Der infernalische Sound der Moto GP-Biester ist in der Boxengasse gerade verstummt, doch von der anderen Seite des Fahrerlagers ertönt das Kreischen von hochgezüchteten Zweitaktern und blauer Rauch steigt auf. Dann kommt eine Gruppe von alten 500er-GP-Bikes, aus denen der Klang eines gewaltigen Viertakters heraustönt, in Formation daher. Die Fahrer winken in die Menge, dann beginnt einer nach dem anderen, richtig am Kabel zu ziehen.
Was die Zuschauer nach dem Warm-up des britischen Grand Prix in Silverstone 2016 zu sehen bekamen, ließ vor allem die Herzen der Älteren höher schlagen. Zum einen galt diese Parade einem Helden, an den sie sich noch zu gern erinnern: Barry Sheene, der letzte 500er-Weltmeister Englands. Ein Mann, der mit seinem Charisma, seinem extravaganten Lebensstil und seiner Volksverbundenheit so viele Fans um sich scharte, wie es seither nur Valentino Rossi gelungen ist. Zum anderen war es eine Erinnerung an Motorräder einer längst vergangenen Ära. Vor 40 Jahren gewann Barry Sheene seinen ersten WM-Titel, und vor 35 Jahren seinen letzten Grand Prix. Doch seine Hinterlassenschaft in diesem Sport hat ihn, der mit 53 Jahren viel zu früh aus dem Leben schied, weit überlebt.
Sohn Freddie Sheene fuhr für Roberts
Entsprechend groß war die Motivation der Veranstalter, sein Erbe gebührend zu feiern. Seine Weggefährten und Freunde aus dem Motorsport waren sofort dabei, als es darum ging, die Motorräder von Sheene und seiner Ära um den Silverstone-Kurs zu bewegen, wo Sheene 1979 sein legendärstes Duell mit Kenny Roberts austrug. Roberts selbst sollte genau die Yamaha OW 48R, die er damals fuhr, wieder pilotieren. Doch zwei Wochen zuvor hatte der dreifache Weltmeister einen Herzinfarkt erlitten. Nach einer Operation, bei der ihm eine Gefäßstütze in den Herzkranzgefäßen eingesetzt wurde, musste er leider absagen.
So pilotierte Sheenes Sohn Freddie die Yamaha, was die Parade noch persönlicher machte. An Familiärem mangelte es ohnehin nicht. Sheenes Schwager Paul Smart fuhr die Suzuki XR 14, mit der „Bazza“ 1975 in Assen seinen ersten 500er-Grand Prix gewann, gestartet wurde die Parade von Sheenes Witwe Stephanie, abgewunken von seiner Schwester Maggie.
Mick Doohan, Steve Baker, Graeme Crosby
Auch sonst wurde noch vieles aufgefahren, das die Ära Sheene in beeindruckender Art zurückbrachte. Formel 750-Weltmeister Steve Baker fuhr die 1975er-Yamaha TZ 750, gegen die Sheene sporadisch bei Formel 750-Rennen gefahren ist. Der vierfache Vizeweltmeister Randy Mamola, Nachfolger von Sheene im Team Heron-Suzuki, steuerte die Suzuki XR 34 von 1980, der Holländer Wil Hartog, der Sheene 1977 in Assen besiegen konnte, eine Suzuki RG 500 Mk. V aus dem gleichen Jahr. Franco Uncini, Weltmeister von 1982 und heute als Sicherheitsexperte nach wie vor in der WM dabei, fuhr seine Suzuki XR 45 von 1984, die letzte Entwicklungsstufe der Square Four-Suzukis, bei deren Anfängen Sheene die entscheidende Rolle als Entwicklungshelfer spielte. Dazu steuerte der zweifache TT-F1-Weltmeister Graeme Crosby seine Suzuki XR 35 von 1981, ein 1000er-Monster mit der Fahrwerkstechnik der damaligen Grand Prix-Maschinen.
Wayne Gardner, 500er-Weltmeister von 1987, sollte mit der 1100er-Moriwaki-Kawasaki fahren, mit der er vor seiner GP-Zeit in England für Furore gesorgt hatte, doch die Zündung legte das blaue Wunder von damals schon in der Boxengasse lahm. Dafür hatte der zweifache Superbike-Weltmeister Colin Edwards umso mehr Spaß mit der Yamaha OW 53, die Sheene 1981 einsetzte. Der fünffache Weltmeister Mick Doohan, dem Sheene den Weg in die WM ebnete, begleitete mit einer Honda NSR 500 V2 von 1998 die Paraderunden von Freddie Sheene. Barrys ehemaliger Teamkollege und Busenfreund Steve Parrish rückte mit der 1994er-Suzuki RGV 500 von Kevin Schwantz aus, der Neuseeländer Simon Crafar, dem Sheene einst ebenfalls zur internationalen Karriere verhalf, mit der Cagiva V 591, dem 1991er-Bike von Eddie Lawson.
Als die Rennmaschinen allesamt wieder in der Boxengasse versammelt waren, die alten Helden ihre Helme abnahmen und über das Mikrofon des Streckensprechers die Erinnerungen an Barry Sheene und seine Ära noch einmal aufleben ließen, hatten viele Tränen in den Augen. Es war eine schöne, wilde Zeit. Schön, dass man sie auf so ergreifende Art für kurze Zeit wieder zurückgeholt hat.