Fast jeder kennt die A 8. Doch wer war schon mal jenseits davon, hat die tosende Asphaltmeile mutwillig verlassen? Na? Sehen Sie, es wird Zeit.
Fast jeder kennt die A 8. Doch wer war schon mal jenseits davon, hat die tosende Asphaltmeile mutwillig verlassen? Na? Sehen Sie, es wird Zeit.
Lautes Rauschen zur Linken, so extrem, dass sich kurzfristig mein ganzer Körper verkrampft, bis der Sound wieder verebbt. Rechts leises Plätschern, wenn der See gemächlich über die moosbewachsenen Felsen der Uferkante schwappt. Oben strahlend blauer Himmel. Und unten scharfkantige Muscheln, die sich mir unsanft in den Rücken bohren. Und nur, weil ichs mir kurz auf der Kaimauer bequem machen wollte. Hier an der Raststätte Chiemsee, an der A 8 MünchenSalzburg. Keine Ahnung, wie oft ich hier schon getankt, gegessen und aufs Wasser geschaut habe. Immer waren wir auf der Durchreise gen Süden. Und immer habe ich mir die Frage gestellt, ob es eigentlich ein Leben jenseits der A 8 gibt. Überprüft habe ich es nie.
Wozu auch? Jedesmal wenn meine Fazer auf der A 8 wie ein Silberpfeil am Chiemsee vorbeigeschossen ist, stand das Ziel schon fest. Ab in den Süden, so schnell wie möglich. Hin zu kleinen, schmalen Sträßchen, wo ich mit der geschmeidigen Yamaha lässig ein paar Schlaglöcher umschiffe, flankiert von wilden Wiesen mit dichten Büschen, die dann und wann den Blick aufs glitzernde Meer freigeben. Unter Palmen wollte ich mich irgendwo am Strand ausstrecken und bei glühender Hitze in meiner Lederkombi rösten, während die Leinen bunter Segelboote beruhigend im Rhythmus der leichten Brise gegen die Masten schlügen. Wenn sich dann noch irgendwo am Horizont zackig ein Gebirge türmen würde... Perfekt!
Nie hätte ich gedacht, dass man diese erholsame Mixtur aus Ruhe und mediterranem Flair auch viel weiter nördlich erleben kann. Wenn man sich zwischen Prien, der Hauptstadt des Chiemsees, auf Schleichwegen über Osternach und Rimsting zur Gaststätte Seehof durchschlägt. Voraussetzung: Man fährt an der Raststätte Chiemsee nicht weiter, sondern ab.
Denn wer mediterranes Feeling sucht, kann damit ruhig im Chiemgau schon anfangen. Schließlich herrschen an dem mit 82 Quadratkilometern größten bayrischen See, auch Bayerisches Meer genannt, nicht nur Ebbe und Flut, sondern auch äußerste gefährliche Stürme, deren Warnungen durchaus ernst zu nehmen sind. An diesem heiteren, warmen Spätnachmittag aber schippern die Dampfer der Chiemseeflotte friedlich in ruhigem Gewässer, während Klaus und ich von Rimsting weiter Richtung Gstadt trödeln, um das Seeidyll im Uhrzeigersinn zu umrunden. Sonnenstrahlen huschen durch das dichte Blätterwerk der Birken und Buchen und tanzen auf meinem silbernen Stahlross. Auf der bequemen Yamaha fällt das entspannte Cruisen wahrlich nicht schwer. Immer wieder führen Stichstraßen, wie in Breitbrunn, direkt zum Wasser. Enten paddeln mit leisem Geschnatter um die knarrenden Segelboote, ein paar ältere Herrn plaudern an den Bootsstegen, sonst sind wir allein.
Vor uns im See prangt eine wuchtige Insel. Herrenchiemsee. Irgendwo hinter ihren dichten, grünen Baumkronen muss es verborgen sein, das sagenhafte Schloss des Märchenkönigs Ludwig II. von Bayern. Von den opulenten Wasserspielen im Barockgarten über die Spiegelgalerie bis zum vergoldeten Schlafgemach sollte dieses verschwenderische Traumschloss, erbaut nach dem Vorbild Versailles, eine prunkvolle Manifestation des Absolutismus und eine Hommage an den Sonnenkönig Ludwig XIV. sein. Bewohnt hat Ludwig II. sein luxuriöses Wochenendhäuschen auf dem größten der drei Chiemsee-Eilande ganze neun Tage. Schade eigentlich.
Allgemein
Messerscharf trennt die A 8 den Chiemgau in zwei Hälften: Chiemsee im Norden, Chiemgauer Alpen im Süden. Westlich vom Inn (nicht im Kartenausschnitt) und östlich von Alz und Traun begrenzt, liegt die Region im Südosten Oberbayerns und bietet alles, was sich Preußen so unter »Bayern« vorstellen: grüne Wiesen mit braunen Kühen, zackige Bergkämme, schmucke Bauernhäuser mit blumengeschmückten Balkonen, Zwiebeltürme, Trachtenfeste und nicht zuletzt das romantische »Bayerische Meer«. Was der norddeutsche Biker vielleicht nicht erwartet: Auf Schotterpfaden und schmalen Serpentinen kann das Leben jenseits der A 8 wunderbar sein.
Anreise
Aus dem Norden oder Osten erreicht man die Region über die A 3 NürnbergRegensburgPassau. Die A 8 MünchenSalzburg sollte zwischen Rosenheim und Traunstein verlassen werden.
Reisezeit
Je nach aktueller Wetterlage empfehlen sich vor allem Frühling und Frühsommer. Denn in der Hochsaison rollen gerade rund um den Chiemsee ausgesprochen viele Fahrräder.
Sehenswert
Hauptattraktion des Chiemgaus ist zweifellos die einzigartige Kombination aus Seeidylle und den Chiemgauer Alpen. Eine Bootsfahrt zur Herreninsel mit ihrem prunkvollen Schloss Herrenchiemsee gehört zum kulturellen Muss.
Unterkunft
Zünftig, gemütlich und herzlich betreut verweilt man im Gasthaus-Pension Werndl, Greimharting 30, 83253 Rimsting, Telefon 08051/3637, Einzelzimmer ab 30 Euro. Gern gesehene Gäste sind Motorradfahrer in dem liebevoll ausgestatteten, Gasthof »Alter Wirt«, Kirchplatz 9, 83233 Bernau, Telefon 08051/89011, www.Alter-Wirt-Bernau.de, Einzelzimmer ab 40 Euro, Doppelzimmer ab 65 Euro.
Essen + Trinken
In der deftigen oberbayerischen Küche gibts so viele Schmankerln, dass man eigentlich alles oder nichts empfehlen darf. Dennoch ein Tipp: Während eines fürchterlichen Unwetters hat man uns im Restaurant »Zum Bräu« in Frasdorf inmitten von Geweihen, ausgestopften Fasanen und Heiligenwinkeln mit einem sehr leckeren Hirschbraten getröstet.
Infos
Rund um das Image der Region informiert www.chiemgau.de inklusive Links zu den einzelnen Chiemgau-Orten wie beispielsweise Kurverwaltung Prien am See, Alte Rathausstraße 11, 83209 Prien am Chiemsee, Telefon 08051/6905-0, Fax 6905-40, e-mail: info@tourismus.prien.de. Verkehrsamt Grassau, Kirchplatz 3, 83224 Grassau, Telefon 08641/2340, Fax 400841, www.grassau-info.de, e-mail: verkehrsamt@grassau-info.de. Verkehrsamt Gstadt Gollenshausen am Chiemsee, Seeplatz 5, 83257 Gstadt am Chiemsee, Telefon 08054/442, Fax 7997, www.gstadt.chiemsee.de, e-mail: info@gstadt.chiemsee.de.
Literatur
Für einen guten Überblick sorgt der HB-Bildatlas »Chiemgau, Berchtesgadener Land«, für 8,40 Euro. Auch gut geeignet ist der Marco-Polo-Führer gleichen Namens von Annette Rübesamen für 7,40 Euro. Detaillierter geht Martin Siepmann in »Am bayerischen Meer. Chiemsee, Chiemgau« vor, 18 Euro. Die beste Karte kommt von Marco Polo, Blatt 8, Bayern Süd, Maßstab 1:200000.