Mythen, Legenden, Verschwörungstheorien: Im Süden Frankreichs tummeln sich davon so viele, wie es kurvengespickte Strecken gibt. Mit der benzingetriebenen Wünschelrute stöberte Dirk Schäfer zwischen drei Bergen nach Schräglagen und schrägen Sagen.
Mythen, Legenden, Verschwörungstheorien: Im Süden Frankreichs tummeln sich davon so viele, wie es kurvengespickte Strecken gibt. Mit der benzingetriebenen Wünschelrute stöberte Dirk Schäfer zwischen drei Bergen nach Schräglagen und schrägen Sagen.
Drei Berge! Bei gutem Wetter kann man vom einen schon den nächsten sehen. Und das obwohl die beiden äußeren über 300 Kilometer voneinander entfernt sind. Luftlinie. Die drei heißen Canigou, Aigoual und Ventoux. Der Letzte, ein wüster Brocken, ist durch die Tour de France sicher der bekannteste. Doch auch die beiden anderen bergen spannende Geschichten und winden Adrenalin fördernde Straßen um ihre Gestalt. Doch berichten wir von vorn.
Von Anfang an war es ein abgekartetes Spiel. Und fast alle sind darauf hereingefallen. Sie etwa nicht? Dann haben Sie entweder das Buch „Sakrileg“ von Dan Brown nicht gelesen oder den Kinofilm „Da Vinci Code“ nicht gesehen. Darin geht es um die Suche nach dem Heiligen Gral. Und die führt einen zwangsläufig in das Dorf Rennes-le-Château, 45 Kilometer südlich des mittelalterlichen Carcassonne.
Längst liegt die Nationalstraße hinter uns. Couiza, der letzte Ort, ist auch schon vor mehreren Minuten hinter einer strauchigen Biegung verschwunden. Würde das GPS nicht darauf beharren, dass Rennes-le-Château gleich vor uns erscheint, hätte ich dieses „Ich glaube, wir haben uns verfahren“-Gefühl. Hinter einer Kuppe tauchen bereits die ersten weißen Pyrenäengipfel auf, als endlich eine Kirche über ein borstiges Wäldchen lugt. Die Kirche des rätselhaften Priesters Saunière.
Diana und ich klacken die Seitenständer aufs Pflaster. In wenigen Schritten sind wir am Eingang der Kirche. Die Pforte knarrt, und der Lichtstrahl, der mit uns in die Kirche tritt, beleuchtet als Erstes eine Dämonenfratze, die das Weihwasserbecken trägt. An anderen Stellen prangen Totenköpfe. Kein Wunder, dass die Leute glaubten, der Priester sei mit dem Teufel im Bunde. Vor allem, nachdem er hier in diesem Provinznest unglaublich reich geworden war.
Er musste einen Schatz gefunden haben, eine andere Erklärung gab es nicht. Den Schatz der Katharer oder der Templer. Oder den Heiligen Gral. Oder gleich alles zusammen.
Diese merkwürdige Kirche hängt noch in meinen Gedanken, als wir durch die Aude-Schlucht südlich von Axat kurven. Der Priester hatte sich das Geld mit dubiosen Mitteln in Übersee besorgt. Zur Legende mit dem Heiligen Gral hatte die Story erst Noël Corbu, ein Wirt, gemacht. In erster Linie, um sein schlecht gehendes Restaurant aufzupeppen.
Dan Brown, der später das Buch „Sakrileg“ schrieb, nutzte sein Wissen um Priester und Wirt, um seinerseits die Kasse klingeln zu lassen. Ein abgekartetes Spiel! Man muss einfach nur zur rechten Zeit die richtige Idee haben.
Hoppla! Fast wäre ich am Abzweig zum Col de Jau vorbeigeschossen. Durch eng stehende Baumreihen und zwischen überwucherten Felsen hindurch bahnt sich der Pass den Weg ins Tal des Têt. Ab jetzt kleben die Augen wie Magneten am Pic du Canigou, dem kolossalen Gebirgsstock der östlichen Pyrenäen. Unser nächstes Ziel liegt so verborgen an dessen Nordhang, dass es fast in Vergessenheit geraten wäre.
Vorbei an den Stadtmauern von Villefranche erklimmen wir Meter für Meter den Canigou in Richtung Casteil. Der narbige Teer ist nicht viel breiter als ein Saunatuch. Trotzdem schnurren die Zweizylinder unter der Mittagssonne kratzbürstig bergan. Oberhalb von Casteil, auf einem steil aufragenden Plateau, baute ein Graf Guifred vor 1000 Jahren die Abtei St. Martin du Canigou. Er selbst trennte sich von seinen weltlichen Ämtern, seiner Frau und seinen Kindern, um Mönch in seinem eigenen Kloster zu werden.
Die Straße züngelt weiter bis nach Mantet, einem Weiler aus Bruchsteinhäusern. Die gelbrote Flagge Kataloniens baumelt im Wind. Nur fünf Kilometer sind es noch bis zur spanischen Grenze. Es gibt sogar einen Weg über die hier wahrhaft grüne Grenze. Er ist älter als die nahe Abtei und diente als Fluchtweg der Christen vor den Mauren, die die Iberische Halbinsel besetzt hatten. Der Graf war längst tot, als die Christen Spanien zurückeroberten. Die Abtei wurde verlassen, und bald hatte man St. Martin du Canigou vergessen. Nur der tote Graf, so die Legende, soll über ein Jahrhundert dem Verfall der Mauern Paroli geboten haben. So lange, bis die Abtei Anfang des 20. Jahrhunderts wiederentdeckt wurde.
Vom Canigou aus peilen wir nordwärts durchs Katharerland und geraten in ein wahres Festival der Kurven. Ein kurzer Blick ins Kartenfach genügt, um von einer grünen Linie der Michelin-Karte zur nächsten zu surfen. Das GPS kann uns jetzt gerade gestohlen bleiben. Erst mit Béziers kehrt etwas Ruhe ins Fahrwerk ein, und wir lassen den Tag in Avèze zu Füßen des Mont Aigoual ausklingen.
Der Startschuss fällt in Le Vigan. 35 Kilometer feinstes Asphaltsurfen ohne Ampel, ja sogar praktisch ohne Ort oder andere Fahrzeuge. Anders als am Canigou mit seinen schmalen Straßen geht es breit, fast ausladend zu. Und die Trassenführung erinnert an die Carrera-Bahn, die ich neulich Weihnachten noch zusammen mit den Neffen aufgebaut hatte. Wie schön, dass es so etwas auch im Maßstab 1:1 gibt.
Wir haben sogar noch mehr Glück: Der Mont Aigoual ist der regenreichste Ort Frankreichs, und wir prasseln ihm unter stahlblauem Himmel entgegen. Wegen der zum Teil extremen Wetterverhältnisse wurde 1894 eine festungsähnliche Wetterstation auf dem Aigoual gebaut. Stünde sie nicht dort, würde man am Gipfel glatt vorbeifahren, so flach ist er. Wir schauen problemlos zu den Pyrenäen hinüber und auf das Meer hinab. Den dritten Berg, den Ventoux, sehen wir nicht. Das Morgenlicht steht noch zu tief im Westen.
Besondere Lichter soll es lange Jahre zu Pfingsten rund um den Aigoual gegeben haben. Ein Mädchen aus dem nahe gelegenen Dourbies wurde von drei Brüdern hofiert, und wie es die Liebe will, konnte sie sich nicht entscheiden. Sie versprach, denjenigen von ihnen zu heiraten, der unversehrt von den Kreuzzügen zurückkehren würde. Alle drei kehrten just an dem Tag zurück, als das Mädchen starb. Immer zu Pfingsten zündeten die drei Männer Feuer auf den umliegenden Bergen an. Nach und nach verloschen sie. Aber bis heute pilgern die Einwohner von Dourbies an Pfingsten zum Felsen von Saint Guiral.
Von den Cevennen in die Provence. Was gibt es hier nicht alles für lohnenswerte Ziele! Aber neben dem Canyon du Verdon gehört dem Mont Ventoux die Krone. Fahrerisch ohnehin. Schon von Weitem prangt er am Horizont. Kein Vorgebirge versperrt den Blick, kein Nachbarberg macht ihm die Erscheinung streitig. Der robuste Vorposten der Alpen wurde vor knapp 700 Jahren zum ersten Mal bestiegen. Nicht von einem Bergsteiger, sondern von einem Dichter mit Namen Petrarca. Manche behaupten, damit sei der Grundstein für den Alpinismus gelegt worden. Statt mit Steigeisen an den Schuhen mit dem Federkiel in der Hand.
Hin wie her, der Ventoux ist wie der Aigoual einer der wenigen Berge, bei denen man auf den Gipfel fahren kann. Und wie! Am schlimmsten ergeht es den Fußrasten. Vor allem wenn man wie wir die Anfahrt von Malaucène wählt.
Die Strecke wurde gerade eben erst mit einem Mikrofasertuch abgefeudelt und die Reifen krallen sich in den Asphalt wie Stallone in „Cliffhanger“ in die Felsen. Die 800er zieht in jeder Biegung einen Funkenflug wie beim Silves-terfeuerwerk hinter sich her. Was ist eher zu Ende: die Rasten oder der Anstieg? Nur dem Observatorium auf dem Gipfel haben die Fußrasten ihr Restmaterial zu verdanken. Auch wenn ich diesen Berg schon zigmal befahren habe, ist die Ausschüttung von Glückshormonen auf einem Allzeithoch. Als Kakaoprise obendrauf fungiert die Aussicht von den Alpengipfeln bis jenseits der Rhône. Die Cevennen scheinen mit der abtauchenden Sonne immer näher zu rücken. Über das Mittelmeer hinweg schimmert ein blasser grauer Streifen. Entweder ist es die Abgasfahne eines Schiffes oder die Pyrenäen mit dem Canigou voran. Die Sonne taucht ab. Es könnte wirklich der Canigou gewesen sein. Und wenn nicht, ist es auch kein Sakrileg.
Drei hohe Berge im Süden Frankreichs durch eine Motorradtour zu verbinden ist mal ein anderer Ansatz. Was die Route reizvoll macht, sind ihre enorme Kurvendichte und die geschichtsträchtigen Orte.
Anreise/Reisezeit:
Die Tour zu den drei Gipfeln spielt sich im Hinterland von Frankreichs Mittelmeerküste ab. Der Pic du Canigou (2784 Meter) im Westen gehört zu den höchsten Bergen der Pyrenäen, und der Mont Aigoual (1567 Meter) ist der zweithöchste und südlichste in den Cevennen. Als östlichster der drei liegt der Mont Ventoux (1912 Meter) bereits in der Provence. Dem Ventoux und dem Aigoual kann man bis auf den Scheitel fahren, dem Canigou hingegen kann man sich auf den letzten Metern nur offroad nähern. Sein Gipfel allerdings bleibt Kletterern vorbehalten. Eine offizielle Wintersperre (November-Mai) gibt es nur für den Ventoux. Aber auch die anderen sind nur im Frühjahr, Sommer und Herbst empfehlenswert. Von Frankfurt ist der Canigou 1200 Kilometer und der Ventoux rund 1000 Kilometer entfernt. Die Expressanreise über die französische Autobahn ist gebührenpflichtig. Mit dem Autozug (www.dbautozug.de) kann die Anreise bis Narbonne entspann-ter geschehen.
Die Strecke:
Zwischen den entfernten Gipfeln Canigou und Ventoux liegen rund 570 Kilometer. Die ersten Meter an den Flanken des Canigou sind zwar immer asphaltiert, aber bisweilen etwas holprig. Sobald man Prades erreicht hat, wird der Straßenzustand gut bis hervorragend. Hinzu kommen regelrechte Kurvenfestivals. Vor allem die Strecken von Le Vigan hinauf zum Aigoual und wieder herunter nach St. Jean-du-Gard sowie von Malaucène zum Ventoux sind echte Knaller. Die meisten Passagen bieten selbst für weniger erfahrene Piloten fantastisches Kurvensurfen.
Übernachten:
Direkt zu Füßen des Canigou liegt die auf Motorradfahrer spezialisierte Herberge Villa du Parc von Oliver und Mireike Zehner (www.villa-du-parc.com). Je nach Zimmerwahl sieht man den Berg zu jeder Tages- und Nachtzeit. In Avèze bei Le Vigan ist die Auberge Cocagne (www.auberge-cocagne-cevennes.com) empfehlenswert. Die Gastgeber Ginette und Christophe fahren ebenfalls Motorrad und bieten Tipps für die Region. Die Zimmer sind unterschiedlich rustikal. Von anderem Kaliber ist die Hostellerie du Val de Sault (www.valdesault.com). Hier kommt man gediegen inmitten der provenzalischen Landschaft unter. Das benachbarte Sault, in Blickweite des Mont Ventoux, versprüht speziellen Charme.
Aktivitäten:
Sowohl in den Pyrenäen als auch in den Cevennen kommen Höhlenfans auf ihre Kosten. Noch mehr Action gibt es beim Canyoning (z. B. bei www.tendancesdusud.com). Kanu und Rafting werden dort genauso wie in den Cevennen angeboten (www.cevennes.net). Wem das Panorama von den Gipfeln noch nicht genügt, kann ultimative Perspektiven mit dem Gleitschirm erfliegen, z. B. in der Nähe des Ventoux bei Mévouillon (www.provence-parapente.com).
Karten/Literatur:
Die Michelin-Karte 721 „Frankreich“ tut für diese Reise gute Dienste (8,99 Euro). Nur der Startpunkt „Rennes-le-Château“ ist nicht vermerkt. Dafür ist es vom benachbarten Couiza optimal ausgeschildert. Die besten Infos über die Region und ihre spannende Geschichte: „Provence auf den Spuren der Templer“ von Cornelia Ziegler, Verlag Reise Know-How, 10,50 Euro. „Sakrileg“ von Dan Brown, Verlag Bastei Lübbe, 9,99 Euro. „Der Heilige Gral und seine Erben“ von Michael Baigent, Richard Leigh, Henry Lincoln, Verlag Bastei Lübbe, 9,95 Euro.