Philippinen

Philippinen Die Dienstreise

Wie bringt ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft auf den Philippinen Verwaltungsarbeit und Motorradabenteuer unter einen Hut? Ganz einfach: Er besucht seine entwicklungspolitischen Hilfsprojekte mit dem Motorrad. Auf seiner alten Yamaha XT 600 klappert er die Dschungelpisten zu den Kleinbetrieben auf der Hauptinsel Luzon ab. Gut, dass der Botschafter davon nichts weiß...

Der Chef ist skeptisch: »Schön, dass Sie unsere Hilfsprojekte in der Provinz besichtigen wollen, aber die öffentlichen Haushalte müssen sparen, wir haben kein Dienstfahrzeug für solche Exkursionen.« Und für ein Privatfahrzeug sei das zu riskant. Ich erzähle besser nichts von der Idee, die geplante Reise per Motorrad durchzuführen. Das hätte aus Sicherheitsgründen höchstwahrscheinlich das aus für das Vorhaben bedeutet.Tatsächlich müssen Botschaften in Entwicklungsländern ihre Investitionsprojekte gelegentlich überprüfen. Keine Millionendinger, sondern kleinere Maßnahmen bis etwa 7500 Euro. Anschaffung von Wasserbüffeln für eine landwirtschaftliche Kooperative beispielsweise, Nähmaschinen für die dörfliche Berufsschule oder der Bau einer Brücke über einen in der Regenzeit anschwellenden Gebirgsfluss. Dumm nur, dass solche Projekte oft in entlegenen, schwer erreichbaren Regionen liegen – doch für eine Enduro perfekt. Endlich ist es so weit. Die Utensilien für den großen Trip ins Hinterland sind aufgepackt und US-Militär-Karten aus den 50er Jahren zusammen mit den Projektunterlagen im Tankrucksack verstaut. Jetzt erst noch quer durch die Zehn-Millionen-Stadt Manila, bis sich nach gut drei Stunden Schwerstarbeit der Horizont weitet, die Dieselschwaden lichter werden und die die Metropole weiträumig zuwuchernden Vorstädte beginnen. Sowie eine Art Autobahn, der Tollway. Eine löchrige, aber immerhin vierspurige Buckelpiste, voll von rasenden Überlandbussen, klapprigen Lastkraftwagen und der ständigen Gefahr, über den Haufen gefahren zu werden. Für Motorräder verboten. Egal. Ich halte aus, bis die ersten Reisfelder und der Pinatubo auftauchen – jener Vulkan, der bei seinem letzten Ausbruch 1991 alle umliegenden Orte und auch den riesigen US-Militärstützpunkt Subic Bay unter einer dicken Lavastaubschicht begrub. Nun ist jener Staub die Geißel dieser vormals fruchtbaren Inselregion. Alljährlich während der Regenzeit verwandelt er sich in eine graue Schlammmasse, die sich die Berghänge herunterwälzt und der Rest der Region zerstört. In einem Ort ragen gerade noch Turm und Dach einer Kirche aus dem Staub, während die damals vertriebenen Menschen noch immer in Elendsquartieren auf Hilfe hoffen.In der Nähe liegen zwei Kooperativen, in denen ich die Anschaffung von Reisdreschern überprüfen muss. Um den Aufbau »Potjemkin«scher Dörfer« zu vermeiden, habe ich mich nirgends vorher angemeldet. Erfreut stelle ich fest, dass die Drescher augenscheinlich gut genutzt und in Schuss gehalten werden. Bestens! Vergnügt fahre ich weiter. Schon der erste Besuch ein Erfolg, die Kooperative hat die Förderung gut umgesetzt. Die Dämmerung kündigt sich an. In den Tropen bedeutet das eine kurze Zwielichtphase, bevor schlagartig die Nacht hereinbricht. Da ich bis Baguio muss, der hoch in Bergen liegenden Sommerresidenz früherer Regierungschefs, ist Tempo angesagt. Knapp hundert Kilometer noch. Eigentlich sollte man Nachtfahrten unbedingt unterlassen, aber bis Baguio gibt es kaum eine Unterkunft. Das Tageslicht vermindert sich ebenso rasant wie der Lichtkegel der Yamaha. Irgendetwas stimmt mit dem Generator nicht. Schließlich muss ich die Taschenlampe zu Hilfe nehmen und nun multifunktional Gas geben, kuppeln und leuchten. Nicht zur Nachahmung empfohlen! Ich bin mehr als froh, als endlich die Lichter von Baguio auftauchen.Am nächsten Tag stehen mehrere Treffen mit Entwicklungshilfeorganisationen an. Termine, die in entlegenen Dörfern, wie beispielsweise Pidpid, ihre Tücken bergen: So muss man als offiziöser Abgesandter aus fernen Landen, wenn die Dorfgemeinschaft spontan eine kleine Fiesta zu Ehren des Wohltäters organisiert, eine Rede halten. Was mit Motorrad, Helm und Stiefeln nicht unbedingt besonders vertraueneinflösend wirkt. Kinder drücken sich scheu heran, um meine Lederhose zu berühren. Und plötzlich kichernd auf mein Gesicht und meine Arme zu deuten. Die blonden Körperhaare, erklärt der Bürgermeister etwas verlegen, das hätten sie noch nie gesehen. Na gut. Jedenfalls bedanke mich für die freundliche Aufnahme und bemühe mich nach Kräften, die Hoffnungen auf deutsche »Direktinvestitionen« in Pidpid nicht zu sehr ins Kraut schießen zu lassen. Doch jetzt wird es wirklich tückisch – das Ehrenbankett. Ein armes Zicklein wird meintwegen angerichtet - will heißen: mit der Machete kleingehackt und in kochendes Wasser geworfen. Brrrrr! Natürlich gebührt mir der erste und größte Teller, und alle schauen erwartungsvoll zu, wie ich die Bissen zum Munde führe. Essen für Deutschland! Die Etappe nach Tuguegarao, der Provinzhauptstadt auf der anderen Seite der Cordillera Central, dem großen Scheidegebirge der Insel, liegt vor mir. 500 Kilometer Strecke. Gestern habe ich gerade mal 150 geschafft. Die Straße soll zwar asphaltiert sein, aber der sonstige Zustand ist unklar. Tatsächlich schlängelt sie sich ab Laoag an der Nordwestspitze wunderschön zwischen der Küste und sattgrünen Bergen entlang. Das Wetter ist herrlich, Menschen sind kaum zu sehen. Die Gegend ist sozusagen »Land«s End« des sonst dicht besiedelten philippinischen Archipels mit seinen 70 Millionen Einwohnern. Hier treffe ich Bauern, die Carabaos gewünscht haben – jene genügsamen Wasserbüffel, die Transporter und Traktor in einem sind. Die Pflüge und Schlitten ziehen, Reisfelder stampfen und Familie wie Ernte des Bauern transportieren. Unschlagbar vielseitig! Wenig später ist eine Hühnerfarm dran. Die Kooperative hat Geld zur Anschaffung von Küken erhalten. Alles ist bei meinem plötzlichen Auftauchen in Ordnung: Die die Bauern sind froh, mir ihre erfolgreiche Aufzucht vorführen zu können. Ihre besondere Idee: die Küken mit Musikbeschallung großziehen. Über jedem Gehege hängt ein Radiogerät, das die armen Hühnerlein Tag und Nacht mit philippinischer Volksmusik bedudelt. Dies habe beruhigende Wirkung und lasse die Kleinen schneller wachsen, wird mir erklärt. Mittlerweile habe ich die Gebirgsgrenze zwischen Ost und West erreicht. Der Wetterwechsel ist extrem - wo eben noch blauer Himmel und ein lindes Lüftchen verwöhnten, fegt jetzt Sturm die schwärzesten Wolken heran. Straße und Ausschilderung werden gleichermaßen schlechter. Ich bin froh, als irgendwann der gewaltige Cagayan-Fluss die Richtung nach Tuguegarao weist. Da fällt sie mich unvermittelt an, die asiatische Fruchtfliege. Im feuchtwarmen Cagayangebiet angesiedelt, steigt das gemeine Biest in der Dämmerung auf und stürzt sich auf jede erreichbare Lichtquelle. Sie tut zwar nicht wirklich was, verklebt aber jede Fläche oder Ritze: Scheinwerfer, Helm, Jacke, Gesicht, bäh, selbst zwischen den Zähnen knirscht es schon. Geschüttelt vor Ekel hechte ich im Hotel unter die Dusche. Igitt! Um ein paar Projekte in den Provinzen Mountain Province und Ifugao anzuschauen, muss ich durch die Cordillera Central. Ich freue mich, dabei die weltberühmten Reisterrassen von Banaue zu sehen, die die Ureinwohner vor Jahrhunderten in dieser unzugänglichen Bergwelt angelegt haben. Von Norden führt allerdings nur eine kaum befahrene Schotterpiste in das Gebiet. Schon früh am Morgen fahre ich los, geschätzte 250 Kilometer müsste ich vor mir haben. Ich überhole einige Jeepneys, umgebaute alte »Willys«-Armee-Jeeps, zu Hunderttausenden auf den Philippinen unterwegs. Die Exemplare auf dieser erbärmlichen Bergpiste sind bis auf die Dächer mit Menschen und Gütern besetzt. Ich wage kaum hinzusehen, wie sie haarsträubend am Abgrund entlangwanken. Die Gegend wird immer abgeschiedener, und die Dörfer wirken so arm, dass es schon bedrückend ist. Armeeposten tauchen auf. Zwischen Fahrbahnblockaden und ein paar vermutlich bereits vor geraumer Zeit in das Dickicht gefahrenen Armeefahrzeugen lungern die Soldaten herum. Sie wirken so zwielichtig, dass ich einen Haken um die Blockade schlage und mit Gas davonjage. Gewagt, aber es funktioniert. Bis die Dschungelsoldateska kapiert hat, was passiert, bin ich schon weg. Wenig später ein kugeldurchsiebtes Warnschild. Vielleicht war die Piste doch keine so gute Idee. Zurückfahren würde zumindest nach meiner Einschätzung jedoch länger dauern als weiter ins Gebirge.Und bald schon sind die bedrückenden Gedanken verflogen, eine wunderschöne Bergwelt mit leuchtend grünen Hängen, blühenden Wiesen, dichten Büschen, Palmenhainen und den sagenumwobenen Reisterrassen breitet sich um mich aus. Das sind sie also. Über Hunderte von Höhenmetern erstreckt sich die verschachtelte Bergstruktur. Die Szenerie ist atemberaubend. Ich kann mich gar nicht satt sehen und muss aufpassen, vor lauter Begeisterung nicht eine Terrasse tiefer zu landen. Erst abends erfahre ich vom Hotelportier, wie gefährlich diese Nordpiste sei. Die dortigen Stämme befänden sich im Aufstand, hätten sogar einen Abgesandten des Ministeriums für Landverteilung umgebracht. »Seit Wochen ist da kein Fahrzeug mehr durchgekommen.« Uff! Gut, wenn man gewisse Dinge erst später erfährt.Die letzte Etappe beginnt, und es geht wieder raus aus dem Gebirge in die dicht besiedelte Tiefebene. Zwei Entwicklungsprojekte noch, dann muss ich zurück in den Moloch Manila. Doch ich bin bestens gelaunt, die Projekttour war ein voller Erfolg. Nirgends feststellbare Unregelmäßigkeiten, die Gelder gut umgesetzt. Und ich traf überall nur echte Dankbarkeit für die geleistete Hilfe an. Eine perfekte Motorradtour war’s noch dazu.

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