Redakteur Rolf Henniges war unterwegs mit dem mobilen Eisstand

Fahrbericht: Kokos-Eisstand in Thailand (mit Video) Selbstgebautes Last-Dreirad - Eiskalter Irrsinn

Wie fährt eigentlich ein selbstgebautes Last-Dreirad? MOTORRAD-Testredakteur Rolf Henniges nutzte während eines Thailand-Trips die Gelegenheit, und cruiste mit einem mobilen Kokos-Eisstand einen halben Tag um die Insel Koh Chang.

Selbstgebautes Last-Dreirad - Eiskalter Irrsinn Rolf Henniges
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Rolf Henniges
MOTORRAD Redakteur Rolf Henniges als Eisverkäufer auf Koh Chang.

Diese Frage hat er nicht erwartet. Paisan Sesu steht mit offenem Mund hinter seinem mobilen Kokosnuss-Eisstand und traut meinen Worten und seinen Ohren nicht. Denn ich will nicht nur sein Eis probieren, das er im Hinterhof seiner Hütte herstellt, sondern auch mit seiner obskuren Beiwagen-Honda ein paar Runden drehen. "Ja, ja", meint er zögerlich, und schaut wie ein Uhu, den man auf seine Mauser anspricht. Dieser Wunsch sei zwar gänzlich ungewöhnlich, doch wenn ich nebenbei ein paar Eis verkaufen könnte, die Entlohnung stimmen, ich meinen Pass bei ihm deponieren und mich mit seinem Arbeitsplatz nicht auf und davon machen würde, käme man ins Geschäft. Wir grinsen. Per Handschlag wird die Tour besiegelt. Zehn Minuten später sitze ich am Lenker einer Honda Wave 110 mit blauem Beiwagen und orangem Sonnensegel.

Einem Modell aus der weltbekannten Honda-Cub-Familie (cub= cheap urban bike), von denen seit 1958 rund 65 Millionen Exemplare zugelassen wurden, die sich seitdem auf allen Wegen dieses Erdballs tummeln. Oberste Prämisse bei der Konstruktion dieser Kleinmotorräder war und ist Mobilität. Dass die Dinger quasi unzerstörbar sind, beweisen unzählige Exemplare, an die mit ausnahmslos abenteuerlichen Konstruktionen Beiwagen geschweißt werden. So lassen sich mit nur acht PS auch 35 Kisten Bier in einem Rutsch transportieren. Oder vier ausgewachsene Schweine. Oder ein Zehnerpack 25-Liter-Gasflaschen. Oder 14 Menschen. Nein, ich neige nicht zum Übertreiben. Es sind Dinge, dich ich auf vielen Reisen selbst gesehen habe. Leider. Glauben Sie nicht? Fahren Sie mal nach Asien.

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Mein neues Gefährt wiegt schätzungsweise 190 Kilogramm. Mit allen Betriebsstoffen, versteht sich. Nicht was Sie jetzt denken, nein. Die Honda hat nur 0,9 Liter Öl in ihrer Ölwanne und nach maximal 3,9 Liter läuft der Tank über. Es sind vielmehr Waren aus dem Verkaufsraum. Herr Sesu verscherbelt neben seinem leckeren Kokosnusseis auch Getränke, die er in kleinen Plastikbechern ausschenkt. Auf dem Beiwagen befinden sich: zwanzig 1,5-Liter-Flaschen Coke, Fanta sowie andere, gummibärchenfarbene Getränke, eine 45-Liter-Kühlbox, die mit Eis gefüllt ist, sowie der 30-Liter-Zylinder aus Metall, in dem Speiseeis lagert. Dieser Zylinder ist doppelwandig. Zwischen die beiden Wandungen füllt Herr Sesu am Morgen normales Eis, welches seine Spezialität im Inneren kühl hält. "Das Kokoseis bleibt so bis abends kalt", sagt er stolz. Wohl wissend, dass es hier im Sommer bis zu 40 Grad heiß werden kann.

Rolf Henniges
Überließ Redakteur Rolf Henniges für einen halben Tag seinen Arbeitsplatz: Paisan Sesu, 58, ein thailändischer Speiseeisverkäufer, der sein Kokusnusseis selbst herstellt.

Gestartet wird per Kickstarter. Auf dem Tacho der ein Jahr alten Honda Wave stehen 6000 Kilometer. Nach rund 60 Kilometern wäre Koh Chang umrundet. Leider ist das nicht möglich, denn im südlichen Teil fehlen rund fünf Kilometer Verbindungsweg. Deshalb muss sich Herr Sesu auch täglich neu entscheiden, ob er an der westlichen oder östlichen Seite Koh Changs entlang tuckert. Der kleine 100-Kubik-Einzylinder gurgelt im Stand wie ein Notstromaggregat, aus dem schmalen Schalldämpfer wummert es so selbstbewusst wie aus europäischen Harley-Töpfen. Ich schaue ihn an: "Was ist mit Helmpflicht?" Herr Sesu grinst und erklärt mir die Regeln. Erstens: In Thailand herrscht Helmpflicht. Wer ohne Helm erwischt wird, zahlt 500 Baht (rund zwölf Euro) Strafe. Zweitens: "Man braucht den Helm allerdings nicht aufsetzen, man muss ihn nur mitführen", lacht er, und deutet auf die grüne Plastikkappe in Reithelm-Form, die am Gerüst über meinem Kopf baumelt. Eine Badekappe würde besser schützen. Nun, man sollte sich den Landessitten anpassen...

Per Schaltwippe wird der erste Gang reingehebelt. Schaltschema: Alle vier Gänge nach unten. Kuppeln entfällt, denn die Honda hat eine Halbautomatik. Gas. Zögerlich setzt sich das Gefährt in Bewegung. Ich rechne kurz: rund 190 Kilogramm Motorrad mit Beiwagen plus 68 Kilogramm Fahrer - da kommt man auf ein Leistungsgewicht von rund 35 kg/PS. Das animiert. Wenn ich den ganzen Kram hier verkauft habe, geht's auf dem Rückweg garantiert schneller, freue ich mich insgeheim.

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Sicherlich noch nicht das Maximum, denn es geht immer noch irrer.

Gangwechsel. Nach rund zehn Sekunden zeigt der Tacho 20 km/h. Zweiter Gang, 40 km/h. Super. Dritter Gang - irgendwie flutscht der nicht so gut rein wie die ersten beiden. 60 km/h - Pappbecher wehen, Flaschen scheppern, der Deckel hüpft frech auf seinem Eiszylinder und die Honda schlingert bedrohlich. Ihr Linksdrall ist erschreckend, ich muss stark gegenlenken, sonst landen wir im Straßengraben. Irritiert versuche ich den Grund zu finden. Das Beiwagenrad hat einen geschätzten Zentimeter Lagerspiel. Kann es daran liegen? Oder brauche ich nur mehr Beiwagen-Erfahrung? Schlagloch, das erste. Die Fuhre gerät ins Straucheln. Gut, dass die Straße hier so breit ist. Abbremsen. Vorn verzögert ein Doppelkolben-Schwimmsattel, hinten tut es eine Trommelbremse. Schlagloch, das zweite. Irgendwie habe ich das Gefühl, der Beiwagen macht einen Ausfallschritt. Merkwürdig. Ich bleibe bei 40 km/h im dritten Gang und schaue runter. Der Beiwagen ist aus 20er-Rundrohr in ST37-Baustahlqualität geschweißt, und an drei Stellen mit der 100er-Honda verbunden: Motoraufhängung, Schwingendrehpunkt und Rahmenheck. Der Schweißer hat für seine Arbeit garantiert keinen Beifall erhalten. Während der Fahrt sieht es aus, als würden Motorrad und Beiwagen einen Walzer tanzen. Leider jeder in seinem eigenen Rhythmus.

Passanten winken am Wegesrand. Kundschaft! Ich muss umdrehen. Bremsen, erster Gang, Lenker einschlagen, Vorsicht beim Gasgeben. Ich bin überrascht, denn das Gefährt wendet quasi auf der Stelle. Die jungen Burschen schauen verdutzt. Sie sprechen kein Englisch, ich kein Thai. Zum Eisverkauf reicht‘s trotzdem, denn Herr Sesu hat mir in Windeseile alles Wichtige erklärt. Sein Kokoseis kommt zwischen zwei Brötchenhälften und wird mit Erdnüssen bestreut. Nach einer Stunde habe ich zehn Kilometer abgespult, erfolgreich gegen vier Steigungen gekämpft, bin drei Geisterfahrern ausgewichen und habe dabei vier Liter Flüssigkeit ausgeschwitzt. Aber immerhin drei Eis verkauft. Ein mühseliger Job. Als Herr Sesu vier Stunden später seinen Lebensmittelpunkt zärtlich wieder in die Arme schließt, freut er sich, denn drei Flaschen Limo sind leer und vom Eis fehlt auch ziemlich viel. "Alles hier drin", beichte ich und zeige auf meinen Bauch. Es ist die Wahrheit. Letztlich will er wissen, was ich als Testfahrer von seinem Eisstand halte. "Nun, er fährt recht eigensinnig im vierten Gang", sage ich vorsichtig. "Kann schon sein", sagt Herr Sesu und lächelt wissend. "Aber über den Zweiten bin ich hier auf Koh Chang noch nie hinausgekommen."

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