Unterwegs: Pirelli Ironman Sizilien
Die Reife(n) Prüfung

Die verrückte Idee eines motorradbesessenen Sizilianers führte uns zur kürzesten, intensivsten Motorradreise überhaupt: 850 Kilometer Sizilien in einem Tag auf allen Motorradgattungen. Schwachsinn oder Top-Erlebnis?

Die Reife(n) Prüfung
Foto: Biebricher

Salvo Pennisi ist Leidenschaft in Person: Er liebt Motorräder, Sizilien, den Ätna, Freunde, seine Frau, die Töchter und Pirelli. Wie gut, dass er dem italienischen Reifenhersteller seit Jahren als Testchef dient, sein Testzentrum auf Sizilien liegt und er jeden Tag allen Passionen frönen darf. Als er uns seine Idee zum „Ironman Sizilien“ unterbreitete, konnten wir zunächst nicht folgen. Mit Reiseenduros, Sportenduros, Choppern, Nakeds, Tourern, Renn- und Straßensportlern auf Sizilien unterwegs sein, auf den passenden Strecken mit den passenden Reifen. Alles in einem Tag. Was soll das? Vergleichstest, Werbeveranstaltung, Marketingtrick?

Könnte man annehmen, muss man aber nicht. Wenn ein temperamentvoller Sizilianer mit Verve und Hingabe sein Projekt präsentiert, das Ganze wie eine italienische Oper klingt und sich letztlich doch nur die Begeisterung für das Motorradfahren Bahn bricht, schmilzt das Eis des Widerstands. Warum soll man sich nicht mal vom Schreibtisch wegreißen lassen und bei so was mitmachen? Auf Sizilien intensiv Motorrad fahren ist doch ein Traum. Nur darum geht es. Die Sache mit der Pirelli-Produktpalette müsste man ja nicht groß aufhängen. Irgendwann waren Toptester Karsten und ich weich, der Chef hatte abgenickt, und jetzt scheint Siziliens Abendsonne. Signor Pennisi fährt uns ins Hotel und deklariert die Herausforderungen des kommenden Tages. Dabei telefoniert er mit zwei Handys gleichzeitig und lenkt mit dem Knie durch die Baustellen. Italienischer Stil.

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Sieben Uhr morgens, der reizende Palazzo Villa Gussio in Leonforte bei Enna. Motoren laufen warm. Am Start: BMW R 1200 GS, Triumph Tiger 1050, KTM 990 Adventure und Yamaha XT 1200 Z. Sofort verführen geniale Kurven, doch die Scorpion Trail sind neu und kalt, wir tasten uns langsam an Spaßschräglagen. Dann hebt sich die rot glühende Sonnenscheibe über die Hügel, Menschen, Motoren und Reifen erwärmen sich, der größte Vulkan Europas, der er-habene Ätna, rückt ins Blickfeld. Selbst die Testfahrer Alessandro, Sergio und Nino, die uns dynamisch begleiten, sind berührt.

Wir zirkeln durch Misterbianco und Trecastani. Lassen die Metropole Catania rechts liegen, schlagen uns ab Fornazzo in die Lavaflanken des Ätna, der heute gemütlich vor sich hin raucht, ansons-ten aber alle paar Tage ordentlich Lava raushustet. Wahnsinn, durch diese Mondlandschaft den Berg raufzutanzen. Dann die Schranke, höher geht es nur mit geführten Expeditionen. Also wieder runter, rechts, links, Karsten lässt die Tiger fliegen, wir erreichen Francavilla, und da stehen sie: KTM EXC auf jungfräulichen Scorpion Rally und Pro-Grobstollern, 250er- und 300er-Zweitakt, 450er- und 500er-Viertakt, 2012er-Modelle. Jetzt schlägt Karstens Stunde, wir pfeffern 70 Kilometer durch die schönste Berglandschaft. Steine, Staub, Eselspfade, Schlamm, Schotter - pures offroad. Karsten nutzt kleinste Buckel zum Fliegen, sein Vorderrad verlässt auf der kürzesten Geraden die Erde, ich kann diesem Genius nicht folgen, ziele scharf an Abgründen vorbei, falls es nicht passt, ruft die Schlucht. Karsten presst sich durch Anlieger, Sandro, Sergio und Nino jauchzen. Schweiß fließt, die Sonne brennt, der Ätna raucht heftig.

Biebricher
Sportenduro: Wheelie mit einer KTM in Sizilien.

Und was steht auf dem von Carabinieri abgesperrten Dorfplatz von Castroreale? Harleys: Fat Boy, Electra Glide, Heritage Softail. Auf den Sohlen tragen die Chopper zur Abwechslung mal Night Dragon. Kars-ten springt in die Luft. Vergnügen oder Verzweiflung? Wir cruisen über den Küstenhighway fast bis Palermo und wechseln in Termini Imerese auf sportive Naked Bikes vom Schlage einer MV Brutale, Honda CB 1000 R oder KTM 990 SMT. Damit befliegen wir die altehrwürdige Rennstrecke Targa Florio. Nürburgring Nordschleife? Kindergeburtstag. Das hier ist das wahre Adrenalinparadies: Wahnsinnskurven, Aufschwünge, Abschwünge, Sprungchancen, die spektakulärste Asphalt-Achterbahn seit Langem. Keine Frage, dass Karstens Vorderrad, wie alle anderen mit Diablo Rosso II bereift, häufig im Himmel hängt.

Nach der Targa Florio-Runde düsen wir auf dicken Tourern von BMW (1600 GT, 1200 RT), Honda (VFR 1200) und Suzuki (Bandit 1250) zum Race Track von Racalmuto. Was für eine Freude, dieses Schwingen mit den dicken Dingern auf ihren Angel ST-Sohlen. Salvo hat für heute mit seinem Freund Antonio Toleranz für die Tedeschi vereinbart. Antonio ist bei der sizilianischen Polizei ein General. Keine weiteren Fragen. Karsten lässt jetzt die Renner über die Strecke fliegen. BMW S 1000 RR, Aprilia RSV 1000, Kawa ZX 10 R, KTM RC 8 R und Triumph Daytona kämpfen auf ihren Diablo Supercorsa SC um Zehntel, ich kämpfe um die Ehre. Die wechselnde Asphaltqualität der Rennstrecke weckt wenig Vertrauen, selbst bei Karsten und Pirellis Haudegen stellen sich die Nackenhaare auf. Im Klinikmobil, das uns immer folgt, wartet die schöne Ärztin, doch es kommt zu keiner näheren Kontaktaufnahme. Stattdessen vollenden wir unseren Tag auf Diablo Rosso Corsa. Auf diesen Gummis stehen eine Fireblade, eine MV Agusta F4, eine Yamaha R1. Die rote Scheibe geht unter, wir treiben die Boliden zurück zum alten Palazzo, der Villa Gussio und treffen dort geplättet aber maximal abgefüllt mit Eindrücken nach 13 Stunden und 20 Minuten ein. Salvo umarmt uns. Karsten und ich sind jetzt sizilianische Ironmen. Mit 850 ultrakontrastreichen Kilometern, 26 Motorrädern und acht Reifenarten in den Knochen. Für uns das intensivste Motorraderlebnis seit Langem, für den Sizilianer Salvo ein Stück (PR-)Leidenschaft.

Infos

Werel
Reisedauer: Ein Tag. Gefahrene Strecke: 850 Kilometer

Sizilien lohnt auch auf wochenlangen Motorradreisen. Dieser Intensivtrip beweist aber schon nach einem Tag die Schönheit der Insel.

Allgemeines:

Sizilien als größte Insel Italiens bietet dem Motorradreisenden eine Fülle an unterschiedlichen, aber immer reizvollen Landschaften, Gebirgszügen samt kleinsten Bergsträßchen, langsamen oder schnellen Landstraßen oder Autobahnen. Packende Panoramen, stille und laute Strände, pittoreske Häfen und Dörfer, kulturelle Vielfalt und spannende Relikte aus einer von vielen Völkern geprägten, Jahrtausende alten Geschichte würzen das Gesamtpaket. Von Ende Februar bis Ende Oktober bietet die Insel viel Sonne. Selbst im Winter können Biker Wetterglück haben.

Anreise:

Die einfachste Lösung: Flug nach Catania oder Palermo und Motorrad mieten (z. B. www.sicilymotorent.it). Oder das eigene Bike auf den Autozug bis Alessandria. Ferner existieren lohnenswerte Fähren: Von Genua, Livorno, Civitaveccia und Neapel nach Palermo oder Catania. Das MOTORRAD action team bietet auf Sizilien Endurotrainings an: www.actionteam.de

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023