Cindy, die junge Rezeptionistin unseres Hotels in San Diego verlässt fluchtartig ihren Tresen. Sie hetzt nach draußen, ihr Handy im Anschlag, schießt schnell ein paar Fotos von dem, was sich dort abspielt. Ein Wolkenbruch ertränkt die Stadt, man könnte auf der Straße Kajak fahren, sicher aber nicht Motorrad. Cindy kommt wieder rein, drückt die Taste ihres MP3-Players und wählt grinsend Albert Hammonds Song „It Never Rains In Southern California.“ Ist klar. Die Natur braucht den Regen, wir aber nicht. Almuth hat sich längst im Internet beim Weather Channel eingeloggt. Enthusiastisch erzählt der Wetterfrosch vom riesigen Sturmtief „Titan“, das Los Angeles binnen drei Tagen mehr Regen gebracht hat als sonst in einem Jahr. Wir sind weniger begeistert, breiten die Landkarte aus und sind uns schnell einig, nach Süden zu flüchten, auf die Baja California.
„Titan“ schwächelt am nächsten Morgen. Fix sind die Enduros gepackt, auf nach Mexiko. Wir suchen uns den schnuckeligen Grenzübergang von Tecate aus. Zum Glück sind wir in 30 Minuten durch, denn hinter uns droht „Titan“ mit schwarzen Wolken. Im Süden lockt der wolkenlose Himmel Mexikos. Über die kurvige MEX 3 schwingen wir durch grünes Bergland, Äcker, Wiesen und kilometerlange Weinstöcke, wo die Trauben für den famosen Rotwein der Baja reifen, und erreichen vor Ensenada die MEX 1, die sich 1700 Kilometer durch die Weite der Baja bis zum Cabo San Lucas zieht.
Nächste Tankstelle in 318 Kilometern
Noch ist die Baja wenig spannend, viel Verkehr, lange Straßenorte, graugrüne Felder, flaches Land. Da können wir dem Abzweig in die Sierra San Pedro Mártir nicht widerstehen. Das Gebirge sieht zunächst harmlos aus, bis sich die schmale Straße peu à peu zum Kracher mausert. Kurven, Kurven, Kurven, immer höher und höher, erst zwischen dicken runden Granitmurmeln, dann durch dichten Kiefernwald, bis uns auf 2650 Meter Höhe ein Schneefeld jäh stoppt. Schnee auf der Baja. Eine Fata Morgana? Wie war das mit hitzeflirrenden Wüsten? Nichts wie weg aus diesem Kühlschrank. Aber wir kommen nicht weit, als uns eine wahnwitzige Aussicht den Anker werfen lässt. Unzählige Bergketten staffeln sich im weichen Dunst bis hinunter zum Pazifik, baden im orangen Licht der untergehenden Sonne. Es ist mucksmäuschenstill, nur der Auspuff der Suzuki knistert ruhestörend vor sich hin. Schweigen und schwelgen.
Weiter auf der MEX 1, Tempo 90, immer geradeaus, „Easy Rider”-Country ohne jeglichen Reiz. Bis El Rosario, ein staubiges Nest im Nirgendwo. Am Ortsausgang kündigt das Schild „Nächste Tankstelle 318 Kilometer“ das berüchtigte „Baja Gas Gap“ an. Spannend. In weiten Schwüngen kurven wir in die Berge und fahren in die grandiose Einsamkeit des Parque Nacional del Desierto Central de Baja. Klingt wichtig und verheißungsvoll. Genauso ist es. Tausende der riesigen Cardón-Kakteen rotten sich zu lichten Wäldern zusammen, skurrile Elefantenbäume, sie sehen aus wie Mini-Baobabs, wachsen auf sandigem Boden, lilabraune Bergketten flimmern in der Mittagshitze. Wie in Trance fahren wir durch ein real existierendes Gemälde dieser mexikanischen Wüste. Unterwegs gibt es nur ein einziges Dorf, Cataviña. Die Ruine einer Pemex-Tankstelle, ein zu groß geratenes Hotel, gegenüber ein paar verstreute kleine Steinhäuser, ein nettes Café, ganz aus Kaktusholz gebaut, zwei Esel dösen im Schatten einer Plakatwand, und weit weg trottet ein Kojote durch die Wüste. Die Hektik wurde in Cataviña nicht erfunden.
Mama Grauwal mit ihrem Kalb
Weiter auf der MEX 1, es bleibt, wie es ist, Wüste, Kakteen, Einsamkeit, bis wir 250 Kilometer später Guerrero Negro erreichen, eine 12.000-Einwohner-Stadt in der trostlosen Küstenebene, gesegnet mit 1,5 Millimeter Regen. Pro Jahr. In Wuppertal regnet es doppelt so viel. Pro Tag. Aber es gibt einen guten Grund hierzubleiben: Grauwale, die im lauwarmen Wasser der Laguna Ojo de Liebre ihren Nachwuchs zur Welt bringen. Wir buchen eine Bootstour, wollen die Riesen der Meere hautnah erleben. Frühmorgens jagt Jorge mit seinem offenen Boot über das türkise Wasser der Lagune bis zu deren Mündung in den Pazifik. Motor aus und warten. Kaum fünf Minuten, dann taucht Mama Grauwal mit ihrem Kalb direkt neben uns auf. Die beiden haben offenbar Spaß daran, haarscharf unter dem Boot durchzutauchen, ihren Blas präzise über uns zu spritzen und ihre riesigen Köpfe so nah neben uns aus dem Wasser zu heben, dass wir sie berühren können. Genießen sie es? Scheint so. Wale streicheln, was für ein berührendes Erlebnis. Dass sie kalt und nass sind, überrascht uns weniger, aber dass ihre Haut weich wie ein Schwamm ist, damit hatte ich nicht gerechnet.
Kalt und nass, Attribute, die der Vizcaíno-Wüste völlig fremd sind. Selbst die MEX 1 mag sich in dieser windigen Einöde nicht lange aufhalten, verzichtet auf jedwede Kurve, um die 150 Kilometer bis San Ignacio zügig hinter sich zu bringen. San Ignacio ist ein Paradies, eine echte Oase im riesigen Dattelpalmenwald, ein altes koloniales Städtchen mit der von großen Laubbäumen beschatteten Plaza, wo die Siesta ein Dauerzustand ist. Was für ein schöner Ort. Aber für uns auch der Wendepunkt. Kalifornien lockt, und „Titan“ sollte sich inzwischen verzogen haben. Wir gehen auf Nordkurs, fressen Kilometer bis zur Bahia de Los Angeles an der Ostküste. Zelten direkt am stillen Meer, schlemmen abends in einem kleinen Strandrestaurant Muscheln, Fisch und Rotwein. Und erleben einen Sunrise, der auch ohne Tequila mächtig antörnt.
Baja und Kalifornien - der völlige Gegensatz?
Über eine raue Piste, mal steinig hart, mal tiefsandig weich, schwitzen wir weiter zur Bahia Gonzago, schweben über eine nagelneue Teerstraße entlang der wüstigen Küste der Cortéz-See bis Mexicali, wo wir problemlos in die USA einreisen. Die Baja liegt hinter uns, ein ganz besonderes Stück Mexiko. Und nun Kalifornien. Der völlige Gegensatz? Zunächst schon. Alles ist so sauber hier, adrette Orte, beste Straßen, zuverlässige Beschilderung, ein gemütliches Café kredenzt bei klassischer Musik warmen Apfelkuchen mit Karamellsoße, Harleys ballern ungedämpft über die kurvige 243 durch die San Jacinto Mountains, neugierige Amis mustern unsere Enduros und sind entzückt über die vielen Aufkleber aus fernen Ländern, die auf den Alukisten kleben. Where are you from? Germany. Ohhh. And your trip? From Costa Rica. Ohhhhh. Awesome! Einer schenkt uns zwei Müsliriegel, der nächste eine Landkarte. Reisen in diesem Land kann so einfach und angenehm sein.
Aber trotzdem bedrohlich, wie der Sandsturm, der uns anderntags von der Straße zu fegen versucht. Urplötzlich kommt diese gelbbraune und angsteinflößende Staubwand aus der Mojave-Wüste und vernebelt die Sicht. Mit Mühe erreichen wir den öden Ort Twentynine Palms und flüchten in die Sicherheit eines Motels. 15 Stunden später ist der Sturm Sand von gestern. Die Mojave umgarnt uns, als wäre nichts gewesen, begeistert mit ihrer menschenleeren Weite, ihren gelben Dünen, ockerbraunen Bergen und der endlosen Straße, die niemals den Horizont erreicht. Mit der Baja kann es die Mojave locker aufnehmen.
Pause im legendären „Roy’s Café“ an der Route 66, noch eine lange und einsame Portion Mojave, bis wir schließlich das Death Valley erreichen. Der Backofen Kaliforniens, im Sommer locker 50 Grad heiß, jetzt – im März – 28 Grad kühl. Auf den 3300 Meter hohen Panamint Mountains liegt sogar Schnee. Rund um Badwater, mit 85,5 Meter unter dem Meeresspiegel tiefster Punkt Amerikas, breitet sich eine weiße Salzebene aus, die von bizarr erodierten Bergen in allen Farben zwischen Gelb, Rot, Braun und Schwarz eingerahmt wird. Wer hier das warme Licht eines Sonnenaufgangs erlebt, vergisst es nie wieder. Faszination der Wüste. Und mittendrin, typisch USA, ein großer Golfplatz mit penibel gepflegtem Rasen. Rasenmäherfahrer im Death Valley, was für ein cooler Job!
Küstenstraße Highway 1 am Pazifik
Weiter geht’s in eine Welt, die das völlige Gegenteil zum Tal des Todes ist: der Sequoia-Nationalpark. Die 198 legt sich jenseits von Three Rivers mit den Bergen an. 2000 Höhenmeter feinster Teer, unzählige perfekte Kurven, genüsslich bollert die Ténéré bergwärts. Könnte ich mir eine Traumstraße basteln, sie würde genauso sein wie diese. Erst weit oben in der kühlen Luft der Sierra Nevada beruhigen sich Straße und Motorrad. Nicht aber der Fahrer. Warum nicht? Weil jetzt Bäume auftauchen, die so unfassbar groß sind, dass dicke deutsche Eichen dagegen wie Bonsais wirken. Sequoias, die mächtigsten Lebewesen der Erde. Der zweitausendjährige Grant Tree ist zehn Meter dick und 80 hoch. Der Sherman Tree hat sogar noch ein paar Meter mehr in der Krone. Lange stehen wir schweigend da und bestaunen ehrfürchtig diese Giganten. Sehr lange.

Nach einer sternenklaren Nacht im solide gefrosteten Zelt betteln wir darum, dass uns die Wärme der frühen Sonne streichelt. Tut das gut! Auftauen, Kaffee kochen, frühstücken, Mopeds packen und auf zum letzten Höhepunkt der Reise, dem berühmten Highway 1 am Pazifik. Südlich von Monterey wird es spektakulär. Der Hwy 1 gibt sich alle Mühe, seinem Ruf als eine der schönsten Küstenstraßen gerecht zu werden. Noch wabert kalter Seenebel gegen die Santa Lucia-Berge, und die Sonne müht sich, einzelne Strahlen durch die graue Pampe zu bohren. Es gelingt ihr immer öfter. Als wir ein nettes Café in Big Sur erreichen, hat sich der Nebel aufgelöst, unsere nassen Jacken dampfen mit dem XXL-Cappuccino um die Wette. Weiter über den West Coast Scenic Highway nach Süden. Entlang der steilen, zerklüfteten Küste, durch duftende Eukalyptuswälder, hoch über bilderbuchschönen Sandstrandbuchten – ein grandioser Straßenverlauf mit unendlich vielen Fotostopps. Ist das schön hier!
Aber so langsam verliert die Küste ihre Dramatik und Einsamkeit, bereitet sich auf Los Angeles vor. Über zwölfspurige Freeways kreuzen wir durch diesen Moloch, peilen den Hafen von Long Beach an und parken dort vor einer 310 Meter langen Legende, dem wunderschönen alten Atlantikliner „Queen Mary“, der hier als Museums- und Hotelschiff seinen letzten Liegeplatz gefunden hat. Ein würdiger Abschluss unserer Reise. Abends beim Mexikaner flimmert der Weather Channel im TV, droht ein neues Sturmtief für die nächsten Tage an. Höchste Zeit für einen Kurswechsel. Entweder auf die Baja oder nach Hause.
Info zur Motorradreise

Zwei Welten in einer Reise. So unterschiedlich die Baja California und Kalifornien auch sind, beide Regionen begeistern vor allem mit ihren tollen Landschaften und dem perfekten Frühlingsklima. Auf einer vierwöchigen Rundtour kann man die meisten Höhepunkte erfahren.
Anreise: Flüge von Frankfurt nach Los Angeles oder San Diego gibt es ab 650 Euro. Zur Einreise in die USA ist der Reisepass nötig, zudem das ESTA-Formular.
Reisezeit: Es gibt krasse klimatische Unterschiede zwischen Wüsten, Bergen und Küste. Im Winter können kalte Stürme das Reisen in Kalifornien erschweren. Oft sind die höheren Gebiete wie die Sierra Nevada verschneit. Ab März sind die meisten Bergstraßen wieder offen. Auf der Baja herrscht ein semiarides Klima, im Winter mit 20 bis 30 Grad sehr angenehm, ab Ende März geht die Temperatur nicht selten weit über 40 Grad. Die besten Zeitfenster für die beschriebene Reise sind im Frühling und Herbst, die Baja und die niedrigen Regionen Kaliforniens gehen natürlich auch im Winter.
Unterwegs & Übernachten: Abgesehen von den Ballungsgebieten rund um Mexicali und Tijuana, in Kalifornien rund um Los Angeles und San Diego, ist der große Rest der Baja und Kaliforniens extrem dünn besiedelt. Endurofahrer finden auf den rauen Pisten der Baja ihr Paradies, Straßenfahrer vor allem auf den Bergstraßen Kaliforniens. Die spontane Suche nach einer Unterkunft ist zumeist problemlos. Hotels gibt es auf der Baja für 20 bis 30 Euro. In Kalifornien liegen die Preise deutlich höher. Freies Zelten ist auf der Baja kein Problem, es gibt aber auch Campingplätze, allerdings deutlich weniger als in den USA, wo die Plätze wesentlich besser ausgestattet sind.
Motorrad: Die Gretchenfrage „eigenes Motorrad mitnehmen oder vor Ort mieten“ hängt hauptsächlich von der zur Verfügung stehenden Zeit ab. Bei Reisen diesseits von fünf Wochen ist Mieten günstiger und einfacher. Mietmotorräder in L.A. gibt es hier: www.motoquest.com. Eine BMW F800 GS kostet pro Woche 490 Euro, eine Sertão oder V-Strom 650 jeweils 390 Euro. www.eaglerider.com bietet Harley Sportster zum Wochenpreis von 590 Euro an, die Triumph Bonneville gibt es für 720 Euro. Bei www.usamotorradreisen.de gibt es eine R 1200 GS für 680 Euro. Die gleiche BMW kostet beiwww.rental-motor cycle.com 660 Euro und bei www.bikeworld-travel.de 480 Euro. Sämtliche Preise gelten für die Nebensaison im Winter. Sommerpreise liegen bis zu 50 Prozent höher.
Nicht alle Anbieter erlauben den Grenzübertritt nach Mexiko und das Befahren von Pisten. Also vor dem Mieten genau nachfragen. Wer lieber mit dem eigenen Motorrad fahren möchte, hat die Wahl zwischen Luft- und Seefracht. Olaf Kleinknecht bietet beide Varianten an (Info: ojk@intime-ham.com). Die Seefracht mit einem RoRo-Schiff von Bremerhaven nach L.A. kostet 1175 Euro, der Rückweg im Fahrzeug-Sammelcontainer ist genauso teuer. Als Luftfracht mit Fly and Ride von Air Berlin schlägt das unverpackte Motorrad mit 2200 Euro zu Buche. Deutlich günstiger ist der Transport in einer selbst gebauten Kiste. Eine Yamaha Ténéré fliegt dann in einem 190 x 80 x 110 Zentimeter großen Verschlag für 1250 Euro nach Los Angeles, eine BMW R 1200 GS in einer 230 x 108 x 150 Zentimeter großen Kiste kostet 2000 Euro. Für den Rückweg per Flieger wird’s dann aber happig. Die dicke BMW kostet 3265 Euro. Wir waren mit zwei Einzylindern unterwegs, einer Yamaha XT 660 Ténéré und einer Suzuki DR 650 SE. Auf knapp 20 000 Kilometern von Costa Rica bis Los Angeles hatten wir außer zwei Plattfüßen keine einzige Panne. Die XT kam mit einem Reifensatz Heidenau K60 aus, die DR mit einem Satz Mitas E07.
Reiseführer & Karten: Für Kalifornien ist die Auswahl groß. Die besten Führer für Individualreisende kommen aus den Verlagen Reise Know-how (USA Südwest für 23,50 Euro sowie Kalifornien Süd für 22,50 Euro), Iwanowski (Kalifornien, 25,95 Euro) und Stefan Loose (Kalifornien, 24,95 Euro). Für die Baja gibt es derzeit nur ältere Reiseführer. Ansonsten ist diese Region in Mexiko-Führern integriert, beispielsweise im Buch von Stefan Loose (25 Euro). Gute Karten für beide Regionen
bietet der Verlag Reise Know-how an. Openstreetmaps offeriert auf seiner Internetseite Karten fürs Navi.