So hatte ich mir eine Dolomitentour nicht vorgestellt. Seit drei Tagen nagelt mich Dauerregen in Campitello fest. Zu allem Überfluss wird es immer kälter, kaum 200 Meter höher geht der Regen in Schnee über. Aber zum Glück finden sich nette Cafés, in denen ich mit Cappuccino und Reiseführer die Langeweile vertreibe. Zwischendurch erliege ich der Versuchung einer meterlangen Eistheke. Italienisches Eis schmeckt immer, schließlich gibt es nirgendwo besseres. Zum Aufwärmen brauche ich dann wieder einen Cappuccino. Und so weiter. Bis der Magen mit Generalstreik droht.Dann eben spazieren gehen und den Wolken zusehen, die abends endlich in Bewegung kommen. Und über Nacht einfach verschwinden. Das sorgt nicht nur für eine dünne Eisschicht auf der Sitzbank der Dominator, sondern auch für einen wolkenlosen Morgen. Jetzt aber nichts wie los. Erstmals seit Tagen zeigen sich die bizarren Felsen der Dolomiten. Berge, wie ich sie selten zuvor gesehen habe. Fast senkrecht steigen die gelbbraunen Wände in den Himmel. Monumentale Felsbastionen, die so gar nichts mit anderen Alpengipfeln gemeinsam haben.Widerwillig nimmt der dicke Kolben der Honda seine Arbeit auf. Doch schon in den ersten Kehren hinauf zum Sella-Joch wird er euphorisch, verlangt nach mehr Gas. Soll er haben. So früh am Tag habe ich diesen wunderbaren Pass noch fast für mich allein, kann in dem fantasievoll gemixten Kurven- und Kehrencocktail meinen Rhythmus finden. Dabei ist es verdammt schwer, sich nur auf die Straße zu konzentrieren. Je höher ich komme, desto gewaltiger bauen sich die Berge der Sella-Gruppe vor mir auf.Noch ein paar Kehren bis zum Sella-Joch, wo mich die Sicht auf die drei Türme des Langkofels endgültig zu einer Vollbremsung zwingt. Motor aus und staunen. Vom Feinsten, die zerklüfteten Wände mit ihren Zinnen und Zacken oder das Kurvenwirrwarr des Passes unter einem wolkenlosen Himmel, der hier oben auf 2240 Meter schon fast unwirklich blau ist. Das Beste aber: Das Sella-Joch ist nur der erste der vier Pässe, die rund um diese Berge - dem Zentrum der Dolomiten - führen. Mit Grödner, Campolongo und Pordoi folgen drei weitere spektakuläre Bergstrecken. Die Sella-Runde, das magische Viereck. Im Sommer und an Wochenenden erstickt die Magie zwar allzu oft unter der Verkehrslawine, doch so früh am Tag ist noch nichts los. Das gilt es zu nutzen. Also setze ich den Eintopf wieder in Bewegung, schwinge hoch zum Grödnerjoch und gleich wieder runter nach Corvara. Höchste Zeit für den ersten Cappuccino des Tages.Die zweite Hälfte des magischen Vierecks kann ich heute vergessen. Campolongo und Pordoi sind gesperrt, weil die Radlerkarawane des Giro d´Italia anrückt, um hier ihre entscheidenden Bergetappen zu kurbeln. Was mich jedoch nicht im geringsten stört. Schließlich gibt es genug Alternativen. Wie den Passo Valparola, der wenig spektakulär an Höhe gewinnt und auf die Passhöhe des Falzarego mündet. Dessen berühmte Südrampe ist heute zur Sackgasse degradiert, der Giro macht´s möglich. Gut für mich, denn in Sackgassen hat es bekanntlich wenig Verkehr. Also flitze ich runter bis zur Straßensperre und gleich wieder hoch. Keine Rennstrecke der Welt hält da mit. Einfach genial!Zur Beruhigung gebe ich mir die Falzarego-Ostrampe, die fast kurvenfrei an Höhe verliert. Aber keine Panik, Langeweile kommt auch hier nicht auf. Dafür sorgen schon die gigantischen Felsklötze Tofana di Mezzo und Tofana di Roze. Beide über 3200 Meter hoch, mit senkrechten Wänden und filigranen Türmen garniert.Ein paar Kurven vor Cortina d`Ampezzo biege ich ab zum Passo di Giau. Der mausert sich zu meinem Top-Favoriten. Das liegt nicht nur an den Serpentinen der Ostrampe oder den unzähligen Felszinnen entlang der nur wenig befahrenen Straße. Sondern auch an der fantastischen Aussicht von der Passhöhe. Und dann das Beste: die Südabfahrt. Griffiger Teer und kunstvoll arrangierte Kurvenkombinationen zum Schwindelig fahren. Nie dürfte eine solche Strecke zu Ende sein.Im Valle di Zoldo erinnert nichts mehr an das österreichische Flair Südtirols. Ich fühle mich endgültig nach Italien versetzt. Ape-Dreiräder knattern durch die schmalen Gassen der Dörfer. Von den massiven Steinhäusern blättert die Farbe ab, und in machen Ecken versteckt sich sogar ein alter Fiat Cinquecento. Der Gemüsehändler auf der Piazza diskutiert mit einer Frau lautstark und gestenreich über die angebotenen Zwiebeln. Typisch Italien eben. Zudem wird es grüner und wärmer. Nur noch 120 Kilometer bis zum Mittelmeer. Ein prickelnder Gedanke. Aber was soll ich am Mittelmeer? Ich habe doch nicht mal eine Badehose dabei. Vergiss es. Was nicht schwer ist, denn die schmale, unübersichtliche Straße zum Passo Duran verlangt volle Konzentration. Und der anschließende Passo di Cereda ebenfalls. Beide zählen sicher nicht zu den Promis unter den Pässen. Was sie aber nicht daran hindert, mit unendlichen Kurven für Spaß zu sorgen.Schließlich biege ich in Tonadico auf den Passo di Rolle ab. Der gewinnt mit einer so kurvigen Intensität an Höhe, die selbst in diesen Regionen selten ist. Schließlich gilt es, 1300 Höhenmeter zu überwinden, da darf es schon mal die eine oder andere Kurve mehr sein. Zur Belohnung wartet oben die Aussicht auf den Felszacken Cimon della Pala, für mich der spektakulärste aller Dolomitengipfel.Neuer Tag, neuer Umweg. Wieder besetzt der Giro d´Italia die Sella-Runde. Nach einer Alternativstrecke brauche ich nicht lange zu suchen. Als Aperitif den Nigerpass, dann runter in die Wärme des engen Eisacktals und bald wieder hoch zum Würzjoch. Verzwickte Kurven und reichlich Splitt vermasseln einen runden Fahrstil. Das ändert sich im Gadertal. Breite Straße, viel Verkehr. Unendlich die Karawane von Motorradfahrern, die das lange Wochenende nutzen und sich in den Dolomiten austoben wollen. Nachmittags ist das magische Viereck wieder offen. Dafür bleibt der Fahrspaß auf der Strecke. Es ist einfach zu voll.Erst spät wird es ruhiger. Auf zum Passo Pordoi, dem Höhepunkt der Sella-Runde. Auf der Ostrampe stapeln sich 33 Kehren übereinander, teilweise in so kurzer Abfolge, als hätte ein Wettbewerb stattgefunden, möglichst viele Serpentinen auf möglichst wenig Fläche unterzubringen. Die Passhöhe auf 2239 Meter, viele Cafés, die unvermeidlichen Andenkenläden und beste Aussicht zu den drei Türmen des Langkofels. Bingo.Nicht weniger berauschend die Westabfahrt. Sauberer Asphalt, und wie könnte es anders sein? eine überaus gelungene Kombination aus Kehren und Kurven, äußerst flüssig zu fahren. Maximaler Spaßfaktor. Unterwegs lockt mich ein kleines Schild mit der Aufschrift »Rifugio Belvedere«. Klingt viel versprechend. Genau wie die ausgewaschene Spur, die sich hoch kringelt bis auf 2350 Meter. Die Stollenreifen baggern durch Schneereste und weichen Kies. Puh, ist das steil!Auf dem Berggrat angekommen, haut mich die Aussicht glatt vom Hocker. Direkt vor mir steigt die vergletscherte Südwand der Marmolada empor, mit 3342 Meter höchster Dolomitenberg. Zur anderen Seite der optimale Blick zum Langkofel, den die Italiener Sasso Lungo nennen. Ein Spitzenplatz. Spontan beschließe ich einfach hierzubleiben, das Zelt genau auf den Bergrücken zu stellen. Murmeltiere flitzen geschäftig umher. Anfangs beäugen sie mich skeptisch, nehmen jedoch nach einer Weile kaum noch Notiz von mir. Bald faucht der Benzinkocher durch die Stille. Der heiße Tee tut gut, denn mit der untergehenden Sonne setzt die Temperatur zum freien Fall an, zeigt nicht mal Respekt vor der Frostgrenze. Aus dem Tal schleichen feuchte graue Nebelschwaden herauf, krabbeln über den Berggrat und beenden den Fern-Seh-Abend. Gut nur, dass ich den warmen Schlafsack dabei habe. Am nächsten Morgen ist das Zelt knüppelhart gefroren. Macht aber nichts, denn der Nebel hat sich verzogen, und die Sonne ist stark genug, um alles im Handumdrehen zu trocknen.Ich holpere wieder runter zum Pordoi, schwinge die 33 Kehren nach Arabba und gönne mir noch mal meinen Favoriten, den Passo di Giau. Die Sicht von oben ist heute phänomenal. Keine einzige Wolke weit und breit. Alle Berge sind vollständig versammelt. Was für ein grandioses Panorama. Die Abfahrt nach Cortina ist auch nicht schlecht. Die Olympiastadt von 1956 begeistert vor allem durch ihre einzigartige Lage im weiten grünen Tal, das umstellt ist von hohen Bergen.Hinter Cortina sorgen die Kurven des Passo Tre Croci für den vorerst letzten Adrenalinschub. Dann geht es geradewegs nach Auronzo. Ich will die Berge ostwärts umfahren, vorbei an den Sextener Dolomiten, hinein nach Südtirol. Tolle Gipfel, aber keine Kurven. Der Kreuzbergsattel ist als Pass kaum wahrnehmbar, Sexten und Toblach sind wenig einladend. Gut, dass mir der Denzel, die Bibel aller Alpenfahrer, die Pustertaler Höhenstraße zum Strickberg empfiehlt. Eine Militärpiste aus dem ersten Weltkrieg. Ein übler Weg, grober Schotter, Reste des massiven alten Pflasters, tiefe Rillen, enge Serpentinen. Endurorevier. Die Mühe lohnt. Vom Strickberg auf 2525 Metern habe ich nicht nur die Sextener Dolomiten im Visier, ich kann sogar den Großvenediger in Österreich erspähen.Das Pustertal sorgt nicht gerade für gute Stimmung. Schnellstraße, zu viel Verkehr und der bestellte Cappuccino entpuppt sich als Kaffee mit einer fetten Insel aus Sprühsahne. Zahlen und weiter fahren. Eigentlich bin ich schon auf dem Heimweg, als ich das Schild Gadertal entdecke. Ehe ich mich versehe, ist die Dominator abgebogen. Einfach so. Runter von der Hauptstraße, rein in die Berge. Gute Entscheidung. Kaum eine Stunde später bin ich zurück in den Dolomiten, kratze schon die ersten Kurven im magischen Viereck. Genau so hatte ich mir die Dolomitentour schließlich vorgestellt.
Infos - Dolomiten
Die Dolomiten sind ein einziges Kunstwerk: Mit den monumentalen Bergen hat die Natur ihre Kreativität bewiesen, und mit den genialen Pässen haben die Straßenbauer ihr Bestes gegeben.
AnreiseDie schnellste Verbindung in die Dolomiten ist die Strecke von München über Innsbruck und die mautpflichtige Brennerautobahn bis nach Bozen. Für alle Nicht-Süddeutschen ist der Autoreisezug eine reifenschonende Alternative, mit dem man beispielsweise freitags und sonntags von Köln nach Bozen gelangt. Die einfache Fahrt (ein Fahrer und Motorrad) kostet ab 171 Euro, Hin- und Rückfahrt ab 308 Euro. Infos unter www.autozug.de oder unter 0180/5241224.ReisezeitDie meisten Pässe der Dolomiten sind ganzjährig geöffnet. Trotzdem werden sich nur die Harten unter uns im Winter per Motorrad in die Berge trauen. Ende Mai ist in den Tälern bereits Sommer, während auf 2000 Meter die letzten Schneereste schmelzen. An langen Wochenenden wird es vor allem auf der Sella-Runde unangenehm voll. Noch schlimmer ist es während des Ferienmonats August. Die besten Reisemonate sind daher Mai, Juni, Juli und September.ÜbernachtenEs gibt reichlich Pensionen und Hotels aller Kategorien. Eine Auswahl von auf Motorradfahrer orientierter Hotels ist regelmäßig im MOTORRAD-Kleinanzeigen (Reisemarkt) zu finden. Engpässe kann es lediglich an Pfingsten, dem langen Fronleichnam-Wochenende und im August geben. Viele Campingplätze öffnen erst im Laufe des Junis, dementsprechend ist das Angebot nur in den Sommermonaten ausreichend.Fast jeder Ort in den Dolomiten verfügt über eine Touristen-Information. Generelle Infos gibt es bei Südtirol Tourismus, Pfarrplatz 11, I-39100 Bozen. Viel einfacher geht die Infosuche aber per Internet, beispielsweise unter diesen Adressen: www.altabadia.org, www.dolomiti.org, www.dolomitinetwork.com, www.hallo.com.LiteraturDie Bibel der Alpenfahrer ist der »Große Alpenstraßenführer«, liebevoll auch »der Denzel« genannt. Der Wälzer aus dem Denzel-Verlag kostet 36 Euro und beschreibt detailliert so ziemlich alle Straßen in den Bergen. Wer nun Lust auf Päse und Kurven bekommen hat, sollte auch einen Blick in die inzwischen drei Alpen-MOTORRAD-Reisebücher aus der Edition Unterwegs werfen: In »Alpen«, Band I bis Band III, finden sich je sieben ausführlich bebilderte Reisegeschichten plus zahlreiche Infos über Land und Leute. Zum Einstimmen und um Nachfahren für je 16 Euro. Erhältlich im Buchhandel oder im MOTORRAD-Shop, Telefon 0711/182-, www.motorradonline.de.Ein weiterer guter Begleiter für Motorradfahrer ist »Lust auf Dolomiten« aus dem Highlights-Verlag (www.highlightsverlag.de), der mit zehn beschriebenen Tagestouren recht ausführlich die schönsten Strecken durch die Berge vorstellt. Für neun Euro.Wer eine gute Landkarte sucht, wird bei Marco Polo fündig: Generalkarte Südtirol, Dolomiten, Maßstab 1:200.000Zeitaufwand: fünf TageStreckenlänge: 1000 Kilometer