Wer A sagt, muss auch B sagen. Wer ein Museum baut, steht im Rampenlicht. „Vorübergehend“, hofft Karl-Heinz Rehkopf, kann aber nicht leugnen, dass es rund um dieses von ihm angeschobene Projekt durchaus Begleitumstände gibt, die ihm angenehmer sind. Jenen etwa, so viele begeisterte Menschen in der Ausstellung zu treffen. Der PS.Speicher, untergebracht im ehemaligen Kornhaus nahe der Einbecker Innenstadt, durfte seit der Eröffnung Ende Juli 2014 bereits rund 30.000 Besucher begrüßen. Aufregende Monate?
Karl-Heinz Rehkopf: „Was heißt Monate? Seit wir 2009 die Stiftung Kornhaus gegründet und beschlossen haben, in diesen Speicher einzuziehen, reißen die Aufregungen nicht ab. Ein Museum, oder richtiger: ein PS.Speicher nach unseren Vorstellungen, in einem historischen Baudenkmal, mit einer echten Zukunftsperspektive – das war schon ein vielschichtiges Projekt. Man möchte sich ja auch nicht blamieren, das überlassen wir anderen mit ihren Flughäfen und Philharmonien. Nein, im Ernst: Zum Glück haben wir von Anfang an mit einem gehörigen Sicherheitspuffer gearbeitet. Der war allerdings zur Eröffnung dann trotzdem restlos aufgebraucht.“
"Ich bin froh über jeden, der mich nicht kennt"
Seit über zwei Jahrzehnten lebt seine Familie am Rande Einbecks, und Karl-Heinz Rehkopf konnte unter dem Motto „Ich bin froh über jeden, der mich nicht kennt“ seine Sammlung auf über 1000 meist deutsche Zwei- bis Vierräder vergrößern. Fast im Verborgenen. Nur sehr, sehr wenige Menschen wussten um seine Ambitionen. Vorbei. Heute kennt ihn in Einbeck fast jedes Kind.
Karl-Heinz Rehkopf: „Ja, und seither muss ich ziemlich viele ungewohnte Dinge tun. Interviews geben, zum Beispiel. Nun, ich begreife meine Motorräder als etwas, das in seiner Gesamtheit ein technisches Kulturgut darstellt. In dieser Form sollte es nach meinem Willen erhalten bleiben und nach meinem Tod als Museum der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Aber irgendwann haben mir einige sehr freundliche Menschen klargemacht, dass ich dafür am besten selber, also noch zu Lebzeiten, sorge.“
Rehkopf sitzt an einem Ecktisch in der Genusswerkstatt, dem Restaurant im PS.Speicher, und lächelt. Es ist geschafft, seine Schätze haben die denkbar schönste Heimstatt gefunden. Ihm gegenüber Gabriele Rehkopf-Adt, seine Frau. Einer dieser sehr freundlichen Menschen, die ihn damals überredeten. Sie lächelt zurück. Vor einer halben Stunde haben die beiden auf dem Museums-Areal die erste Elektro-Tankstelle Einbecks eröffnet, waren stilecht im Batterie-gespeisten Detroit Electric von 1916 vorgefahren. Der PS.Speicher ist ihr gemeinsames und das Projekt der von ihnen gegründeten gemeinnützigen Kulturstiftung Kornhaus. Dem Sammelhobby frönen beide schon lange zusammen. Das Geheimnis? Karl-Heinz Rehkopf hat nie den Familienzusammenhang aus dem Blick verloren. Und er hat sich 40, 50 Jahre Zeit gelassen.
Karl-Heinz Rehkopf: „So konnte ich auch noch die Begrenzungsfaktoren Raum und finanzielle Mittel lösen. Aber nebenbei bemerkt, kann geteilte Freude auch bedeuten, dass ich mit meiner Frau – sie ist Kunsthistorikerin – auf einer Reise morgens in eine Gemäldegalerie gehe, und sie mich nachmittags ins Motorrad- oder Automuseum begleitet.“
"Ich wollte liebend gerne Ingenieur werden"
Die Freude des anderen wird zur eigenen. So ist das. Aber was blieb ihr übrig? Karl-Heinz Rehkopf war nur als Motorradnarr zu kriegen. Mit 16 schuftete der Gymnasiast nebenher in den Tongruben seines Heimatortes für eine kleine Vorkriegs-Victoria. Das war nicht genug, er schuftete weiter, denn es ging doch um mehr als das Fahren. Wer den Mädels imponieren wollte, der brauchte eine Max, eine Regina. Eine Triumph Cornett war auch nicht schlecht. Doch wer viel schuftet, kann hier und da den Anschluss verlieren.
Karl-Heinz Rehkopf: „Ich wollte liebend gerne Ingenieur werden, mein Lehrer behauptete allerdings, ich könne zwar rechnen, aber echte Mathematik sei ‚bei diesen Zensuren wohl doch nichts für mich‘. So studierte ich Betriebswirtschaftslehre. Als mein Vater früh starb, musste ich, um mein Studium fortführen zu können, schon wieder nebenher arbeiten – ich eröffnete mit meiner Frau ein Lebensmittelgeschäft. Einen echten Tante-Emma-Laden. Da hatte die Motorrad-Liebhaberei Pause.“
Fast alle Benzingespräche liefen übers Telefon
Kurz danach jedoch, in den frühen 70ern, kaufte der heute 78-Jährige, wovon er als junger Kerl geträumt hatte. Zunächst eine Adler. Dann eine Max, später eine schöne BMW. Was ihm eben so unterkam und was damals – man glaubt es heute kaum – schlicht billig war. Alle wollten heiße Ware aus Japan, Italien, England. Nur Karl-Heinz Rehkopf nicht, und irgendwann stand ein Freund in seiner Garage und meinte, da habe er ja eine richtige kleine Sammlung aufgebaut. Ach du Schreck.
Karl-Heinz Rehkopf: „Na, wenn das so ist, dachte ich mir, dann fehlt allerdings bei dieser Marke noch die 150er, bei jener noch eine 250er. Bald hatte ich nicht nur eine wunderschöne Triumph-Reihe beisammen, sondern durfte erleben, dass solche Reihen auch von anderen Marken hübsch aussehen. Von NSU, von DKW, von Victoria. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Sämtliche Zeitschriften bezog ich im Abonnement, und wenn die in der Post lagen, musste die Sekretärin sie mir sofort vorlegen. Egal, ob ich gerade in einer Besprechung war oder nicht.“
Aus dem kleinen Tante-Emma-Laden hat sich in den letzten 50 Jahren eine bedeutende Handelskette entwickelt, die sich noch immer im Familienbesitz befindet. Unter der Woche die Firma, am Wochenende das Hobby: Karl-Heinz Rehkopf hatte stets viel um die Ohren. Und weil Zeit knapp war, führte er fast alle Benzingespräche am Telefon – eine Hoffmann Gouverneur erobern, einer 98er-Sachs oder gar einer Maico Taifun nachstöbern. Dank zunehmender Erfahrung verfeinerte er seine Gesprächsführung immer weiter, und so gelang, worüber er selber am meisten staunt: Dass er sich beim Telefonkauf per Saldo eher mehr positive als negative Überraschungen eingehandelt hat.
Karl-Heinz Rehkopf: „Den größten Teil meiner Motorradsammlung habe ich so erworben. Ungelogen. Nach Teilen habe ich dann auf den einschlägigen Märkten geforscht. Da hatte ich immer ein kleines Minimoped dabei mit einer Sackkarre als Anhänger. Darauf eine Pappkiste, und in die habe ich dann an Teilen eingepackt, was mir fehlte. Oder was ich einfach spannend fand. Wenn die anderen Sammler abends im Bierzelt fragten, was man denn schon alles hat, habe ich von DKW RT 125, NSU Fox oder Maxi gemurmelt. ‚Weiter so‘, haben die dann gegrinst , ‚nur Mut‘, und mich in Ruhe gelassen. Herrlich.“
Campingplatz, Disco, Milchbar, Einbecker Ladenstraße
Dabei ist der Sammler Rehkopf schon bald über die Nachkriegszeit hinausgewachsen, und beim Rundgang durch den PS.Speicher zeigt er auch, warum: aus lauter Vergnügen und tiefer Neugier. Hier fasziniert ihn eine besondere Bremse, dort ein seltener Vergaser. Und egal ob Alltagsgefährte wie 100er-Victoria, Triumph Boss oder Preziosen wie Münch und Mars – zu allen weiß Rehkopf eine Geschichte. Dieser Freude am Gesamten wohl ist zu verdanken, dass seine Sammlung eine einzigartige Breite besitzt und sich nicht auf Raritäten ausruht. Die Geschichte des deutschen Motorrads wurde nun mal größtenteils von Lux, Fox und RT, von Florett, Schwalbe und Lambretta geschrieben. Sie trugen wirklich jene Räder, die das Volk bewegten. Diesem Leitspruch verpflichtet sich auch der PS.Speicher – und setzt stark auf die ganze Familie. Nicht nur auf Motorradenthusiasten.
Karl-Heinz Rehkopf: „Von denen allein kann der PS.Speicher nicht leben. Also müssen wir sehr, sehr viele Anknüpfungspunkte bieten, und was das angeht, kann eine Florett oder eine Vespa mit ihrem enormen Sympathiewert mindestens so viel wie eine technisch aufregende Mars. Genau deshalb sind auch die Kleinwagen so wichtig, die wir aus der weltbekannten Sammlung Störy hier zeigen können.“
Campingplatz, Disco, Milchbar, Einbecker Ladenstraße – Szenen wie diese eröffnen den Zugang, schaffen Zusammenhänge. An ungefähr 80 interaktiven Stationen kann der Besucher Knöpfe drücken, Schubladen aufziehen, Hebel umlegen oder sein Wissen prüfen. Motorräder hängen an der Wand, stecken in Transportkisten. Der ganze Speicher ist ein riesiges buntes Lernspiel.
Karl-Heinz Rehkopf: „Das war und ist er auch für uns Macher. Wir haben gespielt. Wer spielt, wird locker, setzt Kreativität frei, entdeckt Freiräume, in denen neue Lösungen gedeihen. Diese Freiräume schätze ich in der Firma, und ein PS.Speicher braucht sie natürlich erst recht.“
PS.Speicher kann morgen schon ganz anders aussehen
Manchmal wird aus dem Spiel Ernst. Wenn eine Sammlung zum Kulturgut wächst. Wenn die Ideen einer phantasievoll gestalteten Ausstellung deren Besucher sichtbar beglücken. Wenn die Milchbar jeden Samstag 180 Liter Milchshake verkauft und demnächst wohl auch sonntags öffnet. „Sehen Sie: Man muss spielen.“ Wieder lacht Karl-Heinz Rehkopf. Ein wenig hintergründig, so, als führe er noch viel mehr im Schilde. Tatsächlich soll der PS.Speicher kein Museum sein, von dem man sagt, man sei vor vier Jahren mal dort gewesen. Abgehakt. Nein, der PS.Speicher kann morgen schon wieder ganz anders aussehen. Oder übermorgen.
Karl-Heinz Rehkopf: „Dieses Jahr bleibt hier zunächst alles, wie es ist. Es waren ja noch längst nicht alle da! Aber draußen startet jetzt der Bau eines 63-Zimmer-Hotels. Und Anfang 2015 können wir auf dem Gelände ein weiteres Gebäude übernehmen. Da kommen die Kleinwagen rein, und dann haben wir Platz für Motorrad-Sonderausstellungen.“
Selten hat ein Vater derart untertrieben
Es ist nämlich so, dass die derzeit 4100 m² Ausstellungsfläche nur ein gutes Viertel der Sammlung präsentieren können. Hunderte Motorräder stehen in Reih und Glied in einem Depot, einer aufwendig restaurierten ehemaligen Fabrik, und warten auf ihren Einsatz. In der Werkstatt begrüßt Karl-Heinz Rehkopf seinen Meister, fachsimpelt tagesaktuell über die Batterien des Detroit, lässt sich die frisch lackierten Blechteile eines zerlegten Autos zeigen. Noch jedes wiederhergestellte Fahrzeug hat er selber Probe gefahren. Meist eher kürzer als länger, aber der Blick in die oberen Etagen beweist, dass auch damit schon viele Stunden vergangen sein müssen. Da stehen sie, die Reihen. Von Adler bis Zündapp, vom motorisierten Fahrrad bis zum schweren Gespann. Eigentlich nicht zu fassen.
Karl-Heinz Rehkopf: „Mein Vater hat oft gestöhnt: ‚Dieser Junge, entweder er macht gar nichts, oder er macht es 250-prozentig‘. Vielleicht hatte er recht.“
Selten hat ein Vater derart untertrieben, auf jeden Fall drängt sich die Frage auf, ob angesichts dieser überbordenden Fülle noch Wünsche offen bleiben.
Karl-Heinz Rehkopf: „Oh ja, für die seltenste BMW, die R 39, wüsste ich schon noch ein Plätzchen.“
Und dann? Wäre dann Schluss? Ins Lachen des Karl-Heinz Rehkopf mischt sich ein wenig Strenge:
Karl-Heinz Rehkopf: „Haben Sie noch nie mit einem Sammler gesprochen?“
Das schon, aber...
Kontakt
PS.Speicher Tiedexer Tor 3, 37574 Einbeck
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 10 bis 18 Uhr (Dienstag: Veranstaltungen für angemeldete Gruppen/Schulklassen)
www.ps-speicher.de