Interview mit dem BMW-Motorrad-Chef Stephan Schaller
"Unsere Zukunft ist elektrisch"

BMW Motorrad-Chef Stephan Schaller wechselt zum 1.4.2018 als Vorstandsvorsitzender zum Turbinenhersteller Voith. Zeit für ihn, im MOTORRAD-Interview Bilanz zu ziehen und einen Ausblick auf die Zukunft des Motorrads zu geben.

"Unsere Zukunft ist elektrisch"
Foto: jkuenstle.de

MOTORRAD: Herr Schaller, Sie haben auf der EICMA 2017 vier neue Fahrzeuge vorgestellt, Highlight ist die komplett neue Mittelklasse mit F 750 GS und F 850 GS. Was war die Motivation, auf der Messe in Mailand noch einmal so richtig Gas zu geben?

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Stephan Schaller: Die Mittelklasse ist einmal vom Volumen her ein sehr großes Segment für uns. Unsere Baureihe in dieser Klasse hat sich Dank stetiger Überarbeitungen in den vergangenen Jahren bis zum Schluss gut verkauft. Jetzt haben wir ein paar grundsätzliche Dinge verbessert. Wir haben zum einen einen komplett neuen Motor entwickelt. Der klingt richtig, wie ein Zweizylindermotor klingen muss, mit um 270 Grad versetzten Hubzapfen. Und beide Bikes sind enorm agil. Wir haben den Tank nach vorne genommen, da wo er hingehört, wir haben die Gewichtsverteilung geändert und haben ein Fahrwerk hingekriegt, das wirklich Spaß macht. Das ist jetzt eine richtig gute Mittelklasse, und sie ist der größte Volumenbringer nach der großen GS und somit sehr wichtig für BMW.

MOTORRAD: Sie haben entschieden, dass der Motor in China gefertigt wird. Bringt uns das als Verbraucher einen Preisvorteil? Oder ist vielleicht sogar die Qualität aus China besser?

Stephan Schaller: Wir haben die Firma Loncin ausgewählt, mit der wir schon zwölf Jahre sehr gut zusammenarbeiten. Die bauen ja die 650er-Einzylindermotoren, und wir machen auch unseren neuen Mittelklasse-Roller C 400 X mit Loncin zusammen. Wir haben diese Firma mit unseren Leuten ständig weiterqualifiziert, um nun auch den Zweizylinder dort zu produzieren. Der ist übrigens ein sehr aufwendiges Produkt. Er steht dem Vierzylinder, außer in der Zylinderzahl, in nichts nach. Das bedeutet einen hohen Anspruch in Fertigung und Genauigkeit. Aber das schafft Loncin mit unserer Hilfe inzwischen sehr gut. Das bringt natürlich einen Kostenvorteil, der wiederum uns ermöglicht, mehr in dieses Produkt reinzupacken. Das gesamte Paket ist dadurch wahrscheinlich nicht wirklich billiger, aber dafür deutlich wertvoller geworden.

BMW Motorrad
Auch 2017 war die BMW R 1200 GS das am häufigsten verkaufte Motorrad in Deutschland.

MOTORRAD: Die kleine Einzylinder-Baureihe fertigen Sie in Indien. Sind die Partner in Indien auf demselben Niveau wie in China, oder stehen sie noch etwas zurück?

Stephan Schaller: Ich glaube, hier unterscheiden sich die beiden Partner nicht viel. Wir haben bewusst in diesen beiden großen Volkswirtschaften Partner gesucht, mit denen wir langfristig vertrauensvoll zusammenarbeiten wollen. Zusammen mit Berlin, von wo aus die Fertigung weltweit gesteuert wird, ist das unserer Meinung nach eine gesunde Aufstellung. In der Qualifikation würde ich die beiden nicht groß unterscheiden. Loncin in China und TVS in Indien sind beide auf einem hohen Niveau, das wir mit unseren Leuten erreicht haben.

MOTORRAD: Jetzt will BMW ja in den USA stark wachsen. Wir kennen Gerüchte von einem Cruiser, den Sie bauen möchten. Werden Sie diesen Cruiser in Berlin bauen oder in den USA?

Stephan Schaller: Wir haben ja gerade die K 1600 Grand America vorgestellt, das ist ja auch so eine Art Cruiser, mit einem Sechszylindermotor eben. Die Grand America wird natürlich in Berlin gebaut, und ich kann mir vorstellen, dass Berlin auch für weitere Produkte in dieser Richtung, die da vielleicht irgendwann kommen werden, eine gute Basis bietet.

MOTORRAD: Wird das dann Ihr Nachfolger entscheiden, oder sind diese Entscheidungen schon getroffen?

Stephan Schaller: Das zu erkennen ist kein großes Hexenwerk. Produktreifen dauern auch in der Motorradindustrie drei bis fünf Jahre, je nach Produkt. Das eine Produkt braucht nur drei Jahre, das andere eben ein wenig länger. Deshalb ist alles das, was innerhalb dieser Zeitspanne kommen wird, jetzt schon entschieden.

MOTORRAD: Leser haben uns angeschrieben, warum BMW die neue BMW S 1000 RR noch nicht präsentiert hat. Was können Sie dazu sagen? Wann kommt der neue Supersportler?

Stephan Schaller: Ich habe in irgendwelchen einschlägigen Magazinen irgendwelche Erlkönig-Fotos gesehen, die vielleicht darauf hindeuten können, dass sich da eine Weiterentwicklung abzeichnet (lächelt an der Stelle vielsagend, Red.). Wir zeigen, wie Sie wissen, alle Produkte erst dann, wenn wir kurz davor sind, diese auch auf den Markt zu bringen. Der wichtige Schritt, den wir aktuell zeigen, ist der Karbon-Renner, die HP4 Race. Das ist unser Schmuckstück, und das zieht auch unsere sportliche Modellpalette wieder ein Stückchen nach oben. Aber wir arbeiten natürlich auch mit Engagement daran, unsere laufenden Sportler weiter zu verbessern.

MOTORRAD: Wenn Sie jetzt zurückschauen auf die letzten fünf Jahre, die Sie bei BMW waren, was war Ihr persönliches Highlight, und was hätte Ihrer Meinung nach besser laufen können?

Stephan Schaller: Sie spekulieren jetzt, dass ich Kommentare zu einzelnen Produkten abgebe?

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Zum 1.4.2018 wechselt Stephan Schaller zum Turbinenhersteller Voith.

MOTORRAD: Nein, es geht uns um Ihre Zeit bei BMW Motorrad überhaupt.

Stephan Schaller: Also dann betrachte ich es in der Summe: Ich bin sehr stolz darauf, was ich in meiner Zeit bei BMW Motorrad mit der Mannschaft erreichen konnte. Die positive Entwicklung der Marke, unser sehr profitables Wachstum in einem stagnierenden Markt, die vielen faszinierenden neuen Modelle – auf all das werde ich noch lange mit viel Freude zurückblicken. Diese in unserer Branche einzigartige Entwicklung war vor allem deshalb möglich, weil wir alle bei BMW Motorrad fest daran geglaubt haben, es zu schaffen. Wir konnten in den vergangenen fünfeinhalb Rekordjahren den Absatz so stark steigern, dass unser Ziel von 200.000 verkauften Motorrädern im Jahr 2020 in erreichbare Nähe gekommen ist. Dazu kommt eine Vervielfachung des Ergebnisses. Zudem konnten wir nicht weniger als zirka 1.500 neue Mitarbeiter einstellen! Und auf diese Mannschaftsleistung bin ich besonders stolz.

MOTORRAD: Gab es auch etwas, von dem Sie sagen, das lief ganz anders, als ich mir das vorgestellt habe, um mal nicht so negativ zu fragen?

Stephan Schaller: Na gut, die Erfahrungen, die wir mit unserem Produktionspartner TVS in Indien gemacht haben, die waren sehr lehrreich. Auch für uns. Mit den G 310-Modellen haben wir etwas länger gebraucht, als wir das ursprünglich geplant hatten. Aber es war uns eben wichtig, die hohe Qualität stabil sicherzustellen, die man von einem BMW Motorrad-Produkt erwartet. Und wenn man sich die beiden Motorräder ansieht und fährt, wird klar, dass sich dieses Engagement gelohnt hat.

MOTORRAD: Das Thema Elektromobilität ist ja ein ganz wichtiges. Wollen Sie eine Prognose wagen, wann der elektrische Antrieb im Motorrad im großen Stil Einzug halten wird? Oder ist das für Sie gar kein so ein großes Thema?

Stephan Schaller: Doch. Ich glaube sogar, das ist ein sehr großes Thema. Denn die Zukunft ist 100 Prozent elektrisch. Auch im Zweiradgeschäft. Da folgen wir allerdings dem Auto, logisch. Die großen Investitionen in die Batterieentwicklung, und das ist das Hauptthema, die trägt die Automobilindustrie. Hier wird das Maximale gemacht, was möglich ist. Und wir, also der Zweiradbereich, wir werden darauf aufsatteln. Wenn man jetzt aber die Diskussionen im Automobilbereich verfolgt, weiß man, dass es bis zum Abschied vom Verbrenner noch eine Weile dauert. Jetzt kann man natürlich für unseren Bereich ausrechnen, dass es hier sogar noch länger dauern wird. Aber die Richtung ist unumkehrbar. Ich bin mir sicher, dass wir in den Städten, zumindest was Zweiräder für den urbanen Bereich angeht, in den nächsten fünf Jahren schon 50 Prozent elektrisch sehen werden. Aber was die großen Motorräder betrifft, so wird es bestimmt noch viele Jahre dauern, um das mal so grob zu fassen, bis wir uns eine GS vorstellen können, die elektrisch durch die Wüste fährt.

MOTORRAD: Das ist ein weiter Weg durch die Wüste, und da gibt es nicht so viele Steckdosen …

Stephan Schaller: Vielleicht kriegt man die Sonnenenergie bis dahin irgendwie besser umgewandelt. Ich bin sicher, dass in zehn, 20, 30 Jahren Technologien entstehen, die man sich heute noch gar vorstellen kann. Und diese werden die Elektrifizierung massiv weiter vorantreiben – auch von Zweirädern.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023