den kompletten Um- und Anbau eines RX-S-Beiwagen, den es in verschiedenen Versionen gibt, rund 14300 Euro auf den Tisch blättern. Dafür sind unter anderem Federabstimmung und Bodenfreiheit (bis 27 Zentimeter) individuell einstellbar, darüber hinaus werden Sonderwünsche bei Produktion und Montage berücksichtigt. Infos: Stern-Gespannservice, Helmut Herrmann, Telefon 09423/902214; www.stern-gespannservice.de.
Die Strecke
Wer im Winter durch die Alpen brausen möchte, muss bei seiner Routenwahl berücksichtigen, dass zahlreiche Pässe zwischen November und April/Mai gesperrt sind. ADAC-Mitglieder finden unter www.adac.de einen Alpenstraßenbericht. Dagegen erhält beim Österreichischen Automobilclub jedermann ausführliche Zustandsberichte: www.öamtc.at. An Unterkünften herrscht im Alpenraum auch im Winter kein Mangel. Als äußerst hilfreich bei der Quartiersuche hat sich der MOTORRAD Tourenplaner 2003/2004 erwiesen: Einfach die Route auswählen beziehungsweise eingeben, und schon werden motorradfahrerfreundliche Unterkünfte aufgezeigt (wenn vorhanden, mit Verlinkung zu deren Internetseiten). Für 39,95 Euro zu bestellen über www.motorradonline.de (»Shop«) oder telefonisch unter 0711/182-1756.
Alpen-Wintertour (2)

Eigentliches Thema ist das Motorradfahren, wenn alle anderen sich auf Brettern die Hänge runterstürzen. Wer wie ich in Norddeutschland hinterm Deich aufgewachsen ist, tut sich mit solchen Hobbys schwer. Oder ich war nur zu ungeschickt, um eine Abfahrt heil zu überstehen. Brauchte nach meinem ersten Versuch fast ein halbes Jahr, um wieder ohne Krücken laufen zu können. Auf drei Rädern falle ich zumindest nicht gleich auf die Nase. Die ersten Meter sind allerdings stets aufs Neue gewöhnungsbedürftig. Mit den breiten Autoreifen, jeder Menge Übergewicht und einem Kofferraum könnte ich noch leben. Aber ohne Schräglage durch Kurven bügeln? Das muss der Kopf erst einmal begreifen.

Hinter Gmunden kommt endlich ein wenig Schwung in die Sache. Ein kurzer Blick auf den fantastisch zwischen Bergen eingebetteten Traunsee, dann rausche ich den ersten Hügel hoch. Nichts Spektakuläres, doch ein ausreichend vertrackter Kurs, um sich die Hörner abzustoßen. Zwischen den Ecken krieg ich noch immer keinen geraden Strich hin, und in den Kurven läuft der Eimer stur geradeaus. Wie auf Schienen. Es dauert, bis wir uns arrangieren. Am Ufer des Attersees angelangt, fühlen sich meine Arme an, als hätte ich stundenlang Handstand geprobt; aus dem Zickzack-Kurs ist dafür immerhin eine recht ansehliche Linie geworden. Inklusive erster Drifts in Linkskurven und einem einige Zentimeter gelupften Beiwagenrad, wenns rechtsherum geht. Fahrfreude keimt auf.