Szene: Interview mit der Motorradfahrervereinigungen FEMA
Pro Freiheit: Aline Delhaye

Aline Delhaye, Generalsekretärin der Föderation der europäischen Motorradfahrervereinigungen FEMA, zu Politik und Zielen der organisierten Biker in Brüssel.

Pro Freiheit: Aline Delhaye
Foto: Archiv

? Wer hat die FEMA gegründet?

! Im Sommer 1988 trafen sich Mitglieder von Motorradfahrerverbänden aus Deutschland (Kuhle Wampe), Frankreich (FFMC), Griechenland (M.O.T.O.E), Großbritannien (MAG UK), Luxemburg (LMI) und Österreich (MAG Austria) in Straßburg. Die Zusammenkunft markierte die Geburtsstunde der Federation of European Motorcyclists (FEM). Zehn Jahre später, im Januar 1998, verbündete sich die FEM mit der European Motorcyclists‘ Association (EMA) zur Federation of European Motorcyclists‘ Association (FEMA). Damit begann eine neue Ära der demokratischen Interessenvertretung von Motorradfahrern in der EU. Heute vertritt die FEMA 27 Fahrerverbände aus 21 Ländern.

? Welche Interessen vertritt die FEMA?

! Die FEMA setzt sich bei den europäischen Institutionen für alle Bürger ein, die mit motorisierten Zwei- und Dreirädern am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen. Unsere obersten Ziele sind Freiheit und Sicherheit für alle Moped-, Roller-, Motorrad- und Gespannfahrer. Zweiräder sind ein vollwertiges Transportmittel und müssen daher auch als solches anerkannt werden. Leider werden allerorts in der EU auch heute noch viele Straßen nach den Bedürfnissen von Pkw- und Lkw-Lenkern ausgerichtet. Leitplanken mit Unterfahrschutz beispielsweise haben nach wie vor Seltenheitswert. Die FEMA macht sich zudem für ein sicheres und verantwortungsvolles Verhalten im Straßenverkehr sowie für den Erhalt der Biker-Kultur stark. Die FEMA stellt sicher, dass Motorradfahrer nicht nur regional und national, sondern auch international eine starke Stimme haben und stemmt sich gegen deren Bevormundung oder Ausbeutung.

? Was sind eure wichtigsten Erfolge?

! Bis Anfang der 90er-Jahre des vorigen Jahrhunderts gab es bei der Typzulassung von Motorrädern große nationale Unterschiede, dann drängte die Industrie auf eine Vereinheitlichung. In manchen Ländern waren die Abgas- oder Lärmvorschriften sehr strikt, in anderen war das Frisieren von Motoren verboten oder man hatte sich, wie in Deutschland, auf eine inoffizielle Leistungsbeschränkung bei 98 PS geeinigt. Die "Multidirektive" sollte all diese Regeln in Europa vereinheitlichen. Der Einfachheit halber verständigten sich die Vertreter der EU-Kommission auf die jeweils strengste nationale Vorschrift.

Die Wut der Biker entlud sich in den Euro-Demos: 1994 kamen aus ganz Europa über 20000 Motorradfahrer in Paris zusammen, zwei Jahre später 30000 in Brüssel. Noch im selben Jahr gelang es der FEMA, wichtige Initiativen zu kippen: Schutzkleidungszwang, schlecht durchdachte Vorschriften zu Beinschutz und Airbags und die verhasste Leistungsbegrenzung. Neuere Erfolge verbuchte die FEMA bei der Ausnahme der Motorräder von der Recycling-Verordnung für Pkw aufgrund der starken Nachfrage nach Gebrauchtteilen sowie bei der Vereinheitlichung des Tagfahrlichts. Nach wie vor bleibt es den Mitgliedsstaaten überlassen, ob Pkw-Lenker tagsüber das Licht einschalten müssen. Aktuell zeichnet sich ein weiterer Sieg ab: Nach jahrelangen Bemühungen wird es bald einen europäischen Standard für sichere Leitplanken geben, der Bikes ausdrücklich berücksichtigt.

? Die größten Niederlagen?

! Zur Enttäuschung unserer Mitglieder konnten wir uns im Zuge der Multidirektive nicht gegen eine Senkung des Geräuschlimits auf 80 dB(A) durchsetzen. Auch bei der aktuellen Führerscheinrichtlinie waren wir chancenlos. Zwar unterstützen wir die Idee des mehrstufigen Zugangs zur Klasse A, die FEMA hätte sich jedoch bessere Anreize für die Jugend gewünscht, sich tatsächlich schrittweise an die offene Klasse A heranführen zu lassen. Auf Grund der hohen Kosten rechnen wir nun damit, dass viele Jugendliche auf das Zweirad verzichten und, wenn überhaupt, den möglichen Direkteinstieg in die Klasse A ab 24 Jahren abwarten werden.

? Welche Pläne verfolgt Ihr?


! Mittelfristig stehen der Plan zur Verkehrssicherheit in der EU sowie die kommende Richtlinie zur Typzulassung von motorisierten Zweirädern auf dem Programm. Ersterer sieht eine Vereinheitlichung der Hauptuntersuchung für Motorräder vor, obwohl Motorräder bislang in vielen EU-Staaten keiner regelmäßigen TÜV-Plicht unterworfen sind. Ein Blick in die Unfallstatistiken gibt Anlass, am Nutzen periodischer Hauptuntersuchungen zu zweifeln. Ebenso stehen wir der schärferen Reglementierung technischer Modifikationen sehr kritisch gegenüber. Bei den Vorschriften zur Typzulassung werden wir uns dafür aussprechen, es dem Nutzer selbst zu überlassen, ob er sich für ein Motorrad mit oder ohne ABS entscheidet. Wir werden uns weiterhin für frei zugängliche Reparatur- und Wartungsdaten einsetzen und lehnen ein Leistungslimit für Motorräder strikt ab.

? Welche langfristigen Ziele gibt es?

! In diesem Jahr haben wir zusammen mit der EU-Kommission erstmalig das Europäische Forum der Motorradfahrer veranstaltet. Wir möchten dieses Forum nun als jährliche Veranstaltung etablieren. Langfristig ist es unser Ziel, zu zeigen, dass motorisierte Zwei- und Dreiräder die sinnvollste Form der Fortbewegung sind, gerade in zunehmend dicht besiedelten urbanen Räumen.

? Warum organisieren sich so wenige Motorradfahrer in politischen Interessengruppen?

! Der Organisationsgrad von Motorradfahrern ist sehr unterschiedlich. Unsere nationalen Verbände in Frankreich, Großbritannien, Skandinavien und Spanien haben jeweils zehntausende Mitglieder. In Deutschland dagegen sind viele Motorradfahrer Mitglieder von Automobilclubs, welche die Vorteile einer Mitgliedschaft auch für Motorradfahrer anbieten und vorgeben, deren Interessen zu vertreten.

? Was erschwert die Arbeit der FEMA?

! In Brüssel gibt es leider immer noch viele Entscheidungsträger, die das Motorradfahren per se für extrem gefährlich halten. Die betrachten es als ihre Aufgabe, den Bürger vor dem Motorrad zu schützen. Dann gibt es natürlich Lobby-Verbände, die über einen erheblich größeren finanziellen Spielraum verfügen als wir. Europaweite Hauptuntersuchungen, kein Tuning am Motorrad, ABS-Zwang oder Schutzkleidungspflicht, hinter solchen Forderungen stehen auch Gruppen, die von finanziellen Interessen gelenkt werden.

? Wie siehst du die Zukunft des Motorradfahrens in Europa?

! Motorräder und Roller sind das nachhaltigste motorbetriebene Fortbewegungsmittel, nicht nur wegen des effizienten Leistungsgewichts, sondern auch wegen des geringen Platzbedarfs auf Straßen und Parkplätzen. Elektrische Zweiräder werden die emissionsfreie Fortbewegung revolutionieren. Wir mögen noch zu verliebt in den Verbrennungsmotor sein, aber für die Jugend wird der Elektroroller zur ersten Wahl. Die Politik wird diese Entwicklung fördern. Motorräder werden endlich schon in der Planungsphase aller Verkehrsinfrastruktur-Maßnahmen mit einbezogen, und das Bewusstsein aller Verkehrsteilnehmer für die Belange der Motorradfahrer wird sich stark verbessern. Und trotz allem wird die Freiheit einer Ausfahrt, auf welchem Vehikel, wann und wohin auch immer, für die meisten von uns am wichtigsten bleiben. Dafür machen sich Fahrerverbände in ganz Europa stark.

Unsere Highlights

Vita Aline Delhaye

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Fährt derzeit privat eine Triumph Tiger ST 1050: Die 35-jährige Aline Delhaye, Generalsekretärin der FEMA.

Aline Delhaye wurde am 5. Mai 1975 in Brüssel geboren und wuchs in Afrika auf, wo ihr Vater sie schon als Kleinkind auf dem Motorrad chauffierte. Die studierte Personalmanagerin und Übersetzerin spricht Englisch, Französisch, Niederländisch und Spanisch fliessend. Sie arbeitete in der Europavertretung von Telefonica sowie für den Verband der europäischen Motorradindustrie (ACEM), bevor sie im September 2006 Generalsekretärin der FEMA wurde. Sie ist die erste Frau, die diese Position ausfüllt und hat eine Tochter.

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Erscheinungsdatum 26.05.2023