Die Stimmung ist recht gut an Bord der SS Thistlegorm, denn man ist fast am Ziel. Es ist nach Mitternacht
vom 5. auf den 6. Oktober 1941, und
die meisten Seeleute schlafen schon. Seit zehn Tagen liegt das englische Schiff zusammen mit etwa 20 anderen am Eingang des Golfs von Suez. Man wartet aufs Entladen im Hafen von Tawfiq, dessen Zufahrt ein britischer Tanker versperrt. Es hat ihn erwischt: Treffer einer deutschen Mine.
Zehn Tage in dieser subtropischen
Hitze Zeitvertreib mit Spielen und Baden im Roten Meer, da wird selbst die aufmerksamste Besatzung trotz Weltkrieg etwas nachlässig. Was Kapitän Ellis beruhigt: Hier in der Straße von Gubal westlich
des Sinai, gilt die Lage als relativ sicher. Noch nie gab es am Anchorage F, wie
der Liegeplatz von den Engländern intern genannt wird, ernsthafte Probleme. Zum Schutz vor Angreifern ist außerdem der Kreuzer HMS Carlisle zur Seite, obendrein sind die Bordwände gegen feindliche
MG-Salven mit Betonplatten verstärkt und Heckgeschütze installiert.
Für die »Blaue Distel«, wie das Schiff übersetzt heißt, ist dies erst die vierte Reise. Vollgestopft mit brisantem Kriegsmaterial, war sie im August in Glasgow ausgelaufen und rund um Afrika via Aden ins Rote Meer geschippert. Die 12000 Seemeilen lange Fahrt über den Atlantik schien sicherer als der achtmal kürzere Weg durchs Mittelmeer. An Bord: 49 Seeleute, Schützenpanzer, Bomben, Torpedos, Grundminen, Flugzeugteile, Treibstofftanks, ja sogar Lokomotiven und Lastwagen,
deren Pritschen mit über 150 wüstentauglichen Motorrädern beladen sind.
Eine riesige schwimmende Waffenkammer also, die im Rahmen der Operation Crusader Nachschub für die 8. Armee
liefern soll, um den Wüstenfuchs Rommel zu stoppen. Für diese gnadenlose Menschen- und Materialschlacht müssen auch zivile Frachter wie die Thistlegorm der schottischen Reederei Albyn-Line eingesetzt werden, da die Engländer einfach zu wenig Kriegsschiffe besitzen.
Die Thistlegorm wartet nur noch auf das Löschen ihrer Ladung, als bei den Deutschen eine ganz heiße Meldung eingeht: Die Queen Mary sei mit australischen Truppen an Bord genau in dieser Gegend auf Kurs. Befehl für zwei Bomber Heinkel 111 in der Nacht des 5. Oktober gen Sinai zu fliegen und den Truppentransporter
zu versenken. Jede Maschine ist mit zwei 2000-Kilo-Bomben bestückt.
Doch die Deutschen haben sich irgendwie mit der Zeit vertan, sie können die Queen Mary partout nicht aufspüren. An ihrer Reichweitengrenze angelangt, müssen die Heinkel unverrichteter Dinge umkehren. Eine fliegt entlang des ägyptischen Festlands zurück, die andere an der Westküste des Sinai. Hier nimmt die traurige Geschichte der Thistlegorm ihren Lauf. Natürlich wird der lange Schiffskonvoi von dem Bomber entdeckt, und als größter Frachter von allen ist die »Blaue Distel« sofort im Visier. Für die schlafenden Seeleute kommt der Angriff völlig überraschend.
Einige liegen in Hängematten an Oberdeck der Tag war besonders heiß. Es ist etwa 1.30 Uhr, als das Flugzeug im Tiefflug über das Schiff donnert. Der ein oder andere vernimmt gerade noch ein Brummen, dann schlagen die beiden Zweitonnenbomben ein. Eine riesige Explosion, Chaos an Bord, Tod, Feuer, unzählige Detonationen, die gefährliche Fracht geht in die Luft. Ein furchtbares Inferno, bei dem neun See-
leute sterben. Die anderen überleben wie
durch ein Wunder. Schließlich klappt das Schiff wie ein Taschenmesser zusammen und versinkt.
1956 taucht Jaques Cousteau als
Erster zur Thistlegorm ab. Die Entdeckung des Wracks war allerdings kein Zufall, wussten doch ägyptische Fischer von einem »großen Schiff« zu berichten, an dem sie auch große Fische fingen. Im Film »Schweigende Welt« zeigt Cousteau eine faszinierende Dokumentation des praktisch »fast unversehrten« Wracks, dennoch gerät es wieder in Vergessenheit. Erst 1991, als das Rote Meer zum Traumziel
für Europas Aquanauten avanciert, wird es wieder entdeckt.
Heute ist die Thistlegorm »der Spot«
im Roten Meer. Nicht mehr als Recht, dass die ägyptische Regierung den Schiffsfriedhof unter Denkmalschutz gestellt hat. Dennoch wurde anfangs abgeschraubt, gesägt und gestohlen, was das Zeug nicht hielt. Seit ein paar Jahren aber schaut man den Tauchern genauer auf die Finger. Und das ist gut so. Denn an Spannung hat die »Blaue Distel« trotz der starken Frequentierung absolut nichts verloren.
Imposant ruht der rostende Riese auf etwa 28 Meter Tiefe aufrecht im Sand. Die dicke Ankerkette erinnert daran, dass
man damals tatsächlich warten musste. Besonders im Morgenlicht wirkt die Kulisse etwas gespenstisch. An Oberdeck zwei Kesselwagen und eingedrückte Eisenbahnwaggons. Ein Lademast liegt umgeknickt über dem ersten Laderaum, der Hauptmast vor dem zweiten wo zweifelsohne die Schau für Motorrad-Enthusiasten beginnt: Sauber auf Lkw-Pritschen
aufgereiht trotzen Matchless G3L, Norton 16 H und BSA M 20 den Unbilden der
Tiefe. Manche sind so gut erhalten, dass man sie einwandfrei restaurieren könnte, andere hingegen lassen sich nur noch von absoluten Profis identifizieren, zumal sich 16 H und M 20 frappierend ähneln.
Vermutlich waren die Maschinen fabrikneu. Alle drei Typen wurden speziell für den Wüsteneinsatz gebaut, und zwar in einer Gesamtauflage von fast 300000 Stück. Klar, dass es bei solchen Mengen ausgesuchtere Exemplare gibt aber garantiert keinen ausgesuchteren Ausstellungsort.
Unterwasser-Motorräder in Ägypten : Ab-Art
Seit dem 2. Weltkrieg liegt ein englischer Frachter auf dem Meeresgrund am Sinai, der auch Wüstenmotorräder geladen hatte. Paul Munzinger tauchte für uns ab.

Foto: Munzinger