Auf dem Weg nach Feuerland begegnet man zahlreichen Kulturen, darunter auch längst vergangenen, wie der der Maya.
Auf dem Weg nach Feuerland begegnet man zahlreichen Kulturen, darunter auch längst vergangenen, wie der der Maya.
Aus wir wird wieder ich, ab heute geht’s für mich wieder alleine weiter. Das heißt auch, dass ich wieder früher aufstehe bzw. früher losfahre. Schon gegen 8 Uhr bin ich unterwegs, will heute ein bisschen Strecke machen. In den letzten Tagen hatte ich immer im Hinterkopf, etwas langsam unterwegs zu sein. Was an sich ideal ist und mir auch Spaß macht, allerdings habe ich einen fixen Termin, an dem ich in Santiago de Chile sein muss. Bis dahin liegt noch ein weiter Weg, aber nur noch drei Monate vor mir.
Zunächst fahre ich auf kleinen Landstraßen Richtung Südosten, dem Meer entgegen. In kleinen Dörfern verkaufen Einheimische Produkte aus Holz. Möbel, Spielzeug, Küchenzubehör, sogar ganze Türen und Fensterrahmen stehen am Straßenrand und warten auf Käufer. Die Frauen sehen aus, wie ich es erst für Bolivien oder generell Südamerika erwartet hatte: sehr bunte, traditionelle Röcke und Blusen, bunter Schmuck an Hals und Handgelenken, lange schwarze Haare, von harter Arbeit zermürbte Gesichter. In unserer Vorstellung tragen die Mexikaner einen Oberlippenbart, stimmt‘s? So ist es auch.
Fast jeder Mann, sogar die jungen, trägt Schnauzer. Und Hut, keinen Sombrero, sondern einen klassischen Cowboyhut. Dazu sind die meisten gut beleibt, in Mexiko sollen nach den USA die meisten übergewichtigen Menschen leben. Also: dicker Bauch, Schnauzer, Cowboyhut – kein Vorurteil, sondern Realität.
Die Landstraßen sind relativ gut, die Umgebung schön, nur leider komme ich relativ langsam voran. Auf einem passenden Stück wechsle ich auf die Mautstraße. Zwei Spuren in jede Richtung, Tempolimit offiziell 110, kaum Verkehr. Hier komme ich gut voran, zahle dafür aber umgerechnet 20 Euro, was in Mexiko nicht wenig ist.
Zur Abwechslung nehme ich wieder ein Stück Landstraße und werde bei einer Militär-Kontrolle angehalten. Ich stelle mich wieder dumm, muss aber trotzdem kurz meinen Packsack öffnen. Alles in Ordnung, weiter geht’s. Nach stundenlanger Fahrt erreiche ich endlich das Meer, und fahre noch ein gutes Stück weiter. Es geht durch Acapulco und die Stadt ist mir auf Anhieb unsympathisch. Dreckig, laut, unglaublich schlechte Straßen, die zudem nur verstopft sind – hier hält mich nichts. Mag ja sein, dass es hier einen langen und tollen Strand gibt, aber den finde ich woanders auch, also weiter.
Ich halte in Ixtapa, und das muss so etwas wie Nizza, Cannes oder St. Tropez für uns sein, jedenfalls stehen hier nur große teure Hotels, bis zur nächsten Stadt ist es jedoch zu weit für heute. Ich drehe um und parke am Straßenrand, um mich mal umzusehen. Keine zehn Sekunden später hält neben mir ein Motorroller und der Fahrer fragt, ob ich ein Hotel suche. Er scheint das schon zu kennen. Ich sage ja, aber ein billiges – was kostet es denn hier so? 1000 Pesos sagt er. 200 sage ich. 500 sagt er und ich erhöhe mein letztes Angebot auf 250 Pesos. Er nickt und meint, ich solle ihm folgen. Das Hotel ist gleich hinter der Straße, nicht weit vom Strand entfernt. Er spricht mit der jungen attraktiven Dame an der Rezeption, ich stehe daneben. 250 sind ihr zu wenig, 300 müssten es schon sein. Mir geht es nicht um die 50 Pesos, also umgerechnet nicht mal 3 Euro, sondern ums Prinzip. Denn ich weiß mittlerweile, dass es für das Geld in Mexiko immer Zimmer gibt. Sie lässt sich nicht erweichen, ich gehe schon zum Motorrad zurück, setze meinen Helm auf, da kommt aus dem Nachbareingang ein etwas besser angezogener Mann. Der Schlepper mit dem Motorroller sagt, dass sei der Boss, und nun spricht er mit ihm und etwas widerwillig gibt der Chef sein Ok, ich kann bleiben. Das Zimmer ist auch definitiv nicht mehr wert als 250 Pesos, aber es ist akzeptabel. Ich drücke meinem Vermittler ein paar Münzen in die Hand und alle sind glücklich.
Den kurzen Rest des Tages lege ich mich an den Strand, auf die Liegen der teuren Hotels und trinke eine teure, aber schlechte Margarita. Ich schreibe oft, dass es hier teuer und schlecht ist – leider ist es wirklich so. Und ich habe hier bestimmt keine hohen Ansprüche.
Langsam, sehr langsam geht es voran auf der MEX200, der Straße, die an der Südküste entlang führt. Leider führt sie nicht direkt am Meer entlang, sondern immer fünf bis 20 Kilometer im Landesinneren. Und dort sieht es fast überall gleich aus. Dichter grüner Wald, fast ein Dschungel, hin und wieder Palmenplantangen, Brücken über breite Flüsse, überschwemmte Wiesen.
Klingt gut, aber nach etlichen Stunden wird es zunehmend öde.
Mein Tagesziel Puerto Angel liegt nur 250 Kilometer entfernt, trotzdem brauche ich mehr als vier Stunden. Aber es lohnt sich. Ich war noch nie im indischen Goa, aber ungefähr wie hier muss es dort auch sein. Zumindest stelle ich es mir so vor.
Ein langer Strand, direkt daneben Hütten und kleine Hotels vor denen überall Hängematten baumeln. Junge Leute spazieren am Strand umher, überall wird gekifft, die Frauen – auch Einheimische – laufen oben-ohne rum. Nett hier. Im „Posada Mexiko“ zeigt mir die Vermieterin eine Art Turmzimmer: rund, zweiter Stock, Palmdach, eigenes kleines Bad, alles schön eingerichtet, drei Betten.
350 Pesos sind dafür ein Schnäppchen, aber was soll ich mit drei Betten? Ich nehme ein kleineres, günstigeres Zimmer, keine 20 Meter vom Strand entfernt, in dem ich Brandung rauschen höre.
Stundenlang sitze ich am Strand, lese, sonne mich und ruhe mich aus. Hier könnte ich es durchaus noch etwas aushalten.
Ohne richtiges Ziel für heute starte ich nach dem Frühstück Richtung Osten, es geht wieder am Meer entlang. Noch vor wenigen Tagen habe ich im letzten Blogeintrag die Yamaha so sehr gelobt, weil sie bis dato absolut problemlos alles mitmacht. Bis heute. An einer Tankstelle setze ich mich auf den Bordstein, um etwas zu trinken, und dabei sehe ich, dass der rechte Gabelholm Öl verliert. Das muss erst vor kurzem passiert sein, denn beim letzten Rundgang vor ein paar Tagen war alles in Ordnung. Eigentlich kann es nur an den hunderten oder gar tausenden „Topes“ liegen, die ich hier in Mexiko bislang überqueren musste.
Topes sind Temposchwellen aus Beton, die überall im ganzen Land an sinnvollen und sinnlosen Stellen den Verkehr ausbremsen. Eigentlich eine gute Sache, denn ansonsten würden die Mexikaner mit Tempo 100 durch die Dörfer fahren. Es gibt offizielle Topes, die weiß-gelb markiert, schön breit, relativ flach und harmlos sind. Oft stehen sogar Warnschilder in ausreichendem Abstand, damit man rechtzeitig bremsen kann. Und dann gibt es die Topes, bei denen es mir so vorkommt, als wenn sie ein Ladenbesitzer mitten in der Nacht vor seinem Geschäft auf die Straße gegossen hat, damit alle möglichst langsam an seinem Laden vorbeifahren, gucken und vielleicht etwas kaufen.
Bis zu 20 Zentimeter hoch, nicht markiert, an nicht einsehbaren Stellen, oft mehrere hintereinander – sie rauben mir die Nerven. Die Mexikaner fahren teilweise so langsam darüber, dass ich ein Fuß von der Raste nehmen muss, wenn ich dahinter bin. Und es gibt sie wirklich in Massen und überall; außer auf den Mautstraßen. Ich weiß nicht, ob es wirklich an den Schwellen liegt, denn eigentlich sollte ein Motorrad wie die XT1200Z sowas wegstecken, jedenfalls wollte der Gabel-Simmerring nicht mehr dichthalten.
Aber hin und wieder gibt’s im Leben riesige Zufälle. In Tuxtla Gutierrez halte ich am McDonald‘s, um mir im Internet ein Hostel zu suchen. In einer Ecke sitzt ein Mann mit einem Yamaha-Hemd. Während ich esse geht er vorbei, sieht meine Motorradklamotten und fragt in gutem Englisch, was ich für ein Motorrad fahre. Es stellt sich heraus, dass er Yamaha-Händler ist und sein Laden keinen Kilometer entfernt liegt.
Die 30.000er-Durchsicht steht demnächst an, und wo ich ihn jetzt schon mal kenne, er einen seriösen Eindruck macht und sein Laden und die Werkstatt auch passabel aussehen, lasse ich sie gleich bei ihm machen. Leider waschen die Jungs die Maschine mehr als mir lieb ist, jetzt sieht sie gleich wieder viel neuer und teurer aus. Das Beste: Der Händler hat die Gabel-Simmerringe auf Lager! Doch das wechseln würde Stunden dauern und es ist bereits 18 Uhr; und ich will heute noch nach San Cristobal de las Casas – auf Empfehlung des Händlers. Es soll eine schöne, ruhige Stadt sein und ich würde nur 30 Minuten brauchen.
In San C.de la C. fahre ich zum Hostel, das ich mir im McDonald’s herausgesucht habe.
Leider ist es voll, doch wenn es eines hier gibt, dann Hotels und Hostels. Ich bin müde und halte am erstbesten Hostel. Das „Planet Hostel“ in San Cristobal de las Casas ist eher eine Absteige. Kaum Gäste, muffige dunkle Zimmer, das Bettzeug… naja, reden wir nicht drüber.
Für eine Nacht ist es okay und nach zehn Uhr abends kann ich das Motorrad direkt ins Hostel fahren und parke unmittelbar neben dem Tisch der Rezeption und den Computern.
Gleich morgens ziehe ich ein anderes, deutlich schöneres Hostel um. Den Rest des Tages ruhe ich mich aus, wasche meine Wäsche und erstmals seit drei Monaten auch das Innenfutter des Helms. In einem kleinen Heimwerkerladen kaufe ich Klebstoff und repariere den Klettverschluss, mit dem ich das Telefon auf dem Tankrucksack befestige. Dinge des Alltags eben. Mehrmals spaziere ich durch die schöne Altstadt, gehe essen und lasse es mir gut gehen.
Wer in einem Zimmer mit sechs oder mehr anderen Leuten schläft, braucht keinen Wecker zu stellen. Es gibt immer jemanden, der früher raus muss als man selbst. Gegen 6 Uhr geht das Gepolter los, wenn einer fertig ist, fängt der nächste an zu kramen.
Kurz nach 8 Uhr bin ich unterwegs auf dem Weg nach Palenque. Die Ruinen der Maya liegen zwar nur rund 200 Kilometer entfernt, aber die Straße ist kurvig, eng und bei Nässe rutschig. Busse brauchen fünf Stunden, ich rechne mit vier. Es geht tatsächlich unglaublich langsam voran, Dorf an Dorf, Temposchwelle an Temposchwelle. Zwar regnet es nicht mehr, an vielen Stellen läuft aber immer noch Wasser über die Straße. In einer nassen Linkskurve mit schmutziger Fahrbahn merke ich, wie das Hinterrad gefühlt zwei Meter weit nach außen wegschmiert. Das war knapp, dabei war ich schon recht langsam unterwegs. Die Strecke ist eher unspektakulär: wie immer in den letzten Tagen gibt’s rechts und links nur dichten Wald zu sehen.
Oft denke ich an Kanada, Montana und Wyoming mit ihren abwechslungsreichen Strecken durch wahnsinnig schöne Landschaften. Das fehlt mir im Moment etwas. An einem Militär-Posten werden alle Autos durch- und ich natürlich raus gewunken. Was sonst. Wieder mal soll ich meinen rechten Koffer aufmachen, ich hebe meine Socken und Schuhe hoch, zeige dem jungen Soldaten mein Buch und den Kochtopf, auf dem er ein bisschen herumklopft und sich freut. Dann wollen er und sein älterer Chef, der ein paar Wörter Englisch spricht, wissen, was das Motorrad kostet. Ich lächle, lenke ab und erkläre, dass ich das Motorrad von Deutschland aus nach Alaska gebracht habe. Keine weiteren Fragen.
War ich gestern noch auf rund 2400 Meter Höhe, sind es heute nur noch 200. Und gleich wieder zehn Grad Celsius mehr. Mein T-Shirt ist komplett durchgeschwitzt als ich in Palenque ankomme. Auch hier gibt’s viele Hotels, bei dreien frage ich nach dem Preis, sie sind mir jedoch zu teuer. Eines ist günstig, hat aber kein Internet, und weil ich heute meinen Blog updaten will fahre ich weiter. Ich finde ein schönes Hotel, nehme ein großes, sauberes Doppelzimmer mit Ventilator und Fernseher (den ich nie brauche) für umgerechnet 11 Euro. Gestern in San Cristobal de las Casas habe ich für das Mehrbettzimmer knapp fünf Euro bezahlt, und auch das war völlig okay.
Wo ich gerade dabei bin, ein paar Worte zum Geld. Für um die zehn Euro bekommt man hier in Mexiko fast überall relativ gute Zimmer. Daher werde ich hier auch nicht zelten, selbst wenn es umsonst wäre. Eine Tankfüllung kostet umgerechnet ebenfalls knapp zehn Euro, und wenn ich am Tag nochmal zehn Euro für Essen ausgebe habe ich wirklich gut gelebt. Je nachdem wo ich mit wem bin kommen vielleicht nochmal zehn Euro für Bier und Margaritas hinzu. Im Schnitt gebe ich hier also 30 Euro pro Tag aus – absolut in Ordnung. Und vermutlich wird es in Mittel- und Südamerika noch deutlich günstiger.
Duschen, eine Stunde ausruhen, dann ab zu den Ruinen, wegen denen ich eigentlich hier bin. Ich fahre bis unmittelbar vor den Eingang und wie vor jeder Touristenattraktion weltweit warten auch hier Dutzende, nein Hunderte Händler auf Kundschaft.
Einheimische versuchen, sich als Tourguide anzubieten, ich wimmele sie freundlich aber bestimmt ab. Tja, die Ruinen. Vielleicht bin ich ein Kunst- und Kulturbanause, vielleicht habe ich etwas anderes erwartet. Es sind halt Ruinen, seit zweitausend Jahren verlassen, nichts außer den Steinen ist geblieben. Es fällt schwer, sich vorzustellen, wie die Maya hier einst lebten. Sie müssen lange Beine gehabt haben, denn die Stufen nach oben sind teilweise gut 40 Zentimeter hoch. Jetzt ist auch mein zweites T-Shirt durchgeschwitzt, die hohe Luftfeuchtigkeit tut ihr übriges. Immer wieder beeindruckend finde ich den Gedanken, wie solche Bauten damals entstanden sind.
Ohne Kran, ohne LKW, ohne Strom, ohne Hilti-Bohrhammer
, und das ganze mitten im Dschungel. Irgendwo habe ich gelesen, vielleicht war es bei Wikipedia, dass bislang lediglich fünf Prozent der gesamten Anlage freigelegt sind. Und das ist nun noch beeindruckender, denn selbst die offenen Ruinen sind ziemlich großzügig.
Nur wenige Touristen sind heute hier, fast alle in Gruppen mit Reiseführern. Auch in der Anlage versuchen Händler runde Steinplatten mit Motiven, traditionelle Kleidung und andere Souvenirs zu verkaufen.
No gracias. Ich mache ein paar Fotos, gehe etwas umher und nach nicht mal einer Stunde fahre ich zurück, nachdem ich die Händler am Ausgang überzeugt habe, dass ich heute ausnahmsweise keinen Holzbogen und Pfeile oder eine weiße Toga brauche.