Szene: Interview mit BW-Polizeipräsident Dr. Wolf Hammann
Interview mit BW-Polizeipräsident Dr. Wolf Hammann

Baden-Württembergs ranghöchster Polizist über Streckensperrungen, ABS- und Schutzkleidungspflicht und warum er die Polizei trotzdem als Partner der Motorradfahrer sieht - nicht nur beim geplanten "Bikertag."

Interview mit BW-Polizeipräsident Dr. Wolf Hammann
Foto: Sdun

Die Vita:
Dr. Wolf Hammann (55) ist seit Anfang 2009 Herr über rund 25000 baden-württemberger Polizisten. Aufgewachsen auf einem Bauernhof im Schwarzwald, absolvierte er erst eine Ausbildung als Verwaltungsangestellter und schob anschließend ein Jura-Studium mit Promotion an der Uni Tübingen nach. Dem folgten Jobs als Ausbilder, Dozent und Referent, ab 1986 für die Polizei. Im Beruf gilt Hammann als kreativ und zielstrebig, aber auch als hartnäckig, privat als fantasievoll und eher unkonventionell.

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Herr Dr. Hammann, wie oft kommen Sie dazu, ihre private BMW R 1150 GS zu bewegen?

Leider viel zu wenig. Allerdings nutze ich jede Gelegenheit und den Urlaub, um die Maschine an die frische Luft zu bringen. Außerdem fahre ich, wann immer möglich, auch zu dienstlichen Terminen mit dem Motorrad.

Ins Büro sind Sie heute mit einem schwer vom Leben gezeichneten 1970er-Jahre-Boxer gekommen. Schrauben Sie selbst daran?

Neben meiner GS habe ich noch eine R 90/6, Baujahr 1974. Auch hier gilt: Leider schraube ich aktuell viel zu wenig, obwohl dies der optimale Ausgleich bei meinem Beruf ist. Ich habe viele 100000 Kilometer mit der Maschine zurückgelegt und hatte schon jede einzelne Schraube des Zweiventil-Boxers in der Hand.

Unter welchen Voraussetzungen könnten Sie sich, obwohl Sie selbst Motorradfahrer sind, vorstellen, für weitere Streckensperrungen in Baden-Württemberg zu plädieren?


Zunächst wollen wir Auswüchse verhindern und den Kandidaten, die öffentliche Straßen mit Rennstrecken verwechseln, die Flügel stutzen. Auch die Lärmbelästigung durch manipulierte Auspuffanlagen wird konsequent verfolgt. Wenn trotzdem keine Besserung an den entsprechenden hoch frequentierten Strecken eintritt oder sich dort Unfälle häufen, muss man tatsächlich über dieses letzte Mittel, das ja auch mich und alle anderen vernünftigen Fahrer hart trifft, diskutieren. Wegen vieler Unvernünftiger kann ich dann etwa sonntags nicht mehr über den Lochenpass fahren, der seit 2008 an Wochenenden und Feiertagen einseitig für Motorradfahrer gesperrt ist.

Wir verstehen, dass Ihnen als Motorradfahrer und Landespolizeichef auch und gerade die Unfallsituation in Baden-Württemberg auf den Nägeln brennt. Wie genau sieht die aktuell aus?

Entgegen der allgemeinen Unfallentwicklung hat in Baden-Württemberg die Zahl der tödlich verletzten Motorradfahrer zugenommen. Von 535 Verkehrstoten verunglückten im vergangenen Jahr hundert mit dem Motorrad. Das heißt, jeder fünfte war mit dem Motorrad unterwegs und beinahe jeder sechste in Deutschland tödlich verletzte Motorradfahrer ist in unserem Bundesland verunglückt. In den ersten vier Monaten dieses Jahres starben trotz schlechten Wetters an Ostern bereits zwanzig Biker. Das ist erschreckend.

Sind vermehrte Tempokontrollen aus Ihrer Sicht ein geeignetes Mittel, um der Unfallentwicklung zu begegnen?

Die Hauptursache bei Unfällen mit Verletzten war, wie auch bei den Autofahrern, zu hohe Geschwindigkeit. Bei selbstverschuldeten tödlichen Motorradunfällen war sie zu zwei Dritteln die Ursache. Wir müssen unvernünftige „Schwarze Schafe“ zum eigenen Schutz und dem der anderen Verkehrsteilnehmer mit Tempokontrollen einbremsen. Hier gilt der bekannte Spruch: Wer nicht hören will, muss fühlen.

Was kann die Polizei außerdem noch tun, und wo sehen Sie Handlungsbedarf etwa im Straßenbau oder seitens des Gesetzgebers?

Die Polizei kann beraten, warnen und Übertretungen verfolgen. Die Motorradfahrer müssen ihr Hirn allerdings selbst einschalten. Im Straßenbau wird einiges getan, um Unfallstellen zu entschärfen. Ich denke hier beispielsweise an Leitplanken mit Unterfahrschutz in gefährlichen Kurven oder die Vermeidung von Flickstellen mit Gussasphalt, der bei Nässe gefährlich glatt wird. Bei der Technik kann noch einiges getan werden. Baden-Württemberg hat eine Gesetzesinitiative zur Vorschrift von Antiblockiersystemen eingebracht, die momentan beim Europäischen Rat diskutiert wird. Ich könnte mir auch vorstellen, eine bessere Helmnorm einzuführen und das Tragen von Schutzkleidung vorzuschreiben. Sozias in Jeans und Turnschuhen und ohne Handschuhe lassen mich erschauern. Das ist zu viel Vertrauen zum Fahrer!

Was sollte in Ihren Augen die Motorradindustrie tun?

Die Industrie sollte weg vom PS-Wettrüsten. Der Normalsterbliche braucht keine 200 PS. Die Entwicklungsenergie ist in spritsparende leise Motoren oder bessere elektronische Helfer, beispielsweise ABS, wesentlich besser investiert. Auch sollte beim Kauf eines Motorrads ein Fahrsicherheitstraining gratis angeboten werden.

Angesichts der aktuellen Unfallentwicklung ruft die Polizei unter Ihrer Federführung für Pfingstsonntag, 23. Mai, zu einem landesweiten „Bikertag“ auf. Wie soll der aussehen?

Nach einer geführten Sternfahrt nach Malmsheim bei Leonberg, zirka zwanzig Kilometer westlich von Stuttgart, auf den ehemaligen Flugplatz erwartet die Teilnehmer und Besucher dort ein Programm mit Beratungen, Vorführungen, Kinderprogramm, Infos, Fahrsimulatoren und ein attraktives Gewinnspiel. Polizei, TÜV, Deutsches Rotes Kreuz, ADAC und Landesverkehrswacht präsentieren zahlreiche Themen rund um die Motorradsicherheit. Es kommt uns darauf an, die Polizei als Partner der Motorradfahrer zu präsentieren, nicht nur weil viele Kolleginnen und Kollegen selbst Motorrad fahren. Wir sind keine Abzocker, die Biker mit Kontrollen schikanieren, sondern wir sind in Sachen Sicherheit unterwegs und wir werden auf der Anfahrt nach Malmsheim an neuralgischen Gefahrenstellen anhalten und mit den Fahrern über typische Gefahren sprechen, die dort drohen.

Was genau wollen Sie mit dem Bikertag erreichen und wen wollen Sie damit ansprechen?

Wir wollen bei allen Bikern in Erinnerung rufen, dass Motorradfahren wunderschön, aber gefährlich ist, und mithelfen, dass dieses gemeinsame Hobby sicherer wird.

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Erscheinungsdatum 15.09.2023