Motorradreise auf Island

Motorradreise auf Island Unterwegs auf der wildesten Insel Europas

Isländische Sommer stehen im Ruf, kalt und nass zu sein. Ein Klischee, das nicht immer zutrifft, denn Wetter ist wie Lotto: Jo Deleker hatte das seltene Glück und erlebte mit dem Motorrad einen Jahrhundertsommer mit nur sechs Regen- und 49 Sonnentagen.

Unterwegs auf der wildesten Insel Europas Deleker
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Die Sonne brennt vom tiefblauen, wolkenlosen Himmel auf eine öde schwarzbraune Wüste. Kleine Staubtornados wirbeln in der flirrenden Luft. Eine Fata Morgana gaukelt einen nicht vorhandenen See vor. Zwei Enduros ziehen lange Staubfahnen hinter sich her, rumpeln über eine graue sandige Piste. Wo sind wir? In der iranischen Wüste Lut? Der israelischen Negev? Keineswegs, dies ist die isländische Wüste Vikursandur. Nicht minder spannend als andere Wüsten, aber mit dem kleinen Unterschied, dass am Horizont ein riesiger weißer Berg den Blick magisch anzieht: der Vatnajökull, ein Gletscher von der Größe Korsikas.

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An seinem Nordrand ragt das Kverkfjöll auf, ein fast 2000 Meter hoher Vulkan. Eine zerklüftete Gletscherzunge fließt herunter, endet im schwarzen Sand der Wüste und gebiert dort einen wilden Fluss, die Jökulsá á Fjöllum. Genau dort bauen Birgit und ich unser rotes Zelt auf, der einzige Farbklecks weit und breit. Nachts um elf Uhr klettern wir auf einen alten Krater und sind sprachlos angesichts der Aussicht. Was für eine unfassbare Weite! Im Norden der breite Rücken des Vulkans Askja, daneben der markante Herðubreið, davor die schwarze Wüste, über die der Wind Staubvorhänge treibt, die im Gegenlicht der Mitternachtssonne leuchten. Grauer Vulkanstaub, den der Ausbruch des Grimsvötn im letzten Jahr hier abgeladen hat. Island ist anders, Island ist einzigartig und für diejenigen, die solche unberührten Urlandschaften mögen, die große Liebe. Oft betörend schön, dann schmerzhaft abweisend, selten gleichgültig und zumeist sehr emotional.

Geschlafen wird zu Hause

Die Sonne taucht Ende Juni für kaum zwei Stunden hinter den Horizont, treibt uns schon früh um drei wieder aus dem aufgeheizten Zelt. Schlafen kann ich auch zu Hause, Island ist viel zu intensiv, um es zu verpennen. Die Hochlandpiste F 902 fordert uns einiges ab, scharfkantiges Lavageröll, verspurte Tiefsandpassagen, ein paar erfrischende Furten, nervtötendes Wellblech. Den Enduros macht dieses Geläuf wenig aus, uns schon. Aber auch deswegen sind wir hier, freuen uns, dass solche Pisten die Spreu vom Weizen trennen, dass sich nur wenige ins einsame und anspruchsvolle Hochland trauen und lieber auf der geteer­ten „Islandautobahn“, der Ringstraße, um die Insel kreisen. Und so das Herz des Landes verpassen.

Tage später sind wir am Mývatn. Die Wüste ist Sand von gestern, hier ist alles grün, ein idyllischer Flecken mit Campingplatz und dem Dorf Reykjalið. Zeit zum Entspannen. Vor dem teuren Hotel parken drei maximal aufgerüstete blitzsaubere Riesenenduros, auf den Alukoffern prangen Aufkleber „Expedition Island 2012“. Stolz berichten die Piloten von ihrer zweiwöchigen Tour über die Ringstraße, meckern aber über den rauen Asphalt, der das Gummi von den potenten Stollenreifen frisst. Vor 25 Jahren, als wir erstmals in Island waren, natürlich mit XT 500 und R 80 G/S, trafen wir kaum Motorradfahrer entlang der Ringstraße, die waren alle im Hochland. Heute ist es umgekehrt. Die Zeiten ändern sich.

Wale sehen

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Auch Walfreunde kommen bei einer Fahrt mit dem Schiff womöglich auf ihre Kosten.

Die Straßen auch. Über ein nagelneues Exemplar schweben wir zum Dettifoss, dem mächtigsten Wasserfall des Kontinents. 100 Meter breit stürzt sich die Jökulsá á Fjöllum in eine 44 Meter tiefe Schlucht, ein tosendes Inferno aus schlammig braunem Wasser, ohrenbetäubend, atemberaubend, gewaltig. Ein paar Stunden später sind wir in Husavik, mit 2000 Einwohnern eine der wenigen Metropolen des Nordens. Wer nach Husavik kommt, will Wale sehen. Nirgendwo in Europa ist das einfacher. Mit der Náttfari, einem historischen Kutter aus Eiche, tuckern wir auf den Atlantik, fahren auf hohen Wellen Achterbahn und begegnen Buckelwalen hautnah. Ein Erlebnis, das niemand vergessen wird und das nachdenklich macht. Denn Island ignoriert das Walfangverbot, tötet noch immer die vom Aussterben bedrohten Finnwale und verscherbelt deren Fleisch nach Japan.

Wir folgen der Küste bis in die Westfjorde. Es ist kalt und sonnig, tiefe Nebelwolken branden gegen die Berge. Entspanntes Fahren, unsere Einzylinder tuckern mit 80 Sachen. Die fast verkehrsfreie Straße lässt nicht einen der zahlreichen Fjorde aus, Fjord rein, Fjord raus, 170 Kilometer Straße für 40 Kilometer Luftlinie bis Ísafjörður, immer im Blick die fast 1000 Meter hohen Berge, die Ende Juni noch tief verschneit sind.

Über an Aussichten reiche Schotterpässe fahren wir zum westlichsten Zipfel Europas. Vier Häuser, eine Kirche, ein menschenleerer Traumstrand und eine Campingwiese, das ist Breiðavik. Die Piste endet an der ­Kante des Látrabjarg, eine 400 Meter hohe senkrechte Felswand, die sich aus dem Nordmeer erhebt. Und dicht bevölkert ist von Papageitauchern, Dreizehenmöwen und Trottellummen, die ihren Nachwuchs aufziehen. Ein würdiges Ende des Kontinents.

Eine schwere Sprache

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Auch die heißen Quellen sind nicht zu unterschätzen.

Auf dem Zeltplatz treffen wir Ragnar aus Reykjavik. Er erzählt vom Beinahebankrott der Nation vor vier Jahren. Gierige Bankster verzockten Milliarden auf der blinden Jagd nach absurden Renditen. Die Regierung zog die Reißleine, verstaatlichte die Banken, räumte gnadenlos auf und sicherte das Überleben mit internationalen Krediten. Die Krone verlor die Hälfte ihres Werts, was das Leben für die Menschen verteuerte, für die Touristen verbilligte. „Und deshalb“, sagt Ragnar, „fliegen wir im Sommer nicht mehr nach Spanien, sondern machen Urlaub in unserem Land. Ist doch auch schön hier.“

Recht hat er. Doch es gibt auch langweilige Regionen, wie den Nordabschnitt der Hochlandstrecke Kjölur, ein welliges graues Nichts. Stundenlang rumpeln wir südwärts, den großen Gletschern Lang- und Hofsjökull entgegen, bis wir Hveravellir erreichen, eins der schönsten Geothermalgebiete: tiefe, blaue Löcher, in denen klares Wasser kocht, kleine Geysire und brodelnde Schlammquellen, dazwischen blühendes Wollgras. Neben der Berghütte gibt es einen Hot Pot, ein Becken mit heißem Wasser, das noch um Mitternacht bei minus zwei Grad unsere Glieder wärmt. Isländer lieben ihre Hot Pots, verbringen diskutierend und philosophierend Stunden darin. Ein Paar aus Reykjavik versucht, uns die isländische Sprache näherzubringen. Hoffnungslos. Simi heißt Telefon, wie einfach, Eyjafjallajökull ist der Inselberggletscher, das schaffen wir auch noch, aber bei Umferðaröngþveití – Verkehrsstau – verknoten sich die Zungen.

Allein in der arktischen Wunderwelt

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Die Magie der Arktis ist nirgendwo besser zu spüren als an einer der Gletscher­lagunen am Vatnajökull.

Das erste Augustwochenende steht an, drei Tage, an denen Reykjavik vielleicht der einsamste Ort der Insel ist. Traditionell fahren fast alle Hauptstädter aufs Land, um Partys zu feiern. Von wegen spröde Nordmänner. Man kann nur mitmachen oder flüchten. Wir flüchten ins Hochland, umrunden den Eyjafjallajökull, jenen Vulkan, der 2010 den Flugverkehr in Europa lahmlegte, zelten an glasklaren Flüssen und schwelgen in der friedlichen Ruhe. Damit ist es vorbei, als wir zurück auf der Ringstraße sind.

Die hat durchaus ihre Reize, vor allem in der Nähe des Vatnajökull, der imposante Gletscher bis auf Meereshöhe schickt. Einer der spektakulärsten Orte war für uns bisher der Jökusárlón, ein großer See, garniert mit Eisbergen jeglicher Größe. Früher konnte man hier einsam zelten und der Magie der Arktis verfallen. Heute ist Zelten verboten, auf dem Parkplatz stehen zehn Busse, 30 Wohnmobile und 50 Autos. 1000 Menschen lärmen die Magie davon. Erst nach Mitternacht kehrt Ruhe ein und für ein paar Stunden ist der Zauber zurück. Zum Glück finden wir den See Fjallsárlón, ebenfalls mit Eisbergen verziert. Hier ist man noch alleine in der arktischen Wunderwelt.

Tolkien lässt grüßen

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Ab durch die Mitte.

Wir kehren um und peilen die wohl schönste Hochlandpiste an, den Fjallabaksleið nach Landmannalaugar. Ein einspuriger Weg, garniert mit 15 Furten, windet sich achterbahngleich durch eine fremdartige Landschaft. Braune, schwarze und gelbe Berge, verziert mit Schneefeldern, rostroten Ascheflecken, grünen Moospolstern und bizarren Lavaskulpturen, die an versteinerte Trolle erinnern. Die Szenerie könnte auch einer Tolkien-Fantasie entsprungen sein.

Sie führt geradewegs zur berühmtesten aller Hochlandstrecken, der Sprengisandur. Hier wird die Einsamkeit des Hochlands greifbar, zwei winzige Motorräder auf dieser Fern-Seh-Piste, immer in Tuchfühlung mit den großen Gletschern. Die Schlüsselstellen sind zwei wilde Flüsse, die vom Vatnajökull kommen. Hier endet das Abenteuer nicht selten im Desaster. Vor 25 Jahren versenkte ich meine XT hier in einem brusttiefen Loch. Mit Mühe konnten wir die Yamaha ans rettende Ufer ziehen, das trübe Gletscherwasser war überall, im Motor, Auspuff, Vergaser, Luftfilter und in der Lampe. Vier Stunden schrauben und trocknen, dann lief die XT wieder. Heute sind wir vorsichtiger, gehen die Furten frühmorgens an, wenn der Wasserstand noch niedrig ist.

Später setzen wir das Zelt auf einen Hügel neben der Piste, mit fast grenzenloser Sicht bis zum Herðubreið und zur Askja. Blicken über die abweisende Sprengisandur, kein Gras, kein Moos, nur braune Steine, Sand und Lava. Staubfahnen wirbeln in der flirrenden glasklaren Luft, die Sonne brennt, am Horizont leuchtet der Vatnajökull. Die Stille verwirrt die Ohren. Island – was für ein Land am Rande Europas, wild, rau, einzigartig, monumental. Diese Insel zu erleben ist wie ein Sechser im Lotto.

Infos

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Staubige Lavapisten kreuzen durchs unbewohnte Hochland. Die Ausschilderung ist zumeist tadellos.

Island ist das wildeste Land Europas. Man kann die Insel auf der weitgehend asphaltierten Ringstraße umrunden und verlässt dabei nie die Zivilisation. So richtig spannend wird es aber erst auf den abenteuerlichen Pisten im
zentralen Hochland.

Allgemeines
Hauptstadt: Reykjavik
Fläche: 103 125 km²
Demokr. Republik seit: 1944
Währung: Isländische Krone
Einwohnerzahl: 319575
Der Beinahebankrott Ende 2008 veränderte das Land der 320 000 Menschen. Die Einschnitte der Regierung waren schmerzhaft, aber erfolgreich. Die internationalen Milliardenkredite wurden vorzeitig zurückgezahlt, die Wirtschaft wächst kräftig, die Touris­tenzahlen steigen jährlich um etwa 15 Prozent auf inzwischen 600000 pro Jahr. In die EU will nun auch kaum noch ein
Isländer. Island ist kein teures Reiseland mehr, seitdem die Krone die Hälfte ihres Werts eingebüßt hat.

Anreise
Am stilvollsten mit der Fähre Norröna der Smyril Line. Samstags (mit Zwischenstopp auf den Färöerinseln) und dienstags legt das Schiff in Hirtshals/Dänemark ab und kommt donnerstags früh in Seyðisfjörður in Ostisland an. In der Vorsaison kostet die Hin- und Rückfahrt inklusive Motorrad und Liege ab 486 Euro, in der Hochsaison ab 882 Euro. Infos bei www.smyrilline.de oder telefonisch unter 04 31/20 08 86.
Alternativ kann man sein Motorrad als Seefracht nach Reykjavik schicken und selber fliegen. Die Spedition InTime
(Info: www.intime-ham.com) bietet die komplette Seefracht für 1400 Euro an. Flug­tickets nach Reykjavik gibt es im Sommer ab etwa 350 Euro.

Motorradvermietung
In Reykjavik vermietet Biking Viking (www.ridingiceland.is) BMW-Motorräder. Eine G 650 GS kostet für zwei Wochen 1820 Euro, eine R 1200 GS 2660 Euro. Außerdem bietet die Firma geführte Touren an. Pauschalreisen sind auch möglich mit dem welterfahrenen Paar Rob und Dafne de Jong (Info: www.ride-onmotortours.com).

Reisezeit
Dank der geografischen Lage knapp unterhalb des Polarkreises beschränkt sich die Reisezeit auf den Sommer von Mitte Mai bis September. Im Sommer liegt die Tagestemperatur zwischen zehn und 20 Grad, im Hochland ist aber auch Nachtfrost möglich. Sommerliche Schneefälle kommen vor, aber auch „Hitzeperioden“ mit mehr als 20 Grad. Im Juni und Juli wird es nicht dunkel, die Sonne verschwindet nur für wenige Stunden. Der fast ständige Wind kann nerven.

Karte: MAIRDUMONT/Claudia Werel
Reisedauer: 2 Monate; gefahrene Strecke: 6000 Kilometer.

Übernachtungen
Es gibt etwa 100 einfache Zeltplätze, zumeist toll gelegen und günstig (www.camping.is). Freies Zelten ist außer in Nationalparks und auf Privatgrund erlaubt. Islands Wetter stellt hohe Ansprüche an die Ausrüstung. Ein sturmstabiles und wasserdichtes Zelt ist die beste Versicherung für ruhige Nächte. Hotels gibt es in den besiedelten Gebieten, sie sind aber in der Hauptsaison Juli/August oft ausgebucht und teuer.

Motorrad fahren
Die asphaltierten Straßen sind meist in gutem Zustand und mit jedem Zweirad befahrbar. Die Ringstraße ist, bis auf kurze Abschnitte im Osten, ge­teert. Im Hochland gibt es nur Pisten, meist hart, steinig und mit Wellblech verseucht, selten sandig. Hochlandstrecken, mit „F“ gekennzeichnet, haben keine Brücken, sämtliche Flüsse müssen gefurtet werden. Hüfthohe Watstiefel helfen beim Erkunden von schwierigen Furten. Reifen mit gröberem Profil erleichtern das Vorankommen. Das Fahren abseits der Pisten ist verboten und wird drastisch bestraft. Benzin kostet etwa so viel wie in Deutschland. Das Tankstellennetz ist dicht, doch für längere Touren im Hochland sollte die Reichweite mindestens 300 Kilometer betragen.

Literatur
Bestens bewährt hat sich der Island-Führer aus dem Michael Müller Verlag für 24,90 Euro. Empfehlenswert sind auch die Reiseführer vom Reise Know-How-Verlag für 23,90 Euro, von Lonely Planet und von Iwanowski, jeweils für 19,95 Euro. Beim Einstimmen zu Hause helfen der DuMont Bildatlas und das GEO-Spezial (je 8,50 Euro). Die besten und aktuellsten Landkarten kommen aus isländischen Verlagen, etwa der sehr gute Ferðakort-Straßenatlas im Maßstab 1:200 000 oder die detaillierten Einzelkarten von Mál og menning, zumeist an Tankstellen im Land zu bekommen. Ringstraßenfahrern reicht die 1:600 000er-Übersichtskarte aus dem gleichen Verlag oder das Island-Blatt aus dem Verlag Reise Know-How im Maßstab 1:425 000.

Für die Internetrecherche:
www.visiticeland.com
www.iceland.de
www.iceland.is
www.vegagerdin.is
Wetter: www.vedur.is
Fotos: www.jodeleker.de

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