Mit zwei Motorrädern einmal quer von West nach Ost durch das tibetische Hochland ein mehr als abenteuerlicher Trip durch eine der abgelegensten und unzugänglichsten Regionen der Welt.
Mit zwei Motorrädern einmal quer von West nach Ost durch das tibetische Hochland ein mehr als abenteuerlicher Trip durch eine der abgelegensten und unzugänglichsten Regionen der Welt.
Steffen und ich können unser Glück noch immer nicht fassen. Gestern haben wir Kashgar, die legendäre Handelstadt am westlichen Rand der chinesischen Taklamakan Wüste, erreicht. Und in zwei Tagen werden wir aufbrechen, um als erste Motorradreisende Tibet von West nach Ost zu durchqueren und um einen Film für den Mitteldeutschen Rundfunk über dieses Projekt zu drehen. Sieben Jahre lang haben wir mit den Behörden Chinas gerungen, um eine Erlaubnis für diese Reise durch das »Land der Götter« zu erhalten. Und nun ist es endlich soweit!Eine 1200 Kilometer lange Anreise liegt bereits hinter uns: Vom pakistanischen Islamabad über den Karakorum Highway und den 4830 Meter hohen Khunjerab-Pass bis an die chinesische Grenze, wo wir unseren staatlich verordneten Aufpasser kennen lernten, der von nun an nicht mehr von unserer Seite weichen wird. Denn eine individuelle Reise mit eigenen Fahrzeugen ist in diesem Teil Chinas völlig ausgeschlosen. In Tibet erst recht. Offiziell sind wir unterwegs, um die KTM auf Höhentauglichkeit zu testen. Und nur diese Arbeit dürften wir mit unserer Kamera dokumentieren, diktierten die Behörden. Alles andere sei streng geheim.Wir verlassen Kashgar, halten uns südlich der Taklamakan-Wüste. Bereits nach 250 Kilometern endet der Asphalt. Und jegliche Zivilisation. In einem Begleitfahrzeug rollen Lebensmittel und Benzin für die nächsten 1200 Kilometer. Es gilt, autark zu sein. Und hart im Nehmen. Wir treiben die beiden KTM über Wellblech, Schotter, Geröll, durch weite Sandpassagen und zahlreiche Flussläufe. Trotz der Anstrengungen macht das Fahren Spaß, unglaublichen Spaß, obwohl wir nur recht langsam vorankommen. Doch so haben unserer Körper Zeit, sich an die sauerstoffarme Höhenluft zu gewöhnen in Tibet werden wir über 5000 Meter hoch gelegene Pisten fahren.Yang, unseren offiziellen Begleiter, können wir schließlich davon überzeugen, dass es sehr wichtig sei, sich stets hinter uns zu halten. Dann könne er uns im Fall einer Havarie viel besser helfen, als wenn er ständig auf uns warten oder gar umkehren müsse, erklären wir ihm. Er fühlt sich sogar geschmeichelt. Tatsächlich nutzen wir die Zeit, die der schwache Jeep braucht, um aufzuschließen meist zwei bis drei Stunden für ausgiebige Dreharbeiten.Ein paar Bretterbuden und vereinzelte Militärposten sind die einzigen Zivilisationsspuren,auf die wir auf unserer Route treffen. Der »Xinjang Highway«, auf dem wir uns bewegen, wurde in den 60er Jahren als Verteidigungslinie gegen Indien gebaut. Bis vor wenigen Jahren war es selbst Chinesen verboten, diese Straße zu befahren, und auch heute noch brauchen Einheimische wie Ausländer eine Sondergenehmigung. Umso überraschter die Gesichter, wo immer wir jemanden treffen. Aber es sind stets freundliche Begegnungen; sogar die strengen Militärs nehmen sich Zeit, einen Tee mit uns zu trinken.Am sechsten Tag läuft mit einem Schlag nichts mehr: Ya, der Fahrer des Begleitfahrzeugs, hat keine Lust mehr. Er verweigert aus heiterem Himmel die Weiterfahrt, lädt Yang und unsere Ausrüstung ab und ist kurze Zeit später samt Auto verschwunden. Wir sind zunächst völlig sprachlos, dann außer uns vor Wut. Schließlich mussten wir im Vorfeld für Fahrer samt Auto bezahlen. Zwei Tage warten wir mit Yang ab und hoffen, dass der Jeep wieder auftaucht. Doch nichts passiert. Schließlich kehren wir um, fahren zurück zum letzten Militärposten und finden zum Glück jemanden, der bereit ist, uns zu begleiten. Yang sitzt von nun an in einem uralten und klapprigen Beijing-Jeep.Über den 5214 Meter hohen Tschitai-Pass geht es zur Aksai-Chin-Hochebene. Oben angekommen, umgibt uns eine ganze Phalanx von Sechstausendern. Ein Panorama der Extraklasse, das wir im weiteren Verlauf der Piste bekommen. Mehrere Stunden lang durchqueren wir, teilweise unsere eigene Spur ziehend, diese wüstenartige Ebene auf etwa 5000 Metern von der Größe Bayerns. Die beiden KTM laufen selbst in solchen Höhen prima. Schließlich gehts noch einmal bergauf, wir messen 5450 Meter über Null. Bunte, mit Wünschen beschriebene Gebetsfahnen flattern im eisigen Wind. Mögen die Götter den gläubigen Buddhisten gnädig sein, mögen sie die Bitten erhören. Vor uns liegt Tibet. Wir sind auf dem Dach der Welt angelangt.Am nächsten Tag überrascht uns ein Schneesturm, und von der Piste ist kaum noch etwas sehen. Zähe Kilometer. Erst am Abend klart es auf, belohnt die Sonne uns mit ein paar Strahlen. Doch Wärme gibt allenfalls das Lagerfeuer ab; das Thermometer sackt auf minus 15 Grad nicht die einzige Nacht mit solchen Temperaturen hier oben. Zum Glück bessert sich das Wetter am folgenden Morgen. Tiefblauer Himmel, Schönwetterwolken und milde zehn Grad. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn der Schneesturm angehalten hätte.Am Nachmittag treffen wir tibetische Nomaden, die ihre Zelte weithin sichtbar in dieser völlig kargen Landschaft am Rande der Piste aufgebaut haben. Staunen auf beiden Seiten. Wir kramen ein paar Brocken Tibetisch zusammen, aber niemand scheint uns zu verstehen. Dann beginnt der Älteste zu erzählen. Vom Dalai Lama. Und von der heiligen Stadt Lhasa. Yang versucht zu übersetzen. Ansonsten reden wir mit Händen und Füßen.Schließlich erreichen wir Ali, das auch häufig Shiquanhe genannt wird: eine moderne chinesische Kleinstadt mitten in Tibet. Mit Bürohäusern, einer Tankstelle und sauberen Zwei-Sterne-Hotels. Etwa 5000 Menschen leben hier. Tibeter, Chinesen und einige Uiguren, eine von 50 Minderheiten in China. Die Geschäfte in Ali sind fast alle fest in chinesischer Hand.Wegen Kupplungsschadens müssen wir für unseren Aufpasser erneut ein Auto suchen. Gumbu will seinen Sohn in der Hauptstadt Lhasa besuchen und erklärt sich deshalb bereit, uns zu begleiten und Yang sowie das Gepäck zu transportieren. Gleich hinter Ali beginnt wieder die Einsamkeit. Wir halten uns stur in Richtung Osten, unser nächstes Ziel ist der Kailash, der heiligste Berg der Tibeter. Gumbu erzählt, dass wir Glück hätten, da die Strecke wegen Hochwassers oft unpassierbar wäre. Aber jetzt im September nach der Schneeschmelze und dem Monsum sei die beste Zeit. Am Kailash angekommen, haben wir allerdings Pech statt heiliger Aussichten nur Schnee- und Regenschauer. Wir erblicken die markante Spitze nicht einmal für einen kurzen Moment.Vier Fahrttage später stehen wir am Fuße eines weiteren gewaltigen Eisriesen: der 8012 Meter hohe Shisapangma, der einzige tibetische Achttausender, gibt sich völlig unverhüllt die Ehre. Als wir an diesem traumhaft schönen Ort unsere Zelte aufschlagen, besucht uns ein Nomade, der auf dem langen Rückmarsch zu seinem Lager ist. Er freut sich über eine Pause und über einen heißen Tee, dann beginnt er zu erzählen. Im gehörten 200 Yaks, eine asiatische Rinderart, 800 Schafe und zwölf Pferde. Jedes Yak sei umgerechnet rund 400 Euro wert, erfahren wir. Er sei mit seinem Leben sehr zufrieden.Der Anblick von Achttausendern macht süchtig. Wir wollen mehr sehen und stehen bereits zwei Tage später am Pang-La-Pass südlich von New Tingri (Xegar). Von dort fahren wir über eine kleine Piste in Richtung Mount-Everest-Basislager. Eine Weile später passieren wir das Kloster Rongbuk, wie fast alle anderen 6000 Gotteshäuser in Tibet während der so genannten Kulturrevolution von Maos Schergen völlig zerstört. Lediglich einer von einst sechs prächtigen Bauten konnte bislang wieder aufgebaut werden. In ihm wohnen 40 Mönche, die ihr ganzes Leben dem Buddhismus widmen. Und nebenbei ein kleines Hotel betreiben.Noch acht Kilometer über eine schwierige Schotter- und Geröllpiste, dann stehen wir tatsächlich am Fuß des Mount Everest. 8848 Meter misst diese Bastion aus Eis und Granit. Wir können uns nicht satt sehen an dem grandiosen Berg, sind glücklich und zufrieden, betrachten diesen Moment als ein Geschenk der Götter.Plötzlich bricht Steffen mit irrsinnigen Bauchschmerzen zusammen. Ich ahne in diesem Moment freilich noch nichts von seinem Zwölffingerdarmdurchbruch, mir ist nur klar, dass er sofort einen Arzt benötigt. Es folgt eine vierzehnstündige Odyssee, die für Steffen fast tödlich endet. Aus 5300 Meter Höhe müssen wir ihn mit Gumbus Jeep abtransportieren. Zuerst nach New Tingri, dann nach Lhaze. In beiden Orten gibt es zwar einfachste Krankenhäuser, doch mangels Strom und Narkose kann man nicht helfen. Weiter nach Shigatse. Steffen muss insgesamt 270 Pistenkilometer ertragen. Im Peoples Hospital von Shigatse leitet der diensthabende Arzt schließlich eine Notoperation ein; vier Tage später wird Steffen nach Hongkong ausgeflogen. Wir haben enormes Glück gehabt. Dass wir unserer Reise nicht wie geplant bis in die tibetische Hauptstadt fortsetzen konnten, ist völlig egal. Im gegenteil, wir sehen es heute höchstens als einen weiteren Grund, noch einmal in »das Reich der Götter« aufzubrechen.
Eine Motorradreise durch Tibet ist leider nur sehr schwer zu organisieren und gleicht hinsichtlich Aufwand und Kosten vielmehr einer Expediton. Noch immer werden Reisen mit einem eigenen Fahrzeug und auf eigene Faust von der chinesischen Regierung nicht erlaubt. Wegen zahlreicher Militärposten entlang der wenigen Straßen würde man auch nicht sehr weit kommen. Nur einigen ist mit viel Geduld und Glück bisher eine individuelle Einreise und eine Fahrt durch den Westen Chinas gelungen (siehe auch MOTORRAD 16/1999: »Der Unbeugsame«).Die hier beschriebene Reise von Thomas Junker und Steffen Müller gilt als Premiere, denn bisher sind keine Motorradfahrer bekannt, die das tibetische Hochland von West nach Ost durchquert hätten. Thomas Junker hat für den MDR einen Film über dieses Projekt gedreht, der als knapp zweistündige Video-Fassung für 20 Euro bei allen KTM-Händlern in Deutschland, Österreich und der Schweiz, bei Touratech (www.touratech.de) sowie direkt bei Thomas Junker erhältlich ist (Telefon 0172/8904355, Fax 035208/80401 oder www.thomasjunker.de). Das Buch zur Reise erscheint voraussichtlich Ende Juni 2002 und ist für 20 Euro ebenfalls über die genannten Adressen zu beziehen.Wer ein ähnliches Projekt plant, kann sich für die Erledigung der gesamten Organisation mit Annemarie Westphal von WT-Touristik in Verbindung setzen, Telefon 09180/2881. Die Kosten für ein solches Projekt sind allerdings astronomisch: Neben einer »Grundgebühr« von rund 5000 Euro fallen etwa 250 Euro pro Reisetag für den erforderlichen Begleittross an. Weitere 400 Euro sind für den chinesischen Führerschein, die Fahrzeugzulassung und Straßenbenutzung zu entrichten. Dazu addieren sich alle weiteren Reisekosten.Der Anschlag des 11. September hat Tibet leider noch unzugänglicher gemacht: Eine Anreise via Pakistan (Karakorum Highway) ist zur Zeit nicht empfehlenswert. Wer Tibet dennoch vom Westen her erreichen möchte, muss in Almaty (Kasachstan), oder Bishkek (Kirgisistan) starten und über den Torugart-Pass nach nach China (Kashgar) einreisen (siehe MOTORRAD 7/2000). Oder man startet in Nepal und fährt über von Kathmandu aus auf »das Dach der Welt«.