Es ist der Sound, der dir das Blut in den Adern gefrieren lässt. Der Gänsehaut macht und gleichzeitig wohlige Schauer den Rücken runterschickt. Das Achtzylinder-Fauchen wird untermalt von bösen Basswellen, dazwischen mischt sich der Beat einer unregelmäßigen Zündfolge, wenn der 6,2-Liter seine Stimme hebt. Susanne genießt diesen Sound, wann immer sie kann. Sie fährt die Boss Hoss LS 3 mit der leicht modifizierten Auspuffanlage seit über einem Jahr und findet es einfach nur berauschend, Herrin über 445 PS und 574 Newtonmeter zu sein.
Motorrad gefahren ist sie schon ihr ganzes Leben. Es ist eine Leidenschaft, die sie mit ihrem Mann Volker teilt, mit dem sie auch erfolgreich eine Versicherungsagentur führt. Die beiden sind angefressene Ami-Fans, hatten bereits ein riesiges GMC-Wohnmobil, etliche V8-Autos aus US-Produktion und natürlich Motorräder. Zahlreiche Motorräder. Irgendwann wurde der Fuhrpark zu groß, die beiden beschlossen, sich materiell zu entschlacken. Sie verkauften diverse Autos und ihre Harleys. Dann machten sie eine Probefahrt auf einer Boss Hoss. Die darin gipfelte, dass man das materielle Entsagungsprogramm kurzzeitig unterbrach.
Boss Hoss LS 2 und LS 3 holen R 1200 GS ein
Volker kaufte eine Boss Hoss LS 2 mit dem Sechs-Liter-V8-Alu-Chevrolet-Small-Block, Gattin Susanne wählte den 6,2-Liter in der Boss Hoss LS 3. Allein der Motor wiegt schon 250 Kilo. Sie hat den Kauf keine Minute bereut. „Diese Kraft, dieses Drehmoment! Einfach nur genial.“ Natürlich kann man sich nicht einfach auf eine Boss Hoss setzen und sofort souverän damit herumturnen. Etwas Übung und Einfühlungsvermögen waren vonnöten, damit das Paar die Power sicher auf die Straße bringen und die gut 500 Kilogramm schweren Monumentalbikes blamagefrei durch Stadt und Flur zirkeln konnte.
Die beiden machten Urlaub mit ihren Dickschiffen, fuhren in Slowenien auch alpine Strecken sowie den einen oder anderen Pass. „Haarnadelkurven rechtsherum sind etwas mühsam, alles andere geht erstaunlich gut“. Auf einer kurvigen Landstraße sprach sie ein BMW R 1200 GS-Fahrer an und wünschte ihnen mitleidig eine gute Reise, bevor er seiner Universalwaffe die Sporen gab. Die beiden setzten gemütlich ihre Helme auf, starteten die V8-Einspritzer und folgten gelassen dem gewundenen Asphaltband. Nach zehn Minuten engagierter Fortbewegung hatten sie die GS eingeholt, kein Witz.
Sie weiß gar nicht, dass sie eine Boss Hoss ist
Der MOTORRAD-Redakteur hat sich mit Susanne zu einer kleinen Ausfahrt mit Fotoshooting verabredet. Er war bisher der Meinung, eine Boss Hoss tauge nur zum Geradeaus-Cruisen und zum Posing auf Treffen oder Parkplätzen. Susanne beweist eindrucksvoll das Gegenteil. Die sportlich-schlanke, 1,78 Meter große Frau dirigiert den V8 völlig spielerisch durch die Stadt. Sie biegt das dicke Eisen um die Ecken, als wäre es eine Einsteigermaschine.
Schwer beeindruckt folgt der Redakteur in ein idyllisches Tal. Ein Teil von Susannes Hausstrecke. Die Boss Hoss zieht mit sauberem Strich durch die Kurven, bereits am Scheitelpunkt wird gefühlvoll Gas angelegt. „Die ganze Kraft bekommst du so gut wie nie auf die Straße, 445 PS sind einfach zu viel.“ Von daher sei beim Öffnen der Drosselklappen viel Gefühl vonnöten. Gefühl, das die Boss Hoss-Dompteurin auf der ganzen Tour beweist. Der Redakteur hielt eine derart souveräne Beherrschung eines solchen Monsterbikes bisher für nicht möglich, doch Susanne zeigt den Boss Hoss-Tango in Reinkultur. Noch ein paarmal fürs Foto durch die Kurven rauschen? Auf der Straße wenden? Offenbar kein Problem. „Die Maschine weiß gar nicht, dass sie eine Boss Hoss ist“, lacht Susanne. Nein, dieses unschuldige Ami-Schiff denkt wahrscheinlich wirklich, dass es eine kleine Zweizylinder-Honda sei.
Boss Hoss bekommt Bremsen aus dem 911er
Jedenfalls wirkt es so, wenn sich ihre Besitzerin in den Sattel schwingt. Alles sieht so leichtfüßig und entspannt aus, selbst eine Notbremsung infolge eines unachtsamen Autofahrers stellt die Fahrerin keine Sekunde vor ernste Probleme. Apropos Bremsen: Auf ihren Pass-Exkursionen stellte sich heraus, dass die Bremsanlage mit dem Gewicht der Boss Hoss überfordert war. Zumindest wenn man die Ami-Stühle bewegt wie normale, dynamische Motorräder, neigen die Stopper zu Fading. Das bedeutet, dass Susanne und Volker leistungsfähige Verzögerungswerkzeuge brauchen. Und was schwebt ihnen da vor? „Porsche-Bremsen.“ Kein Scherz, bald kommen Sättel und Scheiben aus dem 911er an die Bosse. Dabei wird es nicht bleiben, denn Susanne möchte noch diverse Details ändern, damit sie die Maschine noch inniger genießen kann.
Ob sie den 230er-Hinterreifen gegen einen 300er tauscht, so wie er sich im Heck von Volkers Bike dreht? Weiß sie noch nicht. Volker hat ein „Super-Sport“-Modell, das eine andere Rahmengeometrie samt kürzerem Radstand aufweist und tiefer liegt als Susannes Maschine. Ist er damit langsamer unterwegs als seine Frau? „Nicht wirklich.“ Auch Susannes Bruder fährt begeistert Boss Hoss. Doch sonst kennt sie kaum jemand, der die in den USA handgefertigten Maschinen bewegt. „In Deutschland gibt es vielleicht 200 Boss Hoss“, schätzt Volker die Mitgliederzahl des elitären Achtzylinder-Zirkels. Und berichtet begeistert, dass es auch einen 8,2-Liter oder gar einen Zehn-Liter-Big-Block gäbe. Dann wiege die Fuhre aber 650 Kilogramm. Irgendwann kann auch der fähigste Fahrer nicht mehr gegen physikalische Gesetze ankämpfen.
12 Liter auf Landstraßen, ab 15 Liter auf Autobahnen
Über 5000 Kilometer sind die die beiden dieses Jahr mit ihren Boss Hoss gefahren. Auf Touren durch ganz Europa. Benzinverbrauch? So zwölf Liter beim Landstraßen-Surfing und ab 15 Liter bei schneller Autobahnfahrt. Sie haben jeden einzelnen Kilometer der Saison genossen. Was man am Glitzern in Susannes Augen sieht, wenn sie davon erzählt. Auch die Augen des Redakteurs glänzen, als er sich von Susanne und der Boss Hoss verabschiedet. Das fällt Susanne auf, und die kennt ja das Sinneserlebnis, wenn der gewaltige V8 geschmeidig losfaucht. Wer gibt dem Redakteur jetzt einen günstigen Kredit?