Der R6-Cup gilt als Kaderschmiede; aus ihm kommen GP-Fahrer, Weltmeister und IDM-Größen. In diesem Haifischbecken fand das nächste Experiment für den PS-Rookie statt. Er kam gerade noch mal heil davon.
Der R6-Cup gilt als Kaderschmiede; aus ihm kommen GP-Fahrer, Weltmeister und IDM-Größen. In diesem Haifischbecken fand das nächste Experiment für den PS-Rookie statt. Er kam gerade noch mal heil davon.
"Seid ihr verrückt?" Das hatten sich PS-Chef Matthias Schröter und Cup-Koordinator Thomas Kohler ja schön ausgedacht: Ein Gaststart beim R6-Cup, das ist was für den Rookie. Ich war wenig euphorisch. Ach was, ich hatte die Hosen voll, und zwar gestrichen. Vom halben Feld ruck, zuck überrundet werden, das Zeiten geht, die für die IDM taugen?
In einer meditativen Bürophase sehe ich mich als schwarze Ente Duffy Duck auf der R6, während sich unbemerkt hinter mir eine gigantische, dunkle Wolke aus dickem Rauch, kreischenden Motorrädern, blitzenden Helmen, grimmigen Visagen und bunten Kombis in aberwitzigem Tempo nähert. Schon verschluckt mich dieses Gewühl, um mich im Bruchteil einer Sekunde als gerupftes Hähnchen wieder auszuspucken – gerade mal eine Schwanzfeder war mir geblieben. Von der Tagtraumphase wohl geistig umnachtet, sagte ich irgendwann doch "ja". Kaum zwei Wochen später stehe ich in der Motorsport Arena in Oschersleben. Die Kulisse ist beeindruckend: Überall fette Trucks aus Endurance-WM und IDM, große Wohnmobile und Hospitalities, das Fahrerlager voll bis auf den letzten Platz. Mittendrin steht der Yamaha-R6-Cup-Auflieger. Direkt daneben parke ich das höchst komfortable Wohnmobil, das mir die Firma Dethleffs für das Wochenende überlassen hat. Wenn schon Topliga, dann mit entsprechendem Auftritt! Da steht sie: eine picobello aufgebaute R6. Bei dem Anblick spüre ich doch ein angenehmes Kribbeln. Der Motor entspricht genau der Serie, aber Stummel, Armaturen, Fußrasten, Auspuff und Verkleidung versprühen kompromisslosen Rennsport.
Dazu kommt ein Öhlins-Fahrwerk, für das Zupin einen Experten abstellt, auf den jeder Cup-Teilnehmer zugreifen kann. Und in jedem Motorrad steckt ein umfangreiches 2D-Datarecording, das Fachmann Tom Lischitzki mit jedem Fahrer auswertet. Im dicht gedrängten Kalender der diesjährigen Speedweek bleibt dem R6-Cup weniger Fahrzeit. Ein halbstündiges freies Training am Freitagmorgen muss genügen. Mir genügt es, um herauszufinden, dass die Cup-R6 eine verdammt scharfe Klinge ist, mit der man klarkommen muss. Ihre spitze Leistungscharakteristik erlaubt keine Fehler. Einmal den falschen Gang erwischt, schon ist die Runde futsch. Gepaart mit den üblichen Rookie-Unzulänglichkeiten kommen nicht gerade berauschende Zeiten zustande. Von meiner 1:39er-Fabelzeit bin ich jedenfalls ein ganzes Stück weg, und als Nächstes steht schon das Qualifying an; es geht um den Startplatz.
In der Zwischenzeit stellt die Technik-Crew die Yamaha für mich ein. Toll, so ein Werksfahrer-Dasein – nette Jungs mit vollem Durchblick! "Der Schalthebel muss etwas höher. Der Bremshebel am Lenker sollte etwas nach unten. Federbein? Alles okay. Am Ende von Start/Ziel hatte ich beim Umlegen auf der Bremse Chattering." Matthias Greif, der herbeigerufene Fahrwerksmann, schlägt ein geändertes Gabel-Setup vor. Dann werfe ich mit Tom einen Blick auf meine Performance. Die gute Nachricht zuerst: Am Kurvenscheitelpunkt bin ich ganz gut dabei, in der Hasseröder sogar unter den Top 10. Aber weder beim Reinfahren noch beim Rausbeschleunigen bin ich auch nur annähernd auf Niveau. Das Datarecording offenbart Dinge, an die ich bisher nie gedacht habe: Bei jedem Schaltvorgang verliere ich so viel Zeit, dass die sich auf einer Runde ganz schön summiert. Statt schnell Gas zu und wieder auf, schließe ich die Drosselklappen viel zu gemächlich und öffne im Lutschermodus. Die Drehzahlen aus den Kurven sind viel zu niedrig, fast überall fahre ich einen Gang zu hoch. Vom Bremsen ganz zu schweigen. All das trifft mich schonungslos, aber: Ein Lernprozess setzt ein.
Plötzlich artet das Training in Arbeit aus. Ständig beobachte ich meine Bewegungsabläufe. Dreh ich das Gas schnell genug zu? Kuppele ich zu lange? Hab ich den passenden Gang? Wann kann ich aufziehen? Unbeschwertes Herumrasen ist das nicht mehr. Das Chattering ist dafür weg. Während der Pause sitzt Tom bei mir im Wohnmobil, wo wir am Rechner die Runden noch mal durchgehen. Einiges ist besser geworden, aber eine tadellose Runde war nicht dabei. Das 2D-Programm errechnet aus den einzelnen Sektionen eine theoretische Bestzeit von knapp 1:39 min., was mich zuversichtlich stimmt. Gewertet wurde eine 1:40,291 – Platz 34 von 40. In drei Stunden gibt es noch eine Chance. Doch das zweite Zeittraining verhaue ich komplett. Neben der perfekten Bike-Behandlung gehören eben auch Übersicht über das Geschehen auf der Strecke und Taktik zum Qualifying – ich hatte nichts davon: Runde um Runde fahre ich hinter einem langsameren Kollegen her und versuche krampfhaft, ihn an einer geeigneten Stelle zu überholen, anstatt einfach das Gas rauszunehmen, eine entsprechend große Lücke zu suchen und dann alles in eine oder zwei Runden zu legen. Völlig platt stecke ich noch vor dem Ende auf und muss mit Startplatz 35 vorliebnehmen.
Dann ist Sonntagmorgen, Renntag. Ich habe schlecht geschlafen, trotz fürstlicher Wohndose. Heftiger Regen hat mich mitten in der Nacht geweckt. Nach wie vor bin ich noch kein Rennen im Regen gefahren, und hier wollte ich ganz bestimmt nicht damit anfangen. Doch neuer Regen bleibt aus, und die IDM-Klassen fahren in ihren Warm-ups die Piste trocken. Deutlich nervöser als bei allen bisherigen Rookie-Events steige ich in meine Kombi. Diese Mischung aus Anspannung, leichter Panik, aber auch einer gewissen Euphorie lässt mich unentwegt Kringel um mein Motorrad laufen. „Achtung Fahrerlager, R6-Cup bitte zum Vorstart.“ – Schluss mit lustig! Wenig später stehen wir in der Startaufstellung. Dann geht es in die Warm-up-Runde und auf den Startplatz. Keiner mehr da, der mir etwas Beruhigendes sagen könnte. Die Ampel geht an, die Vierzylinder jaulen markerschütternd. Grün. Die 31 zieht unter mir wie ein Torpedo an. Ich habe genug Drehzahl, lasse die Kupplung schleifen und feuere an einigen vor mir vorbei. Auch in der Bremszone vor der ersten Links überhole ich noch. Ich könnte vor Freude laut brüllen, hier hatte ich in den anderen Rennen bisher nur Mist gebaut. Rechtsrum sortiere ich mich um den 22. Platz herum ein und halte den bis zur Triple-Links. Dann fliegen die Funken. Vor mir haben sich zwei verhakt und stürzen. Aber es bleibt keine Zeit zum Nachdenken. Anker werfen, ausweichen, noch einen Gang weiter runter und früh das Gas auf. Mit voller Schräglage, wie es Philipp Hafeneger zeigte, umschiffe ich die erste Curb der McDonalds-Schikane und brettere voll über die zweite drüber. Dann mit Schmackes in der Rechts auf die Gegengerade und tief abducken. Norbert hat noch gesagt, ich spreize auf der Geraden die Beine zu weit ab, sitze zu weit vorn. Wenn der mich jetzt sehen könnte! Rossi sitzt nicht besser auf seiner M1.
Keiner packt mich. Mein Vordermann zieht aber davon, und nach der vorletzten Rechts schießt eine blaue R6 neben mich. Der torpediert glatt meine angepeilte Linie. „Ja“, schrei ich mich an, „der macht’s eben richtig.“ So geht es weiter. Zwei schlüpfen noch durch, aber ich kann mich dranhängen. Vorbei sind alle Zweifel, egal sind mir die Rundenzeiten. It’s Racing! Bisher habe ich kaum einen Fehler gemacht. Sogar die Gänge haben weitestgehend gepasst. Runde 5, unverändertes Bild: Ich bin immer noch gut unter den Top 30 dabei. Die Hasseröder passt, die Triple-Links geht so, die Hotelkurve ist immer noch ausbaufähig, aber die Schikane passt dafür wieder. Als ich in der Rechts auf die Gegengerade bin, reiße ich das Gas auf. Schlagartig wird mir verdammt heiß. Urplötzlich verliere ich den Grip am Hinterrad. Das Heck bricht nach links aus. Ich suche schon nach dem möglichen Einschlagsort, drehe aber instinktiv das Gas zu und lenke mit dem Vorderrad ein. Das Heck zieht nach rechts. Es hebt mich aus dem Sattel. Als ich runter komme und wieder im Sitz lande, zieht eine Gruppe an mir vorbei. Puh! Die Yamaha rollt wieder geradeaus, aber ich bin mental völlig aus der Spur. Kurz versuche ich, mich zu beruhigen. Dann gebe ich wieder Gas, um dranbleiben zu können.
Doch im S linksherum schmiert es hinten schon wieder, wenn auch nur leicht. Vorher hätte mich das nicht beunruhigt, aber jetzt ist der Ofen aus. Ohne Mumm fahr ich in die Kurven. Meine Boxencrew zeigt mir Platz 29 und einen komfortablen Vorsprung vor den nächsten Konkurrenten an. Doch statt konzentriert weiterzufahren und den Platz abzusichern, fahre ich völlig unbeständig, mache besonders in der vermeintlichen Highsider-Rechts nur noch Mist. Außerdem geht mir die Puste aus. Es sind aber noch 5 Runden. Als ich kurz vor Schluss ausgerechnet in der Rechts vor der Gegengeraden noch einen Abstecher ins Grüne mache, ist der Platz unter den ersten 30 weg. Ich habe endgültig keinen Biss mehr. Als die Spitze dann unter mir durchgeflogen kommt, ist die karierte Flagge wie eine Erlösung. In der Auslaufrunde blicke ich mich um:Da sind noch welche hinter mir, das beruhigt. Sofort schießt mich das Adrenalin wieder in eine positive Umlaufbahn. Mit aufgerissenem Visier sauge ich den Sauerstoff tief in die Lunge. Im Parc Fermé ist die Welt wieder komplett in Ordnung. Ich durfte mit einem Hammer-Motorrad Rennen fahren, mit ganz schnellen Jungs spielen, hatte ein unvergessliches Wochenende, bin sitzen geblieben und nicht Letzter geworden. Hurra: Jemand da draußen schuldet mir jetzt einen Kasten Bier.