Mulholland Highway - Die gefährlichste Kurve Amerikas

Leben: Die gefährlichste Kurve Amerikas The Snake

Von oben gesehen, windet sich ein fünf Kilometer langes Teilstück des Mulholland Highways wie eine Schlange durch die südkalifornischen Hügel. Es endet mit einer Kurve, in der unzählige Biker stürzen. Warum eigentlich?

The Snake Henniges
13 Bilder

Ken Snyder liegt auf der Lauer. Er hat die Hand wie einen Trichter am Ohr und schaut durch die -Linsen seiner Filmkamera. Er lächelt. Akkus voll, Sonne satt. In der Luft schwebt das Grollen großvolumiger Vau-Achts und das Kreischen hochdrehender Motorradmotoren. Eine Verheißung. Mit etwas Glück gelingt dem 55-Jährigen heute wieder ein spektakuläres Video, das ihm viele Werbeeinnahmen garantiert. Snyder, der unter dem Synonym „Rnickeymouse“ bereits unzählige Videos auf Youtube veröffentlichte, die über 100 Millionen Mal angeschaut wurden, steht wie immer am Wochenende im so genannten Edwards Corner, der letzten Kurve einer Strecke, die sich vom Kulttreff „Rock Store Café“ bis zum Gipfel einer kleinen Bergkette schlängelt. Einer Kurve, in der unzählige Motorradfahrer stürzen.

Kompletten Artikel kaufen
Leben: Die gefährlichste Kurve Amerikas The Snake
Sie erhalten den kompletten Artikel (6 Seiten) als PDF

Er ist nicht allein. Auf der anderen Straßenseite liegt Fotograf Paul Herold mit seinen Kameras auf der Lauer. Während Ken Snyder seine Sturz-Videos als Nebenerwerb ins Internet stellt, kann Paul von seinen Wochenend-Fotosessions sogar einigermaßen leben. Der 55-Jährige lichtet jeden, der durch die Kurve fährt, professionell ab und stellt die Bilder ins Netz. 18000 Shots am Wochenende sind keine Seltenheit.

Sein Onlinekatalog umfasst mittlerweile 550000 Fotos - das sind 6,5 Terabyte! Ab dienstags sind die Fotos - mit Wasserzeichen gegen illegale Zugriffe gesichert - auf der Internetseite www.flickr.com zu sehen. Wer schon immer gern ein Schräglagenfoto von sich haben wollte, kann das Original in sehr guter Qualität bei Paul kaufen. Kosten: zwischen zwölf und 24 Euro pro Foto.

Henniges
Gefederter Spezialstuhl, Blitz auf dem Helm montiert: Fotograf Paul Herold in Aktion.

Was also bleibt? Ausprobieren! Die kurzfristig organisierte Fireblade ist genau das richtige Fahrzeug dafür. Rein ins Leder, rauf auf die geteerte Schlange, die relativ unspektakulär loslegt. Dichter Busch- und Waldbestand macht die ersten Kurven und Kehren uneinsehbar, man biegt blind ein, im ersten Gang. Der Asphalt ist griffig, die Strecke wird einsehbar, die Kurven weiter. Zweiter, dritter Gang. Ruck, zuck ist das Speedlimit weit überschritten, also wieder bremsen. Aber bitte nicht so wie in einem Video von Snyder, das über 5,5 Millionen Mal angeklickt wurde: Man sieht einen Kawasaki ZX-Piloten durch eine Wechselkurve huschen. Er überholt noch einen Radfahrer. Dann zoomt die Kamera zurück und stoppt bei einem Polizeiwagen, der am Rand parkt. Der Kawa-Biker schnellt ums Eck, sieht die Cops, bremst hart, schmiert übers Vorderrad weg und rutscht den Polizisten praktisch vors Auto.

Der ganze Spuk ist in weniger als vier Minuten vorbei. Aus Rechtsschräglage geht es auf Edwards Corner zu. Hier sind sie zu Hunderten gestürzt. Herzklopfen. Gas auf in leichter Schräglage. Blick auf die Leitplanken, die rechts aus dem Boden wachsen. Man denkt unwillkürlich an das Video, in dem der Pilot einer Triumph Street Triple hier im Tourentempo ankommt, sich wahrscheinlich erschreckt, weil er Paul mit seiner Kamera und noch ein paar Schaulustige sieht, und, statt einzulenken, bremst und geradeaus in die Leitplanken rutscht. Das Motorrad bleibt liegen, der Fahrer kugelt die Böschung hinunter. Spektakulär. Passiert ist ihm Gott -sei- Dank nichts.

Jetzt beginnt sie, die angeblich gefährlichste Kurve Amerikas. Innen anfahren, bloß nicht die beiden durchgezogenen gelben Linien berühren, denn da ist null Grip in großer Schräglage. Man sieht zuerst nicht viel, denn Buschwerk versperrt die Sicht auf den weiteren Kurvenverlauf. Der Radius ist perfekt, wie mit dem Zirkel gezeichnet. Mitte der Kurve hört die Leitplanke auf. Konstant am Gas bleiben, zweiter Gang und hochschauen. Blick auf den Parkplatz. Viele Menschen, viele Maschinen und auch Paul, mit schussbereiter Kamera. Vielleicht erschreckst du dich. Vielleicht willst du es aber auch allen beweisen, die dort stehen und gaffen. Wie auch immer. Hier, im letzten Drittel der Kurve, passieren 80 Prozent aller Stürze. Und das hat nichts mit zu wenig Grip zu tun. Denn du bist noch in Schräglage, siehst aber die Gerade, die zum Pass zeigt. Du wirst geblendet von der Sonne. Die Kurve macht im letzten Viertel etwas zu. Und sie kippt leicht nach innen ab. Letztlich sieht der Ungeübte nur die Gerade, denkt sich: na super - und gibt Gas. Zu viel Gas.

In Schräglage. Highsider. Lowsider. Slowsider. Egal, wie man die Stürze dort vor Ort nennt, sie produzieren Schrott, Schürfwunden und hässliche Geräusche. Und für Ken Snyder wieder ein neues Video, das sich hervorragend vermarkten lässt.

Ein Kawasaki ZX-Pilot huscht durch eine Wechselkurve. Er überholt noch einen Radfahrer, schmiert weg und rutscht den Cops praktisch direkt vors Auto.

Mit seiner Street Tripple rauscht ein Pilot im Tourentempo in die Leiplanke und stürzt die Böschung hinab. Die Maschine bleibt oben und ihm passiert erstaunlicherweise auch nichts.

Rock Store Café

Henniges
John ist im "Rock Store" eine Art Mädchen für alles.

Das „Rock Store Café“ ist die Adresse für all jene, die schon immer mal mit Stars wie Arnold Schwarzenegger, Brad Pitt oder John Travolta unkompliziert einen Kaffee trinken wollten. Hier, am Mulholland Highway, am Fuß der Strecke, die von den Einheimischen nur als „The Snake“ bezeichnet wird, geben sich die motorbegeisterten Stars ein Stelldichein. Kein Wunder, denn das „Rock Store“ ist nur eine halbe Fahrstunde von Hollywood entfernt. Als Tankstelle in den 1940er-Jahren gegründet, avancierte die Station 1961 zu einer Art amerikanischem Tante-Emma-Laden. 1963 übernahm das Ehepaar Ed und Vern Savko den Shop. Die Warmherzigkeit von Ed und Vern, die für jeden ein paar nette Worte übrig hatten, lockte alsbald viele Auto- und Motorradfreaks an, die ihre Fahrzeuge am Wochenende auf dem Mulholland Highway Gassi führten und gern für einen Kaffee oder Burger anhielten. Heute ist das „Rock Store Café“ einer der ältesten Motorradtreffs in den USA und gilt laut „Los Angeles Times“ als „Mekka der Motorradfahrer“. Wer am Wochenende in L. A. ist, sollte unbedingt im „Rock Store“ vorbeischauen, denn meist ist hier der Bär los. Dabei spielt es keine Rolle ob auf zwei oder vier Rädern. Der urige Charme des alten Stores ist erhalten geblieben, die Burger sind super, die Bedienung stets zum Scherzen aufgelegt, und Kaffee wird kostenlos nachgefüllt. Ein riesiger Raum dient als eine Art Museum. Die Wände sind tapeziert mit Hunderten von Fotos, auf denen Promis zu sehen sind, die hier im „Rock Store“ ein und aus gehen. Und draußen auf dem Parkplatz finden sich nicht selten Fahrzeuge ein, die man sonst nur in Museen, auf den Rennstrecken dieser Welt oder in gut bewachten Hochsicherheitsgaragen steinreicher Scheichs oder Filmstars vermutet. Das Gute daran: Hier treffen sich ausschließlich Menschen mit Benzin im Blut. Soziale Hürden gibt es nicht. Egal, ob Jay Leno mit seinem Turbinen-Bike vorbeischaut oder Steve McQueens Sohn Chad mit seiner Triumph - man kann die Stars nicht nur hautnah erleben, sondern ihnen auch freundschaftlich auf die Schulter klopfen.

Henniges
Von oben gesehen windet sich ein fünf Kilometer langes Teilstück des Mulholland Highways wie eine Schlange durch die südkalifornischen Hügel.

Paul und Ken sind nicht allein im Edwards Corner, an den sich ein Parkplatz anschließt, der eine tolle Aussicht auf die Santa Monica Mountains bietet. Oft lungern hier einige Dutzend Biker rum, um zu sehen, welcher Kollege Edwards Corner am elegantesten oder schnellsten nimmt. Der deutsche Ausdruck Applaus-Kurve ist jedoch nicht gerechtfertigt. In die Hände klatscht hier niemand. Höchstens auf den Asphalt. „Ich habe schon die verrücktesten Stürze gesehen und fotografiert“, sagt Paul. „Hier knallt es jedes Wochenende.“ Dass nicht viel passiert, liegt zum einen am streng von der Polizei überwachten Speedlimit von 45 mph (73 km/h), zum anderen tragen die meisten Fahrer gute Lederkombis mit Protektoren. „In den 1980er-Jahren haben wir die Snake sogar mal kurzzeitig für den Publikumsverkehr gesperrt“, brummt John Young, ein County-Sheriff aus L. A. Er ist beruflich auf einer BMW R 1200 RT unterwegs und pilotiert in seiner Freizeit eine Ducati Hypermotard: „Damals wurden hier ständig illegale Rennen gefahren, es gab viele Tote. Da musste man reagieren.“

Trotz der vielen Stürze stehen die Cops dem Treiben auf der Schlangenkurve gelassen gegenüber. „Wenn die Buben hier rumdonnern, können sie woanders keinen Unfug machen“, meint Ken Dunkwell, ein Fahrer, der die Snake schon mehr als 20 Jahre befährt und auch genaue Fakten darüber bereit hat: vier Kilometer Länge, 21 Kurven. Werte, die zunächst einmal sehr unspektakulär klingen. „Viele, die oben Staub fressen oder den Asphalt polieren, sind unerfahren“, sagt Ken und verweist auf eine nahe liegende Militärbasis. „Dort stranden viele junge Burschen nach zwei, drei Jahren an der Front im Irak. Diese Boys mussten sich jahrelang vorsehen bei allem, was sie taten. Wer das überlebt hat, bekommt eine Art Bonus von der US-Regierung. Viele kaufen sich davon eine Tausender und gehen völlig respektlos damit um. Sie denken sich nur: Hey, endlich wieder daheim - hier kann mir nichts passieren.“ Neben Ken steht ein Mann mit gebrochenem Bein und schüttelt den Kopf. Nein, das sei nur die halbe Wahrheit: „Die Schlange ist mordsgefährlich, vor allem Edwards Corner.“

Zur Startseite
Mehr zum Thema Unfall
Honda Goldwing im 100.000-Kilometer-Dauertest.
Verkehr & Wirtschaft
Verkehr & Wirtschaft
Motorrad-Crashtest
Verkehr & Wirtschaft
Straßenverkehrsunfall-Statistik 2018.
Verkehr & Wirtschaft
Mehr anzeigen