Soso, ihr wollt nach Polen? Na, dann lasst euch mal nichts klauen!" Ha, ha, ha. Ein Brüller. Und total neu. Doch auch der aufgeschlossenste deutsche Motorradfahrer kommt vor seiner ersten Polenreise womöglich etwas ins Grübeln: Ist an den ganzen miesen, alten Geschichten nicht vielleicht doch etwas dran? Wie weit ist unser Nachbarland immer noch Ostblock? Gibt es dort überhaupt eine Motorradfahrer-Szene? Unsere Tour zum "Moto Weteran Bazar" in Lodz und der anschließende Besuch des "15. Festival Rock, Blues & Bikes" in Lagow sollten uns auf den aktuellen Informationsstand bringen. Und - so viel sei verraten - das taten die Veranstaltungen auf eine Art und Weise, die einen hohen Suchtfaktor hat.
Doch bevor der geneigte MOTORRAD-Leser ebenfalls angefixt werden soll, gibt es hier und jetzt zwei Feststellungen, die zum Verständnis des Reiselandes Polen ganz wesentlich sind. Erstens: Die Polen haben sich nie als Teil des Ostblocks begriffen. Sie wurden nach dem Zweiten Weltkrieg "zwangseingemeindet", zuvor war Polen ein kulturell und gesellschaftlich pulsierender Teil (West-)Europas. Zweitens: Die "Wende" in Polen, also die Entmachtung der Kommunisten, liegt nahezu 20 Jahre zurück. 20 Jahre! Es gibt mittlerweile eine Motorradfahrer-Generation, die den "Ostblock" nur aus Geschichtsbüchern kennt.
Überraschend viele Vertreter ebendieser jungen Generation verschlug es Anfang Juli nach Lodz, der zweitgrößten Stadt Polens, die mitten im Land und doch nur 375 Kilometer von der deutschen Grenze entfernt liegt. Anfang Januar, Mai, Juli und September geht dort der "Moto Weteran Bazar" über die Bühne. Was 1992 als Verkauf von überzähligen Ersatzteilen im erweiterten Freundeskreis einiger Oldie-Fans begann, ist mittlerweile der mit Abstand größte Oldtimermarkt Polens. In Zahlen: Jeweils über 700 Aussteller, vom Profi-Dealer bis zum Opa, der seinen Keller ausgemistet hat, und rund 15 000 Besucher bevölkern das Gelände rund um das baufällige Fußballstadion "Start" im Norden der Stadt. Die wesentlichen Dinge, also Ordner, Standflächenvergabe, sanitäre Anlagen und die Verpflegung sind professionell organisiert. Der ganze Rest, also das Warenangebot und die Art der Präsentation, ist ein herrliches Chaos.

Da stehen traumhaft restaurierte Oldies und hierzulande nahezu unbekannte Exoten neben gnadenlos zusammengebratenen Wehrmachtsgespann-Fakes. Da werden völlig selbstverständlich Büsten von Adolf H. und Josef S. angeboten und Lizenz- und Namensrechte eher lässig ausgelegt. Ein paar Meter weiter gibt es rare Zündapp- und BMW-Ersatzteile, und wer zufällig noch eine MG-Attrappe für den Seitenwagen benötigt, wird ebenfalls bedient. Militaria in allen nur erdenklichen Spielarten treffen auf unzählige potenzielle Youngtimer und genial-verrückte Eigenbauten. Sturzteile und Ersatzmotoren für japanische Supersportler der 1990er Jahre sind im wahrsten Sinne des Wortes haufenweise vorrätig. Der Begriff "Veteran" trifft auf alles zu, was älter als zehn Jahre ist. Es geht nicht überall "politisch korrekt" zu, vieles wäre in Deutschland absolut undenkbar. Aber wer nicht gerade Berufsbetroffener ist und sich ein gewisses Maß anarchischer Neugier bewahrt hat, wird in Lodz seine Spaß haben. Das Gelände ist weitläufig, nirgends wird geschoben oder gedrängelt, und doch ist der unbedarfte Besucher aus dem Westen abends völlig fertig - sechs oder sieben Stunden ganz großes Kino fordern ihren Tribut.
Ein ganz anderer film wird am gleichen Wochenende 330 Kilometer weiter westlich und damit nur 45 Kilometer von Frankfurt/Oder entfernt gezeigt: Bereits zum 15. Mal hat der "Nine Six Poland MC" zum Rock-, Blues- und Bike-Festival geladen, dem größten Bikertreffen Polens. Die 96er sind mit acht Chaptern einer der einflussreichsten MCs in Polen. Keine Einprozenter, aber gestandene, Kutte tragende Biker. Und diese harten Jungs und ihre rund 4000 Gäste feiern inmitten einer 5000 Einwohner zählenden, malerisch zwischen zwei Seen gelegenen Landgemeinde, die bis Ende des Zweiten Weltkriegs deutsch und die Sommerfrische Berlins war. Auch heute noch lebt Lagow hauptsächlich von Touristen - und von den Bikern, die den kleinen Ort vier Tage lang zum "Daytona Polens" machen.

Lagow ist neutrales Gebiet, Clubs, die woanders durchaus Stress miteinander bekommen können, feiern hier gemeinsam. Das Geheimnis dieses Erfolgs? Zum einen sind die 96er als gastgebender MC stark genug und mit keinem der Einprozenter-Platzhirsche verbandelt. Zum anderen setzen sie auf ein geniales Konzept, das den Besuchern eigentlich gar keine Zeit für Langeweile lässt und um auf dumme Gedanken zu kommen. Mit den klassischen Treffen-Programmpunkten Strip-Show, Schlammsuhle, Bierpilz und Cover-Band ist es in Lagow nicht getan. Die Biker bekommen ein Kulturprogramm vom Feinsten geboten. 2010 gingen "nur" 15 Bands an den Start, normalerweise sind es über 20. Die Polen sind seit jeher ein sehr Kultur liebendes Volk, und genau das kommt dem Charakter der Veranstaltung zugute, die Biker genießen erdigen Blues und treibenden Jazzrock. Und sie genießen unmittelbar nach der Stripshow um Mitternacht den Gastauftritt der Tourneetruppe des weltbekannten Bolschoi-Balletts. Ballett? Was vermutlich auf jedem deutschen Treffen zu Buhrufen und Ausziehen-Ausziehen-Rufen führen würde, wird hier mit stehenden Ovationen und Zugabe-Forderungen belohnt.
Mit knackigem Bluesrock geht es weiter durch die Nacht, und wer am nächsten Morgen noch fit ist, mischt sich unter die Normalo-Urlauber und amüsiert sich am Wasser. Dafür, dass noch erstaunlich viele Treffen-Besucher munter sind, sorgt ein cleverer Schachzug der Organisatoren: das "All-Inclusive-Konzept", das verhindert, dass aus munterem Alkoholkonsum folgenschweres Komasaufen wird. Rund 80 Prozent der Besucher kommen aus Polen, doch einige Biker aus dem Großraum Berlin und aus Skandinavien haben dieses etwas andere Treffen auch schon entdeckt. 96er-Presi Zgred und seine Jungs tun viel dafür, damit noch mehr kommen und damit aus vier Tagen eine ganze Festival-Woche wird.
Veteranen-Markt in Lodz und Biker-Treffen in Lagow - so unterschiedlich die Veranstaltungen auch sind, so sehr eint sie das Motto "Spaß rund ums Motorrad". Die sympathischen Polen haben ziemlich gut kapiert, wie sich das am besten umsetzen lässt.
Infos

Polen ist unser direktes Nachbarland, die Einreise ist genauso einfach wie nach Dänemark oder Österreich. Aber in Polen ist es deutlich günstiger.
Anreise:
Der direkte Weg ist ausnahmsweise der beste. Von Berlin kommend, geht es über die A12 kurz hinter Frankfurt/Oder ohne Kontrolle über die Grenze immer Richtung Osten. Ab der Grenze fährt man auf der zwei- bis dreispurigen Europastraße 30, der wichtigsten Transitverbindung in Richtung Russland. Die völlig überlaufene Straße ist auf den ersten 100 Kilometern eine echte Geduldsprobe, doch noch vor Posen kann man auf die hervorragend ausgebaute und herrlich leere Autobahn 2 wechseln. Die ist zwar mautpflichtig, aber die knapp neun Euro bis Lodz ist sie immer wert.
Verkehr:
Polen fahren - vorsichtig formuliert - meist deutlich offensiver als deutsche Verkehrs-teilnehmer. Ihre Risikobereitschaft steht dabei oft in einem eklatanten Missverhältnis zu ihrem Fahrkönnen. Also Vorsicht! Die Geschwindigkeitslimits (50/90/130 km/h inner-/außerorts/Autobahn) werden von den Einheimischen vielfach nur als grober Richtwert betrachtet, von den uniformierten Ordnungshütern aber durchaus als bindend verstanden. Die Promillegrenze liegt bei 0,2. Restalkohol nach Bikertreffen kann also ganz schnell ein Thema sein - und das weiß auch die Polizei!
Übernachten:
Außerhalb der Städte kann man einfache Unterkünfte bereits ab zehn Euro pro Nacht finden. In Lodz lohnt es sich aber, direkt im Zentrum ein Hotel zu nehmen (um 60 Euro), möglichst in Nähe der "Uliza Piotrkowska, der wirklich lohnenden Flaniermeile der Stadt. Beim Treffen in Lagow gilt ein "All-Inclusive-Paket" für 140 bzw. 120 Zloty (Mann/Frau), umgerechnet 35 bzw. 30 Euro. Dafür gibt es einen bewachten Campingplatz, einen bewachten Parkplatz (Ausfahrt nur nüchtern und unter Vorlage der Papiere!), zehn große Biere, am Samstag das Mittagessen und das Abendbrot (üppig, deftig, lecker) und am Sonntag das Frühstück sowie vier Tage Eintritt zum Festivalgelände. Dieses System schafft bei allen Teilnehmern eine solide Grundlage und verhindert die fatale Auf-nüchternen-Magen-Sauferei. Wer nicht zelten möchte, hat zumindet in Lagow schlechte Karten, die meisten Pensionen sind von Stammgästen belegt. Im rund drei Kilometer südlich gelegenen Gronow ist das Viersterne-Hotel Bukowy Dworek (www.bukowydworek.pl) eine gute und mit 40 Euro pro Nacht bezahlbare Alternative. Nach Lagow geht es dann mit dem Taxi.
Geld:
Der Euro lässt in Polen noch auf sich warten, Zahlungsmittel ist der Zloty (vier Zloty sind etwa ein Euro). Den besten Kurs bieten die Wechselstuben ("Kantor"), die es massenweise an jeder größeren Straße gibt.
Infos:
Veteranenmarkt: www.motoweteranbazar.com; Biker-Festival: www.rbim.pl; das MOTORRAD action team bietet zwei geführte Polen-Reisen (Masuren und Danzig; Polens Süden), Tel. 0711/182-1977, www.actionteam.de