Endlos lange, gerade Straßen. Grässliche Landschaften und Langeweile pur. So denkt nur, wer vom Norden Deutschlands keine Ahnung hat. Sicher ist: Der Norden macht ruhig. Gelassen. Er öffnet das Herz für das Abseits der Wegesränder, lässt das Auge weiden an, ja an was eigentlich? Es ist die Weite, es sind die Dörfer und Dörfchen, die mit ihren Backsteinbauten und Fachwerkhäusern einen ganz besonderen Charme verströmen. Und die unzähligen Alleen, die sie miteinander verbinden. Und die mächtige Elbe, an der sich das alles abspielt. Vom Alten Land bis Hitzacker, wo das Wasser das dominierende Element ist, während im niedersächsischen Teil der Elbe ausgedehnte Wälder wie die Göhrde oder der Naturschutzpark Lüneburger Heide die Faszination des mächtigen Stroms ersetzen.
Die Devise lautet: Wann immer du die Wahl hast, nimm die kleinere Straße, fahr immer ins winzigste Kaff. Dann kommt man nah ran. Nah ran an die Kleinode der flachen Landschaft. Dann fährt man Kurve um Kurve, blökt mit Deichschafen um die Wette oder schippert einfach nur aus Lust an der Freude mit einer der vielen Fähren über die Elbe. Und wieder zurück.
Freunde hügeliger Landschaften werden ebenfalls nicht enttäuscht. Der Kniepenberg an der Elbe misst stramme 86 Höhenmeter, der Wilseder Berg in der Lüneburger Heide sogar 169 – da geht was.

Es ist auch die Mischung von anmutiger, endloser, ja zufrieden wirkender Natur und die Nähe zur pulsierenden Weltstadt Hamburg, die einen nicht in die Gefahr bringt, gelangweilt zu sein. Denn man könnte, wann immer man wollte, in die Metropole düsen. Sich am Kontrast von aufstrebender HafenCity und historischer Speicherstadt ergötzen. Oder am Hafen richtig große Schiffe gucken. Und in der Seemannsmission Duckdalben die entsprechenden Seeleute aus aller Herren Länder in Echt und Farbe erleben.
Mächtige Kiefern, die ganz hervorragend auf den nordischen Sandböden gedeihen, sowie mit Birken gespickte Alleen versüßen die Sprints zwischen bäuerlichen Siedlungen und provinziellen Städten. Wie zum Beispiel Uelzen, wo man sich von der Pracht des Bahnhofs im Stil des Künstlers Friedensreich Hundertwasser umhauen lassen kann. Oder die ehemalige Salzstadt Lüneburg mit all ihren Schmuckformen norddeutscher Backsteingotik.
So viel Idylle ist gut und schön. Doch der Motorradfahrer an sich braucht auch die technische, die maschinelle Seite des Lebens, abseits ach so hübscher Kirchen, grasender Heidschnuckenherden und kitschiger Sonnenuntergänge an der Elbe. Darum kann er bei ZTK – Zweirad Technik Könemann – in Schneverdingen halt machen, statt Landschaft ordentlich Mopeds angucken. Oder gleich kaufen, wenn er mag. Solange nur genug Kleingeld für die nächste Currywurst an der Elbimbissbude oder für den köstlichen Heidschnuckenbraten übrig bleibt. Den vorzüglichen Heidehonig hat man wahrscheinlich ohnehin schon im Gepäck.
Tour 1: Elbe und Göhrde

Raus aus Lüneburg und durch das nahe gelegene Bardowick an der Niedersächsischen Spargelstraße entlang nach Winsen. Wer mag, macht vorher noch einen Schlenker über Scharnebeck und bestaunt das Schiffshebewerk am Elbe-Seitenkanal, wo mit etwas Glück gerade ein Kahn 38 Meter in die Höhe gewuchtet wird, um nach etwa 20 Minuten seinen Weg fortsetzen zu können. Von Stelle aus sticht man nördlich zur Elbe durch und macht nach wenigen Kilometern am Deich seine erste Kaffeepause am Hoopter Fähranleger. Auf beiden Seiten der Elbe treffen sich hier an sonnigen Tagen Unmengen von Bikern, die dort gerne Fischbrötchen und Frikadellen knabbern. Nur wenig später geht es bereits los mit den Kurven, und irgendwo auf dem Deich sind eigentlich immer Schafe zugange, um selbigen abzugrasen und festzutrampeln. Weiter ostwärts springt die Route bei Rönne über den Fluss nach Geesthacht, um in Lauenburg gleich wieder zurückzuhüpfen.

Dort sollte man die historische Altstadt mit seinem süßen Häfchen nicht verpassen. Klasse: Über kleinste Straßen und Dörfer durch quasi verlassene Landschaften zuckeln, die Strecke durch Barförde, Garlstorf und Radegast verführt dazu, sie einfach noch mal in die andere Richtung zu fahren. Bleckede glänzt wie fast alle Ortschaften mit Klinkerbauten, eine weitere Elbfähre transportiert sogar landwirtschaftliche Nutzmaschinen. Jetzt geht’s rund: Hier ‘ne Kurve, da ‘ne Kurve, doch wer zum Aussichtspunkt Kniepenberg will, kann dies nur wochentags tun, da die absolut empfehlenswerte Elbufer-Straße zwischen Drethem und dem malerischen Hitzacker an Wochenenden für Kradler gesperrt ist. Dann ist Ausweichen über Wietzetze angesagt. Grabau, Predöhlsau, Dannenberg und ab durch die Göhrde: gleichermaßen der Name eines Orts und des größten zusammenhängenden Mischwalds Norddeutschlands, wo einem beim Spaziergang schon mal Wildsau samt Frischlingen begegnen kann. Die Kühle genießend, surft es sich entspannt über Himbergen, Weste und Oetzen bis nach Uelzen , wo eine Visite des Hundertwasser-Bahnhofs Pflicht ist, zumal es sich im angeschlossenen Restaurant lecker speisen lässt. Nur ein kurzes Stück die Bundesstraße 4 entlang, um dann wieder flott auf den attraktiveren Nebenstrecken über Bad Bevensen und Bienenbüttel zum Lager in Lüneburg zurückzukehren – wo in einem der vielen Restaurants schon das Abendessen wartet.
Tour 2: Altes Land und Lüneburger Heide

Und nochmals verlassen wir Lüneburg Richtung Norden, fahren dieses Mal aber direkt über Bardowick bis nach Artlenburg an die Elbe. Dann hart backbord und angeschmiegt an den Elblauf bis zum Hamburger Stadtteil Harburg , wo die mit Kopfsteinen und Kneipen gepflasterte Lämmertwiete zur abendlichen Einkehr einlädt. Zunächst jedoch machen wir rüber auf die Insel Wilhelmsburg, eingefasst zwischen Norder- und Süderelbe. Von dort aus lässt sich nämlich die Köhlbrandbrücke befahren und außerdem ein unvergleichlicher Blick über Hamburgs Hafengeschehen einfangen. Maritim geht es weiter, wenn man sich einen Abstecher in die Seemannsmission Duckdalben in Waltershof erlaubt. Bereits kurz darauf kreuzen wir durch Finkenwerder vorbei am Airbus-Gelände und ab ins vom Obstanbau geprägte Alte Land. Ab Jork kehren wir der Elbe den Rücken und preschen südwärts. Buxtehude , Hollenstedt, Tostedt unbeachtet liegen lassen und immer hübsch auf den Nebenstraßen kurven.

Noch weiter südlich zieht sich die Route über Otter, Wesseloh und Insel, bis endlich Schneverdingen und damit auch der riesige Motorradhändler ZTK erreicht ist – fast ein Pflichtbesuch für Biker. Man möchte meinen, ZTK habe sich absichtlich dort niedergelassen, sitzt der Krad-Dealer doch quasi am Tor zum Naturschutzpark Lüneburger Heide: perfekte Asphaltwürmer und flockig bis dicht bewaldete Natur vom Feinsten. Heidekraut und Heidschnucke ergänzen das Bild. Abermals sind es die kleinen Orte wie Ober- und Niederhaverbeck, Welle oder Inzmühlen und Undeloh, die die Tour begleiten und auf ihre ganze eigene Weise Ruhe und Beschaulichkeit vermitteln. Bevor wir den Naturpark Heide über Egestorf verlassen, um die Tour über Ameling- und Salzhausen in Richtung Lüneburg auslaufen zu lassen, stechen wir noch ins Zentrum der Lüneburger Heide nach Wilsede, wo Kostbar- und Köstlichkeiten aus der Region feilgeboten werden.
Infos Tour 1

Mittendrin
Das Basislager aller Touren befindet sich im zauberhaften Lüneburg. Zwischen zahllosen Cafés und Restaurants in der herrlichen Altstadt lässt es sich gut aushalten. Das Angebot an Unterkünften erstreckt sich von Privatzimmern ab 25 Euro pro Person bis hin zu vielsternigen Wellness-Hotels mitten in der City mit Zimmerpreisen in dreistelligen Regionen. Als Orientierung nicht nur für Übernachtungsmöglichkeiten empfiehlt sich die Homepage www.lueneburger-heide.de.
Sehenswertes
Als weltweit größtes wurde das Doppelsenkrecht-Schiffshebe-werk 1974 in Scharnebeck erbaut, um 38 der insgesamt 61 Meter Höhenunterschied zwischen Elbe und Mittellandkanal zu überwinden. Die Fahrt über den Elbeseitenkanal spart 217 Kilometer auf der Wasserstrecke zwischen Hamburger Hafen und Ruhrgebiet ein.
Stilvoll
Wer mit Elbblick anspruchsvoll genießen will, für den ist eine Visite im Zollenspieker Fährhaus ein Muss. Neben leckerer hanseatischer Küche bietet das Haus an der Elbe auch Zimmer zur Übernachtung. Außerdem kann man beschaulich per Fähre von Hoopte aus ans nördliche Elbufer zum Zollenspieker schippern.
Heidschnucken
Sie sind Schafe der norddeutschen Heide, werden aber auch anderswo in Europa gezüchtet und gegessen. Ihr Fleisch schmeckt nach Wild und ist als Ragout, Braten oder Filet ein Gaumenschmaus. Und sonst? Heidekartoffeln, Pilze zur Pilz-, Spargel zur Spargelzeit. Zwar ist das Meer noch eine Ecke weg, doch viele Heidelokale verfügen über eigene Fischteiche, so dass auch Geschupptes auf den Teller darf. Nach dem Essen hilft ein Schluck Ratzeputz – ein Gebräu aus Kräutern, Ingwer und viel Alkohol.
Infos Tour 2

Metropole
Hamburg. Wer nicht genug bekommt von windschiefen Fachwerkhäusern, holt sich ein Eis oder trinkt einen Kaffee in der Lämmertwiete im Stadtteil Harburg. Backstein en masse überwältigt einen in der Hamburger Speicherstadt, mit Fernweh, Möwen und großen Dampfern dient der Hafen entlang der Landungsbrücken. Echte Seemänner – vorwiegend aus dem asiatischen Raum – trifft man mit etwas Glück im Duckdalben, der Seemannsmission in Hamburg-Waltershof. Ein Stückchen weiter westwärts, und schon steht man vor den Toren des Airbus-Geländes. Egal, wie man zu Großstädten steht, ein Abstecher in die Hafenstadt sollte auf jeden Fall sein.
Angucken
Zweirad Technik Könemann – vielen besser bekannt unter dem Kürzel ZTK – führt an Motorrädern von Aprilia bis Yamaha so ziemlich alles, was das Herz engagierter Biker höher schlagen lässt. Mit etwas Glück ist man dabei, wenn neue Motorräder aus Übersee in großen Holzkisten angeliefert werden. Die umliegende Heide mit den Heidschnucken lässt sich also am besten gleich bei einer Probefahrt erkunden.
Einkaufen
Für verzehr- und brauchbare Andenken ist der Markt in Wilsede inmitten des Naturparks Lüneburger Heide genau das Richtige. Neben Schaffellen, Heidelbeerwein und Likören gibt es leckeren Heidehonig von Imkern aus der Region. Kutschfahrten mit im Schnitt zwei PS gönnen der Seele eine Auszeit. Erklimmt man den 169 Meter hohen Wilseder Berg, wird man zwar nicht mit Alpenpanorama verwöhnt, doch erhält man einen guten Überblick über die Weite der Heide mit Wacholder, Kiefern- und Birkenwäldern. Ist die Witterung top, lassen sich sogar die Türme Lüneburgs und Hamburgs erspähen.