Loris Capirossi als offizieller Tester von Elektromotorrädern, die Dorna als Ausrichter eines Stromer-Cups im Rahmen der Motorrad-WM – die Zweiradwelt scheint sich unwiderruflich zu ändern.
Loris Capirossi als offizieller Tester von Elektromotorrädern, die Dorna als Ausrichter eines Stromer-Cups im Rahmen der Motorrad-WM – die Zweiradwelt scheint sich unwiderruflich zu ändern.
Unter Strom stehen Elektromotorräder immer, das versteht sich von selbst. Jetzt soll Spannung hinzukommen: Die Dorna, seit Jahrzehnten Organisatorin der Motorrad-WM, richtet ab 2019 die Rennserie MotoE aus, exklusiv für Elektromotorräder. Und zwar nicht im Hinterhof auf B-Rennstrecken, sondern dort, wo die Königsklasse mit Protagonisten wie Valentino Rossi und Marc Márquez antritt und sich das internationale Medieninteresse ballt.
Konkret geplant sind derzeit fünf Auftritte des Stromer-Cups im nächsten Jahr, allesamt auf europäischen Rennstrecken im Rahmen der Motorrad-WM; ob der Sachsenring dabei ist, steht noch nicht fest. Prominent wird sogar der Zeitpunkt des E-Rennens sein: „Wir planen, die E-Motorräder nach dem Warm-up der MotoGP und vor dem Moto3-Rennen starten zu lassen“, so Dorna-Chef Carmelo Ezpeleta. „Das garantiert eine optimale Berichterstattung durch das Fernsehen.“
Die Dorna und mit ihr der Motorradweltverband FIM wollen ganz offensichtlich den Zukunftstrend nicht verpassen, sondern ihn rechtzeitig in ihr Reich integrieren. Als Hauptsponsor des E-Weltcups tritt Enel auf, Italiens größter Stromversorger. Der will sich darum kümmern, dass die Batterien der rasenden Stromer immer voll sind. Dafür werden mobile Ladestationen entwickelt, die maximal 30 Minuten für eine Komplettladung brauchen sollen.
Eine echte Weltmeisterschaft kann man die neue Klasse allerdings nicht nennen, es handelt sich vielmehr um einen Weltcup, bei dem alle Fahrer auf dem gleichen Motorrad antreten: auf der Ego Corsa, einer Racing-Version des Straßensportlers Ego vom Hersteller Energica aus Modena in Italien. Deren Eckdaten dürften in der MotoE-Klasse nahe am Serienmotorrad liegen, mit 150 PS, einem Drehmoment von 200 Nm, über 250 km/h Spitze und einer Beschleunigung von 0 auf 100 in drei Sekunden. Loris Capirossi, dreimaliger Weltmeister auf Benzinmotorrädern und von der Dorna zum offiziellen E-Motorrad-Tester befördert, zeigt sich von seinen ersten drei Ausritten auf dem Stromer sehr angetan: „Weil es kein Getriebe gibt, reagiert die Ego ohne jede Verzögerung, es gibt keinerlei Leistungslöcher. Du kannst nach allen Regeln der Kunst mit dem Gasgriff spielen, das macht viel Spaß.“ Nur deutlich schwerer als andere Rennmotorräder sei die Ego Corsa wegen des Gewichts der Batterien, sagt der 45-Jährige: „Aber trotz ihrer 240 Kilo wirkt sie auf der Piste handlich und agil.“
Der Dorna-Plan sieht vor, dass sieben Privatteams aus der Moto GP-Klasse mit je zwei Fahrern auf der Ego Corsa antreten, dazu weitere Teams aus der Moto2- und Moto3-Klasse. Insgesamt sollen 18 Piloten an den Start gehen. Über die Länge der Rennen wollte Dorna-Boss Ezpeleta noch nichts Offizielles sagen, gerüchteweise war von etwa 20 Minuten die Rede. Einen Fahrzeugwechsel während des Rennens wird es aber nicht geben, die Fahrer müssen mit dem Energievorrat der Ego Corsa haushalten, ähnlich wie die Piloten der traditionellen Klassen mit dem Benzin. Ezpeleta verspricht: „Wir werden echte Sprintrennen erleben.“
Ex-Weltmeister Capirossi hat sich jedenfalls mit der Ego Corsa schon angefreundet. „Es ist natürlich ungewohnt, ein so leises Motorrad zu fahren“, sagt der Italiener. „Dafür habe ich zum ersten Mal in meinem Leben gehört, wie meine Knieprotektoren über den Asphalt schleifen. Ein beeindruckendes Erlebnis.“
Livia Cevolini. Die dynamische Ingenieurin ist Chefin des Herstellers Energica aus Modena in Norditalien. Der baut ausschließlich Elektromotorräder und wurde von der Dorna als Lieferant der Fahrzeuge für die neuen MotoE-Rennen in der Motorrad-WM auserkoren.
Warum hat sich die Dorna für Ihre Motorräder entschieden?
Weil wir die Besten sind! (lacht) Ich glaube, es sind zwei Gründe: Zum einen ist unser Motorrad erprobt, schnell und zuverlässig. Zum anderen ist für die Dorna natürlich ein seriöser Partner wichtig. Energica gibt es bereits seit zehn Jahren, unsere Muttergesellschaft CRP sogar schon ein halbes Jahrhundert, sie ist außerdem Formel-1- Zulieferer. Das schafft Vertrauen.
18 Fahrer sollen in der MotoE-Klasse starten, alle auf Ihrer Ego Corsa. Die Teams wählen aber nicht Sie aus, sondern die Dorna. Haben Sie da keine Bedenken, dass Ihre Technologie geklaut werden könnte?
Nein, gar nicht. Das Herzstück eines Elektro–motorrads ist die Software, die lässt sich nicht so leicht kopieren und ist außerdem durch Patente geschützt. Und bei der Ego Corsa handelt es sich ja nicht um einen neu entwickelten geheimen Prototyp, sondern um eine Rennversion unseres Sportlers Ego, und den kann ja jetzt schon jeder kaufen.
Stellen Sie nur die Motorräder, oder ist Energica auch bei den Rennen vor Ort?
Wir sind natürlich dabei! Derzeit bauen wir eine eigene Abteilung für den MotoE-Einsatz auf. Den Teams stellen wir unseren Support selbstverständlich auch auf der Rennstrecke zur Verfügung.
Haben Sie keine Bedenken wegen der eingeschränkten Reichweite? Im MOTORRAD-Test war beim Schwestermodell der Ego, der Eva, der Akku bei Vollgas nach 40 Kilometern leer.
Jedes Fahrzeug, ob Elektro oder Benziner, hat bei Vollgas eine stark eingeschränkte Reichweite. Im MotoE-Cup spielt das keine Rolle, schließlich wird ja nicht ständig Vollgas gefahren. Generell sehen wir für die Ego Corsa einen leicht modifizierten Power Train vor, der die Leistungsdaten auf der Rennstrecke verbessern wird.
Halten Sie Rennen für den richtigen Ansatz, um E-Mobilität ans Laufen zu bekommen?
Auf jeden Fall! Rennsport vereint auf einmalige Weise Technologie und Leidenschaft. Ich hoffe, dass durch den MotoE-Cup viele Motorradfahrer ihr Misstrauen gegenüber Elektromotorrädern überwinden, allein dadurch, dass sie die Technologie hautnah erleben. Dass die Dorna die Rennen im Rahmen der Motorrad-WM veranstaltet, verleiht der Serie vom Start weg ein ganz besonderes Gewicht und verhilft ihr zu viel mehr Aufmerksamkeit als der Formel E im Autobereich, das freut uns sehr.
Manche Fans sagen allerdings, dass die Rennleidenschaft untrennbar mit dem Sound verbunden ist. Glauben Sie, dass dessen Fehlen ein Hindernis ist?
Ehrlich gesagt dreht sich diese ständig gleiche Diskussion im Kreis. Das laute Geräusch und die Wärmeentwicklung waren bei der Entwicklung des Verbrennungsmotors unerwünschte Nebeneffekte, durch sie geht Effizienz verloren. Wir alle haben diesen Defekt – und nichts anderes ist das Geräusch – im Laufe der Zeit lieben gelernt, das stimmt. Aber jetzt ist es vielleicht an der Zeit, sich für etwas Neues zu öffnen. Wenn die Leute erst mal MotoE-Rennen sehen und hören, werden sie feststellen, dass den Elektromotorrädern der Sound keineswegs fehlt. Er ist nur anders.