Durch Ungarn, Rumänien und Bulgarien bis in die Türkei. Und zurück über Griechenland. Nach 6000 Kilometern war klar: Mehr Abenteuer in Europa geht nicht.
Durch Ungarn, Rumänien und Bulgarien bis in die Türkei. Und zurück über Griechenland. Nach 6000 Kilometern war klar: Mehr Abenteuer in Europa geht nicht.
Das Gefühl, als Thomas und ich vom Hof rollen, ist das gleiche wie damals mit 16, ein Interrailticket in der Tasche, als einen die Eltern noch zum Bahnhof brachten: endlich Freiheit. Egal wohin. Hauptsache fort, sich treiben lassen. Vielleicht sind wir insgeheim wirklich ein wenig auf der Suche nach dem Feeling von damals, als wir kurz entschlossen zu einem Trip Richtung Osten aufbrechen. Einzig konkretes Ziel: Istanbul. Vor 25 Jahren hätte ich allerdings alles für den heutigen Tag gegeben: frei wie der Wind inklusive Kreditkarte und Schutzbrief.
München, Salzburg, Linz, schließlich Wien. Rauschen in den Ohren, schmerzende Halsmuskeln, verkrampfte Oberarme Strecke machen ist nicht die Paradedisziplin einer Kawasaki Z 1000 und BMW R 1150 R Rockster. Dafür machen sich die Bikes vor dem traditionellen Kaffeehaus Sacher im Zentrum der österreichischen Metropole umso besser. Diesen piekfeinen Laden haben wir angepeilt, um endgültig den Start unserer Tour zu feiern. Leider ein teures Vergnügen: Wir zahlen 4,50 Euro für ein kleines Stückchen Torte. Dann geben wir Gas, fliegen förmlich bis Budapest, wo wir bis spät abends auf der Suche nach einem Hotel mit Garage sind. Der Zug durch die nächtlichen Gassen fällt aus. Wir sind zu müde.
Schon früh am nächsten Morgen scheint die Luft zu brennen eine schier unerträgliche Hitze empfängt uns am Rand der Puszta, steigert sich noch, je weiter wir in diese brettflache Region eindringen, die bisweilen an die zentralasiatische Steppe erinnert. Nur Lidl, Penny und Aldi, die in nahezu jedem Dorf den Ortseingang markieren, passen nicht ins Bild. Dann schon eher dieser Ziehbrunnen hinter Szolnok der allerdings der einzige ist, den wir entdecken. So gut wie keine Kurven, eine wenig abwechslungsreiche Gegend die 230 Kilometer auf der Landstraße bis an die rumänische Grenze entpuppen sich als äußerst zähe Prüfung. Die Kawa, erfahren wir beim Tanken von einem ungarischen Biker, würde hier umgerechnet etwa 15000 Euro kosten. Von einer BMW würde er nicht einmal
zu träumen wagen.
Am späten Nachmittag die Grenze. Wir sind ein wenig nervös unser Bild von Rumänien ist ehrlich gesagt nicht das beste. Freunde und Bekannte hatten uns zudem prophezeit, dass wir spätestens nach zwei Tagen keine Motorräder mehr hätten. Die Einreiseformalitäten verlaufen dagegen völlig problemlos. Freundliche und korrekte Beamte. Und ein goldbezahnter Devisenhändler: Für 150 Euro erhalte ich rund fünf Millionen Lei in ziemlich gebrauchten Scheinen. Unmöglich, diesen Batzen Geld vor Ort nachzuzählen. Wird schon stimmen. Gleich hinter dem dahinsiechenden Industriekaff Oradea öffnet sich das Land. Hügel und vereinzelte Baumreihen wie in der Toskana. Dann und wann blitzen höhere Berggipfel hervor, und die Straße ein Gedicht! Kurvig sowie ein griffiger Belag in sehr gutem Zustand. Die ersten Meter für heute, die Spaß machen.
Wir gelangen nach Beius. Einfache, aber gepflegte Häuser, große Blumen-
und Gemüsegärten, Gänse, Kühe und Pferdefuhrwerke auf der staubigen Straße, Kinder, die barfuß am Brunnen in der Ortsmitte spielen. Wir lassen uns von dieser Idylle bereitwillig täuschen: Rumänien gehört zu den ärmsten Ländern Europas, doch die Armut erscheint im Moment weniger offensichtlich als erwartet. Drei Stunden später. Im Lichtkegel der Scheinwerfer bauen wir irgendwo vor Albac wenige Meter vom Straßenrand entfernt unser Zelt auf. Nicht aus purer Lust am Campen, sondern weil wir kein Hotel gefunden haben. Schnell noch die Motorräder anketten und das Schweizer Messer griffbereit neben dem Schlafsack deponieren man weiß ja nie. Duschen, Abendessen, ein kühles Bier, Zähneputzen? Fällt heute alles aus. Plötzlich ist das Abenteuer da.
Eine Tankstelle versorgt uns am Morgen mit Kaffee, Keksen und angeblich bleifreiem Treibstoff. Gleich darauf zieht die Straße an, windet sich über einen 1100 Meter hohen Pass. Dichter Wald, zwischendurch knallbunte Sommerwiesen, klares Gebirgswasser, vereinzelt Bauernhäuser aus dunklem Holz. Irgendwie eine Mischung aus Schwarzwald und Allgäu. Nur unberührter. Zwei Hand voll Autos und etwa doppelt so viele Pferdewagen, meist mit Baumstämmen oder Heu beladen.
Das wars auch schon auf der wunderbar kurvigen Strecke in Richtung Albac und weiter bis Turda. Dieser Weg schlägt so manche Trasse in den Alpen.
Irgendwo vor Târgu Mures. Bei einem Stopp werden wir von Sergio angesprochen, dessen vielköpfiger Clan ein paar Meter weiter am Straßenrand lebt. Drei betagte Wohnwagen, ein roter Holztisch unter einer Markise, laute, fremdartig klingende Musik aus einem billigen Radio, Ziegen, Hühner, Gänse. Unrasierte, düster dreinblickende Männer nehmen uns in ihre Mitte, es riecht nach Schweiß und Alkohol. Wir müssen mit vielen Gesten erzählen, woher wir kommen und wohin wir wollen. Romania gut? Oh, ja, sehr gut! Zehn Minuten später gehören wir praktisch zur Familie. Männer und Frauen lachen und reden durcheinander, die Kids turnen abwechselnd auf den Motorrädern herum, posieren für Fotos. Niemand versteht ein Wort des anderen. Und dennoch versteht man alles
Wir erreichen Sighis¸oara. Ein mächtiger Burgturm, kopfsteingepflasterte, enge Gassen, uralte, windschiefe Häuser das von in Siebenbürgen lebenden Deutschen im 13. Jahrhundert gegründete Schäßburg gilt als das rumänische Rothenburg ob
der Tauber. Nur eben ohne Touristenrummel. Wir suchen eine Bleibe, werden an
einer Kreuzung von einer sympathischen Frau auf Deutsch angesprochen. Für umgerechnet fünf Euro könnten wir auf den breiten Sofas im Wohnzimmer ihrer Mutter schlafen. Sehr gerne. Bis spät in der Nacht müssen wir bei Nachbarn Kuchen und Quittenschnaps probieren. Thomas und ich werden behandelt, als wären wir alte Freunde.
Einen genialen Fahrtag später. Wir stehen mitten in Bukarest vor dem Palast des 1989 hingerichteten Diktators Ceausescu. Ein Monument des Größenwahns, wie es auf der Welt vermutlich kein zweites gibt: Während das Land ausblutete, richtete er sich und seiner Frau über 7000 (!) Zimmer ein nur das Pentagon ist noch größer. Uns genügt ein Blick, dann raus aus den chaotischen Verkehrsverhältnissen. Wir peilen das Donau-Delta an.
Lust auf Neues? Dann auf nach Osteuropa, das weitaus besser ist als sein Ruf. Man sollte sich nur darauf einstellen, unterwegs auch mal improvisieren zu müssen aber darin kann gerade der Reiz einer Reise liegen.
Anreise
Für eine Fahrt durch den Osten Europas müssen ein mindestens noch sechs Monate gültiger Reisepass, der Kfz-Schein sowie die grüne Versicherungskarte für das Fahrzeug mitgeführt werden. An den Grenzen zu Rumänien, Bulgarien und der Türkei kommt es leider regelmäßig zu längeren Wartezeiten. Auf der Homepage des Auswärtigen Amts (www.auswaertigesamt.de) erfährt man alles über Einreisebestimmungen sowie eventuelle Reisewarnungen.
An- und Rückreise
Wer in die Karpaten, zum Donau-Delta oder an die bulgarische Schwarzmeerküste reisen möchte, muss notgedrungen eine längere Anreise in Kauf nehmen. Per Autobahn gelangt man bis in die ungarische Hauptstadt Budapest, von wo aus nur noch mehr oder weniger gut ausgebaute Fern- beziehungsweise Transitstrecken weiter in Richtung Osten führen. Mit rigorosen Geschwindigkeitskontrollen muss überall gerechnet werden. Wer wie im Text beschrieben per Fähre von Patras nach Venedig (oder umgekehrt) gelangen möchte, sollte besonders in den Sommermonaten reservieren. Eine einfache Passage für die 36-stündige Fährfahrt kostet pro Person und Motorrad (Mehrbettkabine, Nebensaison) ab 142 Euro. Infos und Buchung: DERTOUR, Telefon 069/95885800; Internet: www.dertour.de.
Unterkunft
Während sich in Ungarn inzwischen nahezu überall ein Zimmer finden lässt, kann es in Rumänien, Bulgarien oder in den abgelegeneren Regionen in der Türkei mit der Suche nach einer Bleibe schon mal etwas länger dauern. In einem einfachen Pensionszimmer lässt es sich bereits ab zehn Euro nächtigen; für eine Nacht in einer Großstadt oder in einem touristisch interessanten Gebiet muss man dagegen mit mindestens 34 bis 50 Euro rechnen. Unbedingt Zelt und Schlafsack mitnehmen Campingplätze finden sich in den Karpaten sowie an den bulgarischen und türkischen Stränden.
Geld
Niemals schwarz tauschen! Fürs erste reicht es, sich einige Euro an der Grenze in einer Wechselstube zu besorgen. Betrügereien sind dort aber nicht auszuschließen. Besser: Die nächste Bank aufsuchen oder per EC-Karte an einem der inzwischen zahlreichen Automaten Geld abheben. Hotels und viele Geschäfte akzeptieren alle gängigen Kreditkarten. Achtung: Rumänische Lei werden in Bulgarien nicht gewechselt also unbedingt vorher ausgeben. Bulgarische Leva dürfen ihrerseits wiederum nicht ausgeführt werden.
Sicherheit
Geschichten von mafiösen Zuständen in Ungarn, Rumänien oder Bulgarien halten sich hartnäckig. Fahrzeugklau, Trickbetrüger oder organisierte Räuberbanden treiben aber auch in Italien, Frankreich oder Spanien ihr Unwesen. Motorräder gelten in Osteuropa nur bedingt als attraktives Diebesgut. Generell sollte man sein Fahrzeug stets in einer Garage oder auf einem bewachten Parkplatz abstellen. Wegen unbeleuchteter Baustellen oder Fuhrwerke nachts besser nicht fahren. Inzwischen gibt es an allen größeren Tankstellen auch bleifreien Treibstoff eine Reichweite von 200 Kilometern ist ausreichend.
Literatur
Bei einer entsprechenden Tour ist man auf mehrere Reiseführer angewiesen was auf einem Motorrad schnell zu einem Platzproblem führt. Ein Tipp sind deswegen die jeweils nur etwa 130 Seiten starken Marco-Polo-Führer für je 7,95 Euro (www.marcopolo.de). Ebenfalls von Marco Polo stammen die hervorragenden Shell Eurokarten, die die Länder Osteuropas im Maßstab von je 1:750000 abdecken. Für je 7,50 Euro. Für Rumänien und Bulgarien empfiehlt sich ebenso die gleichnamige Travelmag-Karte im Maßstab von 1:800000, die 7,50 Euro kostet.
6000 Kilometer weit durch Südosteuropa. Oder gleich bis ans Ende der Welt. Geht das auf BMW R 1150 R Rockster und Kawasaki Z 1000?
Thema Nummer eins: Wohin mit dem Gepäck? Der BMW-Pilot freut sich die Rockster kommt daher wie ein Pick-up, verfügt über ein stabiles Koffersystem und einen Tank, dessen Oberfläche förmlich nach einem Tankrucksack giert. Die Abdeckung für das Werkzeugfach hinter dem Fahrer (Sozius-Sitzkissen gibt es bei der Rockster nur gegen Aufpreis) geht zudem fast schon als Ladefläche durch.
Auf der Kawasaki sieht die Sache anders aus. Ein Koffersystem für die Z 1000? Wer ausgelacht werden will, kann ja mal beim Händler nachfragen. Bleiben also nur Satteltaschen aus dem Zubehörhandel die leider ständig irgendwie in Bewegung sind und sich schon mal auf den Endtöpfen abstützen sowie eine Gepäckrolle, die auf dem abgerundeten Höckersitz ebenfalls nur bedingt Halt findet. Aber: Ein dickes Lob an den Konstrukteur, der an die beiden Haken unterm Heck gedacht hat. Dieser Mann muss ein Reisefan gewesen sein, denn noch nie war es so leicht, Spannriemen zu befestigen. Unterm Strich siehts auf einer mit Sack und Pack beladenen Kawa allerdings immer ziemlich chaotisch aus.
Thema Nummer zwei: unterwegs sein. Im Vergleich zur BMW geht die Kawasaki mit ihrer aufrechten Sitzposition prompt als Tourer durch. Auf ihr hat man den Horizont stets im Blick. Stundenlang. Denn der Sessel auf der Z ist äußerst komfortabel. Wie der der Rockster nur dass ein Fahrer hier statt in die Welt eher auf den Asphalt schaut: Die 85 Millimeter breite Lenkstange streckt die Arme arg, zwingt einen in eine stark nach vorn gebeugte Position. Nicht unbequem, doch gewöhnungsbedürftig. Im Wind hängen beide Fahrer.
Ab auf die Landstraße. Wie gesagt wir befinden uns auf langer Reise und nicht bei der flotten Wochenendtour. Bei der BMW genügt es, am Morgen in den sechsten Gang zu schalten und bis zum Abend diese Position beizubehalten. Der Boxer schiebt immer Gelassenheit ist sein Trumpf. In jeder Situation. Bei der Z 1000 verführt a) der absolut geniale Klang des Triebwerks und b) die Tatsache, dass der Vierzylinder unter 6000 Umdrehungen mit wenig Druck daherkommt, zum Spiel mit dem Kabel. So was gefällt zwischendurch, keine Frage, wird in einem Bergnest in den Karpaten aber als störend empfunden. Wie bisweilen das Fahrwerk. Lässt die Qualität des Asphalts nach, stochert die Japanerin schon mal ein wenig hilflos herum. Eigentlich kein Grund zur Sorge bis zu dem Moment, in dem man die BMW kennen lernt: Der Komfort von Telelever-Vorderradführung dürfte unerreicht sein. Dieses Motorrad gleitet förmlich über jede Trasse. Und rollt, wenns sein muss, gut 350 Kilometer weit mit einer Tankfüllung. Die Kawasaki ist im Extremfall rund 50 Kilometer früher trocken. Was diese beiden Bikes definitiv zum guten Reisepartner qualifiziert: Sie sind anders, machen an, treffen mitten ins Herz. Nicht unwichtig, wenn man längere Zeit aufeinander angewiesen ist.