Riesige Trucks, schweres Gerät für die Ölförderung, freudlose Bauten, dahinter das Polarmeer. Prudhoe Bay an der Nordküste Alaskas ist mir von früheren Aufenthalten vertraut. Hier beginnen viele Motorradreisen, was die Wirtin des „Prudhoe-Hotels“ immer noch verwundert: „Warum kommen nur all diese Motorradnarren in unser Kaff am Rande der Welt?“ Okay, ich bin einer von denen, doch meine Mission hat mit den Motiven der anderen nichts zu tun. Ich will nach Ushuaia in Feuerland. 23500 Kilometer one-way. Dann wieder zurück nach Prudhoe. In Rekordzeit.Andere springen aus dem Weltraum mit dem Fallschirm, erklettern den Everest, tauchen in die Todeszone. Ich fahre Motorrad. Weiter als alle anderen. In kürzerer Zeit als sonst jemand. Eine Art von Projektkunst, ein Leben im Zeitraffer, das für mich dadurch intensiver wird. Ich verschiebe Grenzen, belaste mich und mein Material auf das Äußerste. Kein Motorrad wird je so hart getestet wie meine Yamaha. Früher bin ich mit der R1 gefahren. Durch Sandwüsten und über Eispisten, heute trägt mich die XT 1200 Z Super Ténéré, was sich komfortabler anfühlt.
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Rekordversuch: von Alaska nach Feuerland
Von Alaska nach Feuerland- Die Panamericana als Mission
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Das Polarmeer ist zugefroren, strahlend blau und eiskalt wölbt sich der Himmel, die Yamaha schnurrt vor sich hin. Mit einem Schlag fühle ich die ungeheure Freiheit des Alleinseins. Bin so sehr mein eigener Herr, dass es schon fast wehtut. Eine Staubfahne hinter sich herziehend, fegt die Ténéré den Dalton Highway entlang durch spektakuläre Landschaften, wild, weit, rau und die meiste Zeit des Jahres unbefahrbar für Motorräder. Ich weiß, dass meine Tour noch sehr hart werden wird. Dieser Rekordversuch, die doppelte Durchquerung der amerikanischen Kontinente, ist schon lange mein Traum, und die Vorbereitung dauerte Hunderte von Stunden. Genau genommen durchquere ich die amerikanischen Kontinente sogar dreimal, denn ich komme gerade aus Argentinien. Habe von dort aus eine Touristengruppe nach Norden geführt. Mit knapp 20000 Kilometern in den Knochen und auf dem Tacho der Ténéré starte ich also meinen Rekordversuch. Wenn ich das ganze gigantische Vorhaben als ein Gesamtprojekt betrachten würde, hätte ich wohl aufgegeben. Es hilft ungemein, auch mental nur in Einzeletappen zu leben.
Sanders
In den Weiten des amerikanischen Westens.
Der Dalton ist unendlich. Ich muss auf Elche achten, die gerne aus dem Wald auf die Piste treten. Nicht zu schnell fahren, aber auch nicht zu langsam. Bereits 1996 habe ich versucht, den Rekord zu brechen. Brauchte 30 Tage, ein paar zu viel. 2010 versuchte ich es erneut und musste bei Santiago de Chile abbrechen, drei Tage vor Ushuaia. Ich hatte meinen Körper überfordert, meine Kamera und meine Notizen wurden gestohlen, mein Ehrgeiz war gebrochen. Jetzt bin ich bereit zu kämpfen. Die Super Ténéré fühlt sich solide an, sie wird zum Teil meines Körpers. Kurz vor der Grenze nach Kanada lege ich mich nur mal kurz zur Entspannung in voller Montur auf den Boden. Zwei Stunden später wache ich auf, mir ist eiskalt. Ich drücke den Anlasser, es regnet, ein kleiner Bär humpelt ins Gebüsch. Am Windschild fliegen die Weiten Kanadas vorbei.
Mein Mikrokosmos: tanken, Reifen kontrollieren, fahren. So muss sich eine Weltraumreise anfühlen. In zwei Tagen schlafe ich vier Stunden. Ich komme an einigen Raststellen vorbei, wo ich in früheren Jahren noch getankt und gegessen habe, bei gemütlichem Licht, nahe am Ofen, bedient von hübschen Kellnerinnen. Heute sind diese Plätze aufgegeben, die Scheiben zerbrochen, Gras wächst im Eingang, die Zapfsäulen sind verrostet. Bald bin ich in den USA, es wird wärmer, die Straßen einfacher, mein Hinterreifen ist fällig. Der ständige Adrenalinstrom durch meinen Körper verhindert echtes Hungergefühl. Ich darf nicht verrückt werden, spule eisern meine Meilen ab, blitzlichtartig nehme ich die Skurrilitäten von Amerika auf, durchmesse die Landschaften bis zur mexikanischen Grenze, stoppe nur für kurzen Schlaf, Kopf auf dem Lenker.
Mexiko. Das Leben hier ist hart, der Verkehr hektisch, ich versuche mitzuschwimmen, immer auf der Hut vor Cholerikern, die im Verkehr ihr Mütchen kühlen müssen. Nehme die Armut wahr, ausgezehrte Gesichter, in denen sich Angst spiegelt, Angst vor neuem Aufflammen des Drogenkriegs. Farben, Gerüche, Gelächter, spielende Kinder, streunende Hunde. Dann die Grenze zu Guatemala. Ich verliere viel Zeit, bei der letzten Einreise vor ein paar Wochen ist ein Einreisedokument falsch gestempelt worden. Endlich weiter, in einem Tag durch das Land, dann San Salvador, Honduras, Nicaragua. Theater an den Grenzen, Dokumente, Bestechungen, Verwirrungen, einmal schlafe ich direkt an der Passkontrolle ein, insgesamt gebe ich 400 Dollar für die Passage der armen Länder Mittelamerikas aus.
Sanders
Wechselnde Witterungen. Hier: der verschneite Garibaldi Pass.
Costa Rica und Panama sind wie eine warme Erlösung, die Yamaha und ich gelangen per Luftfracht über den Darién Gap nach Bogotá in Kolumbien. Dort fährt mir nachts ein anderes Motorrad vor das Vorderrad, wir touchieren uns am Lenker, ein Auto rast haarscharf vorbei, alle fahren weiter, nichts passiert. Von wegen! Die Finger meiner rechten Hand bluten, sie schwillt an, doch ich will weiter, passiere Ort um Ort, fahre 150 Kilometer in die falsche Richtung, es gibt verfluchte Tage. Ich muss nicht nur fahren, sondern auch meine Reise dokumentieren, mit GPS, Tankquittungen, E-Mails, Blog-Einträgen, Fotos. Unaufhörlich. Obwohl ich auf Speedlimits achte, werde ich doch oft angehalten. Debatten, Schmierenkomödien, weiter. Peru zieht vorbei, in Chile wird es wärmer, die Yamaha läuft wie ein Uhrwerk. Alle paar Tage muss ich meine Stiefel ausziehen, die Füße sind wund gescheuert, der Duft intensiv. Hitze und Sturm in den Wüsten, Schnee auf den Andenpässen, mordlustige Lkw-Fahrer, Beinahe-Unfälle, aber ich will den Rekord knacken, sodass ich alles aushalte. Selbst einen Sturz im Schnee, nach dem das Bike auf mir liegt. Kein Mensch weit und breit, ein gebrochener Knöchel, grauenhafte Schmerzen, erst Stunden später kann ich mich befreien.
Nach 21 Tagen und 19 Stunden lasse ich mir auf der Polizeistation von Ushuaia meine Zeit bestätigen. Ein Amerikaner namens Dick Fish hat die Tour in 21 Tagen und zwei Stunden geschafft. Mist! Ich schlafe, bringe die Ténéré zur Inspektion und fahre zurück Richtung Norden. Fahren, tanken, essen, schlafen, Toilette, jeden verdammten Tag, alles wieder zurück. Andenpässe, Wüste, Mittelamerika, Mexiko, die USA. In Del Río, Texas, rettet mich die Ténéré vor einem wütenden Mob. Dann Kanada. Auch wenn ich überall nur ganz kurz bin, lerne ich Menschen intensiv kennen. Vielleicht gerade deshalb. Alaska, Dalton Highway, Prudhoe Bay. Vor 49 Tagen bin ich hier gestartet. Mein Ziel waren 46. Egal, trotzdem Rekord! Jetzt bist du dran, Dick Fish.
Die Reise in Zahlen
Sanders
In Ushuaia war ein Dichtungsring am Kardan der Ténéré verschlissen, ansonsten schlugen nur Benzin, Öl und Reifen zu Buche.
Reifen 12
Motoröl in Litern 7
Benzin in Litern 3328
volle Tanks 148
km/h im Schnitt 64,37
Durchschnitt km/Tag 1025,15
ernsthafte Stürze 1
Schlaf in Stunden 134 (3 Std. pro Nacht)
Gewichtsverlust in kg 2,4
technische Pannen 0
Nächte in Hotels 15
Nächte auf der Straße 31
Gesamtkosten 6134 Euro
(Betriebsstoffe, Reifen, Ernährung, Flüge, Hotels)
Gesamtkosten pro km 0,33 Euro
Gesamtzeit 49 Tage, 19 Std., 39 Min.
Gesamtfahrleistung 82076,57 km
Rekordfahrleistung 48119,40 km
reine Fahrzeit 46 Tage, 5 Std., 2 Min.