Abwegige Tour: 3.230 Meter über dem Meer

Abwegige Tour: 3.230 Meter über dem Meer Ein Ding der Unmöglichkeit?

Mit dem Motorrad in den Alpen auf einen Berg, der noch höher ist als der legendäre Mont Chaberton – ein Ding der Unmöglichkeit? Frank Dubiel hat es ausprobiert.

Ein Ding der Unmöglichkeit? Dubiel

Der Bazillus vom Endurofahren in den Alpen infizierte mich direkt nach dem Studium. Damals wollte ich mit meiner KLR 600 auf den legendären Mont Chaberton. Bereits auf 2000 Meter Höhe war Schluss, der Hang auf zehn Meter Breite abgerutscht. Eine Überquerung alleine hätte den sicheren Absturz bedeutet. Anfang Juli war es wohl noch zu früh für den Berg: Wie ich später erfuhr, lag weiter oben noch Schnee, und ich hätte den Gipfel ohnehin nicht geschafft. Frustriert fuhr ich am nächsten Morgen nach Hause. Fest entschlossen, den Chaberton zu knacken. So fest, dass meine Freundin mir am liebsten den Mund zugeklebt hätte, wenn die Rede auf den Berg kam. »Kannst du nicht woanders hinfahren?« fragte sie. Das brachte mich auf die Idee: »Ich will nicht mehr auf den Mont Chaberton, sondern auf einen noch höheren Berg.« Doch wie einen unbekannten Berg finden, dessen Gipfel per Enduro erreichbar ist und höher liegt als der des Chaberton? Die einzige Chance sah ich darin, »meinen« Berg im Winter beim Skifahren aufzuspüren. Also suchte ich seit 1999 Skigebiete heraus, in denen der Lift über 3131 Meter (Gipfel Chaberton) hinausführt, und checkte die Situation in Zermatt, Trois Vallées, Alpe d’Huez, am Stubaier Gletscher und im Pitztal. Doch ich sah keine Chance, diese Pisten mit dem Motorrad zu befahren.

Als ich im Winter 2005 wieder in den Trois Vallées war, gab es einen neuen, abgelegenen Lift auf der Maurienne-Seite, der auf einen 3230 Meter hohen Gipfel führt. Die herrliche Aussicht interessierte mich nur bedingt. Nach einigen Inspektionsabfahrten war klar: Das ist mein Berg. Die Strecke hatte eine Steigung von 30 bis 40 Prozent, aber keine Überhänge oder Sprünge. Am unteren Ende der Skipiste bei 2300 Meter führte ein Wartungsweg für die Seilbahn bis auf 700 Meter hinab.

Dubiel
Frank Dubiel, 42 Jahre.

Im September 2007 war es so weit. Günther und ich standen mit einer DR-Z 400 und einer 450er-Husaberg an der Einfahrt des legal befahrbaren Wirtschaftsweg. Die ersten 1500 Höhenmeter überwanden wir problemlos, dann wurde es interessant, denn ich hatte den oberen Bereich ja nur in schneebedecktem Zustand gesehen. Kein Sperrschild verbot die Weiterfahrt, und meine Vorfreude stieg mit jedem Höhenmeter. Bald trennten uns noch lächerliche 500 Meter vom Ziel. Die Piste wurde immer schlechter, und das Fahren strengte zunehmend an, da wir bei gut 30 Prozent Steigung auf losem Geröll vorwärtskommen mussten. Als das Navigationsgerät 3050 Meter zeigte, machten wir Pause und genossen diesen Wert: Keiner von uns war bisher mit dem Motorrad so hoch oben gewesen. Auch jetzt waren wir noch sicher, das Ziel zu erreichen, schließlich fehlten nur noch etwa 200 Höhenmeter. Trotz der sauerstoffarmen Luft liefen unsere Vergasermotoren rund, das Anfahren auf dem losen Untergrund war bei dieser Steigung allerdings extrem schwer. Nach einer Spitzkehre standen wir bei 50 Prozent Anstieg in einem Geröllfeld mit medizinballgroßen, losen Steinen. Wir versuchten, mit Schwung darüber zu kommen – keine Chance. Es war spät, wir mussten aufgeben. Zwar hatten wir mit 3136 Meter Höhe den Mont Chaberton endlich übertroffen, aber zufrieden waren wir nicht.

Nach einer Woche Urlaub im Piemont starteten wir einen erneuten Versuch, diesmal zu viert. Als wir zu der Geröllstelle kamen, kämpften wir verzweifelt, doch wieder kam keiner weiter als ein paar Meter. Das Ziel war nur 100 Höhenmeter entfernt. Schließlich meinte mein Begleiter: »Das Motorrad muss da hoch, egal wie.« Das gab den Ausschlag. Ich begann, das Ding teilweise zu tragen, teilweise zu schieben und zerrte aus Leibeskräften. Eine wahnsinnige Anstrengung. Irgendwann war tatsächlich das Geröllfeld überwunden. Auch Thomas schaffte es, die beiden anderen gaben auf. Hinter dem Geröllfeld ging es genauso stressig weiter: Steine aus dem Weg räumen, die Maschinen über ein Eisfeld wuchten. Die letzten Meter fuhren wir auf einem schmalen Geröllstreifen zwischen Abgrund und Schneewehe, dann standen wir auf dem Sommet des Trois Vallée in 3230 Meter Höhe. Vermutlich als Erste hatten wir mit dem Motorrad in den Alpen eine solche Höhe erreicht.

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