Deutschland: Motorrad-Expedition Erzgebirge
Die 2500er Tour zum MOTORRAD-Jubiläum

Haben Sie schon einmal eine Zahl zum Leitmotiv einer Motorradreise erhoben? So pathologisch das klingt, wir probierten die 2500. Sie war der rote Faden unserer Mission, mit Gebrauchtbikes das Erzgebirge zu erschüttern. Was die 2500 dazu beitrug, lesen Sie hier im Reisebericht aus dem Erzgebirge.

Die 2500er Tour zum MOTORRAD-Jubiläum
Foto: Biebricher
Biebricher
Suzuki DR 800 S, Honda Black Widow und Triumph Speed Triple.

Zweitausendfünfhundert: Die Zahl klingt nach einer Steilvorlage für fernreiseerprobte Reisejunkies. Einfachste Übung: mal eben eine 2500-Kilometer-Runde um Stuttgart drehen. Klingt banal, kann jeder. Seiteneinwurf: das Ganze bei 2500 Umdrehungen pro Minute abspulen. Hört sich schon besser an, wird praktisch aber nicht umzusetzen sein. Eine Reise zu 2500 Meter hoch gelegenen Orten? Hoppla, da werden aber die Kollegen aus der Test-Abteilung schnell nervös, schließlich ist das Alpen-Masters ihr Revier. Aber Ortschaft und 2500 müssten doch kombinierbar sein. Bei Google poppt schon die passende Antwort auf: Oberwiesenthal im Erzgebirge hat nicht nur 2500 Einwohner zu bieten, sondern ist auch noch Deutschlands höchstgelegene Stadt. Wenn das kein angemessenes Ziel für die vierköpfige Service- und Reisecrew von Europas größter Motorradzeitschrift ist! Das Ganze natürlich nicht auf neuen Motorrädern, sondern auf gut abgehangenen, 2500 Euro teuren Teilen. Und vier Reisende können sich bestimmt für einen Gesamtetat von 2500 Euro komplett einkleiden … Das Grundgerüst für die Jubiläumstour steht. Geht noch mehr? Auf der Strecke 2500 Motorradfahrer treffen, Fahrzeuge mit 2500 PS suchen, den Tagesbedarf an 2500 Kalorien während der Reise ausschließlich in Form regionaltypischer Klöße decken - beim Hirnen gleiten wir schnell in abstruse Sphären ab. Bei genauerer Recherche scheinen sich aber doch noch einige 2500er-Highlights in der Reiseregion zu finden: zum Beispiel in Zwickau ein Jeansshop mit dem fantasievollen Namen „Jeansdepot 2500“. Allemal einen Besuch wert. In Markkleeberg bei Leipzig lebt Günter Rössler, berühm-tester Mode- und Aktfotograf der DDR, der bislang 2500 Nacktmodelle abgelichtet haben soll. Wir laden uns bei dem 86-Jährigen gleich mal auf einen Kaffee ein. Um die Ecke von Oberwiesenthal betreibt die Pressnitztalbahn noch eine historische Dampflok der Baureihe 01.5: Leistung 1839 Kilowatt, das macht gewaltige 2500 Pferdestärken. Sollten wir uns nicht ein Beschleunigungsrennen mit unseren in Summe 293 PS starken Gebrauchthobeln gönnen? Der Betriebsleiter lacht durchs Telefon: „Dann müssten Sie aber hoch in den Spreewald dampfen, wo unsere Null-eins gerade gewartet wird. 250 Kilometer, und Sie sind schon da …“

Wir beschließen, das mit der „Zwo fünf“ nicht zu verkrampft zu sehen und erst einmal loszufahren: Jörg auf einer Triumph Speed Triple von 1995, Klaus auf einer Honda VT 750 Black Widow (2002), Thorsten an Bord einer BMW K 100 RS mit ABS aus 1990, und Markus pilotiert eine 1998er-Suzuki DR 800 S. Voilà, damit haben wir einen repräsentativen Querschnitt dabei und sind bereits mittendrin, mit unseren Ein-, Zwei-, Drei- und Vierzylinder-Motoren den Landstraßenritt durch die fränkische Natur zu genießen. Kein einziges Schild mit einer 2500, stattdessen mindestens 2500 andere Reize, wie füllige Damen in Gartenlokalen, knackige Kurvenstraßen und eine defekte Anlassersicherung der Honda, die uns nicht lange aufhält. Klar, es gibt Autos mit 2500 Kubik oder Schilder, die eine Attraktion in 2500 Metern ankündigen, doch das erscheint uns zu simpel. Unsere Entdeckerlaune schreit noch nach mehr.

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In keinem Bezug zu unserer magischen Zahl, dafür umso gemütlicher, geht es in dem 100 Jahre alten Landgasthof der Familie von Hans-Georg Haueis in Hermes bei Kulmbach zur Sache. Zart schmeicheln die regionaltypischen Spezialitäten unsere Gaumen, genau wie eiskaltes Kapuziner-Weizen, dessen Gesamtkonsum deshalb auch schnell die 2500-Milliliter-Grenze überschreitet. Die Stille ist atemberaubend.

Das sind anderntags auch die Kurven, die unsere 2500-Euro-Bikes im Frankenwald durcheilen. Auf kleinsten Schleichwegen werden wir zu Grenzgängern, hangeln uns im grünen Niemandsland entlang der „Staatsgrenze“ weiter ostwärts, bis wir schließlich auf grellbunten Fidschi-Märkten direkt in der tschechischen Stadt Aš landen, wo 2500 tschechische Kronen für die angepriesene „Alles original“-Ware schnell ausgegeben wären. Nur schnell weiter.

Bei Bad Elster geht es zurück nach Deutschland, und in der Instrumentenbaumetropole Klingenthal fahren wir die Fühler aus: Liegt hier eventuell eine 2500-Euro-Geige im Schaufenster? Vergeblich. Erst im vogtländischen Auerbach greifen wir in die Bremsen. Hinter zerfallenen Lagerhallen spitzt doch ein alter DDR-Laster der Marke Robur hervor. Ist es das Modell LO 2500? Wir wollen gerade fürs Foto über den Zaun klettern, als uns ein Anwohner aufhält: „Das ist der 3000er“, belehrt uns Karl-Heinz Koch, bietet aber gleich eine zahlenmäßig passende Alternative. Der pensionierte Maschinenschlosser kommt nämlich gerade vom Pilzesammeln und hat nach eigenem Gefühl „exakt 2500 Gramm Stein- und Perlpilze“ dabei, die es heute Abend „mit Butter und Kümmel“ gibt. Zum Abschied ergeht nicht nur der wertvolle Hinweis, dass im Vogtland mit „Guten Tag“, im Erzgebirge aber mit „Glückauf“ gegrüßt wird, sondern findet noch eine kleine Taschenbibel (keine 2500 Seiten) den Weg in den Tankrucksack. Gefühlte 250 Kurven weiter kreuzt eine MiG-21 unsere Wege. Das Jagdflugzeug steht vor der Deutschen Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz und wurde einst vom prominentesten Sohn der kleinen Gemeinde, DDR-Kosmonaut Sigmund Jähn, pilotiert. Mandy Dienelt, gute Seele des Museums, hat zwar keine Rakete mit 2500 Kilopond Schub im Angebot, kann aber immerhin über die Raumstation ISS aufklären, deren Kreuzungspunkte auf der Äquatorachse jeweils 2500 Kilometer auseinanderliegen. Na endlich, so langsam kommt Leben in die eigentlich tote Zahl.

Biebricher
Die 2500-Euro-Motorräder: Suzuki DR 800 S, Honda Black Widow, Triumph Speed Triple und BMW K 100 RS.

Endlich laufen wir in Oberwiesenthal ein. Mirko Ernst, amtierender Bürgermeister der „Hochstadt“ im Erzgebirge, empfängt uns mit offenen Armen und gibt bereitwillig Auskunft zur Geschichte. Wir erfahren, dass sich Oberwiesenthal schon zu DDR-Zeiten vom Bergbaustandort zum Leistungszentrum für Wintersport gewandelt hat und Deutschlands erfolgreichster Skispringer Jens Weißflog in seiner Heimatstadt nun ein eigenes Hotel betreibt.

Besonders problematisch sollte für den Skiort die Zeit nach der Wende verlaufen: Durch Vetternwirtschaft und Filz stand der einst attraktive Skiort vor einigen Jahren kurz vor der Pleite, mittlerweile könne man, so der Bürgermeister, wieder positiv in die Zukunft schauen und stehe sogar kurz vor der Prädikatisierung zum „staatlich anerkannten Luftkurort“. Für die Sommersaison ist allerdings noch reichlich Ausbaupotenzial vorhanden. So finden sich, ist Bürgermeister Ernst felsenfest überzeugt, „für Motorradfahrer die schönsten 2500 Kurven des Erzgebirges rund um Oberwiesenthal“. Bleibt als abschließende Frage, welches Modell aus unserem Quartett den alten MZ-ETS-250-Piloten reizen würde? Die Frage ist kaum gestellt, da sitzt der Bürgermeister schon auf der BMW, „Pate“ Thorsten grinst.

Die Landschaft um Oberwiesenthal ist grandios, wir holpern mit Monster-Rollern einen Wanderpfad vom 1215 Meter hohen Fichtelberg hinunter, plaudern mit Lokführern der Fichtelbergbahn, deren alte Personenwaggons immer noch täglich von Dampfloks gezogen werden, und erfahren so, dass das Modell 99.73-76 exakt 2500 Kilogramm Kohlen in ihrem Tender bunkert. Bingo. Dass wir dafür in Zwickau das in unserem Roadbook gelistete Jeansdepot 2500 nicht mehr finden können, stört dagegen kaum, zumal wir kurz darauf in Bad Schlema tatsächlich noch einen Robur LO 2500 im Original-NVA-Look aufspüren. Und außerdem haben wir auch noch die 2500 Frauen als „scharfen Höhepunkt“ auf unserer Etappenliste.

Eine davon wartet in Markkleeberg bei Leipzig auf uns: Ex-Model Kirsten Schlegel und jetzt Ehefrau des Mode- und Aktfotografen Günter Rössler. Charismatisch und kultiviert übernimmt sie die Rolle einer Moderatorin zwischen unseren neugierigen Fragen und der freundlich-friedlichen Persönlichkeit ihres 42 Jahre älteren Künstlergatten, der seine Models zu DDR-Zeiten „auf der Straße“ rekrutiert hat, immer auf der Suche nach Schlichtheit und Natürlichkeit. 1984 erscheint ein zehnseitiges „Pictorial“ für den „Playboy“, was dem prominenten DDR-Fotografen schnell den Beinamen Helmut Newton des Ostens einbringt.

Ein Vergleich, den Rössler nicht gerne hört: „Newton war ein hervorragender Fotograf, aber ich pflege einen komplett anderen Stil!“ Auch wenn keines seiner 2500 Modelle jemals mit einem Motorrad abgebildet wurde, wollen wir trotzdem wissen, welches aus unserer Runde für ein Motiv in Frage käme. Rössler deutet kurz auf den schwarzen Honda-Chopper, was wiederum Trendjäger Thorsten euphorisiert, der im Vorfeld genau auf dieses Wahlergebnis getippt hatte. Auch wenn wir am Ende unserer Expedition die 2500-Kilometer-Marke doch um einiges verfehlt haben, sind wir sicher, dass uns die 2500er-Suche vieles an Eindrücken, Erlebnissen und Begegnungen beschert hat, die uns bei einer „normalen“ Reise entgangen wären.

Suzuki DR 800 S

Biebricher
Suzuki DR 800 S … der Doktor mit dem großen Herzen.

Eine ausgefallene, reisetaugliche Einzylinder-Enduro sollte unseren 2500-Euro-Gebrauchtfuhrpark bereichern. Da führte kein Weg am weltgrößten Serien-Single vorbei. Was hat die Suzuki DR 800 S heute noch drauf?

Suzukis dicker Dampfhammer hatte mich schon immer angefixt. Und jetzt darf ich eine kaufen, per Dienstauftrag. Das Angebot: viele ältere „Doktor Bigs“, dank hoher Laufleistungen echte Schnäppchen. Die 750er-Urvariante (1988 bis 1990) ist fast vom Markt, und unter den frühen 800ern mit dem zweigeteilten 29-Liter-Tank finden sich Umbauten, die von ästhetischer Umnachtung ihrer Besitzer zeugen. Bei der bis Produktionsende gebauten Variante mit 24-Liter-Tank locken ein paar nette Exemplare, leider alle zu weit weg. Dann stoße ich auf die Offerte von Dirk Gladen aus Hattingen.

Weil ich ohnehin am Wochenende ins Ruhrgebiet muss, schaue ich bei Dirk vorbei. Im Hinterhof seines Häuschens steht eine gut gefüllte Garage mit Grube, weil Dirk gerne alles selber macht an seinem gasbetriebenen Golf III Cabrio. Der Ruhrpöttler hat neben Booten und Fahrrädern zwei Motorräder. Die Big und eine Honda SLR, auf der er mit 130 Kilogramm und knapp zwei Metern leicht unproportioniert wirkt. Die in dieser Hinsicht passendere Big soll einer älteren GS Platz machen, Dirk braucht mal was anderes als Einzylinder. Seine Suzi sieht passabel aus: neue schwarze Lackierung mit Original-Dekorsatz, bis auf ein paar Macken an Schwinge und Motorgehäuse gepflegter Zustand, 32460 Kilometer, Erstzulassung 4/1998, TÜV bis 9/13, komplette Edelstahl-Auspuffanlage, Edelstahl-Kettenschutz, Lenkererhöhung. Die Scheibenbremse vorn ist runter. Dirk sagt bei 2100 Euro Okay und „Tschüss, Dicke“. Der Motor klingt kerngesund.

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Dirk Gladen (48) aus Hattingen gibt seine „Dicke“ nachdenklich ab.

Nach der Rückkehr in die Redaktion ist klar, was die Big braucht: neue Dunlop-TR 91-Pneus, neue Bremsscheibe samt Belägen und Bremszylinder sowie Tachowelle. Jetzt sind wir bei 2500 Euro Gesamtinvestition.

Der Dampfhammer hält lange, wenn man ihn alle 6000 Kilometer wartet. Es soll Motoren geben, die ungeöffnet- 100000 Kilometer liefen. Mein dagegen noch frisches Kraftwerk bollert aus der Edelstahl-Anlage, die eine der größten Schwächen der Serien-Big ausmerzt: verrostete Auspuffe.

Dank automatischer Dekompression startet der dicke Pott willig, man muss auf den ersten Kilometern mit dem Choke zaubern. Unter 3000/min zickt die Suzi-, zwischen 3000 und 6000/min wummern die 50 Pferde, speziell ab 4000 erfreut herzhaftes Anreißen. Das kann in dieser Direktheit nur ein Einzylinder, und der passt prima in ein burschikoses Endurofahrwerk mit fetten Federwegen.

Damit schwebt mein Doktor über den Niederungen des Alltags, findet spurstabil die Ideallinie und wirkt handlich wie ein Fahrrad. Echten Dreckspielen steht das Gewicht im Weg, doch auf  schlechtem, kurvigem Asphalt können wir mit frechen Schräglagen stärkere Bikes jagen. Bigs Wendekreis ist klein, die Sitzbank 86 Zentimeter hoch. Weniger lustig sind lange Autobahn-Etappen. Zwar läuft der Motor bis 5500/min dank zweier Ausgleichswellen kultiviert, vibriert aber bei 130 km/h ziemlich hart. Zudem hängt man wie ein Segel im Wind. Gleichwohl registriere ich weder Fahrwerksunruhen noch Verbräuche von mehr als fünf Litern.

In Summe dost meine Big aber dennoch die anderen Bikes in Sachen Komfort, Handling und Reichweite ein und bringt mich in Versuchung, mir dieses Original zu Weihnachten zu schenken.

Honda Black Widow

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Honda Black Widow Chopper ohne Chopper-Macken.

Da fährt man privat gerade mal 30 Jahre lang Harley, und schon ist man auf Chopper festgelegt. Okay, übernehme ich halt den Langgabler-Part, aber für 2500 Euro gibt’s kein Original. Zumindest kein fahrbereites. Dann eben eine Kopie aus Fernost. Eine sehr gute.
Schon mal probiert, für zwo fünf von privat einen fahrbereiten Chopper oder Cruiser ab 750 Kubik zu kaufen? Vergessen Sie es! Das Frust-Potenzial ist unglaublich groß. Da entpuppt sich der „gepflegte Originalzustand“ als runtergerittene Uralt-Möhre, die seit zehn Jahren abgemeldet ist und auf mindestens 15 Jahre alten Reifen steht. Angebliche Ersthand-Schätzchen werden von ominösen Privatdealern mit Migrationshintergrund im Auftrag noch ominöserer, führerscheinloser Kurzzeitbesitzer verkauft. Und „aus Frauenhand“ ist gleichbedeutend mit „hat diverse Umfall- und/oder Sturzschäden und eine defekte Kupplung“.

Nach zwei Wochen mühsamer Internet-Recherche und unzähligen Telefonaten mit Schnackern habe ich die Nase voll. Jetzt wird zur letzten aller Möglichkeiten gegriffen: Ich klappere unsere Händler des Vertrauens nach Inzahlungnahmen ab. Und werde beim BMW-Vertragshändler Karl Maier im bayerischen Neufinsing fündig: Ein 2002er-Modell der hierzulande von 2000 bis 2004 angebotenen Honda VT 750 Black Widow ist gerade frisch reingekommen. Der Vorbesitzer hatte die Schwarze Witwe aus (bis auf eine sehr kleine Delle am Tank) unfallfreier Frauenhand erworben und nach nur 1500 Kilometern festgestellt, dass ihm eine BMW R 1200 GS doch besser gefällt. Zum Einstandspreis reicht Karl Maier die exakt 26 319 Kilometer alte Honda an mich weiter. Ölwechsel, vordere Bremsbeläge und HU (TÜV) gehen aufs Haus, und in der Redaktionswerkstatt weichen die sieben Jahre alten Reifen neuen Bridgestones.

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Kilometerstand 26319: BMW-Händler Karl Maier verpasste der Schwarzen Witwe Wellness-Kur und frische HU.

Die Chopper-Schwester der bewährten Honda Shadow 750 wirkt ausgesprochen erwachsen. Und begeistert mit ihren amtlichen Proportionen auch Menschen ohne ausgeprägte Chopper-Affinität: ellenlanger Radstand, ein ebenso langer Nachlauf, flacher Lenkkopfwinkel, ein erstaunlich bequemer Sitzplatz in Kniehöhe, Fahrerfußrasten dort, wo normale Motorräder ihr Vorderrad haben, und Federbeine mit Starrrahmen-Härte - die Vorgaben aus dem Lehrbuch „Der große Chopperbauer“ wurden in Japan aufmerksam gelesen und konsequent umgesetzt.

Doch die nach einer giftigen Spinnenart benannte Schwarze Witwe macht auch in Fahrt eine prima Figur. Während viele Artgenossinnen schrägere Schräglagen mit spanabhebender Tätigkeit an Fußrasten und/oder Auspuff bestrafen, kann man mit der fahraktiven Honda erstaunlich lange und erfreulich flott um Kurven toben, ohne dass hässliche Schleifgeräusche zu vernehmen wären. Natürlich sind 45 PS, die auf 238 Kilo plus Fahrer treffen, keine Leistungsoffenbarung, doch bereits ab 2000/min zieht der vibrationsarm laufende Vauzwo sauber durch. Ausgeprägte Hoch- und Tiefdruckgebiete kennt der sparsame Motor nicht, er ist ein grundsolider Fließbandarbeiter, der bestens mit dem goldrichtig übersetzten und perfekt zu schaltenden Fünfganggetriebe harmoniert. Die Auspuffanlage ist weitgehend ein Blender, trotzdem bollert’s kernig, vorausgesetzt die Drehzahl steigt nicht über Gebühr. Dann wird’s soundmäßig japanisch-schrill, doch bei Tempo 130 ist aus Komfortgründen meist freiwillig Schluss. Ein Umstand, den die Honda mit vielen Harleys gemein hat.

Triumph Speed Triple

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Triumph Speed Triple Engländerin mit rustikalem Charme.

Die Speed Triple wird in den Neunzigern das erfolgreiche Aushängeschild der wiederbelebten Marke Triumph. Der Youngtimer hat Kultpotenzial. Wer ihn sucht, darf nicht lange zögern: Die Preise ziehen wieder an!

Die gute Fee gibt dir 2500 Euro, du darfst ein Motorrad kaufen, hast freie Auswahl. Klingt paradiesisch, ist zunächst zermürbend. Rein in die Internet-Verkaufsportale, Preisspanne vorgeben und von über 10 000 Angeboten erschlagen werden. Nach einer halben Stunde raucht der Kopf, man sieht den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr. Neuer Angriff nach einer kreativen Espresso-Pause. Die Rasterfahndung läuft, jetzt mit dem zugeschalteten Suchfilter „Triumph“. Viele Sprints, dann endlich leuchtet der Monitor in Fireball-Orange. Eine Ur-Speed-Triple, Baujahr 95, 37 873 Kilometer gelaufen. Noch dazu direkt in der Nachbarschaft. Die Fotos sehen lecker aus, die Beschreibung des Privatverkäufers ist klar und stimmig, kein schwülstiges Geschwafel. Der Preis liegt mit 2790 Euro zwar über dem Budget, wird aber als „verhandelbar“ ausgewiesen.

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Musste sich ein paar Tränen verdrücken. Vorbesitzer Wolfgang Fellmeth (51) wird den Blick aufs Cockpit vermissen.

Schon am Telefon kommt der Besitzer schwer sympathisch rüber, die Chemie stimmt auf Anhieb: Im Kopf ist das Ding so gut wie gekauft! Und natürlich gibt es beim Vororttermin auch keine böse Überraschung. Wolfgang Fellmeth ist als Bosch-Ingenieur für die Entwicklung von ABS-Bremsanlagen fürs Motorrad zuständig und daher dienstlich permanent mit Bikes aller Coleur unterwegs. „Weshalb die Speed Triple immer wieder zurückstecken musste und nur noch in der Garage herumstand“, gibt er zähneknirschend zu. „Und dabei habe ich sie vor sechs Jahren vor allem deswegen gekauft, weil sie mir leidtat, wie sie unbewegt und noch dazu von Vögeln zugeschissen auf dem Gehweg vergammelte.“ Der Plan, der Ur-Speedy mit der 2500-Euro-Ausfahrt von MOTORRAD wieder neuen Glanz zu bescheren, gefällt dem Triumph-Fan, dessen Leidenschaft für die Engländer mit einer Tiger von 1972 begonnen hat. Und auch der Preisnachlass auf „zwo fünf glatt“ bereitet Wolfgang keine Bauchschmerzen. Handschlag, Abfahrt. Im Gepäck: die Soziusabdeckung und die Original-Stummel der Speedy, die mittlerweile mit einem Superbike-Lenker von Lucas bestückt ist. Was den Dreizylinder deutlich komfortabler macht. Denn mit den tief angeschellten Stummeln hätte bei dieser Tour eine Tube Mobilat für die Handgelenke im Bordgepäck sein müssen! Untenherum spürt man immer noch das knackige Layout der sportlichen Schwester Daytona. Die hoch platzierten Rasten schnüren die Blutzirkulation in den Beinen förmlich ab. Kein Vergleich zur aktuellen Speedy-Generation, auf der man zwar sportlich, aber deutlich entspannter Platz nimmt.

Auf der Landstraße ist die Triumph in ihrem Element und zwitschert mit unverkennbarem Triple-Sound (mit Vergasern eine Spur authentischer als die Einspritz-Generation) brachial aus jeder Ecke. Allenfalls die steinalten Reifen verhageln den sauberen Strich und werden gegen einen Satz aktueller Pirelli Angel ST getauscht. Damit steht sportlichem Speed Cruising durch das Erzgebirge nichts mehr im Wege. Das Fahrwerk spricht sauber an, der Motor schiebt auch bei schaltfauler Fahrt tief aus dem Drehzahlkeller mächtig voran, der Verbrauch mit knapp sechs Litern auf 100 Kilometer ist akzeptabel. Die Krönung jedoch ist der Blick des Triple-Piloten auf diese feine, weiß unterlegte Cockpit-Landschaft. Abgabe nur schweren Herzens, seufz.

BMW K 100 RS

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BMW K 100 RS die gediegene Kilometerfresserin.

Verlacht wurde ich und musste mir Fragen gefallen lassen, warum ich ausgerechnet dieses dröge Spießerbike an Land gezogen habe, wo bleibe denn da der Spaß - und so weiter und so blub und so bla. Liebe Freunde: Abgerechnet wird am Ende der Tour!

Auch noch in Spermaweiß. Meine Güte, was machen die Kollegen davon einen Film. Als ob eine K 100 RS nicht an sich schon ein Unding wäre, und nun diese Farbe, noch ganz bei Trost? Aber gut, vor 22 Jahren - damals rollte die BMW gerade frisch vom Band - hätte ich in den Lästerkanon mit eingestimmt. Ein Vierzylinder aus Bayern war so ziemlich das hässlichste und langweiligste Motorrad auf diesem Planeten. Ein Bourgeoisie-Bike par excellence, nichts für uns, die selbst ernannte Motorrad-Boheme. Und mein komplettes damaliges Jahreseinkommen für solch einen ABS-Hobel opfern? Undenkbar!

Die Zeiten ändern sich. Erstens habe ich nun 2500 Euro in bar, und zweitens kostet der Luxusstuhl von einst heutzutage nur noch ein Durchschnittsmonatsgehalt. Der Hammer, oder? Und ehrlich gesagt, als ich Anfang der Neunziger mit sprötzelndem Einzylinder auf der Bahn so einer BMW-16V-Tausender und ihren 100 PS hinterher-hechelte - da war ich neidisch auf deren Souveränität. Gefahren war ich das Motorrad übrigens nie, bei unserer BMW-Niederlassung hatten Langhaarige keine Chance auf eine Probefahrt … Dieses Trauma kann ich nun bei Privatanbieter Günter Fabrig aus Weilheim nahe der Schwäbischen Alb überwinden.

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Perfekter Privatverkäufer: Bei Günter Fabrig (54, rechts) hatte die BMW 14 Jahre lang ein vorbildliches Garagen-Zuhause.

Seine Offerte steht schon seit Längerem in den Annoncen, unter 1000ps.de/gebrauchte-motorraeder wurde ich auf die weiße BMW aufmerksam. Im Gegensatz zu den Boxern sind ältere Reihenvierer keine Gebrauchtschlager, und da das Angebot groß ist, stimmt die Preis-Leistung meist auch ohne große Verhandlungen. Fast noch neue, aktuelle Reifen, Originalkoffer, regelmäßiger Werkstattservice, Garage, Zustand für das Alter voll okay. Klar, wenn man an die leicht in die Jahre gekommene Dame näher herantritt, offenbaren sich einige Fältchen in Form von kleinen Lackschäden, Kratzern und im Glanz etwas ermüdeten Oberflächen. Doch der Motor läuft superrund, surrt erst ungeduldig, röhrt dann heiser ab 4000/min und schreit mit Inbrunst über 7000/min. Klingt echt rockig, keineswegs weich gespült, die 1980er-Entwicklungszeit steckt noch in jedem Ventil und jeder Schraube, geil! Bei mittleren Drehzahlen muss man jedoch mit reichlich kitzelnden Vibrationen leben. Die bissigen Brembo-Stopper ankern auch für heutige Verhältnisse noch erstklassig, aber das ABS regelt erschreckend derbe. Im Nachhinein wünsche ich mir die Maschine ohne Bremsassistenten - ein paar Kilo sowie ein defektgefährdetes Bauteil weniger.

Das Erzgebirge mit vielen engen Kurven ist nicht das Revier für die K. Zu zäh, zu träge die Fahrdynamik, das können moderne Sporttourer viel besser. Immerhin: Bei Bummelfahrt liegt der Verbrauch unter fünf Litern. Öffnen sich die Kurvenradien oder geht es auf die Autobahn, dann zieht die Tausender alle Joker. Top-Ergonomie, klasse Windschutz auch über 200 km/h, hervorragende Spurstabilität - am liebsten würde ich gleich weiterfahren nach Andalusien oder nach St. Petersburg, superspitze! Und das Aussehen? Leute, bitte zweimal hinschauen, diese Lady in Weiß hat was: kantiges, technokratisch-cleanes Design, trotzdem elegant. In mein Herz ist diese BMW jedenfalls voll eingefahren.

Infos

Werel
Reisedauer: 4 Tage. Gefahrene Strecke:1400 Kilometer.

Reisezeit:
Das Erzgebirge ist zwar „nur“ ein Mittelgebirge, sollte klimatisch aber nicht unterschätzt werden. Winter herrscht hier oft noch bis Ostern, und ab Oktober kann schon wieder Schnee fallen. Hauptsaison ist eindeutig der Winter (bis zu 90 Prozent des Tourismusgeschäfts). Im Sommer kommen die Wanderer, zum Beispiel Rentner mit Wohnmobilen oder Niederländer mit Wohnwagen! Daher der Tipp für Motorradfahrer: Früh- oder Spätsommer wählen. Juni und Ende August/Anfang September sind perfekt, da sind die Straßen meistens frei.

Anreise:
Die Versuchung ist groß, über die einschlägigen „Einflugschneisen“ (A70, A9, A72) möglichst schnell in Richtung Osten zu kommen, doch speziell nördlich der Linie Bamberg -Bayreuth locken traumhafte Motorrad-Reviere (u. a. Frankenwald), die bereits die Anreise zum Erlebnis werden lassen. Wer aus Richtung Süden trotzdem möglichst schnell ins Erzgebirge will, fährt am besten über Tschechien. Motorradfahrer sind von der für Pkws obligatorischen Maut befreit, die Hauptverbindungsstraßen sind durchweg gut ausgebaut.

Übernachten:
Wo im Winter teilweise ambitionierte Preise genommen werden, herrschen im Sommer oft paradiesische Preisverhältnisse. Ab 30 Euro gibts gute Einzelzimmer, nette Doppelzimmer ab 50 Euro. Auf der Anreise übernachtete (und aß bzw. trank) MOTORRAD hervorragend im „Landgasthof Haueis“ in der Nähe von Marktleugast (www.landgasthof-haueis.de, EZ/F 35 Euro). Unser Basisquartier in Oberwiesenthal war im Zentrum das „Rotgiesserhaus“ (www.rotgiesserhaus-.de, EZ/F 50 Euro). Alternative direkt an der Fichtelbergauffahrt: das BMW-Testride-Hotel „Sachsenbaude“ (www.sachsenbaude.de, ÜF ab 49 Euro).

Aktivitäten:
Zugegeben, der eigentlich obligatorische Besuch eines Schaubergwerks gehörte beim MOTORRAD-Kurztrip nicht zum Programm, dafür aber ein Bummel durch die Deutsche Raumfahrtausstellung in Morgenröthe-Rautenkranz (tägl. 10-17 Uhr, 5 Euro, www.deutsche-raumfahrtausstellung.de). Ein Muss für Zweirad-Junkies ist die Monsterroller-Abfahrt vom Fichtelberg. Start in Oberwiesenthal, Dauer knapp eine Stunde (15 Euro inkl. Bergbahnticket, www.monsterroller.info). Für das skurrile Suppenmuseum in Neudorf sollte man rund 45 Minuten einplanen (tägl. ab 11 Uhr, 1,60 Euro, www.suppenmuseum.de).

Infos/Literatur:
Info-Paket der Stadt Oberwiesenthal unter www.oberwiesenthal.de (auf Motorrad-Urlaub hinweisen!); Reiseführer „Erzgebirge und sächsisches Vogtland“ aus dem Reise Know-How Verlag, 14,80 Euro.

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 12 / 2023

Erscheinungsdatum 26.05.2023