Interview: Casey Stoner
MotoGP-Weltmeister im Gespräch

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Der frischgebackene Weltmeister der Königsklasse gab PS eines seiner seltenen privaten Interviews. Darin spricht Casey Stoner überraschend offen über Stolz, Ducati, Babies und seine irren Slides.

MotoGP-Weltmeister im Gespräch
Foto: 2snap

In Phillip Island hast du tatsächlich am Schampus genippt, wir dachten du bist strikter Alkohol-Hasser?
Das war das einzige Mal überhaupt auf dem Podium, weil ich gleichzeitig Geburtstag hatte und Weltmeister geworden bin - das ist schon speziell. Es hat übrigens gut geschmeckt!

Danach gab es sicher noch ein paar Drinks?
Nicht für mich, aber alle um mich -herum haben sich volllaufen lassen - ein tolles Schauspiel. Ab und zu trinke ich auch mal was, aber nicht regelmäßig.

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Du wirkst auf der Honda so viel befreiter als auf der Ducati - vielleicht, weil du dich sicherer fühlst?
Auf diesem Motorrad fühl ich mich bedeutend sicherer! Und ich weiß, was es tut. Die RCV lässt mir viel mehr Möglichkeiten, so dass ich die Linien wechseln kann, wenn es darauf ankommt. Ich kann entweder richtig auf Kurvenspeed setzen oder am Ausgang schneller ans Gas gehen. Manchmal ist die Abstimmung problematisch, aber dann muss ich eben meinen Stil etwas ändern, um den Unterschied zu machen.

Hast du auf der Ducati lieber etwas Reserven gelassen, weil du nicht wusstest, was als nächstes passiert?
Es gab nur eine Art, dieses Bike zu -fahren und da hattest du keine -Chance, irgendetwas zurückzuhalten. Eigentlich war es eher, weniger Reserven zu haben, als irgendwo sonst. Man musste die Desmo so hart fah-ren, wie es irgendwie ging und dabei versuchen, es nicht zu versauen.

Verrate uns doch das Geheimnis.
Nein (lacht)! Naja, es ist schwierig, wie sag ich es bloß? Eigentlich hat es mit Stolz zu tun, aber ich weiß nicht wie und warum.

Stolz in deine Fähigkeiten?
Nein...äh...ja schon. Stolz in meine Fähigkeiten, dabei aber nicht zu stolz zu sein. Es hat schon mit Stolz zu tun, auf eine bestimmte Art zu fahren. Schwer zu erklären. Vielleicht kann ich es eines Tages, aber jetzt klingt es eventuell etwas herablassend gegen-über anderen Fahrern, die es mit der Ducati nicht hinbekommen haben.

Glaubst du, dass die Leute erst jetzt kapieren, welch harte Zeiten du bei Ducati hattest?
Ja. Als die anderen Fahrer ins Team kamen, nachdem Loris Capirossi weg war, freuten die sich abartig, auf das Bike steigen zu können. Sie dachten, wenn der Stoner das kann, können wir das schon lang. Und dann hat sie das Ding fertig gemacht, weil sie es nie verstanden haben.

Ist Valentino Rossis Image 2011 zerstört worden? Ist er doch nicht der Motorrad-Gott, für den ihn alle die ganze Zeit gehalten haben?
Nicht nur Valentino, sondern auch Jeremy Burgess. Man hielt beide für Genies, aber das sind sie ja jetzt wohl nicht. Sie sind die Sache mit zu viel Selbstvertrauen an-gegangen, wie die meisten, die es seit 2007 dort versucht haben. Es freut mich, dass nicht nur ich, sondern auch meine Crew seither mehr Anerkennung und Respekt bekommen haben.

Im Verlauf der Saison sah es so aus, als würdest du immer mehr Wheelspin in den Kurven nutzen.
Auf vielen Kursen hilft mir das durchdrehende Hinterrad, das Bike besser ums Eck zu bekommen. Übers Jahr habe ich den Punkt gefunden, wo ich das Hinterrad auf der Reifenkante durchdrehen lassen kann und, so-bald ich es aufgerichtet habe, wieder Traktion bekomme.

In welchen Kurven funktioniert das?
Hauptsächlich in Kurven, in denen du hohen Kurvenspeed brauchst. Wenn du mit Hilfe des Hinterrads durch solche Kurven steuerst, kannst du das Gewicht vom Vorderrad nehmen und so den Speed hoch halten und gleichzeitig die Temperatur im Hinterreifen anheben. Mehr Gewicht und Druck auf dem Vorderrad geht da ganz schön an die Nerven - mit durchdrehendem Hinterrad umgehst du dieses Problem.

Wie damals Kenny Roberts oder Wayne Rainey? Macht das Hinterrad sicherer als das Lenken über das Vorderrad?
Kurve drei in Phillip Island ist ein sehr gutes Beispiel. Du fährst rein, die Kurve hängt etwas und der Wind kommt von der Seite. Gehst du da vom Gas, um das Bike einzulenken, verlagert sich schlagartig eine Menge Gewicht aufs Vorderrad - es droht wegzurutschen. Deshalb sieht man an der Stelle so viele Stürze. Je schneller ich also übers Hinterrad da reinrutschen kann, desto sicherer ist es und das Motorrad lenkt auch besser ein. Der Spin hält das Motorrad gleichzeitig besser auf der linken Seite, um für die nächste Rechts gut vorbereitet zu sein. Wenn ich mit dem Hinterrad steuere, schiebt das Bike dort dann auch nicht so weit nach außen. Außerdem ist so das Setup dort völlig egal, da ich das Ganze ja alles selbst steuere. Statt also für Turn drei am Fahrwerk etwas auszutüfteln, kann ich es lassen und dafür etwas für den Rest der Strecke entwickeln.

Werden die 1000er wieder spitzere Linien bringen?
Da bin ich noch nicht sicher. Klar kann man damit spitzere Linien als mit den 800ern in den Kurven fahren, aber ich finde, die 1000er haben so viel mehr Drehmoment, dass man sie fahren kann, wie man will. Du kannst sie schnell aufrichten oder mit viel Kurvenspeed fahren.

Du hast mal gesagt, dass dein Sieg beim Grand Prix in Laguna Seca der befriedigendste für dich war und du dort einige neue Tricks gelernt hast. Welche waren das?
Im Training fährst du nicht mit maximalem Druck eines Wettbewerbs - besonders von Dani Pedrosa und Jorge Lorenzo - und deshalb kannst du nicht durchschauen, was sie tun und warum sie es tun. Im Rennen siehst du dann ihre Linien und Bremspunkte. Jorge war an einigen Stellen schneller als ich. Also habe ich die gegen die Stellen abgewogen, an denen ich schneller war. Dann habe ich mich an „meinen“ Stellen gerade genug zurückgenommen, um an den anderen etwas zulegen zu können.

Warst Du überrascht, dass sich Jorge erschrocken hat bei deinem 250-km/h- Überholmanöver in Kurve eins?
Ein bisschen. Er hat schon Überholmanöver gebracht, die etwas beängs-tigender waren als dieses von mir. Aber er ist wohl schnell darüber hinweggekommen. Er war nur etwas unglücklich, weil es so aussah, als wäre das sein Rennen. Und dann kamen wir und haben es ihm versaut. Aber Jorge weiß, dass ich keine krummen Sachen mache, also wird er mir vergeben können.

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Der Weltmeister: Sein zweiter Titel in der Königsklasse macht Casey Stoner zu einem der Größten.

Wie sieht es mit einer Serie wie die fünf aufeinanderfolgenden Titel von Landsmann Mick Doohan aus?
Ich glaube nicht, dass ich lange genug Zeit dafür habe. Ich tu das nicht für irgendwelche Rekorde. Ich möchte jeden Tag den möglichst besten Job abliefern. Wenn das für einen Rekord reicht, super. Wir müssen einfach konzentriert weitermachen und die Rennen genießen, so gut das geht. Selbst wenn wir lange dabei bleiben können, glaube ich nicht an so eine Serie. Dafür ist der Wettbewerb heute viel zu hart.

Die letzten Wochen waren für dich sicher eine emotionale Achterbahnfahrt, von der Freude über die Weltmeisterschaft beim Heimrennen bis zur Tragödie von Malaysia?
Als der Unfall passierte, knallten wir wieder voll auf den Erdboden zurück.

Welche Erinnerungen behältst du an Marco Simoncelli?
Wie sehr er sich in der zweiten Saisonhälfte gesteigert hat. Nicht nur als Fahrer, auch als Mensch. Er fing an, sich besser zu fokussieren. Es war wirklich schön, ihm dabei zuzusehen. Marco war so entspannt nach seinem ersten Podestplatz in Brünn und es war schön, wie er neben uns auf dem Podium stand, als ich den -Titel in Phillip Island holte.

Wenn so etwas passiert, denkt man dann ans Aufhören, wenigstens für einen Moment?
Ehrlich, ich denke, wenn irgendein Fahrer so etwas miterlebt und dann sofort daran denkt, aufzuhören, dann glaube ich nicht, dass er kapiert hat, was es heißt, ein Rennfahrer zu sein. Wir wissen doch alle, dass so etwas jederzeit passieren kann, auch wenn man das oft verdrängt. Manche halten sich vielleicht für kugelsicher, -ihnen könne nichts passieren - aber es kann jeden erwischen.

Du sagtest mal, dass du dich auf dein erstes Kind freust, weil es deine eigene Bedeutungslosigkeit unterstreicht. Aber als Rennfahrer musst du eigentlich die Bedeutung dessen, was du tust, doch regelrecht übertreiben, um so viel Risiko gehen und dich so pushen zu können?
Mir war schon immer bewusst, wie unbedeutend mein Leben ist gegen-über anderen, die etwa Heilung für Krankheiten und so weiter entwickeln. Ich glaube, dass ein Kind unsere eigene Unwichtigkeit voll auf den Punkt bringt. Rennfahrer zu sein bedeutet, nicht viel nachzudenken. Motorradrennen fahren macht man, weil man es liebt. Das hinterfragt man nicht so sehr.

Du stammst aus einer rennverrückten Familie. Wirst du deinen Kindern das Rennfahren erlauben?
Ich werde ihnen wohl mehr oder weniger alles erlauben, was sie möchten. (Einwurf von Stoners Frau Adriana aus dem Hintergrund: Nur in Sachen Sport!). Ja, klar (lacht). Ich werde es ihnen beibringen, aber ich will sie nicht zwingen. Wenn sie es lieben, können sie es -machen. Wenn sie was anderes machen wollen, bitte!

Wo kommt das Baby zur Welt?
In der Schweiz, damit ich von den -europäischen Rennen immer schnell zur Familie zurückkommen kann. Adrianas Mutter kommt die ersten Monate rüber zu uns.

Wird das Baby auch zu den Rennen mitkommen?
Mal sehen, wie es mit dem Schlafen klappt. Passt alles, kommt es mit.

Hast du dir schon Ohrstöpsel besorgt?
Sicher (lacht). Wenn es zu schlimm wird, schlaf ich im Team-Truck.

Honda-Racing-Vizeboss Shuhei Nakamoto hat uns unlängst erzählt, dass Honda aus dem MotoGP aussteigen wird, falls der WM-Vermarkter Dorna Prototypen abschafft (Kolumne PS 11/2011, Anmerkung der Red.). Kannst du dir vorstellen, auf supergetunten Serienbikes mit kleinem Elektronikbesteck zu fahren?
Dann lieber Superbike-WM! Ich kann mir das einfach nicht vorstellen. Wenn es die Prototypen nicht mehr gibt, bin ich weg. Sollte es diese Serien-nähe geben, wird keiner von uns hier weitermachen wollen. Das will doch auch keiner sehen. Die Leute werden davonlaufen - ich auf jeden Fall! Ich habe nicht das geringste Interesse, mit solchen Bikes Rennen zu fahren. Das sollte die Liga sein, durch die man durch muss, um bei uns zu landen. In der Formel 1 will auch keiner Tourenwagen fahren.

Also doch bald Superbike-WM mit dir?
Sollte das alles kommen, wie es teilweise besprochen wird, dann fahr ich lieber Superbike als MotoGP. Aber ehrlich, ich glaube nicht, dass ich je Superbike-WM fahren werde.

Es gibt dann nur einen Weg von den Kosten runter: zurück zu den 500ern?
Ich liebe meine Zweitakter und wäre ein ganz schön glücklicher Junge, wenn es so käme. Die Leute am Ruder scheinen das aber nicht zu kapieren und haben von der Technik einfach keine Ahnung. 

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Erscheinungsdatum 10.05.2023