Mit dem Motorrad in Kolumbien
Zehn Länder in einem

Alpine Berge, Wüsten, dampfende Dschungel, explosive Natur, Traumstrände, modernste Metropolen oder Indianerkulturen. Kolumbien ist zehn Länder in einem! Der größte Schatz aber sind die großherzigen, liebenswerten Menschen.

Zehn Länder in einem
Foto: Markus Biebricher, Claudia Werel

Die Zunge des Papageis ist hart und schwarz. Immer wieder schnäbelt er über das verschwitzte Gesicht des Motorradfahrers. So viele Küsse. Erstaunlich schwer, dieser große Vogel auf meinem Arm. Unsere Beziehung entspinnt sich in einer kleinen Lodge im Dschungel des Taironaka-Nationalparks. Wir bestaunen die Flugkünste von Aras und Papageien, wundern uns über ihre Neugier. Beim Abendessen dekorieren sie farbenprächtig den Holztisch. Gieren nach ein paar Bissen, bis Gott plötzlich ein schwarzes Tuch über die Welt wirft. Nacht bricht über den Dschungel herein. Andres, Claudia und ich sind allein in der Lodge. Nackenhaare stellen sich auf. Es raschelt, knackt, gluckst und pfeift aus dem Wald. Irgendwo da draußen bewegen sich Gestalten. Was tun?

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Dann stehen sie im Licht des Lampenkegels. Sie sind zu zweit, sehen unsere Gänsehaut. Indianer vom Stamm der Kogui, die sich seit zehn Stunden auf einem Marsch aus der Sierra Nevada an die Küste befinden. Der Jüngere spricht etwas Spanisch. Der Ältere ist nur körperlich anwesend. Sein Geist ist weit weg auf einer Reise. Er kaut bewusstseinserweiternde Substanzen. Arbeitet spirituell an der Rettung der Welt, die von den Weißen zerstört wird. Ein Mámu, ein heiliger Mann, der für sein Schaffen zum Wohle der Erde übersinnli­che Erfahrungen braucht. Die beiden Indianer wirken distanziert, doch freundlich, wir bieten ihnen Getränke und Speisen an. Der Jüngere möchte in das Display der Kamera, fragt nach einem Foto. Wir zeigen ihnen Bilder von Deutschland, was sie zu amüsieren scheint. Nach einer halben Stunde wollen sie aufbrechen. Zum Abschied schenke ich ihnen meine Taschenlampe, dann werden sie verschluckt von der Schwärze. Andres, unser kolumbianischer Freund und Tourguide, hält dieses Erlebnis für einzigartig. Normalerweise gehen die Kogui nicht auf Weiße zu. Sie leben in Stammesverbänden autark in der Wildnis des höchsten Küstengebirges der Welt: der Sierra Nevada de Santa Marta.

Motor­räder fahren einfach an den Zahlhäuschen vorbei

Zehn Tage vorher: Wir erkunden Bogotá, die pulsierende Hauptstadt. Sie liegt auf 2650 Metern auf einem gipfelgesäumten Hochplateau der Cordillera Oriental. Jeder fünfte Kolumbianer lebt hier, in diesem Schmelztiegel aus Aufbruch und Zerfall. Doch Blüte siegt über Verwesung, hippe Viertel dominieren über Slums, kulturelles Leben über Aussichtslosigkeit. Firmen expandieren, der Klang gewaltreicher Geschichte verebbt in pittoresken Gassen. Wie auch das tiefe Brummen unserer 1200er-GS, als wir diese faszinierende Stadt nach Norden verlassen. Sofort wird klar: Es macht Spaß, in Kolumbien zu fahren. Die letzten Reste Respekt vor unberechenbarem Verkehr, vor gewaltbereiten Guerillas am Straßenrand, vor dem Drogenkrieg werden vom Fahrtwind weggeblasen. Nachhaltig.

Es macht Freude, dem dynamisch zirkelnden Luis Alejandro Reyes zu folgen, der uns die BMW und seine Landeskenntnis zur Verfügung stellt. Andres, sein Cheftourguide, ergänzt unsere kleine Reisegruppe. Wir besuchen die Hazienda Los Laureles, die Luis’ Familie gehört. Ein riesiges Kleinod kolonialer Architektur inmitten einer üppigen Natur, die uns den Rest der Reise begleiten wird. Natur, so kraftvoll, gesund, vielfältig. Überall pralle Früchte! Fahren wir durch das Paradies? Schon erste Kostproben beweisen: Das Essen schmeckt genial. Exotisches Obst explodiert am Gaumen, Fleisch und Fisch überraschen mit geschmacklicher Tiefe und Vielfalt. Wir hatten kulinarische Erlebnisse dieser Art schlicht vergessen. Unsere Sinne werden erweitert. Woran auch die Kurven von Alban über Viani hinunter an den Rio Magdalena schuld sind. Unfassbar, wie verwegen man hier Asphalt absurfen kann. Zwischendurch immer wieder Mautstellen. Motor­räder fahren auf schmalen Extrastreifen einfach an den Zahlhäuschen vorbei. Muy bien! In den farbenfrohen Orten zwischendurch locken Obststände, Grillrestaurants, Süßigkeiten. Wir staunen über die Sauberkeit in den Dörfern. Hunde, Katzen, Hühner, Kühe und Pferde schlendern herum, Salsa-Musik donnert aus den Bars, wabert um die Häuser. Hüften wiegen im Takt, Köpfe drehen sich nach weiblichen Wesen, deren Schönheit Verkehrsunfälle verursacht.

Polizisten fahren Enduros aus der DR-Baureihe

Der Typ an der Brücke züchtet Schlangen, Vögel und Schildkröten. Den Schlangen zapft er Gift ab, das er als Mittel gegen Krebs verkauft. Das Bauwerk steht in Honda, im Departamento Tolima. Überspannt den Rio Magdalena, welcher der Stadt früher zu großem Reichtum verholfen hat. Die gelbe Ponte wurde als erste Stahlbrücke Südamerikas von Joseph Strauss gebaut, der auch für die Golden Gate in San Francisco verantwortlich zeichnete.

Das erzählt uns Guillermo, der uns in den schmucken Gassen Hondas auch die erste Apotheke Kolumbiens zeigt. Der Exkurs in die Stadtgeschichte geht weiter im hinreißend gestylten Stadthaus von Marcello, der das stressige Leben als Geschäftsmann in Bogotá gegen die Existenz eines Rinderzüchters in Honda tauschte und hier einfach nur glücklich ist. Sollen auch wir hierbleiben? Luis und Andres versprechen uns weitere Orte zum „Aussteigen“.

Salento zum Beispiel. Die Fahrt dorthin dauert zehn Stunden und führt über einen 4000-Meter-Pass. Krasse Kurven ohne Ende, sauberste Örtchen, leckerster Kaffee, freundliche Menschen an jeder Ecke. In Manizales treffen wir Martin aus Würzburg. Er ist mit dem Fahrrad unterwegs und empfindet das Gleiche wie wir: Kolumbiens heilsame Atmosphäre. Man bekommt Energie und Lebensfreude! Es macht Spaß, mit Hunderten anderen Motorrad­fahrern durch Städte zu gleiten oder mit Motorradpolizisten zu plauschen, die einen guten Deal mit Suzuki und Yamaha haben: Sie fahren Enduros aus der DR-Baureihe, von 200 bis 650 Kubik oder V-Strom, wenn sie schnell sein müssen. Auch Yamahas 660er-Einzylinder scheinen beliebt.

Unfassbare Ausblicke, infernalische Musik

Und immer wieder Renault 4. Was in Mexiko der Käfer, ist hier die französische Kiste. Kam 1965 auf Initiative des Importeurs Auto Anden nach Kolumbien, wurde später in Medellín bis Mitte der 90er-Jahre produziert. Auch in exotischen Versionen und mit stärkeren Motoren. In Salento dagegen dominieren alte, originale Willys-Jeeps. Deren lederhäutige Fahrer zu einem Ride in das berühmte Cocora Valley einladen. Tausendfach wachsen hier riesige Palmen an den Berghängen empor. Ein Ausflug zu Pferd oder zu Fuß offenbart unfassbare Ausblicke. Überraschend ist das Nachtleben und das Angebot an megacoolen Kneipen in diesem sehenswerten Örtchen. Was auch für Jardin gilt. Eine städtische Perle am Ende einer Offroad-Piste. Spontan tanzen wir mit den Insassen eines Überlandbusses zu heißem Salsa. Feuriges Leben dann in Medellín. Infernalische Musik, edelste Einkaufsstraßen, charismatische Plätze, Tausende Dienstleister, die riesigen Bronze­figuren vom berühmten Bildhauer Botero. Und die schönsten Frauen Kolumbiens. Natürlich auch Motorräder: In einem Yamaha-Werk werden kleine Kopien von R1, R6 und Fazer gebaut. Bis 200 Kubikzentimeter groß, aber mit dicken Schlappen und stabilen Fahrwerken. Luis muss zurück nach Bogotá. Andres, Claudia und ich dürfen weiter nach Monteria.

Immer wieder überraschend: wie hart und organisiert an Straßenbaustellen gearbeitet wird. Vier Männer schaufeln in 45 Minuten einen Lkw voll Erde. Apropos Lkw: Wir müssen einige überholen. Sehen junge Männer, die als blinde Passagiere auf der Ladefläche mitfahren. Stolz zeigen sie uns ihre Tattoos: Atlético Nacional, der Fußballclub mit den treuesten Fans. Die GS drückt uns auf nebelverhangene Pässe, dann geht es in tausend Kurven runter an den Rio Cauca. Die Gesichter der Menschen zeigen jetzt Einflüsse von Karibik und Afrika. Offenbaren die Geschichte der Sklaven, die hierher verschleppt wurden. Musik dröhnt aus den Läden, in jeder Werkstatt ist Party. Die Sauberkeit in den Orten lässt sichtbar nach, wir fahren eine traumhafte Küstenstraße.

Runter vom Bike, tanzen, weiter

Die Reise kulminiert. In den schicksalsträchtigen Mauern Cartagenas. Auf den Benzinschmuggler-Routen an der Grenze zu Venezuela. Auf den Pisten zum Cabo de la Vela, dem nördlichsten Punkt Südamerikas. Vieles hier sieht aus wie Afrika. Riesige Echsen huschen über die Straße, bunt kos­tümierte Menschen feiern Karneval, spannen Seile über die Straße. Also runter vom Bike, tanzen, weiter. Selbst fernab der Hauptroute, in slumartigen Hütten, wirken die Menschen fröhlich. Dann wird die GS von der Wüste Ahuyama und einem Sandsturm verschluckt. Wer den Wind genießt, ist Etto aus Bremen. Seit zig Jahren gibt er Surfkurse am Cabo: „360 Tage vier bis sechs Windstärken, keine Moskitos, ein Paradies.“ Auch für die Wayuu-Indianer, die hier leben. Ganz nah liegt jene Höhle, wo die Seelen ihrer Toten rasten, bevor sie aufs Meer hinausfliegen. Sollen wir hierbleiben? Oder lieber bei den küssenden Papageien? Einfach alles hier ist „todo bien“!

Die Tourguides

Luis Alejandro Reyes

Luis Alejandro Reyes

ist kolumbianischer Agrarökonom und geachteter Unternehmer. Neben Palmölplantagen unterhält er die Firma Adventures57, die organisierte Motorradreisen und Vermietungen anbietet. Luis fährt seit seinem siebten Lebensjahr Enduro, hat einen Ruf als Top-Pilot. In Deutschland ließ er sich zum BMW-zertifizierten Tourguide ausbilden. Er überlässt nichts dem Zufall, ist ein gebildeter, charmanter Reisebegleiter.

Andres Lopez.

Andres Lopez

ist kolumbianischer Marketingspezialist mit zahlreichen zusätzlichen Talenten. Bei Adventures57 ist die Frohnatur Cheftourguide. Zusätzlich kümmert sich Andres um Marketing, Technik, Logistik, Sicherheit und Routen-Scouting. Nebenher betreibt er eine eigene, kleine Firma, die universell nutzbare Halstücher für Biker anbietet. Info: www.capitalroad.com.co

Infos

Reisedauer: 14 Tage; gefahrene Strecke: 2700 Kilometer.

Allgemeines: Kolumbien ist nach Brasilien und Mexiko das bevölkerungsreichste Land Lateinamerikas. Es grenzt an Panama, Venezuela, Brasilien, Peru, Ecuador sowie den Pazifik und den Atlantik. Dazwischen liegen das Anden-Hochland, die Küstenregionen und das kaum besiedelte Amazonas-Tiefland. Kolumbien ist ein zerklüftetes, schwer kontrollierbares Land, in dem Zivilisation und Wildnis nebeneinander existieren. Es ist voll bizarrer Gegensätze, voller gesunder Flora und Fauna, voller Ressourcen, voller Geschichten und voller Menschen verschiedenster Ethnien. Rund 90 Prozent der Einwohner sind Katholiken. 

Sicherheit: Kolumbien erhebt sich aktuell wie der Phönix aus der Asche aus dem jahrhundertealten Sumpf der Gewalt. Einem Sumpf, der durch die goldgierigen spanischen Eroberer und später durch Drogenkartelle, Guerillas, Paramilitärs und Regierungstruppen genährt wurde. Heute ist das Land mehrheitlich befriedet und war nie angenehmer zu bereisen. Zwar gibt es immer noch Landesteile, in denen Guerillas ihr Unwesen treiben, doch die liegen meist in touristisch unwichtigen, abgelegenen Regionen. Unkenntnis und Fehlinformation sorgen vor allem in Deutschland für eine diffuse Angst vor Kolumbien, die nicht mehr gerechtfertigt ist. Bogotá und Medellín sind zu modernen Kultur- und Wirtschaftsmetropolen gewachsen, in denen nicht mehr Kriminalität herrscht als in deutschen Großstädten. Obwohl die Straßen besser, die Fahrzeuge sicherer und der Verkehr weit weniger chaotisch wirken als in anderen lateinamerikanischen Ländern,
raten wir von Nachtfahrten ab: zu viele Tiere unterwegs. Ein zusätzliches Sicherheitsfeature ist die Nutzung des gesunden Menschenverstandes und von Information: Eine gute Quelle ist der Reiseführer „Kolumbien“ von Ingolf Bruckner (Reise Know-How, 24,90 Euro).

Übernachten: An (netten) Unterkünften herrscht kein Mangel. Empfehlen möchten wir folgende Häuser: „Urban Royal“ in Bogotá (Telefon: 5 71/7 95 35 00); „Las Trampas“ in Honda (5 71/2 98 17 52); „Mirador“ del Cocora in Salento (5 76/7 59 36 12); das von der sympathischen Claudia geführte „Hotel Aité“, zwei Kilometer hinter Palomino (5 73 21/7 82 13 00, www.aite.com.co); „Rancheria UTTA“ am Cabo de la Vela (einfach, aber stimmungsvoll) und für Dschungelnächte das „Reserva Natural Taironaka“, erreichbar per Boot über den Rio Don Diego.

Geld: Ein Euro entspricht 2800 Kolumbianischen Peso (COP). Geldautomaten gibt es in größeren Orten, US-Dollar und Euro werden überall getauscht. Die Lebenshaltungskosten sind niedriger als in Deutschland.

Reisezeit/Dokumente: Aufgrund der Äquatornähe sind die jahreszeitlichen Temperaturschwankungen gering. Weil Kolumbien aber ein breites Spektrum an Klimazonen besitzt, sollte man sich je nach Region gesondert informieren. Von Dezember bis März und von Juli bis August regnet es weniger als in den übrigen Monaten. Da es warm ist und es selbst in der „Regenzeit“ nur einmal am Tag schüttet, müssen Motorradfahrer nicht leiden. Deutsche Staatsbürger benötigen für die Einreise kein Visum, sondern den Reisepass (mindestens noch sechs Monate Gültigkeit). Weitere Infos: www.das.gov.co und www.botschaft-kolumbien.de

Motorradreisen: Adventures57 von Luis Alejandro Reyes bietet für alle Bedürfnisse maßgeschneiderte Touren durch Kolumbien. Zudem offeriert Luis ein hochkarätiges Endurotraining (Offroad-Academy). Sein Fuhrpark: neueste BMW-Modelle, die man auch individuell für „self guided tours“ mieten kann. Prädikat: absolut empfehlenswert! Alle Infos unter: www.adventures57.com. Luis und sein Team sprechen ausgezeichnet Englisch. 

Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023