Schottland
Im Licht des Nordens

Edinburgh, die Highlands oder die Inselwelt der Hebriden – Schottland ist reich an Eindrücken. Motorradfahrer sollten nur eines nicht vergessen: eine Regenkombi. Doch hier im Norden hat selbst schlechtes Wetter seinen Reiz.

Im Licht des Nordens
Foto: Wolf

Als ich in Edinburgh eintreffe, befindet sich die ganze Stadt im Festival-fieber. Es ist August – die Zeit des Fringe Festivals. Die Royal Mile, die mächtige Prachtstraße Edinburghs, ist übersät von Touristen, Gauklern, Tanzgruppen und Musikern. Ich kämpfe mich durch die Menschenmenge, vorbei an den Dutzenden kitschigen Souvenirshops und den prächtigen historischen Gebäuden aus dem 15. Jahrhundert. Bis hinauf zum Castle, das auf einem Fels im Herzen der Stadt thront und alle anderen Gebäude überstrahlt. Nach der anstrengenden, über 2000 Kilometer langen Anreise bin ich nicht unglücklich, mein Motorrad ein paar Tage stehen zu lassen. Doch lange halte ich es in Schottlands Hauptstadt nicht aus, die Highlands locken. Ich versuche, mich möglichst auf den kleinsten Sträßchen zu bewegen. Sie sind landschaftlich meist wesentlich reizvoller, erlauben einen tieferen Ein-blick in das Land, und ich umgehe den lästigen Schwerverkehr. Einzig Schafe oder Highland cattle, langhaarige Rinder, stellen sich mitunter unvermutet in den Weg und zwingen mich zu satten Bremsmanövern. In dichtem Nebel rolle ich über die einst von Paul McCartney besungene Halbinsel Kintyre. Ich sehe kaum ein paar Meter weit und bewege mich gerade noch im Kriechtempo fort. Geheimnisvolle, fast mystische Stimmungen entstehen, wenn sich der Nebel ab und an etwas lichtet und den Blick auf das graue Meer freigibt. Doch kurze Zeit später strahlt die Sonne, und ich spanne den Gasgriff auf der kurvigen, menschenleeren Strecke. Immer wieder tauchen Ruinen alter Schlösser auf. Einige bestehen nur mehr aus ein paar Mauerresten, andere sind beinahe unversehrt erhalten und sogar zugänglich.Ich biege nach Loch Awe ab, und der tolle Blick haut mich fast um: Von Bergen eingerahmt zieht sich der rund 38 Kilometer lang gestreckte See glitzernd durch das Hochland. Die kleine Uferstraße lädt herrlich zum Gasgeben ein, doch die unglaubliche Schönheit der Landschaft bewahrt mich davor, übermütig zu rasen. Langsam beginnt es zu dämmern, Zeit, ein Nachtlager zu suchen. Auf kleinen Feldwegen, die häufig von der Straße abzweigen, suche ich ein Plätzchen für mein Zelt. Beim dritten Abstecher habe ich Erfolg und finde einen Platz direkt am Wasser. Die Sonne geht blutrot hinter den Bäumen am gegenüberliegenden Seeufer unter, als ich mir mein Abendessen koche. Ich genieße noch ein wenig den Blick, dann treiben mich die Mücken in mein Zelt. Zuvor hatte der Geruch des Benzinkochers die Biester ferngehalten, doch jetzt greifen sie an: Midges, so winzig und zahlreich wie Sandkörner in der Wüste und gefürchteter als das Monster von Loch Ness. In Wolken angreifend, hilft gegen sie weder Fuchteln noch Insektenschutz.Ganze zehn Minuten brauche ich am nächsten Morgen, um Reißaus zu nehmen. An der Küste entlang geht’s über Oban und Glencoe, wo sich unzählige Wasserfälle spektakulär über die bis zu 1000 Meter emporragenden Felswände hinabstürzen, nach Fort William, einem Magnet für Bergsteiger und Wanderer. Ich quar-tiere mich in einer Jugendherberge am Fuße des Ben Nevis ein, um am nächsten Tag diesen viel begangenen und mit 1344 Meter Höhe »größten Schotterhaufen Schottlands« zu besteigen. Um der Touristen-Ameisenkolonne auf den schier endlosen Serpentinen bis zum Gipfel zu entgehen, wähle ich die ohnehin reizvollere Nordroute. Wunderschön, obwohl der Gipfel sich mit Wolken dicht verhüllt.Ich bummle weiter nach Mallaig und setze dort mit einer kleinen Fähre zur Isle of Skye über, der Perle der inneren Hebriden laut Reiseführer. Die herrliche Landschaft versteckt sich allerdings hinter dichtem Nieselregen, und so miete ich mich in der gemütlichen kleinen Jugendherberge des Inselhauptorts Portree ein. Am nächsten Morgen regnet es noch immer. Aber wegen der feucht-fröhlichen Nacht im Pub bin ich eh nicht in der Lage, mich auf mein Motorrad zu schwingen. Also verlängere ich um einen Tag.Auf besseres Wetter zu warten, hat in Schottland einfach keinen Sinn – man würde Wurzeln schlagen. Deshalb beschließe ich, nicht noch mehr Zeit zu vertrödeln und belade mein Motorrad, selbst wenn man bei diesen Witterungsverhältnissen keinen Hund auf die Straße schicken würde. Ich stelle neue Rekordzeiten im Regenkombi-An- und Ausziehen auf. Doch der Regen ist einfach ein Teil dieser Region. Und die bezaubernden Reize, die er Landschaft verleiht, gilt es, schätzen zu lernen. Zum Beispiel der Moment, wenn die Sonne wie ein Spotscheinwerfer kurz durch die graue Wolkendecke dringt, einzelne Landstriche schlagartig hell erleuchtet, die grünen Hügel regelrecht zu leuchten beginnen in dem umgebenden Grau in Grau und Dampf vom Asphalt. Und schlagartig hellt sich auch meine Stimmung auf. Erst abends, als ich im strömenden Regen mein Zelt aufstelle, fluche ich und wünsche mich ans Mittelmeer. Tags darauf schippere ich wieder zurück aufs Festland, mache einen Abstecher zum Eilean Donan Castle, das einigen Filmen, darunter auch Highlander, schon als Kulisse diente. Ich kann mich überwinden, den unverschämten Eintrittspreis zu zahlen, allerdings ist mir klar, dass es das erste und letzte Castle bleiben wird, das ich mir von innen anschaue. Ich will heute noch nach Kinlochewe, um von dort eine 5-tägige Trekkingtour im Letterewe-Nationalpark zu starten. Das Wetter stellt mich auf eine harte Probe. Es schüttet fast ununterbrochen, und die Tour, die mich mitten in die Wildnis der Highlands führt, wird zu einer großen Herausforderung, zählt aber definitiv zu den Höhepunkten meiner Schottlandreise.In Ullapool ruhe ich mich ein wenig von den Strapazen aus, bevor ich dann die wunderschöne Strecke nach Durness, ganz im Nordwesten des Landes, unter die Räder nehme. Die lange Fahrt wird belohnt. Wunderbare Sandstrände wechseln mit steilen Klippen und bizarren Felsformationen ab. Die Gegend zeigt sich immer karger und wilder, das Wetter ändert sich beinahe minütlich. In Durness tausche ich noch mal mein Motorrad gegen die Bergschuhe und wandere mit einem Kollegen, den ich in Ullapool getroffen habe, zum Cape Wrath. In einer paradiesischen Sandbucht finden wir eine Bothie, eine für diese Region typische, einfache Hütte für die Nacht. In vollkommener Abgeschiedenheit plaudern wir abends am Kaminfeuer, trinken Whisky und spüren, wie der Zauber des Nordens endgültig Besitz von uns ergreift.

Unsere Highlights
Die aktuelle Ausgabe
MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023