Als ich ankomme, ändern sie gerade die Endübersetzung an einer Buell. Einem wilden, schwarzen Streetfighter-Umbau einer X1 Lightning. Nicht für zehn Pfennig käme man mit dem Originalritzel aus den Ecken raus, erklären sie Axel, dem Besitzer. Sie - die fünf Teilnehmer und drei Betreuer der Buell-Alpentour -, sitzen bereits 24 Stunden im Dauerregen fest, der Österreich in einer Jahrhundertflut versinken lässt. Inn und Ache spülen offenbar gerade die letzte ostalpine Erdkruste zu Tal, während hier im Inntal unverdrossen den teuren Sport-Amis die End-Präparation verpasst wird. Das Rennmodul an der Lightning mit dem mächtigen offenen Luftfilter ist schon angeschlossen, die Firebolds kriegen noch die letzten Fahrwerks-Klicks verpasst. Morgen wird gefahren, ganz klar. Bei drei Tagen gibt’s nichts zu verschenken.
Heute wurde bereits mit einer Art Indoor-Warm-up auf der Kartbahn in Imst überbrückt. »Dynamisches Fahrvergnügen steht bei Buell-Tours im Vordergrund«, erklärt die Reisebeschreibung, »Schnelligkeit und Sicherheit – darum geht es. Die Reihenfolge ist beliebig.« Die Maschinen sind inzwischen präpariert, Axels Endübersetzung voll pässetauglich. Denn Hinterherfahren darf nicht passieren, nicht Axel, der schon den Kopf schüttelt, wenn seine Frau bei 280 Sachen Schiss auf dem Beifahrersitz seines BMW kriegt. So was! Und das Motorrad sogar zum Scheidungsgrund erklärte, diesen knackigen Streetfighter mit hochgelegtem Heck. Und? Sie ist immer noch da. Tiefer Schluck aus dem Weißbierglas. Ein Mann in der zweiten Lebenshälfte braucht was abgefahrenes, ausgefallenes. Etwas, was nicht jeder hat und wo man hinguckt. Selten kommen solche Bekenntnisse so locker über die Lippen – bei Buell darf man das. »Wundern Sie sich nicht, wenn Sie sich plötzlich im Mittelpunkt des Interesses befinden...« warnt schon der Prospekt. Morgen geht’s an den Berg, definitiv.
Timmelsjoch, Jaufen Penser Joch und dann rüber in die Dolomiten. Bei Regen ein Traum. Michael aus München und ich versuchen, entspannt zu gucken. Wir sind die Buell-Neulinge in der Gruppe. Wenigstens hat er im Kart eine gute Zeit hingelegt. Während die anderen ihre eigenen Cyclones und Lightnings mitgebracht haben, nutzen wir das Angebot der »etwas anderen Probefahrt«, das Buell ähnlich wie einige europäische Hersteller (siehe Kasten) mit diesen Kurzreisen unter anderem bezweckt: Interessenten einen Kontakt zur Marke verschaffen. »Eine Buell ist fahrerisch nur selten Liebe auf den ersten Blick«, weiß Jörg Zwilling vom deutschen Importeur des jungen Harley-Ablegers, »und sie erschließt sich auch kaum bei einer kurzen Proberunde um den Block. Eine Buell braucht Zeit.« Dafür bietet man vier Touren in Südeuropa und den Alpen an – entweder für Gleichgesinnte mit eigenen Buell oder auf Mietmaschinen. 125 Euro Tagesmiete plus Reisepreis (ab 450 Euro) sind nicht ganz billig – aber deutlich preiswerter, als gleich mit vollem Kaufpreis einzusteigen. Michael fährt zu Hause Honda Hornet und eine alte Guzzi – eine Buell lockt ihn zusätzlich.
Mich reizt die neue Firebolt XB9R, dieses kleine gewisse Etwas von Motorrad, das diesen mächtigem Harley-V2 kaum zu fassen scheint. Könnte mir gefallen. Drei Tage Alpen - und die wichtigsten Fragen wären geklärt. Nach dem Abendessen gibt’s noch Theorie. Chefinstruktor Rolf will die Fahrtechnik ein wenig auf Vordermann bringen. Kurventechniken, Bremsen in Schräglage und den Unterschied von 22, 35 und 45 Grad Abwinklung beispielsweise. »Ab 22 Grad setzt eine psychische Hemmschwelle ein, doch 45 sind machbar. Wir streben 35 an, dann sind noch zehn Prozent Reserve drin.« Schnelligkeit und Sicherheit, ich erinnere mich. Auf Skizzen zeigt er die Linie: »Wir überfahren nie die Mittellinie, sondern nutzen unsere Fahrbahnhälfte aus. Also - hohes Kurventempo, aber ohne zu schneiden. Schnell werdet ihr, wenn ihr möglichst früh wieder am Gas seid.« Aha. »Und keine Angst vorm Bremsen in Schräglage. Trainiert es, übt es, lernt euren Vorderreifen und sein Aufstellmoment kennen. Es nutzt Euch, wenn’s mal eng wird.« Und er geht noch weiter: »Fasst auch den Abflug ins Auge. Wenn ein Aufprall nicht mehr zu verhindern ist, stellt Euch in die Rasten, um von der Maschine weg zu kommen.« Puh. Buell-Tours wird keine Kaffeefahrt. Und bei all dem – locker bleiben!
Am Abend unterscheidet die Verkrampfung den Anfänger vom Crack. Dann reden wir über den nächsten Tag, der schwierig werden wird. Es wird nass sein, wenn nicht gar regnen. Um den Grip zu erhöhen, rät Rolf, den Reifenluftdruck auf unter zwei bar zu senken. Irritierte Blicke, im Handbuch stehe 2,5 – Rolf winkt ab, unter rutschigen Bedingungen müsse man davon abweichen. Okay, wird geschluckt. Überhaupt die Reifen – ein großes Fragengebiet. Ob der neue XYZ-Gripper was bringe, warum der Angststreifen nicht weggehe – physikalisch unmöglich bei deiner Felge - Rolf leitet von der mentalen zur technischen Vorbereitung über, wie Reifen, Bremsen, Lager bei einer Tour beansprucht werden. Die Herren sind inzwischen voll in Fahrt, Fotos von Umbauten tauchen auf und einer hat sogar »sein« Leistungsdiagramm dabei – Waaas!? 133 Nm... bei der Drehzahl! Die Wheelies werden höher, die Schräglagen brutaler, Buelling at it’s best. Beim dritten Bier sind wir bei 90 Grad.
Am nächsten Morgen regnet es noch immer. Jetzt ist sogar die Streetfighterfraktion still. Bei der Gruppen-Einteilung meldet sich keiner mehr für »schnell«, hüstel, hüstel, im Regen gar nicht gut... Ich halte mich zurück, was für Frauen dann erfahrungsmäß am klügsten ist. An der Tanke senke ich widerstrebend, aber weisungsgemäß den Luftdruck ab. Und verfluche noch einmal den nagelneuen Hinterreifen, der schon beim bloßen Hinsehen rutscht wie eine dreistöckige Geburtstagstorte. Hinterm Timmelsjoch soll’s trocken werden. Na gut. Jackenkragen hoch und hinein in die puppenstubenkleine XB9R. Ziemlich geduckte Sitzposition für so fiese Bedingungen – aber egal, dafür passt sie sonst ziemlich gut. »Du hast dich für Buell-Tours und damit gegen die vernünftig-rationale Fortbewegung entschieden. Gratulation, (...) dies zeugt von Lebenskunst. Buelling – erfahre den Unterschied.« Steht ganz vorne in der Ausschreibung. Wir rollen ein Stück im Inntal entlang, bis Rolf kurz vor Imst zum Timmelsjoch abzweigt. Schon nach den ersten Kehren bin gar nicht mehr sicher, ob ich den Unterschied noch genauer erfahren will. Der Karre fährt grauenvoll! Nicht ich habe die 22-Grad-Schräglagen-Hemmung, sondern sie. Definitiv. Eigentlich nicht zu fassen, dass ein so zierliches Motorrad derart störrisch sein kann. Wie ein Ochsenkarren lässt sie sich in die Kurven stemmen, gautscht und rutscht furchterregend. Bravo! Genau so habe ich mir ein schönes Alpenwochenende vorgestellt!
In der Kaffeepause gehen wir die Fahrwerksabstimmung noch mal an. Ebenso die Sache mit der Luft – 2,5 rein, und plötzlich ist die kleine Fireboltin wie ausgewechselt, schwingt leichtfüßig in jede Schräglage, der Unterschied ist unfassbar. Der Ablass-Tippl muss für sie wohl noch mal überdacht werden. Tatsächlich kommen hinterm Pass erste Sonnenstrahlen hervor, die Strecke wird trocken und das Tempo der Gruppe zackiger, Jauffenpass, Penser Joch, die Regenkombis sind schon lange in die Rucksäcke gewandert und die Kollegen wieder hoch motiviert. Mittags sind sie schon beim Nachrüstfederbein, den Einspritzanlagen und dem doch enttäuschenden Rennmodul, das hier oben überfettet – echt blöd, dass man hier nicht schnell mal im Internet recherchierren kann - eine Buell ist kein perfektes Motorrad, sondern Herzensangelegenheit. Christian aus Berlin spricht für alle: »Wir wissen um die Fehler - und wir beheben sie.« Peng – so einfach ist das. Auch wenn man sich mit rund 11500 Euro Neupreis nahezu in einer Liga mit perfekten Hightech-Supersportlern bewegt. Klaus Jürgen lehnt sich in seiner Stars-and-Stripes-Kombi zurück, »Hauptsache amerikanisch«. Er hatte sogar mal überlegt, eine Harley Sportster eigenhändig zum sportlichen Straßenkämpfer umzubauen, aber das Flottmachen einer Buell war doch deutlich weniger aufwendig.
Tipps holt man sich im Buell Owners-Forum, wo runde 3000 deutschlandweit zugelassene Maschinen für genügend Stoff sorgen. Die Fahrer scheint einiges zu verbinden. »...Der Unterschied zwischen emotionsloser Fortbewegung und einem Lebensgefühl ....«(Reiseausschreibung). Allen anderen müsse man doch erst mal eine Stunde erklären, was eine Buell überhaupt ist – das alte Selbstbewusstsein schein wieder im Lot, und man visiert allmählich den Rückweg an, die Sonne steht schon knapp über den Dolomitengipfeln im Westen. Noch einmal das Timmelsjoch, jetzt ist es endgültig trocken und donnernd pflügen sie hinan – Fahrbahnseite, Mittellinie – alles wurscht, volle Kanne, was das neue Riemenritzel hergibt. Michael und ich cruisen gemächlich hinterher – doch sie hat schon gewonnen, die Firebolt. Ich glaube, das wird was.
Probefahrten und Trainings
Lust gekriegt, was Neues auszuprobieren? Ein Motorrad, von dem man träumte, aber nie zu kaufen wagte? Vielleicht aus Angst, es nach der ersten Alpentour nicht mehr zu mögen? Dann lohnt es sich, bei den Herstellern, Importeuren und örtlichen Händlern nachzufragen. Es gibt fast immer eine Möglichkeit, mit dem Wunschmotorrad mehr als die obligatorische Proberunde zu drehen. Denn häufig sind die Vorführmodelle übers Wochenende oder für Kurzurlaube auch zu mieten (ab zirka 70 Euro pro Tag). Komplett organisierte »Probereisen« bieten neben Buell und Harley sind vor allem BMW, KTM und Suzuki (Modell V-Strom) bei Probereisen engagiert. (Reisen für bereits gewonnen Kunden organisieren deutlich mehr Marken. Beim Händler erkundigen!) Auch Trainings unterschiedlichster Schwierigkeitsgrade sind im Programm. Während die Stollenfraktion meist im Gelände übt, hat sich Buell ein »Stunt-Training« ausgedacht. Neben normalen Sicherheitstrainingskomponenten werden dabei auch Wheelies und Stoppies gelehrt allerdings nur mit der eigenen Maschine... Da sich zum Tourpreis noch die Miete addiert, ist die Idee nirgendwo billig, aber dafür gibt es eben ein komplettes Urlaubs- und Testfahrprogramm. Mehr zu Buell unter www.buell-tours.de/at/ch sowie der Infohotline 0041/56631/2307.