Zehn Jahre habe ich auf diesen Moment gewartet, habe ich mich wieder in die algerische Sahara gesehnt. Bis in die jüngste Gegenwart hat ein Bürgerkrieg Reisen in dieses Land nahezu unmöglich gemacht. Und nun befinde ich mich bereits in der Oase Bordj Omar Driss und begreife erst hier allmählich, dass ich tatsächlich den »Garten Allahs«, so die arabische Bezeichnung für diese Wüste, erreicht habe. Ein irres Gefühl.Vor mir liegen das Erg Tifernine, die Oasen Djanet und Tamanrasset sowie die über 3.000 Meter hohen Gipfel des Hoggar-Gebirges. Und die legendäre Gräberpiste, deren Beschreibung ich längst auswendig zitieren kann: »Strecke wenig befahren,...gute Karten, Kompass oder Satellitennavigation unerlässlich,...stets ausreichend Treibstoff und Trinkwasser dabei haben...” So oder so ähnlich ist es in jedem Reisefüher zu lesen.
Der beste Ort für Weihnachen
Zwei Tage später. Heiligabend. Mein Zelt steht am Fuße des Erg Tifernine. Bis zu 350 Meter hohe Sandberge. Die höchsten Algeriens, die steil in den Nachthimmel ragen und in diesem Moment das Licht der Sterne reflektieren. Die Schönheit dieser Landschaft raubt mir den Atem. Dazu diese Stille, die fast schon unheimlich ist. Ich kann mir keinen besseren Ort für Weihnachen vorstellen. Meinen Begleitern, die einen Land Rover bewegen, in dem sich meine Trinkwasser- und Benzinvorräte befinden, geht es ähnlich.
Auf dem Weg hierher haben wir bizarr geformte, schwarze Berge passiert. Schließlich haben wir die ersten goldfarbenen Dünengürtel entdeckt, dann tauchte wieder saftiges Grün mitten in der Wüste auf. Palmen, Akazien, Kamelgrasbüschel. Eine Sinfonie für die Augen. Sahara macht süchtig. Wir lesen uns aus der Bibel vor. Dann erklimme ich eine Düne, fühle mich völlig dieser Landschaft ausgeliefert. Der Stress der langen Anreise ist vergessen. Auch die Gefahren rücken in die Ferne. Unsere Route wird uns etwa 6.000 Kilometer durch dieses Land führen. Im Augenblick steht mit der Gräberpiste die wohl schwierigste Etappe an: 1.000 Kilometer ohne Versorgung. Bordj Omar Driss, der letzte Außenposten der Zivilisation, liegt bereits 250 Pistenkilometer hinter uns.
Früh am nächsten Morgen. Ein Knopfdruck, und der Einzylinder bollert im Standgas. Ich hoffe, dass auch heute alles gut gehen wird. Die Vibrationen des Motors schütteln auf einen Schlag alle Spannung von mir ab. Klack, erster Gang. Kupplung, Gas. Der Hinterreifen droht sich einzugraben. Weich hier. Mehr Gas. Sand und Steine fliegen durch die Luft. Die Maschine kommt langsam in Fahrt. Klack, Zweiter. Jetzt schwimmt sie auf. Klack, Dritter. Speeeed! Genau in diesem Augenblick breche ich aus, fühle, dass es gut ist, hier zu sein. Wüste in allen Farben und Formen fliegt an mir vorbei. Ich fahre wie im Rausch. Trotzdem begegne ich dieser Landschaft mit Respekt. Bewundere ihre Schönheit, unterschätze nicht ihre Macht und Gewalt.
Motor versagt mitten im Dünenfeld
Nur eine Tagesreise weiter. Plötzlich hat der Motor keine Leistung mehr. Mitten in einem Dünenfeld und noch dazu an einer ziemlich steilen Passage. Ich bleibe einfach stehen, ganz langsam stirbt der Motor vollends ab. Wie ein verendendes Tier. Wind kommt auf, legt im Eiltempo an Intensität zu. Scheinbar stellt sich jetzt alles gegen mich. Nach nur zehn Minuten presst ein ausgewachsener Sandsturm die Körnchen schmerzhaft ins Gesicht, versetzt der Haut Nadelstiche, reibt in den Augen, rieselt in die Ohren. Die Sonne geht unter, und seit heute Morgen habe ich gerade mal 40 Kilometer gepackt. Im Windschatten eines Felsens zerlege ich mit der Taschenlampe bewaffnet den Vergaser. Und? Nichts. Komischerweise läuft die Karre nach dem Zusammenbau wieder.
Am nächsten Morgen starte ich die Maschine mit einem mulmigen Gefühl. Meinen Freunden gegenüber zeige ich Zweckoptimismus. Und richtig: Der Segen hält kaum fünf Kilometer. Das Motorrad verweigert erneut seinen Dienst. Aber wir können keinen weiteren Tag mehr für die Fehlersuche opfern. Unser Trinkwasservorräte neigen sich bereits dem Ende zu. Sicherheit geht nun vor. Wir müssen die Maschine zurücklassen, verstecken sie hinter einem Felsen und tarnen sie gut. Dann klettere ich in den Land Rover, bin völlig deprimiert.
Nach ausgiebigem Kartenstudium beschließen Christoph, Greti und ich, ein Militärcamp anzusteuern. 270 Kilometer entfernt von meiner Maschine. Auf der Fahrt spreche ich wenig. Meine Gedanken kreisen um meine MZ. Langsam beginne ich, die Situation zu akzeptieren, stelle mir vor, dass ich so einen Totalausfall in dieser gottverlassenen Gegend ohne den Land Rover meiner Freunde unter Umständen mit meinem Leben bezahlen würde. Was ist schon ein Motorrad gegen mein Leben? Gar nichts. Ersetzbar. Wir fahren bis in die Dunkelheit hinein, bis sich endlich die Umrisse eines alten französischen Forts im Fernlicht abzeichen. Überall Stacheldraht. Bewaffnete Uniformierte stoppen uns rüde, kontrollieren die Papiere und wollen wissen, was wir hier zu suchen hätten. Wir erklären unsere Situation. Die finsteren Mienen der fremden Menschen hellen sich auf. Man reicht uns die Hand: »Mafisch muschgella« – kein Problem. Wir werden das Motorrad bergen. Die GPS-Koordinaten meiner liegengebliebenen Maschine wollen die Militärs noch wissen. Dann verschwinden sie mit einer riesigen Landkarte in der Dunkelheit.
Waffen und Munition würden für Regierungsumsturz reichen
Ich schlafe unruhig diese Nacht. Die Soldaten haben versprochen, mich um sieben Uhr abzuholen. Aber erst um halb neun verlassen wir das Fort mit zwei Geländewagen, acht Soldaten, Sprit für 1.000 Kilometer und genügend Waffen und Munition, um damit einen kleinen Regierungsumsturz veranstalten zu können. Ich komme mir vor wie ein Guerilliakämpfer. Nach fünf Stunden haarsträubender Fahrt und einem Beinahe-Überschlag ist das Versteck endlich erreicht. Die Soldaten sind von der Tarnung beeindruckt – das Motorrad ist für sie auch aus nächster Nähe nicht zu entdecken. Die MZ wird schleunigst auf dem Pick-up verstaut. Aber die Sonne steht schon tief, und wir werden das Camp niemals bei Helligkeit erreichen können. Das macht mir Kopfzerbrechen. Navigieren in schwierigem Gelände und bei Nacht. Ob das gut geht? Doch wenigstens habe ich vorgesorgt: Die schwierigen Passagen der Hinfahrt sind komplett als GPS-Track im Navigationsgerät gespeichert. Mit Hilfe dieser virtuellen Schnur kann man wieder aus dem größten Landschafts-Labyrinth wieder herausfinden. Theoretisch.
In der Dunkelheit jagt unser Konvoi als ein winziger schwarzer Fleck auf dem GPS-Display von Navigationspunkt zu Navigationspunkt. Noch 100 Kilometer zum Camp. Meine militärischen Begleiter sind nervös – bis in der Finsternis zwei Steinmännchen auf einem markanten Hügel auftauchen. Die haben wir bereits auf der Hinfahrt gesehen. Jubeln, Schulterklopfen, Freude. Alle sind erleichtert. »Allah u akbar« – Gott ist groß. Wir sind auf dem richtigen Weg, erreichen schließlich das Camp.In der Ruhe liegt die Kraft. Ich zerlege ein weiteres Mal den Vergaser in alle Einzelteile. Und finde den Fehler, der für das K.o. der Maschine verantworlich war. Verunreinigtes Benzin hat einen winzigen Filter im Vergaser verstopft. Mit dem guten Sprit der Soldaten läuft meine Enduro wieder einwandfrei. »Al Handullilah.« Gott sei Dank.
Die MZ läuft wieder
Klack, erster Gang.... Das tägliche Spiel beginnt von neuem. Wir halten uns in Richtung Westen. Auf einen Besuch in der Oase Djanet müssen wir leider verzichten. Die Zeit wird knapp. Also gleich Richtung Tamanrasset. Endlich zeichnen sich die markanten Gipfel des Hoggar-Gebirges in der Ferne ab. Bis zu 3.000 Meter hohe Zinnen, die im Abendlicht feuerrot leuchten. Es sind Basaltpfropfen einstiger Vulkane, deren Kegel durch Wind und Wetter abgetragen wurden – und die den südlichsten Punkt unserer Reise markieren.Tags darauf bunkern wir Wasser und kaufen ein paar Lebensmittel in Tamanrasset, wo es zu dieser Jahreszeit recht lebhaft zugeht. Enduros und Geländewagen. Individualreisende und Gruppen. Alle, die im Süden Algeriens unterwegs sind, passieren diesen Ort, der längst über eine gut ausgebaute Straße zu erreichen ist.
Schließlich verschwinden wir wieder aus dieser Stadt und peilen dieses wunderbare Gebirge an. Eine Piste windet sich bergauf, ich lasse die MZ laufen und erreiche den Assekrem-Sattel lange vor meinen Freunden. Schließlich machen wir es uns – so gut es eben geht – in einer Berghütte bequem. Es gibt sogar Feuerholz für den Kamin. Mit einem Glas Rotwein stoßen wir später draußen bei Minusgraden auf das neue Jahr an. Am nächsten Morgen beginnt die lange Rückfahrt. Um fünf Uhr stehen wir schon wieder draußen im eisigen Wind. Um einen Sonnenaufgang zu sehen, wie er an kaum einem anderen Ort zu erleben ist. Wir maschieren schließlich noch zu der kleinen Kapelle des Pater Foucault, erhalten Gottes Segen für eine sichere Heimfahrt.
Extrem steile Abfahrt vom Pass Tamanrasset
Das kann bestimmt nichts schaden: Die berüchtigte Nordabfahrt vom 2.700 Meter hohen Pass nach Tamanrasset ist extrem steil und eigentlich nur eine kaum erkennbare Spur im groben Geröll. Ausschließlich in den ersten beiden Gängen manövriere ich die MZ bergab. Bisweilen trialartige Passagen. Das Fahrwerk meiner MZ lässt sich aber auch hier nichtaus der Ruhe bringen. Dann geht alles viel zu schnell, ja, gemessen an dem, was hinter uns liegt, viel zu einfach. Die Türme des Hoggar werden in den Rückspiegeln immer kleiner, schließlich fliegen wir über die alte Amguid-Piste in Richtung der algerisch-tunesische Grenze, die wir drei Tage später erreichen. Der Verkehr, der Lärm, das hektische Treiben am Hafen in Tunis reißen mich aus meinem Traum, der zwischenzeitlich ein kurzer Alptraum war. Aber nach zehn Jahren war ich endlich wieder im Garten Allahs. Nur das zählt in diesem Moment für mich.
Infos
Reisen nach Algerien sind zur Zeit problemlos möglich. »Wüstenfüchse«, die zudem noch mit einem Begleitfahrzeug reisen, kommen in diesem Land voll auf ihre Kosten. Selbst Sahara-Anfänger können praktisch auf einer ausgebauten Straße bis zum Hoggar-Gebirge fahren.
Anreise Die Anreise nach Algerien erfolgt in der Regel über Tunesien. Dorthin gelangt man per Fähre von Genua oder Marseille. Von Genua aus fahren die Linien Corsica Marritima und SNCM nach Tunis. Infos und Buchung unter 06196/42911-13. Hin und zurück sind pro Peron und Motorrad in der günstigsten Kategorie ab etwa 350 Euro zu zahlen. Von Marseille kann man ebenfalls mit Fähren der Gesellschaft SNCM nach Tunis gelangen. Hier werden hin und zurück pro Person und Motorrad ab zirka 472 Mark fällig. Von Tunis sind es etwa 500 Kilometer bis zur algerischen Grenze zwischen Tozeur und El Wad.DokumenteFür Algerien benötigt man ein Visum (30 Euro), das bei der Botschaft der Demokratischen Volksrepublik Algerien, Görschstraße 45-46, 13187 Berlin, Telefon 030/48098724 zu bekommen ist. Einen Visumsantrag kann man sich im Internet bei dem Afrikaspezialisten Därr (www.daerr.de) herunterladen. Dort finden sich auch viele aktuelle Infos über Sicherheit, Pistenzustände oder Versorgungsmöglichkeiten. Internationaler Führer- und Fahrzeugschein sind empfehlenswert. In Algerien wird ein Pflichtumtausch in Höhe von 2000 algerischen Dinaren (etwa 31 Euro) fällig. Die Wechselquittungen müssen bis zur Ausreise aufbewahrt werden. Alle eingeführten Devisen, Reiseschecks, Videokameras und Fotoapparate müssen auf einer Devisendeklaration eingetragen werden. Der Durchschlag bleibt beim Zoll.Reisezeit Wegen der extremen Hitze ist eine Sahara-Reise in den Sommermonaten nicht empfehlenswert. Die beste Reisezeit ist von Anfang Oktober bis Ende Mai. In den Wintermonaten ist sogar mit Nachtfrost zu rechnen.AusrüstungWer ohne Begleitfahrzeug in Algerien unterwegs ist, kommt um die Anschaffung eines größeren Tanks und eines entsprechenden Gepäcksystem kaum herum. Die Firma Touratech bietet für fast alle gängigen Enduros entsprechende Systeme. Infos unter Telefon 07728/92790; www.touratech.de. In Sachen Reifen hat sich die Kombination von Michelin Desert (Hinterrad) und Conti TKC 80 (Vorderrad) sehr gut bewährt. Zusätzlichen Schutz gegen Pannen bieten die robusten Elefantenschläuche. Da man im Weichsand mit reduziertem Luftdruck unterwegs ist, sollte man entsprechende Reifenhalter montieren, die ein Durchdrehen des Reifens auf der Felge verhindern. Wer abseits der Pisten – zum Beispiel durch die Dünen des Erg Tifernine – fahren möchte, sollte auf jeen Fall ein GPS besitzen. Das MOTORRAD ACTION TEAM bietet am 8./9. Juni 2002 einen Satellitennavigationskurs an. Infos unter Telefon 0711/182-1977; www.motorradonline.de,Literatur Fast schon ein Klassiker ist »Durch Afrika« von Erika und Klaus Därr aus dem Verlag Reise Know How. Auf 1100 Seiten findet man neben einer ungeheuren Menge an Infos auch zahlreiche Streckenbeschreibungen mit GPS-Daten. ISBN-Nr. 3-89662-011-8, 29,04 Euro.Die vermutlich beste Übersichtskarte ist Blatt 953 von Michelin im Maßstab von 1:4000000. Für Fahrten abseits der Hauptrouten empfehlen sich russische Generalstabskarten im Maßstab von 1:200000 oder IGN-Karten im Maßstab von 1:500000, die bei Expeditionsausrüstern erhältlich sind.