Leonardo da Vinci muss es geahnt haben. Ganz bestimmt. Er war schon vor rund 500 Jahren geradezu besessen von der Idee, sich durch den Auftrieb heißer Luft vom Boden zu lösen und dem Himmel zu nähern. Der Fantasie des Malers, Bildhauers und Wissenschaftlers wuchsen auch ohne Dosendrinks Flügel, und er skizzierte als erster ein ballon-ähnliches Fluggerät, lange bevor sich 1870/71 französische Patrioten mit solch einer Konstruktion aus dem belagerten Paris retteten. Leonardo blieben nur seine Vorstellungskraft und die Skizze denn die Hüter von Glaube und Moral hätten ihn ob dieses ketzerischen Vorhabens vermutlich auf den Scheiterhaufen gezerrt. Gott näherte man sich in jenen Tagen ausschließlich mit gesenktem Haupt im Gebet, nicht mit wirrem Kopf im Ballon.Seit vier Tagen sind Sabine und ich im Salzkammergut und in Oberösterreich unterwegs im Herzen die Lust, diese wunderschönen Voralpen nicht nur mit der BMW, sondern auch per Ballon zu erfahren - im Kopf finstere Bilder explodierender Gasbrenner, lodernder Ballonhüllen und bedrohlicher Fallwinde, die wir angesichts der realen Idylle im Moment jedoch noch mühelos verdrängen können. Schließlich muss ja erst mal ein geeignetes Ballonfahrerteam gefunden werden, das uns mit an Bord nimmt. Zwischen Traunsee, Attersee und Wolfgangsee folgt eine Postkartenansicht der nächsten. Die heile Welt, hier scheint es sie noch zu geben, mit gesunden Kühen auf saftigen Wiesen, gluckernden Bächen mit sauberem Wasser und rechtschaffenen Menschen, die in ihrer Freizeit mit der Trachtengruppe Lieder singen, in denen das Gute am Ende die Oberhand behält. Vielleicht zog es Ex-Kanzler Kohl deshalb Jahr für Jahr hierher, weil einem der harte Alltag im Salzkammergut unendlich weit weg vorkommt.Die Information über die famose Kulisse hat sich längst bis nach Japan herumgesprochen. Während wir uns an der Promenade am Mondsee aus den Jacken pellen und die Karte studieren, ergießt sich aus einem der zahlreichen Ausflugsbusse eine ganze Horde fotografierender Touristen aus dem Land der aufgehenden Sonne. An Wochenenden, so erfahren wir vom mäßig gelaunten Eisverkäufer, nähme der Trubel an den Uferstraßen die Ausmaße einer Völkerwanderung an heute sei dagegen »nichts los«.Die Karte, das stellt sich nach ein paar Kilometern heraus, brauchen wir vorerst nicht. In fantastischen Kehren windet sich die Bundesstraße entlang des Mondsees dahin, dessen tiefblaue Oberfläche mit dem Himmel um die Wette strahlt. Die Luft ist derart klar, dass die Almen vor sattem Grün nur so strotzen, und der Gipfel des Höllkogel, der scheinbar zum Greifen nah den Horizont bewacht, wirkt, als sei er frisch mit Puderzucker bestäubt. Bei Unterach schwenken wir auf die B 151 und folgen nun den Ufern des Attersees. Rund 20 Kilometer schlängelt sich der Asphalt nach Norden, vorbei an Campingplätzen direkt am Wasser, wo kreischende Teenies Tretboot-Rennen austragen und Rentner ihre Wohnmobile zur Schau stellen. Andere wiederum tauchen am liebsten gleich ab. Denn der Attersee zählt zu einem der besten Binnen-Tauchreviere in Europa. So ist es keine Überraschung, dass es eine ganze Menge Tauchschulen gibt und Freitaucher regelmäßig den »Rausch der Tiefe« suchen.In Weyregg, bereits auf der Ostseite des Attersees, lassen wir unser Dickschiff schließlich vor einem Biergarten ausrollen und planen auf der Karte die weitere Route. Die beste Strecke ist schnell ausgemacht: über den Weißenbacher Sattel in Richtung Bad Aussee cruisen und dann rund um das Dachsteinmassiv, wo die Gipfel bereits an der 3000-Meter-Marke kratzen. In der Tat, die Heimatfilm-Kulisse nimmt kein Ende. Trutzig erhebt sich zur Rechten die Dachsteingruppe, während wir links immer wieder einen Blick auf die murmelnde Enns erhaschen, der die B 146 ab Trautenfels folgt. In Gröbming können wir der Versuchung einer abenteuerlich wirkenden Abzweig nicht widerstehen und folgen dem Schild »Steinerhaus«. Eine aberwitzige Passstraße windet sich hinauf zum Stoderzinken, dessen Aussicht auf gut 1800 Meter Höhe für die stolze Mautgebühr von fünf Euro ausreichend entschädigt.In weitem Ostkurs geht es anschließend Richtung Salzburg zurück. Dort hatten wir sie immer bestaunt, die Ballons, wie sie allabendlich fauchend über dem Mondsee schwebten und jetzt wollen wir es endlich wagen und selbst mit ihnen in die Luft gehen. Für den Nachmittags-Törn ist es zu spät, doch Ballonführer Helmut Tucek, den wir kennenlernen, rät uns, in der Nähe zu übernachten, um früh am nächsten Morgen mit dabei sein zu können. Denn die Heißluftkugeln steigen aufgrund der Thermik am besten frühmorgens oder spätnachmittags. Also quartieren wir uns in St. Wolfgang in der Nähe des Startplatzes auf einem urigen Bauernhof ein, um in der Früh schnell am Ball zu sein. Mit deftiger Hausmannkost, ein paar Bieren und einem klitzekleinen Kräuterschnaps hoffen wir die richtige Grundlage für unser Wagnis am kommenden Morgen zu legen. Die Sonne ist noch nicht über den Horizont gestiegen, und auf den Wiesen perlt noch der Tau auf den Gräsern, als wir uns aus den Federn quälen. Vor sechs sollen wir am Startplatz sein. Jetzt, so unmittelbar vor dem Abheben, ist uns doch etwas mulmig. Als wir ankommen, sind die Vorbereitungen bereits im Gange, nur ein paar Ponys grasen auf der Nachbarweide, ungerührt von dem Treiben nebenan. Die tosenden Brenner feuern bereits Heißluft in die sich allmählich aufblähenden, riesigen Luftsäcke. Da sollen wir einsteigen, in diesen kleinen Weidenkorb, der mit ein paar Stricken an einem Gassack baumelt? Und dann noch einen fauchenden Brenner an Bord, der das Gefährt in Nullkommanichts in einen lodernden Feuerball verwandeln kann! »Keine Bange«, beruhigt uns Ballon-Pilot Helmut, »nur der obere Teil der Hülle trägt tatsächlich, wir stürzen nicht ab, auch wenn der untere Teil etwas anbrennen sollte.« Gut zu wissen. Die Ponys jedenfalls haben inzwischen Reißaus genommen.Und dann geht es auch schon los. Keine zehn Minuten braucht es, bis die vier Brenner den 6000 Kubikmetern der schlaffen Hülle Leben eingehaucht und der Ballon sich majestätisch aufrichtet. »Glück auf, gut land!« Helmut schreit den traditionellen Ballonfahrerspruch, gibt noch ein paar unverständliche Befehle von sich, die Sabine und ich als Kommando interpretieren und in den wackeligen Weidenkorb, der bereits wie von Geisterhand gelupft wird, hineinhechten. Mit Erleichterung stellen wir fest, dass auch Helmut den Aufsprung an Bord rechtzeitig schafft und versuchen, möglichst relaxt zu erscheinen. Im Expresstempo schießen wir unter höllischem Lärm des Gasbrenners nach oben. Uns wird zur Gewissheit, was wir vorher nur ahnten: Hier gibt es keine Notbremse, keine Protektoren, kein Kiesbett nur heiße Luft und ein paar Taue, an denen unsere ganze Hoffnung hängt. Motorrad fahren verhält sich vom subjektiven Sicherheitsgefühl her dazu wie Seilhüpfen zu Bungee-Jumping.Im Minutentakt feuert Helmut nach, und jedes Mal hört es sich an, als lauere eine Horde gereizter Drachen fauchend hinter dem nächsten Berggipfel lauern. Nichts da mit lauschigem Dahingleiten und samtigem Schweben in zarten Wattewölkchen. Doch als wir auf 1500 Meter über Normalnull gestiegen und immer noch nicht abgestürzt sind, legt sich allmählich unsere Anspannung. Die Stricke, mit denen der Korb an der Hülle hängt, halten, und der untere Ballonrand steht auch noch nicht in Flammen.Ballonfahrer ein Ballon fliegt nicht, er fährt, und in traditionsbewussten Kreisen muss man für den Versprecher eine Runde ausgeben sind zweifellos die Anarchisten unter den Himmelsstürmern.Im Gegensatz zum Segelflieger oder der vertrauten BMW lässt sich das Gefährt weder bremsen noch steuern. Gute Piloten schaffen es unter günstigen Bedingungen dennoch mittels Thermik und sensibler Gashand der starren Flugmaschine fast perfekte Rundkurse abzuluchsen und wieder am Ausgangspunkt zu landen. Meister des Fachs messen sich bei internationalen Weitfahrwettbewerben oder versuchen mehr oder weniger erfolgreich mit Hightech-Ballons gleich den ganzen Globus zu umrunden. Die technische Ausstattung ist dabei in der Regel auf ein Minimum beschränkt: Höhen- und Windmesser, Funkgerät, Landkarten und ein Kompass spartanisch zwar, aber angesichts der geringen Einflussmöglichkeiten offenbar ausreichend.Früher war die Fahrt im Ballon dem Hochadel vorbehalten: Man entfernte sich damit symbolisch vom gemeinen Volk, dem nichts übrigblieb, als zu den Herrschenden aufzuschauen und deren himmlische Kontakte zu bewundern. Doch Anarchie hin, Traditionen her: An diesem elitären Überbleibsel feudaler Strukturen hat sich bis heute nichts geändert. Jeder Ballonneuling wird wenn auch mit einem Augenzwinkern in den Adelsstand erhoben. Allerdings erst nach der Jungfernfahrt , wir müssen uns noch ein wenig gedulden.Über 2000 Meter sind wir nun aufgestiegen in dem wackeligen Weidenkorb. Hier oben ist tatsächlich wider Erwarten kein Lüftchen mehr zu spüren, wir fliegen äh, pardon, fahren mit dem Wind, angenehm warm ist es dank der Brenner ohnehin. Wenn der fauchende Drache Pause hat, gleiten wir lautlos über die Bergketten und Spielzeugdörfer und peilen schon nach den schönsten Straßen für den nächsten Tag. Eindrucksvoll neben der fantastischen Aussicht und dem prickelnden Mix aus Angst und Euphorie ist vor allem die Akustik. Der Schall trägt in der klaren Luft selbst Kindergeschrei die zwei Kilometer hinauf in den Korb, von einigen offenen Auspufftüten ganz zu schweigen. Fast zwei Stunden schweben wir nun durch die Luft und Sabine und ich fangen an, uns richtig heimelig zu fühlen. Doch das Gas geht langsam zur Neige, Helmut hält nach einer geeigneten Landewiese Ausschau. Er will es sich mit den Bauern der Umgebung nicht für die nächsten Jahren verscherzen, indem er den Ballon mitten in die Erntefelder setzt.Helmut hat eine kleine Wiese ohne Bäume und Strommasten entdeckt und beginnt mit dem Sinkflug. Geschickt dreht er immer wieder für Augenblicke das Gas auf, um die Winde optimal auszunutzen und noch ein paar zusätzliche Meter Strecke zu machen. Dann gibt er uns die Einweisungen für die Landung: Rücken zur Fahrtrichtung und Knie leicht anwinkeln, um eventuell härteres Aufsetzen abzufangen. Und, ganz wichtig: Nach der Landung verlässt keiner den Korb ohne Anweisung. Damit der Ballon nicht neuen Auftrieb bekommt und unkontrolliert von Böen über den Boden geschleift wird. Scheinbar rasend schnell kommt uns die Erde entgegen, ein letzter Gasstoß noch, dann setzt der Ballon sanft auf der Wiese auf. Dann fällt auch schon die große Hülle in sich zusammen, reißt den Korb mit um, und wir purzeln wild durcheinander. Bestnoten in der Kür und die Pflicht bestanden: Alle Mann sind heil wieder unten! Die Ballonhülle wird zusammengelegt und samt Korb, Brenner plus restlichem Equipment auf der Ladefläche eines Pick-ups verstaut, mit dem ein Helfer unter Funkanweisung hintergereist ist. Wir klopfen uns immer wieder auf die Schultern und fühlen uns prächtig.Zurück an der Ballonfahrer-Pension, kommt es zur feierlichen Erhebung in den Adelsstand. Alle Fluggäste haben sich versammelt, Helmut rupft mir mit gekonntem Handgriff und pathetischer Geste ein paar Haare vom Kopf, zündet sie an und löscht es mit Champagner, dem klassischen Ballonfahrer-Getränk. Nach einem Schluck aus der Pulle wird mir der Titel »Baron von der Steifen Brise« verliehen, Sabine wird zur »Gräfin der heißen Lüfte«.Als wir wieder die BMW satteln, um auf unsere gewohnte Weise Gas zu geben, hat die Ballonfahrt mit dem fauchenden Drachen endgültig ihre Schrecken verloren. Schade, dass Leonardo da Vinci nie in den Genuss seiner so realen Fantasien kam. Er hätte es sicherlich genossen und danach vielleicht als erster ein Motorrad gezeichnet. Vielleicht? Ganz bestimmt.
Infos
Das Salzkammergut im Südosten von Salzburg ist nicht nur ein Traum für Motorradfahrer. Auch Wassersportler, Mountainbiker, Wanderer und eben Ballonfahrer finden hier alle erdenklichen Möglichkeiten für ihr Hobby. Der Motorrad-Pilot wird aber vor allem die Panoramastraßen lieben, die sich durch eine grandiose Landschaft schlängeln.
Anreise: Von Deutschland am besten über die A 8 via München nach Salzburg. Von dort per A 1 Richtung Wien nach Mondsee. (Achtung: Pickerl! 10,90 Euro bei zweimonatiger Gültigkeit.) Wer etwas mehr Zeit mitbringt und ein paar Stopps abseits der Autobahn einlegen möchte, dem sei empfohlen, von Passau via Chiemsee und Traunstein nach Salzburg zu fahren. Reisezeit:Während der Sommerreisezeit und vor allem an heißen Wochenenden ist jeder freie Meter an den Ufern der Seen vollgestopft. Ballonfahren kann man ganzjährig, wobei es im Sommerhalbjahr natürlich schöner und wärmer ist.Übernachtung: Günstige Pensionen oder Privatzimmer finden sich in jedem Dorf. Für Ballonfahrt-Aspiranten ist die nah am Startplatz gelegene »Ballonfahrer-Pension« Pension Irlingerhof besonders zu empfehlen, Guggenbergstraße 58, A-5310 Mondsee, Telefon 0043-(0)6234/8329, www.eco-tour.org/farmholidays/uab134578_de.html. Das Doppelzimmer kostet rund 50 Euro für zwei Personen inklusive Frühstück. An den Seen gibt es außerdem zahlreiche Zeltplätze.Informationen: Österreich Information, Postfach 1231, 82019 Taufkirchen, Telefon 089/66670100, Internet www.austria-tourism.at. Für Biker ist der Bunte Motorradkalender für Österreich interessant. Abrufbar unter www.bikerwelt.at/kalender/ Literatur: Nützliche Infos auf einen Blick finden sich im Marco-Polo-Reiseführer Salzburg, Salzkammergut für 7,50 Euro. Motorradfahrern sei außerdem der neue Band Österreich der Edition Unterwegs empfohlen. Die MOTORRAD-Autoren Sylvia Lischer und Gerhard Eisenschink haben darin sieben Streckenvorschläge in ganz Österreich zusammengestellt, 16 Euro. Wanderfreunde ergänzen mit »Salzkammergut Die 80 schönsten Tal- und Höhenwanderungen« aus dem Bergverlag Rother für 12,90 EuroDie detailfreudigste Karte kommt von Mairs, Generalkarte Österreich, Blatt 2, für sechs Euro. Für die Anfahrt und Touren in der weiteren Umgebung können die Dekra-Motorrad Reisekarten Alpen, RV Verlag, für 19,95 Euro benutzt werden. Besonderheit: Loseblattsammlung in Din A4 auf regenfestem, markierbarem Papier mit Informationen speziell für Motorradfahrer wie Treffpunkten, Werkstätten und Übernachtungsmöglichkeiten. Adresse für Ballonfahrten:Balloon & Airship Company, Helmut Tucek, A-5360 St. Wolfgang, Telefon 0043-(0)6138/3027, Internet www.freiheit.at. Ein eineinhalbstündiger Rundflug kostet 330 Euro für eine Person. Bei zwei bis vier Teilnehmern ermässigt sich der Preis auf 300 Euro pro Nase. Für den ganzen Event ist inklusive An- und Rückfahrt ein halber Tag einzuplanen. Wer ohnehin übernachten muss, kann die Ballonfahrerpauschale nutzen: Zwei Übernachtungen im DZ inklusive Frühstück und Ballonfahrt kosten dann zwischen 350 und 435 Euro.VeranstaltungenViele traditionelle Veranstaltungen ermöglichen einen Einblick in die Kultur, in der die Bewohner des Salzburger Landes verwurzelt sind. Im Herbst feiern Einheimische und Touristen zum Beispiel Schaf- und Almabtriebe und Bauernherbstfeste im gesamten Land, und verschiedene Höfe laden zum Tag der offenen Tür ein.