Interview mit dem KTM-Boss
KTM-Boss Stefan Pierer

Im Rekord-Geschäftsjahr 2007/2008 hat der österreichische Motorradhersteller KTM 92000 Motorräder verkauft, aber nur noch 64000 im Jahr 2008/2009. Wie geht es weiter mit KTM?

KTM-Boss Stefan Pierer
Foto: jkuenstle.de

Was geschah in der Krise? Wie steht es jetzt?

Das vergangene Geschäftsjahr war die härteste Zeit in meiner 18-jährigen Karriere bei KTM. Der Markt in Europa schrumpfte um rund 25 Prozent, in den USA brachen unsere Verkäufe um 55 Prozent ein. Wir mussten ein Drittel unserer Mitarbeiter entlassen und 30 Prozent der Kosten einsparen. Jetzt haben wir noch 1600 Angestellte, von denen 1300 in Mattighofen arbeiten. Vor der Krise hatten wir fast 2250 Mitarbeiter. Aber jetzt haben wir die Talsohle hinter uns. Das erste Quartal des neuen Geschäftsjahrs war mit sechs Millionen Euro profitabel. Im ersten Quartal 2008/2009 hatten wir 17 Millionen Euro Verlust zu verkraften, im ganzen Geschäftsjahr rund 65 Millionen Euro.

KTM hat mit dem indischen Hersteller Bajaj eine 125er entwickelt. Welche Pläne haben Sie?

Strategisch wollen wir die Märkte in den Schwellenländern durchdringen. Der zweite und für mich sogar wichtigere Punkt dreht sich um die Kunden. Wie wollen wir mit unseren künftigen Produkten jüngere Käufer erreichen? Das ist die größte Herausforderung für die heutigen Motorradhersteller. Der durchschnittliche KTM-Kunde wird jedes Jahr sieben Monate älter. Harley ist auf dem Weg ins Altersheim, und der BMW-Kunde bewegt sich auf die 60 zu. Deshalb hat BMW Husqvarna gekauft und verkauft 450er-Enduros. Wie gehen wir damit um? Der erste Schritt ist die Einsteiger-Klasse, die 125er, die das Image unserer Marke transportieren. Dann Motorräder mit null Emissionen. Offroad-Wettbewerbs-Motorräder mit Elektromotoren können junge Kunden anziehen.

Was planen Sie bei den Elektro-Bikes?


Wir starten mit der Serienproduktion der Enduro und Supermoto, die beide zugelassen werden können, im nächsten Jahr. Der Motor stammt von einem Zulieferer, aber das KTM-Design ist einzigartig. Wir wollen die Elektro-Motorräder bei einer Serie mit je 35-Minuten-Rennen plus zwei Runden als Ready to Race-Produkt vorstellen, damit sie aufregend und umweltfreundlich rüberkommen. Sonst werden sie womöglich als Behindertentransporter wahrgenommen. Die Akku-Reichweite mit 3,6 kW/h beträgt für einen normalen Piloten rund eine Stunde, bei extremer Fahrt reicht es noch für 45 Minuten.

Wie sieht Ihre Strategie mit Bajaj aus?

Bajaj liefert ein Einsteigermodell der 125er-Klasse für Europa und andere Märkte, das von den Kosten her wettbewerbsfähig ist. Das gleiche Motorrad bietet Bajaj in Indien mit einem Hubraum von 200 cm³ an, weil dort 125er praktisch nicht existieren. Die Modelle sehen gleich aus, allerdings gibt es in Indien einen Sari-Schutz und ähnliches. Bajaj kümmert sich um Verkäufe in Indien und Pakistan. Alles unter dem Namen KTM. Das ist perfekt für uns, weil wir große Stückzahlen absetzen und von den Kosten her konkurrenzfähig sind. Bajaj wird KTM auch in Südostasien, den Pazifik-Staaten sowie in Ländern wie Nigeria und Kolumbien etablieren, wohin sie exportieren.

Welche anderen Motorräder entwickeln Sie zusammen mit Bajaj?

Wir arbeiten auch an 250- bis 300-cm³-Einzylindern mit vier Ventilen und zwei obenliegenden Nockenwellen, die sich in die existierenden 125er-Plattformen einbauen lassen. Wir wollen drei unterschiedliche Modelle mit 125er- und 250er-Motoren anbieten, ein nacktes Straßenmotorrad, eine Supermoto und die sportliche RC2 mit Vollverkleidung. Wir denken auch über eine Enduro nach. Danach wollen wir das gleiche Konzept auf 400 und 600 cm³ erweitern, so dass unsere Kunden in den Schwellenländern die Hubraum-leiter hoch klettern können.

Wann wird die Produktion beginnen?


Die Serienproduktion der 125/200 startet im Spätherbst in Indien, wo Motoren und Fahrwerke gebaut werden. Das Projekt hat KTM entwickelt, die exakten Spezifikationen und Zulieferer haben wir gemeinsam gefunden. Die 250er/300er wird 18 Monate nach den 125ern kommen, die offizielle Präsentation ist im Januar 2011 in Neu-Delhi geplant. Das sind Weltbikes für alle existierenden Märkte und die neuen, die Bajaj uns hilft zu entdecken.

Bajaj hat 31,72 Prozent Aktienanteile an KTM. Kommt eine Übernahme?


Nein. Wir hatten uns ursprünglich auf eine Minoritätsbeteiligung von 26 Prozent geeinigt, damit eine langfristige Bindung samt Technologietransfer klappt. Dann begann die weltweite Krise. Mein Partner Rudi Knünz und ich haben fast 45 Millionen Euro Eigenkapital in KTM investiert. Das setzte für Bajaj ein positives Zeichen, dass wir die Firma weiter ausbauen wollen. Sie investierten rund 15 Millionen Euro. Als andere Aktienbesitzer bei der Kapitalerhöhung nicht zugriffen, hat Bajaj nochmals Anteile gekauft. Bei den 32 Prozent soll es aber bleiben. Wir haben einen Weg aus der Krise gefunden und bewegen uns vorwärts. Es wird wieder Zeit, mich auf meine Mission zu konzentrieren. Ich möchte, dass KTM die Nummer eins in Europa wird. Daran hat sich nichts geändert.

Wie wollen Sie das anstellen?

KTM konzentriert sich auf den Kernbereich, wo wir Marktführer sind, auf den Offroad-Wettbewerb. Wir werden neue Produkte wie die 350er einführen, die künftig die MX1-Klasse beherrschen und die 450er verdrängen wird. Selbst Topfahrer wie Tony Cairoli oder Max Nagl halten eine 450er mit 62 PS und 100 Kilogramm für schwer fahrbar. Bei einer neuen 350er haben Sie die Fahrwerksgeometrie einer 250er und mit 55 PS bei 14- bis 15000/min die Leistung einer 450er - das wird der neue Standard und der Grund, warum Cairoli von Yamaha zu KTM gewechselt ist. So kann er seinen Titel verteidigen. Wir bieten 350 MX für Privatfahrer an und ein Jahr später Wettbewerbs-Enduros mit bis zu 500 cm³. Mehr nicht, weil wir wegen der Fahrbarkeit auf Downsizing setzen.

Wo sind Sie Marktführer?

Bei den Enduros haben wir fast 50 Prozent. Beim Motocross liegen wir an dritter Stelle knapp hinter Honda und Yamaha. Aber wir glauben, dass die neuen 350er die Entscheidung für uns bringen. Im Straßenmarkt, der bei KTM rund 40 Prozent ausmacht, haben wir drei Motorenplattformen, 650-cm³-Single sowie 990- und 1200-cm³-V-Twins. Dabei wird es bleiben. Wir werden keinen größeren Hubraum als 1200 cm³ anbieten, aber einige neue Modelle. Zuvorderst arbeiten wir an einer 400-cm³-Version der LC4-Einzylindermaschine. Die 400-cm³-Klasse wird durch den neuen EU-Führerschein interessant, der 18-Jährigen die Fahrt mit 35 kW ermöglicht. Die 990 LC8-Modelle werden verbessert, und wir denken über 1200er-Versionen der 990er-Modelle mit RC8-Motor nach, also zum Beispiel Supermoto R oder T mit 1200 cm³.

Wie lange bieten Sie noch Zweitakter an?

Wir arbeiten an den Anforderungen für die Euro-4-Emissionsnorm mit direkter Benzineinspritzung. Dann könnte eine Zweitakt-Enduro auf öffentlichen Straßen zugelassen werden. Wir sind hundert Prozent überzeugt, dass der Zweitakter lebt.

War der X-Bow ein Fehler?

Nein. Es war ein ambitioniertes Projekt, aber zur falschen Zeit. Langfristig wollen wir auch zum Vierrad-Hersteller expandieren. Der erste Schritt waren ATV, dann kam der X-Bow. Aber nach der Krise ist eine Serienproduktion nicht mehr zu machen, weil dieses Segment um rund 65 Prozent eingebrochen ist. Jetzt werden die Autos nach Kundenwunsch gebaut.

Stefan Nebel hat mit der RC8R den zweiten Platz bei der Superbike-IDM in Deutschland gewonnen. Werden Sie auch international antreten?

Wir haben diese Saison das Ziel, die IDM zu gewinnen. Für internationale Rennen haben wir kein Budget. Wir konzentrieren uns auf Ready to Race-Serien, bei denen ein Standardmotorrad siegen kann - ob im Motocross, bei Rallyes, Enduro- oder nationalen Superbike-Rennen.

Welche Zukunft hat Husaberg?


Das ist unsere Marke für Innovationen. Wir haben 2009 fast 4000 Husaberg verkauft. Das sind vier Mal so viele wie im Jahr zuvor, obwohl der Markt zurück ging. Zudem haben wir doppelt so viele Husaberg verkauft wie BMW 450er-Enduros. 

Unsere Highlights

Die Vita:

Stefan Pierer wurde am 25. November 1956 geboren. Nach einem BWL-Studium arbeitete er vier Jahre lang für das Heiztechnik-Unternehmen Hoval in Oberösterreich, bevor er 1987 die Cross Industries in Wels gründete.
Mehrheitlich ist Cross Industries an KTM, aber auch an diversen anderen Firmen beteiligt, zum Beispiel zu 100 Prozent an WP Suspension. Pierer ist Aktionär und Vorstand bei Cross-Industries.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023