Sofern einen die Eltern nicht mitschleppten zum Pauschalurlaub nach Torremolinos oder Málaga an der Costa del Sol, erschien uns Andalusien unerreichbar. Damals, in den 1970ern. Und heute? Sind wir mit einer gepimpten BMW R 1200 GS unterwegs, vom Schwarzwald durch Frankreich hin zu diesem Teil der spanischen Mittelmeerküste. Leere Autobahnen, Tempomat, da kannst du auch schon mal ein paar Kilometer freihändig fahren. Dann, Schrecksekunde, kurz vor Valencia: 36 Euro Maut, schluck! Schwamm drüber.
Sunny side of life
Auch Mojácar Playa lieber vergessen, wo Apartmenthotels wie Krebsgeschwüre wuchern, und ebenfalls nicht gesund: die an der Küste ausufernden, rund 350 Quadratkilometer Gewächshausfelder, wo Lohndumping und Sklavenarbeit prächtig gedeihen. Doch jetzt endlich zur sunny side of life. Die AL-5105 bei Sopalmo schlängelt sich als hellgraues Asphaltband zwischen türkisblauem Meer und grün-braunen Kakteenkolonien gen Süden. Und führt nach einigem Zickzack nach Cabo de Gata zu einem langen, unverbauten Sandstrand, darauf einige Boote, die per Handwinde an Land gezogen werden, andere pittoresk verrottet. Genial, schön! Die letzte Sonderprüfung für heute führt die bergan stürmende Rallye-GS hoch zum Leuchtturm Faro de Cabo de Gata – zum spannenden Duell ums letzte Fotolicht mit einem unaufhaltsam ins Meer stürzenden Sonnenball. Im Hotel serviert die Küche kunstvoll drapierte Calamares-Kringel, im TV läuft Fußball.

Blendend weiß wie die Zähne von Starspieler Ronaldo erscheinen anderntags am Horizont schneebedeckte Berggipfel. Schnee in Andalusien? Wir wollen sehen, verabschieden uns von den vielen roten Ampeln in der Provinzhauptstadt Almería und steuern der zerklüfteten Sierra de los Filabres entgegen. Rund um Tabernas wurden viele Spaghetti-Western wie „Für eine Handvoll Dollar“ oder „Spiel mir das Lied vom Tod“ gedreht. Doch wir reiten lieber selbst weiter durch die Prärie. Ab Gérgal über die A-1178 und AL-4404 gibt Andalusien einen Vorgeschmack auf das, was es an Achterbahnen alles so in petto hat.
Der Schatz im Silbersee
So einsam die Gegend, so groß das Erstaunen, als uns auf der Strecke hoch zur größten Sternwarte Europas, dem Centro Observatorio Astronómico auf dem 2.168 Meter hohen Calar Alto, in einer Serpentine plötzlich ein Ungetüm in Orange entgegenkommt, aus dessen stählernem Maul große weiße Brocken fallen. Ein Schneepflug! Das kann ja heiter werden. Heiter und munter öffnen sich aber auch die Drosselklappen der BMW im Sekundentakt beim Geschlängel den Calar Alto wieder bergab nach Las Alcubillas Altas auf der von Ginster und windschiefem Nadelgehölz gesäumten AL-3407 gen Gádor. Hier immer wieder die ungläubige Frage: „Hat man diese Straßen eigentlich nur für uns gebaut?“ An den Südhängen der Sierra Nevada liegen die Alpujarras, eine mit Lösshügeln und tiefen Tälern aufgefaltete Landschaft. Von Ost nach West verlaufen parallel zwei Knallerstrecken. Aber was heißt schon parallel, denn die gut ausgebaute A-348 zwischen Benahadux und der A-44 bei Lanjarón Richtung Granada ist eine einzige kurvige Versuchung, 120 Kilometer lang. Nördlich davon – und nicht so führerscheingefährdend – liegt die wie von einem Kind hingekrakelte Alternativroute. Beim Etappenziel in Capileira, Tageskilometer: 315. Uff! Platt. Schlafen.

Früher fuhr man, zumindest mit leichten Enduros von Capileira aus ganz auf den Mulhacén, dem mit 3.482 Meter zweithöchsten Berg Spaniens, übertroffen nur vom Teide auf Teneriffa. Inzwischen ist das bloß auf Schusters Rappen machbar. Diese stellen wir dann doch lieber auf unsere Motorradrasten, denn auch unterhalb des Mulhacéns flutet die bezaubernde Sierra das Hirn mit Glückshormonen. Wie Würfelzucker sehen sie aus, die weißen Häuser von Capileira und Bubión, Pampaneira und anderen Dörfern, die an den Bergflanken kleben, als gebe es keine Schwerkraft. Fotostopps und das fein verästelte Streckennetz mit schier unendlich vielen Alternativen zu den beiden Hauptrouten durch die Alpujarras ziehen die Tagesplanung in die Länge. Ein gut gefüllter Tankrucksack ist zu empfehlen, da es oft an Einkehrmöglichkeiten mangelt. Wer als Tourenfahrer dort dennoch sein Navi oder ganz analog das Roadbook füttern möchte, nein, das auch unbedingt tun sollte: Pampaneira, Órgiva, Almegíjar, Notaez, A-345, GR-5202, GR-6202 und die in einem zerfransten Talkessel liegende Talsperre Embalse de Benínar. Diese grandiose Kulisse für ein Remake von „Der Schatz im Silbersee“ ist ein Muss.
Schnken für 70 Euro
Nach all dem kurvigen Klein-Klein öffnet sich ein weit gezogener Pass über den 2.000 Meter hohen Puerto de la Ragua, vorbei an der Burg von La Calahorra, die auf einem Hügel über dem Dorf thront, nach Guadix. Auf der GR-3201 Granada passieren und dann zurück nach Bubión und Capileira, dessen heimelig gelbe Stadtlichter uns heute nach 325 Kilometern schließlich begrüßen. Etwas weniger werden es am nächsten und damit letzten Tag in der Sierra Nevada. „Jamón, Jamón“ heißt es im Schinkendorf Trevélez allenthalben, wohin es uns quasi zum zweiten Frühstück führt. Nach einem Bäcker für die Unterlage der angepriesenen, leckeren Schweinereien muss man hingegen schon genauer suchen.

Aber formidable Schinken für 70 Euro wären ein fürwahr originelles Mitbringsel, ist wohl noch Platz in den Alukoffern? Via Nieles und Tímar, A-346 und Motril wollen wir nun doch noch mal am Mittelmeer schnuppern. Welches wir in Almuñécar jedoch fluchtartig wieder verlassen; Beton dominiert die etwas euphemistisch als Costa Tropical getaufte Küste. Ab dem Abzweig nach Otívar: durchatmen, durchschalten und wieder Stairway to Heaven in die Berge! Zunächst sonnen sich an den fruchtbaren Hängen des Rio Verde Zitronen und Aprikosen, dann sägt sich die A-4050 durch die Sierra del Chaparral und Sierra de Albuñuelas, dass den Reifen ganz warm um die Flanken wird.
In 3.384 Metern Höhe
Cool down dann knapp zwei Stunden später, und nach einem saftigen Serpentinencocktail hoch zum Mulhacén, diesmal von Granada aus: Mickrige zwei Grad vermeldet das Thermometer auf dem Display! Wir sind immerhin 2.500 Meter über dem Meer im Skiort Pradollano. Wo das Weiß der Wolken sukzessive mit dem der Berge verschmilzt, wo kaum auszumachen ist, welcher davon nun obenauf ist. Oder auch, wo sich gleich daneben der Pico del Veleta versteckt, der mit 3.384 Metern höchste anfahrbare Punkt Europas. Allerdings nur per Sondergenehmigung oder als Passagier im Minibus, denn die Gebirgskette der Sierra Nevada ist seit 1989 ein Nationalpark.

Und schließlich Granada, mitten hinein in die alte maurische Königsstadt mit ehrwürdiger Geschichte und wuseligem Heute. Mit der Alhambra, einem Prachtexemplar islamischer Baukunst. Nach kleiner Irrfahrt endlich im Hotel die schweren Motorradklamotten gegen luftige Zivilkluft getauscht, um an der Avenida de la Constitución im Restaurant „La Oficina“ bei lecker Pulpo Braseado den lauschigen Nachthimmel zu genießen. Salud!
Anreise
Von Freiburg in Süddeutschland sind es via Lyon und Montpellier (Frankreich), Barcelona und Valencia (Spanien) rund 1.840 Kilometer bis zum Ziel Almería. Eine lange Strecke muss man also einkalkulieren, dazu bei schnellstem Weg auch noch happige Autobahngebühren. Wer mehr Zeit hat, kann stattdessen genussvoll über Landstraßen fahren; wer wenig Zeit hat, oder es kommoder mag, fliegt besser nach Almería oder Málaga und mietet dort ein Motorrad. Tagesmieten für eine tourentaugliche Maschine beginnen ab ca. 90 Euro pro Tag. Alternativ kann die eigene Maschine über spezialisierte Dienstleister auch vorab in die Reiseregion gebracht werden.
Reisezeit
Anfang Mai ist es frühlingshaft warm, nur in den Hochlagen der Berge zeigt das Thermometer ab und an einstellige Werte. Im Sommer droht an der Küste Hitzekollaps, bis in den Spätherbst hinein sind die Temperaturen dann wieder ideal für Motorradfahrer. Wer dann jedoch auf eigener Achse aus dem Norden kommt: Bitte warme und regenfeste Kleidung für die mitunter kühl-nasse Anfahrt einpacken.
Unterkünfte
Mit einem schönen Sandstrand direkt vor der Tür punktet südwestlich von Almería das hübsche „Hotel las Salinas“ am Cabo de Gata, Tel. 00 34/9 50/ 37 01 03, www.hoteldelassalinas.com. Mitten in den zerklüfteten Alpujarras und im „Zuckerwürfeldorf“ Capileira liegt am Fuße des Mulhacén das„Hotel Rural Finca los Llanos“, Telefon 00 34/9 58/76 30 71, www.hotelfincalosllanos.com. Noch fußläufig zu erreichen ist die Alhambra in Granada vom funktionellen Hotel „Abba Granada“, Tel. 00 34/ 9 58/80 78 07, www.abbagrana dahotel.com.
Literatur/Karten/Internet
Als erste Wahl hat sich der Reiseführer „Andalusien“ aus dem Michael Müller Verlag für 24,90 Euro hervorgetan. Ebenfalls top sind die Michelin-Straßenkarten Blatt 124 „Costa del Sol“ im Maßstab 1:200.000 für 7,99 Euro sowie Blatt 578 „Andalusien“, Maßstab 1:400.000 für 8,99 Euro. Im Internet finden sich für die Reisevorbereitung zudem folgende hilfreiche Adressen: