Das Interview findet auf Ägina statt, einer kleinen Insel rund eine Fährstunde von der griechischen Hauptstadt Athen entfernt. Dort besitzt Varoufakis – oder vielmehr seine Frau Danae Stratou, wie er im Lauf des Gesprächs erklärt –, ein Haus, übrigens das einzige des Ehepaars, in Athen selbst wohne man zur Miete. In dem schlichten hellen Insel-Bungalow, dessen größter Luxus ein – unbeheizter – Pool und ein fantastischer Blick aufs Meer ist, kocht Varoufakis erst mal Kaffee für alle und plaudert gleich locker drauflos.
Wir haben gelesen, dass Sie in Ihrer Kindheit und Jugend oft in Deutschland und Österreich Urlaub gemacht haben. Wissen Sie noch wo in Deutschland?
Hmm, nicht so genau. Das waren verschiedene Orte in der Nähe von München. Aber wo genau? Nein, tut mir leid, das weiß ich nicht mehr, da war ich einfach noch zu klein. Wir fuhren damals immer mit dem Auto, durch ganz Jugoslawien bis nach Österreich oder eben Süddeutschland. Das hat zwar lange gedauert, aber es hat Spaß gemacht. Viel mehr als mit dem Flugzeug!
Die MOTORRAD-Redakteure erzählen kurz von ihren jeweiligen Motorradreisen nach Griechenland, ebenfalls durchs damalige Jugoslawien oder per Fähre von Italien aus. Die kenne er auch gut, sagt Varoufakis, er sei früher häufig von Athen nach London gefahren – mit dem Motorrad. Kurzes, verblüfftes Schweigen auf MOTORRAD-Seite. So eine Gewalttour hätte man dem Ex-Minister dann doch nicht zugetraut. Der erzählt derweil schon munter weiter von seinen Motorrad-Touren:
Ich habe damals in England studiert und bin mindestens 20 Mal zwischen Athen und London hin- und hergefahren, zwischen 1978 und 1983 war das. Ach, und in West-Berlin war ich auch mal mit dem Motorrad, das war 1982, bei Schneetreiben auf der Autobahn. Das war ganz schön merkwürdig. Nicht wegen des Schnees, sondern wegen dieser Autobahn, auf der man wie in einem Käfig eingesperrt war . Es war, als führe man im Niemandsland. Nicht gerade schön, aber eine echte Erfahrung. Und Berlin war großartig damals, voller Musik und lebhafter Bars, Rock und Punk. Eine echt coole Stadt.
Moment, Moment, mit was für Motorrädern war das denn? Oder, besser noch, wir fangen ganz von vorne an: Erzählen Sie uns doch mal, wie Ihre Motorradkarriere verlief.
(lacht) Karriere kann man das von Eurem Standpunkt aus wohl kaum nennen. Ihr habt ständig mit diesen ganzen fantastischen Bikes zu tun! Bei mir war das hingegen ganz gewöhnlich und normal. Angefangen habe ich natürlich mit Mopeds. Ich war 14 und konnte meinen Vater überreden, mir eine 50er-Benelli zu kaufen, mit Dreigang-Handschaltung. Sie war einfach nur großartig, ich habe sie geliebt! Natürlich hatte ich gleich einen Crash. Eigentlich hätte ich den Motor einfahren müssen, aber ich habe schon am zweiten Tag Vollgas gegeben, und prompt hatte ich einen Klemmer, ausgerechnet in einer Kurve, und schon lag ich da. Passiert ist nicht viel, aber mein Ego war natürlich angeknackst. Ohnehin war das alles illegal, ich hatte gar keinen Führerschein. Den habe ich mit 16 dann gemacht. Ich wollte ja fahren. Und mit 17 bin ich nach England umgezogen. Dort habe ich mir eine CB 250 gekauft. Das war ein Zweizylinder. Gebraucht, alt, billig, ich hatte ja kein Geld. Ah, da kommt mein Schwiegervater…
Ein älterer Herr mit weißem Hemd taucht auf der Terrasse auf, winkt uns zu. Varoufakis entschuldigt sich, "just a second", und geht ihm entgegen. Die beiden plaudern kurz, dann sitzt er uns wieder gegenüber:
Der Vater meiner Frau, ihr gehört übrigens auch das Haus hier.
Und laut deutscher Boulevard-Presse auch die BMW F 650 GS, auf der Sie auch schon fotografiert wurden.
Richtig, ja, ein furchtbares Motorrad. Meine Frau liebt ihre BMW, aber mir gefällt sie gar nicht. So etwas würde ich mir nie kaufen. Immerhin überlegt meine Frau jetzt, sich eine Ducati Scrambler zu holen.
Hm, ja, die finden wir auch nicht schlecht. Aber wie ging es in England weiter?
Ja, also, ich habe damals als Student immer nachts gearbeitet, um Geld zu verdienen, damit habe ich mir dann ein richtig tolles Bike gekauft, eine Suzuki GS 750. Es war mein erstes richtiges Motorrad. 1978 oder 79 war das. Das meine ich ernst, die war wirklich toll, ein prima Handling, perfektes Kurvenverhalten. Naja, eigentlich hätte ich gern eine Ducati gehabt. Aber ich wusste damals, dass die einfach nicht halten. Die machten ständig Probleme, damals jedenfalls. Aber wenn sie liefen, dann liefen sie ganz hervorragend.
Eineinhalb Jahre lang hatte ich dann doch eine Ducati 900 Super Sport. Sie gehörte eigentlich einem Freund, der war damit aber gestürzt und hatte sich das Bein gebrochen. Also ließ er mir die Ducati. Die bin ich damals jeden Tag gefahren. Ein brillantes Motorrad, fantastische Bremsen, die Brembos waren, im Vergleich zu anderen zu der Zeit einfach genial. Ok, das Handling war nicht perfekt, sie war auch nix für die Stadt oder so, aber auf langen Strecken, und vor allem in langen schnellen Strecken, mit weiten Kurven und so, da hat mir die Duc enormen Spaß gemacht.
Naja, und auch ihre Mechanik habe ich damals sehr gut kennen gelernt (lacht dabei). Ist schon was dran, an dem Image, dass Ducatis empfindlich sind.
Das war auch in England?
Jaja, ich bin immer in England gefahren, ein fantastisches Land zum Motorradfahren, bester Asphalt, herrliche Landstraßen, super Grip, sogar besser als in Deutschland. Auch noch bei Regen. Ich fahre lieber und sicherer in England bei Nässe als in Griechenland im Trockenen. Und Motorradfahrer werden respektiert. Sogar von der Polizei, zumindest damals. Die waren solidarisch, fuhren ja selbst Motorrad.
Polizei? Solidarisch? Das müssen Sie erklären.
Naja, ein Beispiel. Ich hatte dann später ja eine Kawasaki GPZ 1100, die war schnell. Ich war mit 145 Meilen (233 km/h) ungefähr unterwegs und da erkennst du andre Fahrzeuge nicht mehr so genau, habe erst beim Überholen gemerkt, dass das vor mir ja ein Polizeimotorrad war. Au weia! Also, was mache ich? Ich werde langsamer, klar, nicht ganz langsam, das wäre ja lächerlich, aber langsamer. So 80 Meilen (123 km/h). Der Polizist überholt mich, schaut rüber, und macht nur so eine Handbewegung nach dem Motto: Du böser Junge, das lässt du aber… Dann fuhr er weiter. Bei einem Auto hätte er das nie gemacht. Oder anderes Beispiel, damals waren Motorräder auch japanische, ja noch nicht so zuverlässig. Die Suzuki ging machmal im Regen einfach aus. Naja, WD 40-Kontaktspray half dann oft. Aber nicht immer. Außerhalb von Norwich, in Norfolk, wo ich damals lebte, ist mir das mal wieder passiert. Ich stehe also am Rand des Motorway, als ein Polizeimotorrad neben mir stoppt, im Regen. Er wollte mir helfen, hat’s aber auch nicht geschafft. Die Unterbrecherkontakte waren runter und mussten gewechselt werden. Also was macht er, fährt in den nächsten Ort, holt neue Kontakte und hilft mir anschließend sie zu tauschen. Daraus entstand eine Freundschaft. Mit seinem Privatmotorrad ist er sonntags dann öfter mit mir zusammen nach Snetterton gefahren, eine Rennstrecke außerhalb von Norwich. Das war 1984, da gab es einfach noch Kameradschaft unter Motorradfahrern.
Waren Sie mal im Ace Café in London, dem berühmten Biker-Treff?
Ich habe davon gehört, aber ich war nie dort. Motorradfahren ist für mich keine Ideologie, es macht mich einfach nur glücklich. Das ist bis heute so, ich bekomme den Kopf frei beim Fahren, egal was außen rum los ist. Autos fühle ich Platzangst. Naja, außer vielleicht in einem Sportwagen mit einem dicken Motor, irgendwo in der Pampa. Das macht mir schon auch Spaß.
Sind Sie mal Motorradrennen gefahren?
Nein, das nicht. Autorennen allerdings schon, ich bin ein Jahre lang Formel Ford gefahren. Der Gedanke Motorradrennen zu fahren hat mir immer angst gemacht. Ich bin allerdings oft mit dem Motorrad auf Rennstrecken gewesen. Ich finde, da kann man herrlich über, etwa die richtigen Bremspunkte zu finden, oder ausprobieren wie viel Schräglage möglich ist. Ich bin allein gefahren und habe mir immer vorgestellt, ich wäre im Qualifying für einen Grand Prix. Aber die Vorstellung, dass da noch andere auf der Strecke sind, dass man im Pulk wegrutscht, dass es in den Kurven richtig eng zugehen kann, das hätte mir Angst gemacht. Ich habe mir bei einem Sturz einmal die Schulter gebrochen, die linke Seite hier, die ist hin. Wenn ich im Auto sitze und an Mautstellen mich rauslehnen muss – ah, ein Alptraum.
Wo und wie ist das denn passiert? Auf der Rennstrecke?
Nein, nein, das ist in der Nacht passiert, in Norwich, wo ich lebte. Wissen Sie, Norwich ist von vielen kleinen Kanälen durchzogen, und da führen viele Brücken drüber, logisch. Die meisten davon sind recht steil. Es war dunkel und hatte geregnet. Ich war nicht super schnell, 80 km/h vielleicht. Also fahre ich da die Brücke hoch – und sehe auf der anderen Seite plötzlich Kinder. Mitten auf der Straße. Ich habe es geschafft, auf den Gehsteig auszuweichen, kam auch wieder vom Gehsteig runter, bin dann aber gestürzt, bin gerutscht und mit der Schulter an der Bordsteinkante angeschlagen. Aber das ist jetzt 25 Jahre her. Dann, nach der Suzuki und der Ducati, hatte ich eine Honda CB 900 F.
Eine Bol d’Or?
Nein, ich glaube in England - alle meine Motorräder aus jener Zeit waren ja aus England - hieß die nur CB 900 F. Den Namen „Bol d’Or“ fand ich jedenfalls immer ziemlich angeberisch. Aber ich mochte die Honda unterm Strich sowieso nicht, hatte sie auch nur ein Jahr. Ich habe dann die Suzuki GSX 1100 ausprobiert, die mochte ich aber auch nicht. Das Handling hat mir einfach nicht gefallen, in der Stadt war die unbrauchbar. Dann kam ich auf die Kawasaki GPZ 1100 B2, Racing-Lackierung in Grün, Weiß und Blau, mit Einspritzung, toll! Ein exzellentes Motorrad! Und ein super Motor. Allerdings hatte ich sie auch nicht besonders lang. Leider.
Wieso das denn, was ist damit passiert?
Ich bin damit von England hierher zurück nach Griechenland gefahren, wo sie mir in Athen geklaut wurde. Die hat damals ein mords Aufsehen erregt. Ich erinnere mich, dass mir andere Motorradfahrer hinterher gefahren sind, bloß um sich die Kawa anzuschauen. Naja, und eines nachts dann, ich war gerade im Kino, war sie trotz Alarmanlage, Kryptoniteschloss und Kette anschließend weg.
Und? Je wieder davon gehört?
Ja, doch. Sie ist wieder aufgetaucht. Die Polizei rief mich zwei Monate später an und sagte mir, dass das Motorrad als Fluchtfahrzeug in einem Banküberfall auf dem Peloponnes eingesetzt worden war. Allerdings sah es danach nicht mehr so richtig gut aus. Der Typ muss mit 250 Sachen versucht haben abzuhauen und wurde dabei erschossen. Das Motorrad war Schrott. Naja, ich war versichert und habe mir nach der B2 dann die A2 gekauft, die mit Anti-Dive-System. Die war aber nicht so gut wie der B2, hatte mehr PS, aber weniger Drehmoment. Die hatte ich ein paar Jahre – und hatte damit ein Schlüsselerlebnis. Ich habe es immer genossen, damit ein bisschen zu driften, absichtlich natürlich. Dann habe ich plötzlich mal bemerkt, dass ich keinerlei Angst mehr hatte. Ich finde, als Motorradfahrer sollte dir immer bewusst sein, dass du runterfallen kannst. Und dieses Bewusstsein war plötzlich weg. Das machte mir Angst. Also hatte ich Angst, weil ich keine Angst mehr hatte. Am Tag darauf habe ich das Motorrad verkauft und hatte dann drei Jahre lang keines.
Hm, was hat das denn ausgelöst? Sind Sie Vater geworden? Oder altersweise?
Nein, Vater wurde ich erst viel später. Altersweise? Hm, vielleicht ein bisschen. Bis dahin hatte ich mich ja als allmächtig empfunden, die Schwerkraft war kein Problem. In Wirklichkeit ist sie natürlich doch eines. Das wurde mir klar, und plötzlich fühlte ich mich besiegt. Jedenfalls hab ich mir dann einen Sportwagen gekauft, Fiat 1/9, als Ausgleich. Das war so ein Baby-Ferrari. Ein Jahr später ging ich dann nach Australien. Dort habe ich mir wieder ein Motorrad gekauft.
Bestimmt eine Enduro, oder?
Fürs Outback wäre eine Enduro vielleicht ganz okay gewesen. Aber ich lebte in Sydney. So eine langweilige BMW, K-Serie, Vierzylinder, aber so ein richtiger Automotor, genau, die hieß einfach K 100. Eigentlich habe ich sie nur genommen, weil sie sich mir schier aufgedrängt hat, mein Nachbar hat sie verkauft, ich musste nicht suchen. Aber Australien ist ein furchtbares Land zum Motorradfahren, überall Polizei, lächerliche Tempolimits – und es geht nur geradeaus. Außerdem darf man sich nicht an Autos vorbei durchschlängeln, sondern muss sich brav hinten anstellen. Das ist doch furchtbar, oder? Jetzt haben die so dicke vierspurige Kreuzungen, jede Menge Platz, aber wehe du fährst an den Autos vorbei. Ich habe ein paar Mal Strafe zahlen müssen und die Autofahrer reagieren da auch aggressiv, zeigen mit dem Finger auf einen. Wie in der Schweiz!
Oh, da prallten offenbar Welten aufeinander. Wie ist es denn, in Griechenland zu fahren?
Ich habe ja wie gesagt in Athen das Fahren gelernt. Das ist die vielleicht härteste Fahrschule der Welt. Wenn du Athen überlebst, kommst du überall durch. Im Jahr 2000 kam ich aus Australien zurück nach Griechenland und habe mir hier eine Kawasaki KLR 650 gekauft. In Athen mit seinen ganzen Schlaglöchern und miesen Straßen ist so eine Enduro optimal. Es fahren auch entsprechend viele rum. Mit der KLR bin ich in ganz Griechenland unterwegs gewesen, auf den Inseln, im Gebirge, auf Schotter, überall. Ein gutes Motorrad!
Dann fahren Sie gern im Gelände?
Nicht wirklich.
Wenn man aber gern driftet?
Ja, driften ist super, aber auf Asphalt! Wenn ich das mache, dann grinse ich unterm Helm immer über beide Ohren. Okay, offroadfahren macht mir auch Spaß. Aber nicht so sehr wegen des Fahrens, sondern weil ich mir dabei die Landschaft anschauen kann. Auf Straßen aber ist mir die völlig schnuppe. Da interessiert mich nur das Motorrad. Das Motorrad, ich und der Asphalt.
Ein Freund von mir, in mein Alter, war übrigens ganz aus dem Häuschen, als er hörte, dass MOTORRAD kommt. Der Typ ist völlig Motorrad-verrückt, steht auf Japaner mit 150 bis 200 PS. Und seine Sonntage verbringt er gern damit, dass er von Athen nach Thessaloniki auf einen Kaffee fährt, und dann gleich wieder zurück. Sind 550 Kilometer. Einfach. So närrisch ist der. Wir tauschen oft unsere Bikes untereinander.
Auf den Fotos, die wir von Ihnen als fahrender Minister gesehen haben, tragen Sie immer einen Helm. Das ist in Athen nicht unbedingt üblich. Wie sieht‘s aus mit dem Rest? Haben Sie zum Beispiel eine Lederkombi?
In England hatte ich eine, hier nicht mehr, ich habe eine Lederjacke, das ja. Und in England war alles beheizbar, da hatte ich Heizhandschuhe und sogar eine beheizte Weste, anders wäre das nicht gegangen, zumindest nicht auf den langen Strecken.
Ok, das braucht‘s in Griechenland ja nicht. Wann kommen Sie hier zum Fahren?
Im Sommer ist es ja furchtbar heiß, aber wir haben teilweise wunderbar klare und auch warme Tage im Herbst, Winter und Frühjahr.
Wir wissen, dass auch Alexis Tsipras Motorrad fährt. Sind Sie beide mal zusammen gefahren? Sie sind doch befreundet, oder?
Ja, wir sind Freunde, das ist richtig. Aber erst seit einigen Jahren. Er ist ja auch 15 Jahre jünger als ich. Zusammen Motorrad gefahren sind wir aber nie. Sein Haus ist übrigens da drüben (macht eine unbestimmte Handbewegung in Richtung der anderen Seite des Hügels, Red.). Aber mit meinem Freund Vassilis, den ich seit meiner Jugend kenne, bin ich immer von Griechenland aus zu Grand Prixs gefahren, wann immer welche in Europa waren. Wir haben dann im Freien im Regen geschlafen, was man halt so macht, wenn man jung ist, verrückte Sachen eben.
Schauen Sie sich heute noch Grand Prixs an, also im Fernsehen?
Nicht wirklich, dafür fehlt mir die Zeit. Ich sehe generell nicht fern. Der letzte GP, bei dem ich war, war 2014 in Austin, Texas, das war langweilig. Ich erinnere mich nicht mal, wer gewonnen hat. Rossi fiel aus, ab dann war’s langweilig. Ich würde mir gern öfter wieder Rennen ansehen. Aber im Augenblick hat die Politik alles übernommen, ich habe null Zeit für private Dinge.
Wo Sie grade die Politik erwähnen. Was glauben Sie, warum polarisieren Sie so? Warum war das Thema „Motorradfahrender Minister“ plötzlich so wichtig?
Pah, das müsstet ihr mir doch jetzt sagen können?
Wir wollen es aber von Ihnen wissen.
Na gut, ich versuch’s. Ich glaube, dass man einfach nicht anders als der Rest sein darf. Das wird nicht toleriert. Wie Kinder in der Schule, die den einzigen Linkshänder hänseln. Bloß weil er anders ist. Politiker sind nach meiner Erfahrung ganz unsichere Menschen. Sie müssen so oft Dinge vertreten, an die sie selber gar nicht glauben. Dann verstecken sie sich hinter ihren Krawatten, Anzügen und dicken Limousinen. Wenn dann einer mit dem Motorrad kommt, den versuchen sie nieder zu machen, weil er anders ist. Ok, ich habe sie natürlich auch herausgefordert, habe das System herausgefordert, das sie aufgebaut haben, das in meinen Augen aber versagt hat. Das alles, dann noch das Motorrad und keine Krawatte – klar, dass die mich attackiert haben.
Welche Rolle hat Ihr Motorrad in Ihrer Amtszeit gespielt?
Ganz einfach, es hat dem Staat eine Menge Geld gespart. Schaut mal, ich war Finanzminister eines bankrotten Staats. Aber es waren von meinem Vorgänger zwei dicke, gepanzerte 7er BMWs da, kugelsicher. Die hatte mein Vorgänger für 750000 Euro gekauft. Die habe ich sofort alle beide verkauft. Was sollte ich denn damit? Ich bin ja überall mit meinem Motorrad hingefahren. Und das Benzin dafür habe ich aus meiner eigenen Tasche bezahlt. Das würde mir aber plötzlich negativ ausgelegt, es hieß ich wäre arrogant und exzentrisch. Also habe ich noch einen zehn Jahre alten, pottehässlichen Hyundai gekauft, wenn ich mal zum Flughafen musste, oder so.
Aber braucht man als Politiker denn nicht ein sicheres Auto und Personenschutz?
Hm, ich habe immer gesagt, dass ich zurücktreten werde, wenn das Volk mich nicht will, mich attackiert. Das heißt dann doch, dass man seinen Job nicht gut macht. Aber ich war ja auch kein Profi-Politiker, das weiß man ja. Und jetzt bin ich raus. Meine Partei hat sich aufgespalten und ich stehe auf keiner Seite.
Aber wir wollten über Motorräder sprechen. Hatten Sie nicht eine Motorrad-Eskorte?
Ja, das ist richtig. Vier Polizisten auf Motorrädern. Großartige junge Burschen. Wir sind immer zusammen gefahren. Und haben manchmal auch die Motorräder zum Spaß untereinander durchgetauscht.
Was waren das denn für welche?
Einer hatte eine TDM, der andere eine Aprilia, ich glaube Tuono, seine Privatmaschine übrigens, einer fuhr so eine Honda, wie hieß die nochmal, ja, Transalp, richtig. Ein echt mieses Motorrad, total langweilig. In meiner Zeit als Minister waren diese kurzen Fahrten der einzige Spaß, den ich hatte. Die Minister-Phase war schrecklich. Meist schlief ich bloß zwei-drei Stunden pro Nacht, war ständig unterwegs immer in Autos, Flugzeugen, Berlin, Brüssel, Frankfurt, ätzend. Aber, warum erzähle ich das?
Motorrad-Eskorte.
Richtig, der kurze Wrumm, nur vom Ministerium zum Parlament, das ist nicht weit, der hielt mich bei Laune. Mit den vier Polizisten bin ich dann immer Ampelrennen gefahren. Und ich habe immer gewonnen! Immer!
Die haben Sie doch bestimmt gewinnen lassen, oder? Sie waren ja der Boss!
Quatsch! Die wollten es schon wissen, waren auch super Fahrer. Aber ich hatte mit der Yamaha doch viel mehr Druck, viel mehr Dampf!
Erzählen Sie uns von Ihrer XJR 1300. Was mögen Sie an ihr?
Sie erinnert mich einfach an die Bikes der 70er. Sie hat sich seit ihrem Erscheinen 1995 kaum verändert, der luftgekühlte, unverkleidete Vierzylinder ist einfach herrlich. Sie ist kein Poser-Motorrad, das mehr zu sein vorgibt, als es ist. Außerdem fährt sie sich erstaunlich leicht für so ein dickes Ding Ich finde sie in der Stadt sogar noch besser als die KLR.
Echt? Trotz der ganzen Schlaglöcher?
Ok, da war die KLR im Vorteil, aber die Yamaha ist wendig, relativ schmal und hat einfach so viel Druck, dass man damit in jede kleine Lücke im Verkehr einfach reinwutschen kann.
Ja, diese Anarchie im Verkehr ist uns in Athen auch aufgefallen. Von allen Seiten drängeln sich die Bikes zwischen den Blechlawinen durch.
Das ist doch herrlich, oder?
Gefährlich auch. Viele fahren ohne Helm.
Das tue ich nie!
Aber Ihre Frau. Das Bild von ihr auf dem Sozius der Yamaha, unmittelbar nach ihrem Rücktritt ging um die Welt. Da hat sie keinen Helm auf.
Danae, meine Frau, fährt auch immer mit Helm. An diesem bewussten Tag war es einfach so, dass 300 TV-Stationen vor dem Parlament warteten, 300! Und 1000 Journalisten! Ein unglaublicher Trubel. Ich hatte drinnen gerade meinen Rücktritt erklärt, die Pressekonferenz war beendet und wollte raus. Danae sollte mich abholen. Wegen des Trubels hatte sie ihre BMW aber drei Straßen weiter abgestellt, mit ihrem Helm dran. Als ich fertig war und raus kam, haben die Journalisten regelrecht Jagd auf mich gemacht und auf Danae, sie ist in Griechenland bekannt. Also sind wir geflohen, 300 TV-Teams, und alle rennen sie mit den Kameras hinter uns her! Da ist sie einfach spontan bei mir hinten mit drauf und ich fuhr sie zu ihrem Motorrad, drei Straße weiter.
Dann hat sich die Yamaha als Fluchtfahrzeug also bewährt. Wie lange haben Sie sie schon?
Fünf Jahre. Drei davon stand sie aber abgesperrt in der Garage, als ich in Amerika lebte.
Und dort? Harley?
Exakt, obwohl ich sie bis auf ihren Sound echt nicht gut finde. Aber das musste einfach sein. In den USA hat eine Harley doch irgendwie was Erhabenes. Ich hatte dann auch gleich eine Electra Glide, das volle Programm, so mit Stereoanlage und allem Drum und Dran. Ich hatte da echt so ein Schlüsselerlebnis.
Was denn?
Ich wollte zu Anfang nur mal eine ausprobieren. Also habe ich eine gemietet. Da passiert dann das: Ich bleibe stehen und nehme den Helm ab. Das war bei Seattle, im Nord-Westen. Kommt da ein älterer Mann auf mich zu, erkennt mich offenbar als Ausländer, und sagt: Thank you for supporting America! Das fand ich toll, das hat mich echt berührt. Deswegen habe ich eine gekauft. Danke, dass Sie Amerika unterstützen! Im Ernst, könnte einem das mit einer BMW in Deutschland auch passieren?
Hm, nee, naja, in Bayern vielleicht. Wie gut kennen Sie sich als geistiger Mensch mit Motoren aus? Haben Sie schon mal einen zerlegt?
Nicht besonders, in England, als ich noch wenig Geld hatte, musste ich schon immer an meinen alten Maschinen schrauben. Die größte Reparatur, die ich selber ausgeführt habe, war eine Zylinderkopfdichtung zu tauschen, und so schlecht kanns nicht gewesen sein, sie hielt dann immerhin zwei Jahre. Bei der Suzuki GS 750 war das. Ich erinnere mich noch gut, als ich alles wieder zusammen hatte, und den Motor zum ersten Mal wieder startete – ein tolles Gefühl! Übrigens hat Griechenland ganz ausgezeichnete Mechaniker. Wir sind hier ja ein bisschen wie Kuba, kaum jemand kann sich leisten, ein altes Motorrad einfach wegzuschmeißen und ein neues zu kaufen, also wird repariert und improvisiert . Ich hatte in Deutschland, in Frankreich und vor allem in England mit Mechanikern zu tun, aber die Qualität der Griechen ist in diesem Punkt einfach unvergleichlich. Und tunen können sie übrigens auch. Sogar hier auf Ägina gibt es einen Tuner, er fährt seine Maschinen dann immer auf der Rennstrecke von Megara auf dem Festland.
Mal ganz allgemein, haben Motorräder in Ihren Augen eine Zukunft?
Ja, definitiv, Motorräder wird es immer geben. Dieses Gefühl auf zwei Rädern unterwegs zu sein, das ist doch viel zu erhaben, um es je aufzugeben. Und mit dem Fahren um des Fahrens willen haben speziell wir Griechen eine große Tradition , sie fängt bei Homer und der Odysee an. Motorradfahren ist wie segeln, ein Auto kann da nie mithalten. Vielleicht müssen Motorräder einfach etwas aus der Mode kommen, um eines Tages wieder cool zu werden. Das einzige, was mir da wirklich Sorgen macht, sind die Elektromotoren. Die passen nicht zu Motorrädern.
Haben Sie schon einmal eines gefahren?
Nein, will ich auch nicht. Schon allein die Vorstellung macht mich irgendwie traurig – wenn man den Öko-Aspekt mal außen vor lässt.
E-Bikes haben aber ein wahnsinns Drehmoment, und da stehen Sie doch drauf.
Naja, vielleicht überlege ich mir das nochmal. Wahrscheinlich kommen wir in Zukunft gar nicht drum rum.