Wenn man Markus Poschner zum ersten Mal sieht, traut man ihm das nicht zu. Und wenn man ihm zuhört, erst recht nicht. Poschner weiß das ganz genau, spricht ruhig und gelassen. Erzählt von 36 Jahren BMW Motorrad, von Menschen, die er verletzt oder zu hart rangenommen hat. Von seiner Ungeduld, seinen taktischen Fehlern. Von den Fehlern, die er in die Serie gebracht hat, spricht er nicht so gerne. Zum Glück waren das aus seiner Sicht ohnehin nicht viele. Und irgendwann kommt er dann, der Satz, der so verwirrt. Beiläufig, man überhört es beinahe, wenn Poschner sagt: „Das mit den 25 Knochenbrüchen hätte eigentlich auch nicht sein müssen.“
Er lächelt, denn er kennt die Wirkung dieses Satzes ganz genau. Weiß, dass die Menschen ihm nicht glauben, weil man dem netten Herrn mit breitem Scheitel so eine Kamikaze-Nummer nicht zutraut. 25 Knochenbrüche beim Motorradfahren! So eine Quote deckt sich nicht mit dem zurückhaltenden Schmunzeln eines Vorruheständlers, passt nicht zu dem ruhigen Vortrag und schon gar nicht zu dieser stringenten BMW-Karriere, selbst wenn die meisten Stürze fremdverschuldet waren und vor seinem BMW-Engagement datieren.
Immerhin: Poschner war Baureihenleiter, das kommt gleich nach dem einen oder anderen Chef. Da setzt man automatisch mehr Sitzungs- als Sturzroutine voraus, denn schließlich ist der 58-Jährige in seiner BMW-Laufbahn schon alles gewesen. Fahrwerkskonstrukteur, Vorentwickler, Gruppenleiter Karosserie, Baureihenleiter Boxer, Abteilungsleiter Konstruktion, Abteilungsleiter Fahrwerk - und zuletzt zwölf Jahre Leiter der so wichtigen Baureihe zwei, den Reihenvier- und -sechszylindern sowie der Zwei-zylinder-Straßenmodelle. Keine Frage, Poschner ist einer der Väter der neuen BMW-Welt. Stürze hin, Knochenbrüche her.
Er fahre eben furchtbar gerne Motorrad, sieht er die Sache pragmatisch. Und er wollte eben immer viel erreichen, nicht nur mit, sondern auch auf zwei Rädern. Der Lohn des beherzten Engagements: Nur zweimal wurde er während seiner langen Motorradkarriere auf der Landstraße oder einem Alpenpass von anderen überholt. Wie denn auch, fragen seine ebenfalls sehr flotten Mitarbeiter. Der Chef ziehe am Kabel wie ein Berserker. Ein Wunder ist das nicht bei einem, der lange Jahre selber aktiv Rennen fuhr. Yamaha TZ 350 (Bergrennen und OMK-Pokal) und Laverda 1000 („vier Jahre Zuvi“) waren seine Sportgeräte, viele gute Platzierungen - „nie schlechter als Rang fünf“ - und die Tagesbestzeit beim Bergrennen am Auerberg die Ausbeute. Nur gewinnen, gewinnen ließen ihn „die Säcke“ nie. Heute, kurz vorm Ruhestand, kann Poschner darüber lachen.
Doch irgendwie wurmt ihn das noch immer, das merkt man. Weil so ein Alphatier wie er einfach nicht verlieren mag. Nicht auf dem Rundkurs - und erst recht nicht im Job. Sehr schnell hat er damals, 1977, kurz nach seinem Einstieg bei BMW Motorrad gemerkt, wie in einem Großkonzern der Hase läuft. Und umgehend seine Schlüsse gezogen. „Das war die Zeit, in der BMW die R 100 RS brachte, das erste vollverkleidete Serienmotorrad. Und was haben die gemacht? Eine Regenschutzverkleidung drangebaut. So habe ich jedenfalls damals das RS übersetzt. Ein riesiges Teil!“ Poschners Arme sind zu kurz, um der riesigen Empörung Ausdruck zu verleihen. Damals habe er sich ernsthaft gefragt, ob das die richtige Firma für ihn sei, sei aber geblieben. Zwei Dinge nahm er sich in dieser Zeit vor. „Mindestens Abteilungsleiter werden und irgendwann mal ein richtiges Sportmotorrad bauen.

Der erste Plan ging relativ schnell auf, der zweite hat sehr, sehr lange gedauert.“ Mittlerweile weiß er, wie dicke Bretter man bei BMW Motorrad bohren muss. „Schwarz auf weiß und links gelocht“ ist seither eines der geflügelten Poschner-Worte, der Baureihenchef hat die Dinge gerne schriftlich. „Spielübersicht“ attestieren ihm seine Projektleiter, er sei sich der Tragweite der eigenen Entscheidungen stets bewusst und treffe fast immer die richtigen. Er habe Visionen und setze sie auch um, arbeite kostenbewusst und ergebnisorientiert, sei ein nüchterner Analytiker und ein penibler Nachprüfer. So redet man nicht von einem, der oft schief liegt. Chef hin, Chef her. „Ein Poschner“, erklärt Projektleiter Rudi Schneider, unter dessen Regie zuletzt die HP4 entstand, „das ist bei BMW Motorrad mittlerweile eine Maßeinheit. Das sind exakt zehn Millimeter.“ Poschner muss lachen angesichts dieser zweifelhaften Berühmtheit. „Eine Kugellagerkugel mit diesem Durchmesser hatte ich immer in der Tasche. Einfach weil damals, in den Anfängen von CAD, nichts gepasst hat, wie es sollte. Wenn diese Kugel dann zwischen zwei Bauteilen, deren Abstand nachweislich nicht unter zehn Millimeter liegen durfte, stecken blieb, war der Abstand zu knapp. Dann mussten sie noch mal ran.“
Diese Zeiten sind zum Glück heute längst vorbei. Doch für den gelernten Stahlbau- und eben nicht Maschinenbau-Ingenieur („das haben die damals bei meiner Bewerbung ganz sicher übersehen“) spricht nicht nur seine Akribie, sondern auch die Zahl der wichtigen BMW-Modelle, die unter seiner Mitwirkung oder Leitung entstanden. Zum Beispiel die K 100 von 1983, das ers-te BMW-Modell, das aus der Boxer-Monokultur ausbrach - und Hoffnung machte. „Man kann sich heute kaum vorstellen, wie minderwertig wir uns als BMW Motorrad-Mitarbeiter in dieser Zeit gefühlt haben. Wir haben jeden Vergleichstest verloren, hatten im Vergleich zu den Japanern völlig unbedeutende Stückzahlen, und wir haben rote Zahlen geschrieben, dass einem schwindelig wurde. Was sollte da unser Selbstwertgefühl erhöhen? Insofern war die K 100 damals schon ein Riesenschritt. Allein, weil es uns tatsächlich gelang, nicht nur abermals den Boxer aufzuwärmen, sondern auch tatsächlich ein anderes Fahrzeug in die Serie zu bringen.“
Teilerfolge - so nennt Poschner das heute aus der Sicht eines Erfolgreichen. Dazu zählt auch die Paralever-Schwinge, die er für die R 100 GS entwarf. Oder die Zeit von 1993 bis 1996, als er die Boxer-Baureihe -leitete. R 1100 RS, GS, R und RT - und natürlich der Sportboxer, die R 1100 S. Erstaunlich ist auch, dass sich der bekennende Schnellfahrer Poschner gerne an die R 1200 C, Münchens viel geschmähten Cruiser-Versuch erinnert. „Weil wir das damals so ernsthaft gemacht haben. Wir wollten ja keine Harley-Konkurrenz sein, sondern ein Motorrad bauen für Leute, die zuckeln wollen.
Da waren Teile dran, darüber freue ich mich heute noch. Damals haben wir wirklich Mut gehabt. Man muss sich vorstellen: Der Sitz war aus echtem Leder!“ Die Gefahr, dass der Sportfahrer Poschner angesichts dieses Ledersattels nun endgültig auf die Fransenschiene abbog, bestand natürlich nie. Er baute damals nur mit der ihm eigenen Konsequenz ein Motorrad „für Leute, denen ein 100-PS-Motorrad zu schnell war, die das aber nicht zugeben wollten“. Und hätte natürlich viel lieber jenen Genüge getan, denen es nie genug Leistung sein kann. Und dann, endlich - es muss im Jahr 1996 gewesen sein - war es in München so weit. BMW Motorrad hatte sich im zähen Ringen vom ungeliebten Verlustbringer zum profitablen Geschäftszweig gemausert und sah die Zeit gekommen, im Konzert der Großen mitzuspielen. Dass man sich an Poschner wandte - gewiss kein Zufall. Dass das erste Projekt, die K 1200 S, nicht der ganz große Wurf war - geschenkt. Aber dass dann die S 1000 RR die Rennstrecken und Zulassungslisten dieser Welt eroberte - davon zehrt Markus Poschner heute und in Zukunft. Nun kann er sich zufrieden zurückziehen nach Hause nach Tengling am Waginger See. Dann lernen ihn vielleicht auch seine Nachbarn richtig kennen, den netten Herrn aus Reihe zwei. Daheim war er nämlich ziemlich selten in den letzten 36 Jahren.