Ibishi lässt seine kleine Honda ausrollen. »Weiter sollten wir nicht fahren«, sagt er in gebrochenem Deutsch, »sonst werden wir eine Menge Ärger bekommen!« Als Kosovo-Albaner ist ihm hier, so nah an der Grenze zu Serbien, überhaupt nicht wohl. Zwar deutet nichts auf den Übergang hin, doch der Posten, sagt er, stehe nur ein paar huntert Meter entfernt auf serbischem Gebiet. Also drehen wir um und fahren zurück nach Gallab, einem kosovarischen Dorf am Batlava-See. Dort lernte ich Ibishi kennen. Er sah das deutsche Kennzeichen an meinem Motorrad, sprach mich an, und als er hörte, dass ich den Weg zur Grenze suche, bot er spontan an, mich zu führen.
Das Kosovo ist politisches Niemandsland. Völkerrechtlich ein Teil Serbiens, doch zu 90 Prozent von Albanern bewohnt, die seit Jahrzehnten nach Unabhängigkeit streben. 1998 gipfelte dieses Streben im Kosovo-Krieg. Armee- und Polizeieinheiten der serbischen Zentralregierung in Belgrad gingen mit äußerster Brutalität gegen die Kosovo-Albaner vor, was erst durch militärisches Eingreifen der NATO ein Ende fand. Seit 1999 steht das Gebiet unter Verwaltung der UNMIK United Nations Mission in Kosovo. Die UN brachte auch mich für ein Jahr in diesen Teil des Balkans, um beim Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen zu helfen. Da ich aber nicht so lange aufs Motorradfahren verzichten wollte und das Kosovo ein Paradies für Endurowanderer ist, nutzte ich den ersten Heimaturlaub, um meine Suzuki DR Big nachzuholen.
Grüne Hügel im Osten, hochalpine Berg-landschaften im Westen und Süden: ein Genuss für Kurvensüchtige. Ob die Auffahrt zum Kulina-Pass Richtung Montenegro, die Tour durchs wildromantische Rugova-Tal oder die Bergwelt um Dragas südlich von Prizren. Asphaltiert sind nur die Hauptstraßen, die Nebenstrecken zeigen sich durchgehend unbefestigt, Sand- und Schotterpisten mit tiefen Schlaglöchern. Aber auch die Asphaltstraßen haben ihre Tücken, vor allem bei Nässe, weil die Fahr-zeuge ständig Öl verlieren und Pferdegespanne anderes rutschiges Material. Gefahren wird trotzdem schnell, und schwere Unfälle sind an der Tagesordnung. Ebenso Geschwindigkeitskontrollen. »Sie bringen dem Kosovo viel Geld«, erzählt Fehmi, der mit einer Polizei-BMW samt Lasergerät an der Ausfallstraße von Pritina steht. »Anders lernen meine Landsleute nicht, disziplinierter zu fahren.« Als Sergeant der Polizei verdient Fehmi gerade mal 270 Euro im Monat. Sein Traum von der eigenen BMW, »am liebsten eine große Enduro«, wird damit wohl noch lange ein Traum bleiben.

»Achte darauf, dass du nur da fährst, wo auch die Einheimischen fahren«, rät er mir. »Die wissen nämlich, wo noch Minen liegen.« In der Regel warnen zwar rote Tafeln vor den Hinterlassenschaften des Krieges, aber nicht alle ungeräumten Minenfelder sind so deutlich markiert. Die größte Gefahr lauert in bergigen Regionen, wo sich die Minen mit Erdrutschen oder der Schneeschmelze bewegen. Wenn sie dabei nicht explodieren, bleiben sie wer weiß wo liegen.
Nicht Minen, sondern Lawinen haben Teile der Straße im Rugova-Tal weggerissen. Durch steil aufragende Wände und in den Fels gesprengte Naturtunnels führt sie bis ins Grenzgebiet von Montenegro. Am Taleingang ein serbisches Kloster, bewacht von italienischen Soldaten der internationalen Schutztruppe KFOR, den Kosovo Forces. Am Talende Hochgebirgslandschaft mit Gipfeln über 2500 Meter und dem kleinen Skigebiet Bogaj. Es sieht aus wie in den Alpen wäre da nicht das Minarett der Moschee. Die meisten Kosovo-Albaner bekennen sich zum Islam, allerdings fern fundamentalistischer Ausprägung. Was die Idylle an allen Ausflugszielen trübt: der Müll. Er bleibt einfach liegen. »Die Menschen hier haben andere Sorgen«, erzählt Rexhep und weiß, wovon er spricht. Seine 227 Euro Monatsgehalt reichen kaum, die Familie zu ernähren. Frau, fünf Kinder, seine Eltern keine Chance, würden sie nicht, wie so viele Kosovaren, von Verwandten unterstützt, die während des Krieges ins Ausland flüchteten. Rexheps ganzer Stolz ist eine alte Honda CB 750 C mit Motorschaden. Er hat keine eine Ahnung, wann das Geld für Ersatzteile reicht, ist aber zuversichtlich: »Es wird besser. Bestimmt. Sobald wir unabhängig sind, werden Firmen kommen und Geld ins Land bringen. Schließlich sind unsere fleißigen Arbeitskräfte billig, und viele sprechen Fremdsprachen.«
Am Ende meines Kosovo-Jahrs besuche ich Ibishi noch einmal. Beim Kaffee in der guten Stube träumt auch er von einer besseren Zukunft. »Vielleicht können wir ja irgendwann normal mit unseren serbischen Nachbarn zusammenleben. Dann wäre das Kosovo ein Touristenparadies nicht nur für Motorradfahrer.«
Aktuell. Am 17. Februar 2008 rief das Kosovo seine Unabhängigkeit aus, die von Serbien samt Russland strikt abgelehnt wird. Die Lage in der Krisenregion ist so angespannt wie seit 1999 nicht mehr. Serbiens Regierung drohte allen Staaten, die die Unabhängigkeit Kosovos anerkennen, mit einer Einschränkung der Beziehungen.
Infos. Zur Einreise reicht ein Reisepass. Orientierung liefert die »Kosovo Road Map« von Trimaks Cartography (ISBN 998994039-8). Hotels finden sich in größeren Städten und an Hauptverbindungsstraßen. Campingplätze und organisierten Tourismus gibt es nicht. Von individuellen Reisen ohne die Begleitung Einheimischer rät das Auswärtige Amt ab.