Elf Tage, zehn Länder, 5825 Kilometer, viel Nebenstrecken und Nachtfahrten. Die Tour zu einem bulgarischen Kinderheim bringt vier Motorradfahrern aus Deutschland und dem Kosovo prägende Begegnungen: mit neuen Ländern, hilfs- bereiten Menschen und vielen Grenzen auch der eigenen. Eine nicht chronologische Dokumentation in zehn Episoden.
Bulgarien
Unsicherheit, Unfall und Unverständnis: Wie kommt das Land in die EU?
Es ist gegen ein Uhr in der Früh, wir sitzen beim Kaffee an einer 24-Stunden-Tanke, unterhalten uns mit Nino. Oh Mann, diese Motorradfahrer müssen wirklich einen Schatten haben, war sein erster Gedanke, erzählt er, als er uns mitten in der Nacht leicht desolat an der mazedonisch-bulgarischen Grenze aufgegabelt hat. Der Deutsche lebt in Sofia, seine Firma beliefert deutsche Truppen im Kosovo mit allem, was man so zum Leben braucht.
Nino eskortiert uns nach Sofia; fliegt mit seinem VW Touareg durch die kurvigen, stockdunklen Berge. Immer nur genau zwischen die fetten Rücklichter des Geländewagens peilen, dann wirds schon passen. Abgekämpft erreichen wir morgens um drei das Hotel, sumpfen bis um fünf an der Bar. Eine Mütze voll Schlaf, dann Augenreiben beim Anblick der bulgarischen Hauptstadt mit ihren prestigeträchtigen Glaspalästen und zahlreichen Luxuslimousinen. Ist es das, was wir erwartet hatten?
Der glitzernden Metropole folgt rasch bittere Armut auf dem Land. Dort fahren Pferdefuhrwerke statt SUVs herum, Esel und Ziegen stehen angebunden an Holzpflöcken, Bäuerinnen mit Kopftuch sensen die Wiesen per Hand. Die Häuser in den Dörfern sind windschief bis baufällig, die Straßen glatt und rutschig. Wie hat es das hier so bitterarme Bulgarien bloß in die EU geschafft? Das noch wenige Tage zuvor durchfahrene Kroatien wirkt wirtschaftlich wesentlich weiter entwickelt, ist aber kein Mitglied der Europäischen Union. Politik...
Wolfgang und Martina, unser Pärchen auf BMW GS, halten in einem Sinti-und-Roma-Dorf. Eine gute Idee? Die Atmo-sphäre ist gespannt. Wir wissen nicht, wie wir den dunkelhäutigen Einwohnern begegnen sollen, sie sind unsicher mit uns Besuchern vom anderen Stern. Horden von Kindern umringen uns. Buki, der Kosovo-Albaner, der mit uns reist, bricht das Eis, spricht türkisch mit den Sinti, erklärt, woher wir kommen, was wir wollen: Die Eurobiker treffen, die in der Stadt Gotse Deltschew ein Kinderheim und ein Krankenhaus mit Geld- und Sachspenden unterstützen.
Die Dorfältesten ermahnen die Kinder zu respektvollem Abstand zu den Motorrädern. Aufpassen muss man nur bei der nonverbalen Kommunikation: Kopfschütteln heißt in Bulgarien nämlich ja, Nicken signalisiert Ablehnung. Also Achtung.
Plötzlich ertönt eine hohe, schrille Stimme: Ein Klagelied, angestimmt von einer älteren Frau. Boten haben ihr soeben die Nachricht überbracht, dass ihr Bruder in einem Hospital gestorben ist. Wir lassen die Menschen allein mit ihrer Trauer. Fahren in die Stadt Nessebar, Weltkulturerbe am Schwarzen Meer. Eingerahmt von Hotelbunkern in Fünferreihen liegt die mittelalterliche Stadt von Wasser umringt. Die Beschäftigten in Hotels, Tankstellen und Restaurants sind unfreundlich, verdorben vom Geld der Touristen. Nichts wie weg.
Irgendwo in Südbulgarien titscht Bukis Fireblade nach einer Kuppe einen Moment zu spät mit dem Vorderrad wieder auf. Sie zerschellt in einer Linkskurve an einem Felsblock, Buki bleibt unverletzt. Kurze Zeit später sattelt ein Abschleppwagen die 900er. Internationale Schadensabwicklung ist neu für den jungen Werkstatt-Inhaber in der nächsten Stadt. Er machts prima.
Familien-Treffen, gelöstes Lebensgefühl und Spuren von Kampf für die Freiheit
Kann das sein? So viel Lebensfreude in Prizren, der Stadt im Süden des Kosovo, die man sonst nur aus der Tagesschau zu kennen glaubt. Aus den Zeiten des blutigen Bürgerkriegs 1999. Doch heute ist das hier eine andere Welt. Junge Leute flanieren gruppenweise über die Straßen. Da ist richtig was los, die Menschen sind auffallend gut gekleidet. Frisch renoviert glänzen die Fassaden am zentralen Platz von Prizren. Davor wehen EU-Flaggen im Wind, Zeichen des Dankes für die Unterstützung.
Vor einem Restaurant klappt Buki, der in der Schweiz lebt, den Seitenständer seiner Fireblade aus. Daraufhin erheben sich bereits auf ihn wartende Motorrad-Freunde mit coolen Kopftüchern, Hände verzahnen sich zum Bikergruß. Willkommen zuhause!
Als dann auch noch Bukis Familie kommt, spontan per Handy vom nicht angekündigten Besuch unterrichtet, kullern Freudentränen. Man sitzt draußen, es wird viel erzählt und gelacht. Buki hatte uns bereits in der albanischen Stadt Kukes, die kurz vor der Grenze zwischen zwei zweieinhalbtausend Meter hohen Zwillingsbergen liegt, gezeigt, wohin er 1999 vor dem Kosovo-Krieg geflohen war. Nun führt er uns durch seine Heimatstadt. Etwa zu einem Schuhputzer, der den Straßenstaub von den Daytonastiefeln wegpoliert. Der alte Mann kann ein paar Brocken Deutsch, lobt die deutschen Soldaten in der Stadt als seine besten Kunden. Die begegnen uns dann wie bestellt an diesem lauen Frühsommerabend, die G3-Gewehre geschultert. Wirkt irgendwie irreal. Ob sie sich deswegen nicht fotografieren lassen wollen?
Wenige Kilometer, aber viele Kehren weiter herrscht erneut Fotografierverbot. Straßensperre. Schwer bewaffnete ukrainische KFOR-Truppen kontrollieren den Übergang zum serbisch dominierten Teil des Kosovo. Ihre blau-gelbe Flagge auf den Ärmeln der Kampfanzüge kenne ich gut. Erzähle dem englisch sprechenden Offizier von meiner Verlobten Walentina aus Kiew. Er fragt, was ich noch kenne, in der Ukraine. Aber für Erklärungen bleibt kaum Zeit.
Es dämmert schon, und bis nach Sofia, in Bulgarien ist es noch weit. Bukis Kumpels aus dem Kosovo begleiten uns weiter, durch malerische Schluchten und erstaunlich hohe Gebirge, sogar mit Skigebieten.
Albanien
Herzliche Begegnungen in dem armen, nur an Schotterstrecken reichen Land
Im gesamten Hinterland Albaniens gibt es viel Ruhe und Einsamkeit, wenig Verkehr. Wo immer wir anhalten, eilen die Menschen begeistert herbei. Das Interesse an Motorrädern ist offensichtlich riesengroß. Denn diese sind in dem so lange Zeit hermetisch abgeriegelten Albanien noch immer Mangelware. Nur in den größeren Städten fahren ganz selten einige Exemplare einfacher, uns meist unbekannter Fabrikate. Dazu eine überschaubare Zahl von Rollern als einfache Transportmittel. Das wars. Bald winken uns Verkehrspolizisten auf angejahrten Guzzi NTX 650 per Kelle rechts ran. Nicht, um Bakschisch zu kassieren. Nein, aus reinem Interesse. Wir können kein Albanisch, doch mit Italienisch, Englisch, Händen und Füßen gehts auch. Mit Guter Fahrt, viel Glück und Gesundheit im Leben, verabschieden uns die Ordnungshüter, nachdem sie die BMW und die Automatik-Aprilia Mana gründlich inspiziert haben.
Glück kann man hier gebrauchen. Dazu eine Portion Fahrkönnen und schluckfreudige Fahrwerke. Hier ist jede normale Überlandfahrt fast ein Enduro-Abenteuer. Man wirbelt viel Staub auf. Noch. Denn fette Straßenbaumaschinen und Schwertransporter alle aus Deutschland importiert stehen zum frischen Asphaltieren parat.
Ob das Land danach noch so authentisch bleiben wird? Wo hat man das schon, so viele Kilometer gemeinsam mit Lkw und Bussen über gröbste Schotter-Pässe zu fahren? Genial. Reiner, unserer Mitreisender auf der HPN-BMW R 100 GS Paris-Dakar ist völlig begeistert. Er kauft gerade Olivenöl, direkt auf einem Bauernhof, abgefüllt in recycelte Mineralwasser-Plastikflaschen.
Hier spielt das Leben auf der einfachen Seite. Diese freundlichen Menschen haben Zeit, kein Geld. Bravo rufen uns die Leute im soeben überholten Auto hinterher. Sind wir, die hier im Eiltempo an ihnen vorbeirauschen sofern die Straßen dies zulassen wirklich reicher? Oder nur wohlhabender?
Montenegro
Ein junger Russe auf R1-Tour und Frauen in allen Berufen
Das Kurven-Paradies endet jäh. Eine breite Barriere riegelt die oftmals schon mit neuem Asphalt gedeckte Küstenstraße ab. Kein Durchkommen erklären die Bauarbeiter, auch nicht mit Motorrad. Doch aus der Gegenrichtung rauscht plötzlich eine R1 heran. Ihr Fahrer hatte offensichtlich weniger Hemmungen. Er stoppt, raucht mit Reiner eine Zigarette. Max heißt er, ist 23 Jahre jung und kommt mit dem wenige Wochen alten Supersport-Hobel geradewegs aus Moskau. Bei Kiew hatte er nach wüsten Bikerparties zwei schwere Stürze, der rechte Motordeckel ist dick geschweißt. Nun ist er glücklich am Ziel seiner Reise: Seine Freundin lebt in der Hafenstadt Bar.
Empfangen hatte uns der kleine Küstenstaat mit aparten Zöllnerinnen und dem Euro als offiziellem Zahlungsmittel, obwohl das erst 2006 selbständig gewordene Land nicht zur Eurozone gehört. Mitunter sehr zäh läuft in Montenegro der Verkehr auf der Küstenstraße. Kolonnen heftig rußender Lkw quälen sich durch die Kurven. Feinstaub? Das hier sind eher ganze Briketts. Anders als beim südlichen Nachbarn Albanien gibt es hier überall reichlich Hotel-Bunker. Überbleibsel vom Massen-torismus zu Jugoslawiens Zeiten.
Ein postsozialistisches Aha-Erlebnis wartet in einer Baustelle: Dort steht eine attraktive, langhaarige, sonnenbebrillte Blondine tätig als Landvermesserin. Staunen auch in der Bucht von Kotor: Dort wurden Szenen für den James-Bond-Streifen Casino Royale gedreht. Per Fähre überqueren wir den Fjord des Südens. Beim nächsten Mal werden wir ihn umrunden. Man wäre ja dumm, wenn man es nicht täte...
Kroatien
Kurven, Traumstraßen und Hochzeiten mit Spätfolgen
Mitten in der Nacht, irgendwo nahe dem Nationalpark Plitvicer Seen. An Schlaf im Hotelzimmer ist bei der lauten Musik und den vielen Stimmen nicht zu denken. Eine Hochzeitsgesellschaft feiert lautstark. Völlig fertig rede ich am nächsten Morgen mit den Hotel-Angestellten, die in den 80er-Jahren schwarz in Deutschland gearbeitet hatten. Das war doch keine großer Feier wiegeln sie meine Nachfrage ab, in Kroatien zählt eine Hochzeit erst ab 250 Gästen!
Griechenland
Das Leben tobt auf der Straße. Zweiräder sind Überall
Obwohl die Tanklastwagenfahrer streiken, brettern Schwadronen von Rollern und Motorrädern durch die Häuserschluchten von Thessoloniki. Meine Aprilia Mana 850 braucht einen neuen Hinterreifen. Es gibt Kaffee in Plastikbechern mit dickem Bodensatz und teure Clubs am Strand.
Mazedonien
Ein Land bei Nacht, Trouble an der Grenze und nette Hilfe
Nein, nichts zu machen. Der Grenzbeamte bleibt hart. Will mich nicht ausreisen lassen aus seinem Mazedonien, weil ich nur eine Kopie des Fahrzeugscheins bei mir trage. Dabei war doch die Einreise kein Problem?! Das sei ihm egal. Es ist ein Uhr morgens. Erst als Nino in seinem VW Tourag auftaucht und uns nach Bulgarien reinbegleitet, entspannt sich die Lage. Die Zöllner begrüßen ihn per Handschlag. Wie uns sein Land gefallen hat, will ein älterer Beamter zum Abschied noch wissen? Was sollen wir antworten, haben es ja nur bei Nacht gesehen, es im Transit durchflogen, die Hauptstadt Skopje auf Schnellstraßen umrundet. Gut, antwortet Reiner, der Polizist aus Berlin, diplomatisch. Aber wir müssen noch mal wieder kommen, mit mehr Zeit.
Bosnien-Herzegowina
Ein zehn Kilometer breiter Finger greift zum Meer
Kein Problem, die Papiere will der Grenzer nicht sehen. Weder die des Fahrers noch die der Maschine. Nur eines gibt er unmissverständlich zu verstehen: Dass wir, bitte schön, beim Losfahren von seinem Grenzübergang noch einmal richtig Gas geben sollen. So kommen wir mit reichlich Drehzahl in den zehn Kilometer schmalen Küsten-Korridor von Bosnien-Herzegowina. Dieser ist eingezwängt zwischen Kroatien im Norden wie im Süden. Die preisgünstige Fischplatte zwischendurch können wir mit Euro bezahlen, während die Kellnerin von ihrer Zeit in Deutschland erzählt. Menschen im Süden mögen Motorradfahrer. Und Motorradfahrer die Menschen im Süden.
Slowenien
Land unter in den Alpen und die Flucht vorm Regen
Samstagabend, die Autobahn ist fast menschenleer. In 20 Minuten habe ich gerade mal zwei Pkw passiert. Das ergibt gute Reiseschnitte. Leider bleibt weder Zeit noch Sicht für den Wurzen-Pass. Also dröge durch den Karawanken-Tunnel. Klamm sind die Finger an den Mautstellen, die Handschuhe durchgeweicht. Rasch einige noch recht junge slowenische Euro-Münzen gebunkert. Und weiter. Es schüttet was geht, die Julischen Alpen grau in grau.
Österreich
Noch mal billig tanken, dann zurück nach Deutschland
Nach knapp 5000 Kilometern sind die Kräfte am Ende. Bin jetzt mehrmals fast kurz weggenickt. Sekundenschlaf droht. Pausen werden überlebenswichtig. Der Körper verlangt nach Essen, Trinken und vor allem nach Kaffee. Minus neun Grad sinds am höchsten Punkt der Tauernautobahn, 1430 Meter hoch. Hier kostet der Cappuccino an der Tanke 2,70 Euro, in Slowenien waren es noch 90 Cent. Und die Leute sind viel rauer, irgendwie dumpfer als weiter im Süden. Dafür ist die Maut per Pickerl in Österreich besser gelöst. Ein letztes Mal noch billigen Sprit getankt, dann ab nach Hause.
Zwischenhalt in München, Freundin Tina und wärmender Cognac warten. Am letzten Tag geht es in strömendem Regen über die A 8 nach Hause. Bei Ulm kollidiert eine tief fliegende Taube fast mit einem Lkw-Auflieger: Sie fliegt in Panik um ihr Leben, gejagt von einem pfeilschnellen Wanderfalken. Genau wie die Taube hatten wir auf dieser Extrem-Tour Begegnungen im Zeitraffer. Nur eben sehr angenehme.