Sportliches Leben: Die zwei geilsten Kurven der Welt

Corkscrew in Laguna Seca und Parabolica in Monza Sportliches Leben: Die zwei geilsten Kurven der Welt

Volle Schräglage - da tanzen die Glückshormone unter der Schädeldecke Tango! Doch in diesen beiden Kurven tanzt meist noch was ganz anderes mit: die Angst. Dürfen wir bitten?

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Corkscrew, Laguna Seca/USA, 11 Prozent maximales Gefälle.

Gut, dieses Thema wirkt im Ansatz etwas abgefahren. Auf den kommenden vier Seiten soll es einfach nur um zwei Kurven gehen. Wie die Spannung so lange hochhalten, ganz ohne neue Maschine, brillantes Reiseziel oder umfangreichen Produkttest? Der geneigte Leser möge es als kleines Experiment sehen, so wie der Autor auch. Sollte es glücken, gerne loben, wenn nicht, naja. Jetzt aber ab nach Kalifornien. Dort, eine Handvoll Meilen vom Pazifik und dem Edelort Monterey entfernt, gossen 1957 ein paar Privatleute für die lächerliche Summe von 1,5 Millionen US-Dollar eine Rennstrecke in die Landschaft. Den Laguna Seca Raceway, bis heute eine technisch höchst anspruchsvolle Berg- und Talbahn mit gerade mal elf Kurven.

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Corkscrew in Laguna Seca und Parabolica in Monza Sportliches Leben: Die zwei geilsten Kurven der Welt
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Eine davon nennt sich Andretti-Hairpin, das ist die 180-Links nach Start und Ziel, in der man tolle Überholmanöver, aber auch dramatische Verbremser sieht. Kurve neun ist die Rainey-Curve, ein Bergab-Linksknick, der schon so manchem Star zum Verhängnis wurde. Wenn er überhaupt so weit kam. Denn davor schuf Gott - nein, Quatsch, der Streckenarchitekt - eine Kurvenkombi, wie sie schrecklicher und furchterregender kaum sein kann.

Von der Corkscrew hatte ich, als ich vor vielen Jahren das erste Mal nach Amerika durfte, noch nie gehört. „Kalifornien? Mach du das, ich hab keine Lust auf die Amis“, ordnete der damalige Testchef an. Da hätte ich eigentlich misstrauisch werden müssen. Aber ich war jung. Und Ami-Land? Why not? Immerhin sollte es zwei brandneue Yamaha FZRs zum Fahren geben.

Die Luft flimmert unter der heißen Sonne, 35 Grad im Schatten und hemmungslos angasende Kollegen auf der Strecke flößen dann doch etwas Respekt ein. „Du musst mit der 1000er anfangen, aber pass auf, die sind offen!“ „Kein Problem, was bedeutet offen?“ „135 PS.“ Die trockene Ansage des Yamaha-Offiziellen begeistert. War doch die stärkste Maschine, die ich Jungspund bis dahin hatte bewegen dürfen, eine gedrosselte Suzuki GSX-R 1100 mit 100 PS. Endlich Freiheit, endlich mal Power, endlich mal die Sau rauslassen. Uiuiui - unglaublich, wie schräg die anderen alle hier um die Ecken biegen, erst einmal die Strecke lernen. Also sich einen halbwegs Schnellen suchen und hinterher! Die beiden Rechts nach der Hairpin gehen leicht von der Hand, der Anbremspunkt für die Links wird erst einmal vorsichtig früh gewählt. Jetzt gibt der Vordermann richtig Gas - nur nicht abhängen lassen.

Nach der Links bergauf drückt die fette 1000er richtig voran, schnell ist der kleine Abstand wieder aufgeholt. Warum bremst der jetzt so stark? Und - wo ist der plötzlich hin??? Wo ist die Strecke? Innerhalb von Sekundenbruchteilen einfach verschwunden! Kein Asphalt mehr vor dem Vorderrad, nur noch schmutziggelber kalifornischer Wüstenstaub. Wie in Zeitlupe blockiert vorn fast das Rad, hebt sich hinten das Heck, näher, immer näher kommt das Ende. Nein, doch nicht! Links abkippen, egal, welcher Gang drin ist, das geht so steil runter, da wird man sogar im Leerlauf wieder schnell.

Auf dem höchsten Punkt der Strecke haben die Erbauer einfach eine 90-Grad-Links hingebaut. Dazu noch mit einem darauffolgenden Gefälle und einer blinden Rechts. Den Namen für diesen Eingeweideverdreher hätten sie nicht besser wählen können: Corkscrew - ein in Asphalt gegossener Korkenzieher. In ihm sollte Valentino Rossi 2008 Casey Stoner im Sand überholen - eine legendäre Szene. Zwei Tage lang versuche ich immer aufs Neue, den richtigen Bremspunkt davor und die schnellste Linie hindurch zu finden. Es glückt nie wirklich. Geschätzte zwei Sekunden kann man hier liegen lassen. Aber alles besser, als sich selber mit hinzulegen.

Die Parabolica in Mona/I

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Parabolica, Monza/Italien, maximale Kurvengeschwindigkeit: 210 Km/h.

Mindestens ebenso spektakulär und dazu vielleicht noch berühmter, in jedem Fall aber berüchtigter ist eine andere Kurve. Sie kostete schon einigen Fahrern das Leben: Graf Berghe von Trips und Jochen Rindt verunglückten beim Anbremsen tödlich, um nur die bekanntesten Opfer zu nennen. Viel Historie, große Tragödien, kaum eine Rennstrecke ist so berühmt wie die 1922 innerhalb von drei Monaten gebaute Piste von Monza. Und so schnell. Die langen Geraden lassen jeden Motor an seine Grenzen kommen. Formel-1-Autos haben hier einen Volllastanteil von 70 Prozent.

Aber auch die Fahrer haben da wenig zu lachen. Dabei ist der Kurs mit seinen acht Kurven nicht gerade technisch anspruchsvoll. Dafür muss wie nirgendwo sonst (außer vielleicht auf dem alten Kurs in Hockenheim) aus höchsten Geschwindigkeiten mehrmals eine Schikane gemeistert oder gar - und um diese Kurve geht es jetzt - eine wirklich schnelle 180-Grad-Kehre angebremst werden: Die Parabolica in Monza fordert alle Konzentration. Und unendlichen Mut, wenn du schnell sein willst. Denn sie ist die letzte Kurve vor der Zielgeraden, Kurve acht, wie auch in Kalifornien. Es war Scott Russels Superbike, das ich damals dort testen durfte. Eine 750er-Vierzylinder-Yamaha mit sicherlich gut 160 PS.

Volles Data-Recording auf der Maschine, eine ganze Horde von Mechanikern und eine dickere Feder für das Federbein hinten machen den Test angenehm. Und transparent. Das sorgenvolle Gesicht des Datenspezialisten nach den ersten fünf Runden spricht Bände - ich fahre ihm zu langsam, die Reifen, so seine Angst, kühlen aus, und irgendwann versenke ich die teure Werks-Yamaha noch in der Botanik: „Wir haben dir Scotts Kurve über deine gelegt, damit du siehst, wie schnell man fahren kann. Du hast noch Luft.“ Klar. Den Kampf gegen die Zwei-Minuten-Schallmauer habe ich zunächst verloren, Russel fuhr zwölf Sekunden schneller. Immerhin schreit die 750er mit 280 km/h die Zielgerade hinunter. „Die Curva Grande fährt Scott voll“, hallt es mir noch im Gehörgang.

Kein Problem, wenn man früh genug hochschaltet. Locker die beiden Lesmos, runter zur Ascari-Schikane und dann volle Kanne Richtung Parabolica! Fantastisch, wie die Yamaha dreht. Und wenn man sich hinter der Verkleidung ganz klein macht, dann wackelt das Biest auch gar nicht mehr. Für einen Moment sind Pilot und die wild kreischende Maschine ein perfekt funktionierendes System. Einen Moment zu lang! Verdammt - die Parabolica! ANBREMSEN!! Wild schlingert die Maschine Richtung Kurvenausgang, mit aller Gewalt knallt der Knieschleifer auf den Asphalt - uff, nicht gestürzt, jetzt im vierten Gang rum um dieses Monster und schön wieder das Gas aufziehen. Wie ein Faustschlag in die Magengrube, so fühlt sich der Adrenalin-Flash nach dieser Horroraktion an. Arme und Beine verlieren schlagartig alle Kraft, nur mit Mühe gelingen mir die nächsten Kurven noch einigermaßen ehrenhaft.

Drei Runden später ist der Sprit zu Ende, stotternd rollt die Yamaha mit mir in die Box. Ich muss kreidebleich sein unterm Helm. Aber jetzt nur nichts anmerken lassen, immerhin hab ich den Rückstand auf unter neun Sekunden reduziert. Der Datenmann krallt sich den Speicher: „Komm mal her. Hier, in deiner vierten Runde, da hast du den Vorderreifen mal auf die richtige Temperatur gebracht. 78 Grad am Kurveneingang von der Parabolica, so hättest du immer fahren sollen, dann wärst du viel sicherer unterwegs gewesen.“ Sicherer? Der meint also ernsthaft, mit dem Gefühl, mit einem Bein schon im Krankenhaus zu stehen, nein, eher drinzuliegen, damit sei man schnell genug für diese Rennreifen? Und für diese Kurve?!

Jahre später präsentiert MV Agusta seine F4 in Monza. Eine tolle Erfahrung, denn die 750er liegt wie ein Brett, rennt nicht über 255 km/h und lässt sich wunderbar in die Parabolica einlenken. Mit der MV fuhr mir dann keiner mehr davon. Kein Wunder, ich hatte hier ja vorher schon geübt. Und mit der Angst getanzt.

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