Die desolate Finanzlage Griechenlands ist keine Folge von höheren Naturgewalten, sondern ein hausgemachtes Problem. Laut Stammtischmeinung hat sie damit zu tun, dass viele Griechen ihre Behörden übers Ohr gehauen haben und zu früh in Rente gehen. Wahr ist jedenfalls, dass nicht nur der Terminus "Demokratie" aus dem Griechischen kommt, sondern auch die Wörter "Chaos" und "Krise".
Trotzdem ist eine Motorradreise durch Griechenland auch in Krisenzeiten grandios. Der Genuss fängt schon mit dem Verlassen der Fähre in Igoumenitsa an. Robert und ich freuen uns über warme Sonnenstrahlen, erfahren, dass deutlich weniger Touristen kommen, dass man zur Zeit billig ganze Hotels kaufen kann und genießen die alte Fernstraße 6, die wegen der neuen Autobahn keiner mehr fährt. In langen Kurven schlängelt sie sich in die Berge. Ideale Bedingungen, um auch mental in Griechenland anzukommen und die Mopeds laufen zu lassen. Schnell kommt der flüssige Fahrstil zurück, der im Winter eingefroren war.
Über Zagoria mit seinen 46 historischen Dörfern peilen wir das Pindos-Gebirge an. Vom Aussichtspunkt über der Vikos-Schlucht blicken wir 800 Meter in die Tiefe. Ein Blick, der andere berühmte Canyons zu netten Tälern degradiert. Das Pindos-Gebirge ist eine wilde, alpine Landschaft mit dem 2637 Meter hohen Smolikas als höchstem Gipfel. In den Tälern sollen noch Bären, Luchse und Wölfe leben. Hinter Kipi windet sich eine schmale Straße direkt auf das schneeweiße, 2500 Meter hohe Timfi-Massiv zu, und die Einsamkeit wird Programm. Wir klettern über namenlose Pässe, verstecken uns in dichten Schwarzkiefernwäldern, kommen vorbei an winzigen Bergdörfern und können kaum fassen, dass dies noch Griechenland sein soll.

Auf der anderen Seite der schroffen Timfi-Berge geht es fast 1000 Meter hoch nach Palioseli, einem kleinen Dorf vor dem Smolikas-Massiv. Die Straße schraubt sich stetig bergwärts zum Vasilitsa-Pass. Massive Schneewände engen die Spur ein, die Nordhänge sind noch komplett verschneit. Wir zittern bergab, finden in Grevena ein nettes Kafenion. "Wo solls denn hingehen?", fragt Angelos, der grauhaarige Wirt. "Nach Meteora, und dann weiter auf den Peloponnes." "Seid ihr sicher? Vor der Westküste liegt ein gelangweiltes Tief und weiß nicht wohin mit sich." Das hatten wir nicht auf dem Plan. "Aber im Osten ist es schön", macht er uns Mut. Zwei Kaffee später zaubert Robert einen den meteorologischen Bedingungen angepassten Plan auf die Landkarte: Chalkidiki.
Sithonia ist der mittlere Finger der Chalkidiki-Halbinsel, im Sommer ein Camperparadies, momentan touristenfrei. Wir bummeln entlang der Küste und finden tatsächlich typische Griechenland-Klischees: kleine Buchten mit glasklarem Wasser und sanfte Hänge mit Olivenbäumen. Das Landesinnere ist bewaldet, durchzogen von einem Netz staubiger Pisten. In Sikia entdecken wir einen Weg, der sich in die Berge windet und die ganzen Federwege der Enduros fordert. Auf 600 Metern reicht die Sicht bis zum 2033 Meter hohen Berg Áthos.
Áthos, ein mystischer Name. Die halbautonome Mönchsrepublik nimmt den kompletten östlichen Finger der Chalkidiki ein. Eine eigene Welt, wo 2000 griechisch-orthodoxe Mönche in 20 jahrhundertealten Klöstern leben. Áthos zu besuchen ist ähnlich schwer wie Nordkorea: Nur zehn männliche Nichtorthodoxe werden pro Tag eingelassen, Frauen und Kinder müssen draußen bleiben. Aber ohne diese restriktiven Bestimmungen würde die Mönchs-republik im Zeitalter des Massentourismus ihre geheimnisvolle Aura verlieren. Klöster und Massentourismus? Undenkbar auf Áthos, real existierend aber in Meteora, 400 Kilometer westlich.
Dort schälen sich Türme und Zinnen aus einer glatten, grauen Felsbastion. Ein irrer Anblick, denn auf einigen dieser bis zu 300 Meter hohen Säulen thronen Klöster in tollkühner Lage. Meteora zählt zu den spannendsten Szenerien Europas. Im 14. Jahrhundert ließ der Mönch Meteoris das erste Kloster bauen, nannte es Meteora, was soviel bedeutet, wie zwischen Himmel und Erde schweben.

Inzwischen hat sich das schlechte Wetter über der Adria nordwärts verabschiedet. Zeit, das Ionische Meer anzupeilen. Dabei fordern Rollsplitt und fieses Bitumen volle Konzentration, Regenschauer schrauben das Gripniveau zusätzlich nach unten. Als wir in Lefkada einrollen, wärmt uns die Sonne. Schnell füllen sich die Straßenlokale der größten Stadt der Insel Lefkas. Roller- und Motorradfahrer flitzen durch den chaotischen Verkehr, manche Fahrer tragen sogar Helme - meistens cool am Hand-gelenk. Der Höhepunkt von Lefkas ist die Steilküste ihrer südwestlichen Spitze, die sich wie ein langer Finger ins Ionische Meer streckt. Mit grüner Macchia bewachsene Berge brechen als gelbweiße Felsen steil ins Meer, unterbrochen von Buchten mit feinsten Sandstränden. Der schönste von allen ist Porto Katsiki.
Vom "Ziegenhafen" steigt die schmale Teerstraße wieder hoch in die Berge, tänzelt dann entlang der Steilküste bis Petra Lefkas, dem Südkap der Insel. Draußen auf dem Meer rauscht eine Schnellfähre der Minoan Lines mit 30 Knoten nach Patras, nimmt die Meerenge zwischen Lefkas und der Nachbarinsel Kefalonia im Drift. Das kleine Schiff, das uns hinüber nach Kefalonia bringt, schafft kaum zehn Knoten, ist aber viel gemütlicher.

In Fiskardo rollen wir an Land. Dieser Ort erfüllt jetzt mal alle Klischees eines griechischen Fischerdorfs: eng verwinkelte Gassen zwischen bunten Steinhäusern, stimmungsvolle Restaurants am kleinen Hafen. Der Weg, der Fiskardo südwärts verlässt, entpuppt sich als feinste Panoramastraße. Abwechselnd haben wir Aussicht auf die Odysseus-Insel Ithaka im Osten und über die zerklüftete Westküste. Auch hier verstecken sich wunderbare Buchten wie Myrtos Beach zwischen den Felsen.
Ohne Blessuren kommen wir in Samí an, einer netten Hafenstadt an der Ostküste. Bei fangfrischem Fisch kommen wir in einer Taverne ins Gespräch mit Dimitrios, dem Kellner. Er freut sich mit uns über den ruhigen, warmen Maiabend: "Wurde aber auch höchste Zeit, dass dieser schreckliche Winter endlich vorbei ist. Fünf Monate war es kalt und dunkel." Aber daran möchte jetzt niemand mehr denken, genauso wenig wie an die leeren Staatskassen. Krise? Die mag in der Hauptstadt wüten, hier ist alles schön.
Infos

Im Norden alpines Hochgebirge, im Süden die Ägäis mit Hunderten von Inseln. Kein anderes Land in Südeuropa bietet eine solche Vielfalt.
Anreise:
Von Köln bis Igoumenitsa sind es etwa 2400 Kilometer. Die schnellste Strecke führt dabei über München, Wien, Belgrad und Skopje. Alternativ kann man auch durch Kroatien und Albanien fahren, was zwar kürzer, aber zeitaufwendiger ist. Stressfreier und bequemer ist die Fahrt per Zug und Schiff, beispielsweise mit dem Autozug, der wöchentlich von Berlin, Hamburg, Frankfurt und Düsseldorf bis Triest fährt. Pro Person und Motorrad kostet die einfache Fahrt in der Nebensaison von Düsseldorf ab 196 Euro. Infos unter Telefon 01805/241224 oder unter www.dbautozug.de. Von Venedig und Ancona verkehren täglich Schnellfähren bis Igoumenitsa und Patras. (Ancona-Patras: eine Person plus Motorrad ab 80 Euro, einfache Fahrt), Infos unter www.minoan.gr, www.anek.gr, www.superfast.com
Reisezeit:
Auf den Inseln der Ägäis ist das ganze Jahr Motorrad-Saison, die Winter sind regenreich, die Sommer heiß. Im Pindos-Gebirge beginnt der Frühling erst Ende April. Ideale Zeiten sind Mai/Juni und September/Oktober.
Unterkunft:
Entlang der Küste und auf den Inseln reicht das Angebot vom einfachen Camingplatz für weniger als zehn Euro bis zum elitären Fünf-Sterne-Resort. Im Hinterland ist das Angebot dünner, Pensionen oder Privatzimmer gibt es aber auch hier. Nur in der Hauptsaison kann die spontane Suche länger dauern.
Literatur:
Empfehlenswerte Führer kommen aus dem Michael Müller-Verlag: "Nord- und Mittelgriechenland" für 22,90 Euro und "Peloponnes" für 24,90 Euro. Eine gute Landkarte liefert Marco Polo im Maßstab 1:300000 für 7,50 Euro. Weitere brauchbare Reiseinformationen bietet das Netz unter www.griechenland-infos.de, www.gnto.gr und www.fernweh.de.
Organisierte Reise:
Das MOTORRAD action team bietet vom 11.09. bis 24.09.2010 eine Panadriatica genannte Tour von Italien bis Griechenland an. Telefon: 0711/1821977, www.actionteam.de