Es ist schon ein Riesenschritt, überhaupt loszufahren. In die Ferne, ins Ungewisse, auf Weltreise. Doch die Rückkehr in den Alltag ist nicht minder schwierig. Christopher Hirt aus Darmstadt hat es mehrfach schon erfahren.
Es ist schon ein Riesenschritt, überhaupt loszufahren. In die Ferne, ins Ungewisse, auf Weltreise. Doch die Rückkehr in den Alltag ist nicht minder schwierig. Christopher Hirt aus Darmstadt hat es mehrfach schon erfahren.
Auf die Frage, wie viele Länder er während seines letzten Trips durchquert hat, stutzt Chris kurz und brummt: „Frag lieber nach den Kontinenten, dann hab ich’s einfacher.“ Stimmt. Afrika, Australien, Asien, Europa. Genauer: 37 Länder, 18 Monate, 75 800 Kilometer. Christopher Hirt, für seine Freunde schlicht „de Chris“, steht am Lagerfeuer, raucht und be-obachtet die Flammen. Eine Sonnenbrille zähmt seine langen Haare, die verlebte Wachsjacke wirkt wie eine Landkarte, auf der seine Abenteuer eingezeichnet sind. Chris steht etwas schief, belastet das rechte Bein mehr als das linke. Das sieht relaxt aus. Überhaupt wirkt der 42-Jährige unglaublich entspannt. Macht nie hektische Bewegungen, zieht nach einer Frage erst zwei-, dreimal an seiner Selbstgedrehten, bevor er antwortet. Ein angenehmer Wesenszug in der hektischen Welt. Ein Befremdlicher jedoch für einen Weltreisenden, der, so meint man, gemeinhin doch irre viel zu berichten haben müsste, oder? Chris steht schief am Lagerfeuer, weil sein Fuß ihn immer noch ein wenig schmerzt.
Ein Wunder, dass er überhaupt noch zwei Füße hat. Seinen letzten Trip - viele würden ihn als Weltreise bezeichnen - beginnt der Zweiradmechaniker-Meister am 21. Januar 2011. Keine zwei Monate später kollidiert er in Äthiopien am Kurvenausgang mit einem Toyota-Minibus. Der Bus rast auf die Gegenfahrbahn, touchiert Chris’ linke Seite. Zerfetzt einen Alu-Koffer, reißt die Fußraste seiner Yamaha XT 660 Ténéré ab. Der Laptop zerborsten in über 10 000 Teile, sein Motocross-Stiefel unkenntlich, der linke Fuß zerschmettert. Ein Arzt vor Ort näht den Fußballen provisorisch mit drei Stichen, erst das zweite Krankenhaus, in das ihn ein Taxi bringt, hat ein Röntgengerät. Man diagnostiziert mehrere Brüche im Fuß. Für viele wäre hier die Reise beendet. Chris schaut ins Lagerfeuer und brummt: „Wenn ich damals aufgegeben hätte, dann hätte ich in Deutschland bestimmt einen Psychiater gebraucht.“ Denn er will reisen, will sehen, erleben, weiterfahren, seinen Traum vom Leben leben. Chris bleibt in Äthiopien und kann seinen Trip nach zwei Monaten wieder fortsetzen. „Mein Ziel war ja Südafrika.“ Dass es dabei nicht bleibt, wird ihm erst bei der Ankunft dort unten bewusst. Australien lockt, und eigentlich wollte er ja auch schon lange mal nach China …
Am 15. Juli 2012 steht er nach 533 Reisetagen mit der Yamaha wieder in seiner Heimat Darmstadt. Er ist wieder da. Über den Ostblock zurückgefahren. Doch letztlich nicht angekommen. Sein Körper steht in Hessen, sein Geist liegt irgendwo noch am Strand von Samui oder schwebt über der Einsamkeit der mongolischen Wüste. „Es ist verrückt“, sagt Chris, „aber man rennt nach alldem nicht zu Freunden, um von der Reise zu berichten. Das Gegenteil ist der Fall.“ Chris verschanzt sich vor dem deutschen Alltag, verkriecht sich vor dessen Gleichförmigkeit. „Ich war kaum ein paar Wochen in Deutschland, hatte mich gerade wieder an echte Regeln im Straßenverkehr gewöhnt, da brauchte ich Urlaub.“ Er schnappt sich seine BMW HP2 und düst zwei Wochen durch die Seealpen. Ein Trip, von dem er gern jedem vorschwärmt. Die Abenteuer seiner 19-Monatstour bleiben dagegen hinter seinen Lippen.
Auch in der digitalen Welt hinterlässt Chris verhältnismäßig wenig Spuren. Anstelle epischer Heldensagen findet man auf seinem Facebook-Profil nur rund 450 Fotos. „Die hab ich für die Familie daheim reingestellt. Damit die wissen, wo ich mich gerade herumtreibe.“ Das Fotoalbum im sozialen Netzwerk erweist sich im Nachhinein als Glücksfall. Während er schlief, schlitzten Diebe in Namibia sein Zelt auf und erbeuteten Kamera samt Zubehör. Hätte Chris nicht eine Auswahl auf Facebook gestellt, wäre alles verloren.
Verloren. Ein Begriff, der seine Lage vielleicht ein wenig beschreibt. Denn es fällt ihm schwer, sich den geordneten Verhältnissen einfach so hinzugeben. „Es kommt mir vor, als ob mein Leben hier stillsteht: Ich muss nichts mehr organisieren, keine Visa mehr besorgen, mir keine Gedanken mehr machen über Gefahren von Pisten, Städten, Kriminellen oder dass man abends einfach nur irgendwo einen Platz zum Schlafen findet.“ 533 Tage Abenteuer sind wie ein Blutrausch, ständig erhöhter Adrenalinspiegel. Und dann bist du plötzlich Vegetarier.
„Nach so einem Trip kommt es dir vor, als sei die Zeit hier stehen geblieben“, sagt er ganz ohne Melancholie. „Für das, was man on the road in relativ kurzer Zeit erlebt, braucht man vor Ort Jahre. Als Alleinreisender will und kann ich die gewaltige Flut an Eindrücken keinem Zuhörer aufbürden. Überhaupt: Wie willst du Einsamkeit teilen? Will das überhaupt jemand wissen?“ Seine Worte verhallen über den Flammen. Das Loch, in dem er zu hängen meint, ist gar keins. Eigentlich sitzt er auf einem Pulverfass voller Erinnerungen. Er will sie nicht entzünden. Aber er will auch nicht entschärfen. Reisen ist für ihn wie die Heilung von einer Art Virus. Von 1994 bis 1996 war er mit einem Freund schon mal auf einem Trip. Zweieinhalb Jahre, fünf Kontinente, 102500 Kilometer. Und auch wenn er Sachen sagt wie „Ich bin gerne hier in Deutschland, das ist meine Heimat“ ist da irgendein Funkeln in seinen Augen, das ihn verrät. Denn das Leben ist kurz. Und Fernsehen bringt einen nicht weiter. Fernfahren schon.