Szene: Menschen und ihre Motorräder
Die Kunst ein Motorrad zu bauen

Im norddeutschen Outback hat ein Künstler seinen Traum erfüllt und ein Motorrad nach seinen Vorstellungen gebaut. Es ist mehr als nur eine Verbrennungsmaschine...

Die Kunst ein Motorrad zu bauen
Foto: Gargolov

Diese Begrüßung vergisst man nicht. Ekkehard Homann greift die Hand und drückt zu. Man spürt nicht nur die Kraft, die in seinem Arm wohnt, sondern auch die Kraft seines Geistes. Dieser Mann ist spirituell, er wirkt energetisch, unglaublich willensstark. Homann, für seine Kumpels schlicht "Ekke", wohnt in einem weißen Overall, den ein brauner Ledergürtel tailliert. Seine schwarzen Schnürstiefel schmiegen sich wie eine zweite Haut um die Füße, zwischen schwieligen Fingern glimmt eine Selbstgedrehte. Anderes wäre unpassend. Blonde Haare fallen ihm wie Tentakel ins sommerbesprosste Gesicht. "Hereinspaziert", sagt er und seine Stimme schwingt erfreut, "das gute Stück steht hinten in der Ecke." So durchschreitet man seine penibel gepflegten 98 Quadratmeter Werkstatt, auf denen sich alle gängigen Stahlbearbeitungsmaschinen tummeln. Das gute Stück wird von einer dicken Wolldecke umschmeichelt, die der 48-jährige Künstler und Konstrukteur wie einen Vorhang zurückzieht.

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Stille. Jeder Atemzug ein Paukenschlag. Es fehlen Worte. Sonnenstrahlen blecken durch die Fenster, umgarnen das polierte Motorrad wie einen Schatz. Auf einem selbstgebauten Ständer ruht eine Royal Enfield Meteor 700, die mit dem Original soviel gemein hat wie Bauxit mit einer Alufelge. Selbst Detektive würden nicht eine Schraube an diesem Motorrad finden, die nicht auf exaktes Maß gebracht und poliert wurde. Über dem 693 Kubik großen Paralleltwin thront ein mächtiger Tank, dessen Oberfläche als Rasierspiegel geeignet wäre. Ein Eigenbau aus Aluminium. Selbst entworfen und gedengelt, 28 Liter Inhalt, 1100 Gramm schwer, Verschluss aus dem Vollen. Aus welchem Winkel man sich der Enfield auch nähert, die Faszination weicht nicht. Das muss bei ihrer Geburt Mitte der 1950er schon so gewesen sein, als die Meteor als hubraumstärkster Paralleltwin der Welt Furore machte. Und das ist auch heute so, nachdem Ekke sich seinen Traum erfüllt hat. "Es hat sich alles gelohnt", sagt er mit Blick auf sein Werk, und seine Augen funkeln wie die polierte Maschine.

Dieses alles ist doppelt bedeutungsvoll. Denn während Homann seine Lebensgeschichte erzählt, ist man sich nicht mehr sicher, was interessanter ist. Der Künstler oder sein Werk.

Gargolov
Ekke Homann: "Die Maschine sieht innen so aus wie aussen. Da werden sich Motor- und Getriebeöle garantiert wohlfühlen."

Ekkehard Homann wird im Februar 1962 in Salzgitter geboren. Seine Eltern, ein Lehrerpaar, geben ihm unbändigen Willen mit auf den Weg, sie leben ihm diese Gabe vor. Sein Vater, der aus dem Krieg nach einem Kopfschuss halbseitig gelähmt zurückkehrt, ist ein Motorradnarr. Statt dem Wunsch seiner Frau nachzukommen, zur Hochzeit eine Schlafzimmereinrichtung zu kaufen, investiert er das Geld in eine BMW R 51/3. Um die Maschine überhaupt fahren zu können, lässt er einen speziellen Schuh anfertigen, mit dem das gelähmte Bein auf der Raste Halt findet. Taten wie diese prägen Ekke. Wecken in ihm die Begeisterung für Motorräder. Ein Buch seines Vaters mit dem Titel "Schlag nach" wird für ihn zur Bibel. Es ist voll mit Beschreibungen motorgetriebener Rekordgefährte, die nunmehr Ekkes Träume lenken.

"Das Renngeschehen auf den Salzseen bei Bonneville, der legendäre Blue Bird von Malcolm Campbell - ich habe alles darüber verschlungen, was es zu lesen gab", sagt Ekke. Als seine Klassenkameraden bei Mickey Maus weilen, begeistern ihn Verbrennungsabläufe in Viertaktmotoren. So verbringt er jede freie Minute mit Schrauben an Mofas und auf der nächstgelegenen Rennstrecke, dem Contidrom bei Hannover.

Ekke erlebt Veteranenrennen hautnah, reicht den Piloten Werkzeug, betankt die Bikes, pflegt Mann wie Maschine in der Box und lässt sich vom Rennspirit mitreißen. Mit 13 Jahren begegnet er Helmut Löser, einem alten Mann mit Rauschebart, der sein Motorrad selbst gebaut hat, und es stets als Letzter an den Start schiebt. Ekke wird zu seinem Schatten, weicht Löser nicht von der Seite, saugt sein Wissen über Technik und Motorkonstruktionen auf. "Helmut Löser war mein Held", sagt Homann heute. "Und das nicht, weil er Rennen gewann. Sondern wegen der Umstände, die ihn überhaupt auf die Idee brachten, daran teilzunehmen."

Und so sahen diese Umstände aus: Wie viele andere gerät Helmut Löser 1945 in russische Kriegsgefangenschaft, wird nach Sibirien deportiert, schuftet und vegetiert unter unmenschlichen Bedingungen in einer kargen Zelle. Er verliert das Gefühl für Zeit, weiß nicht, ob überhaupt jemand von seiner Familie den Krieg überlebt hat. Weiß ebenso wenig, ob er den nächsten Tag übersteht. Er hungert, friert, verzweifelt. Einziges Licht am Horizont ist eine verrückte Idee: Auf losen Blättern und seiner Zellenwand zeichnet und konstruiert er ein Motorrad. Der Wunsch, es selbst zu bauen und damit Rennen zu fahren, gibt ihm acht Jahre lang Hoffnung, hält ihn am Leben, bis er 1953 endlich heimkehren darf.

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Es gibt nicht einen Winkel am Motorrad, der nicht poliert wurde.

Ekke steht neben seiner Meteor, während die Erinnerung an seinen Mentor ihn in ihrem Bann hält. Er blickt gedankenverloren auf die Enfield. "Es hat sich alles gelohnt", wiederholt er noch einmal. Pause.

Homann selbst macht eine Lehre als Tischler, spielt in diversen Bands Klavier und studiert Maschinenbau. Quasi als Übung konstruiert er einen Einzylindermotor. Danach baut er sich einen Bentley Blower, einen der wohl legendärsten englischen Rennwagen aus den 1930er Jahren. Fast 90 Prozent der Teile stammen aus seiner eigenen Werkstatt, sind von seinen Händen erschaffen. Ekke verschlingt Fachbücher zentnerweise, studiert Konstruktionszeichnungen und formt nebenbei Kunstgegenstände aus Metall. Muss aber feststellen, dass man durchs Ausleben von Leidenschaften allein nicht leben kann. "Nach dem Bentley habe ich zwei Jahre als Totengräber gearbeitet. Fürs Loch gab es 280 Mark, anderthalb Tage hast du dafür gebuddelt", sagt er und bezeichnet sich als Digitaltrottel ohne Internetkontakt oder PC. Interessierte werden ihn vergeblich googeln.

Die Royal Enfield erwarb sein Bruder letztlich in Belgien, verfluchte die schwergängige Kupplung und vermachte das Bike Ekke, der es fünf Jahre lang im Originalzustand bewegte, 7230 Meilen weit. "An einem Märzabend 2003 stand ich vor der Maschine. Viele Teile waren defekt und nur sehr schwer zu bekommen. Ich hatte keine Kohle und dachte: Komm, bau die Teile selbst, und merze die Schwächen gleich mit aus." Zwischen diesem Tag und dem letzten Griff liegen 1650 Arbeitsstunden. Man kann auch sagen fünf Jahre. "Wie viel Leistung sie jetzt hat, kann ich nicht sagen", sinniert Homann, der seinen Schatz nie einem Prüfstand überlassen würde. "Aber zehn zusätzliche PS sind es bestimmt." Im Innern des penibel polierten Gehäuses läuft eine feingewuchtete Kurbelwelle, das Gemisch rauscht durch gefräste und polierte Kanäle, vergrößerte Einlassventile und wird höher verdichtet. Neu konstruierte Teile wie die vordere Radaufhängung, die Kupplungs-Anpressplatte, Motor/Getriebeentlüftung oder der Öldruckgeber sollen alte Probleme im Keim ersticken. "Kein Hexenwerk, sondern klassische Optimierung", sagt Ekke. Und dass der Motor innen ebenso glänzt wie außen, sei Ehrensache, klar.

"Ich poliere gern. Stumpfe Oberflächen verschlucken alles. Auf spiegelnden erkennt sich der Betrachter, so werden sie schneller ein Teil von dir." Beim Design wird aus dem Techniker plötzlich ein Künstler: "Das sind alles Muskeln. Kurvenansätze, die auf den ersten Blick nichts miteinander zu tun haben, sich aber dennoch ergänzen."

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Der Erbauer der Enfield, Ekkehard Homann: "Das Ausleben von Leidenschaften zeichnet Menschen aus."

Es ist Abend geworden. Honiggoldenes Licht ergießt sich über Alt Wallmoden. In der Ferne reckt der Harz seine Hügel in die Höhe, ein Windpark mit 18 Mühlen schleudert gespenstische Schatten über endlose Getreidefelder. Ekkehard Homann steht auf dem baumbeschatteten Weg, der zu dem Gutshof führt, auf dem er eine kleine Wohnung gemietet hat. Er schwingt das Bein über seine Meteor, atmet tief durch und will den Twin mit einem schwungvollen Kick zum Leben erwecken. Nichts passiert.

Weitere Versuche scheitern. Wie sich herausstellt, schafft der Zündmagnet die Induktion nicht mehr. Schneller Ersatz nicht möglich. Alt Wallmoden, ein 600-Seelen-Kaff an der Innerste, hat weder Zebrastreifen noch Ampel. Ja, nicht einmal einen Kaugummiautomat. "Hier fährt man rein und gleich wieder raus", sagt Ekke. Ein rotgesichtiger Mann in schwarzen Gummistiefeln, der dem Schauspiel des vergeblichen Kickens beigewohnt hat, will wissen, von was Homann eigentlich lebt. Hier, in Alt Wallmoden, deutsches Outback.

"Von Metalldesign und dem Aufhübschen von Oldtimermotoren", antwortet Homann wahrheitsgemäß. Und berichtet von seinem neuesten Nebenbei-Projekt, einen 7,20 Meter langen, stromlinienförmigen Wagen. Drei Räder, zwei vorn, frontgetrieben, rund 1100 PS. Ein Eigenbau, mit dem er in Bonneville an den Start gehen will. Sponsoren noch gesucht. Der Rotgesichtige blickt Ekke an. Dann schaut er auf die Meteor und nickt.

Technische Daten

Gargolov
Die wunderbar gearbeitete Royal Enfield Meteor 700.

Motor:
Parallel-Zweizylinder-Reihenmotor, Ventile hängend angeordnet, betätigt über Stoßstangen und Kipphebel, zwei untenliegende Nockenwellen, Bohrung x Hub 70 x 90 mm, Hubraum 693 cm³, Verdichtung 1:10, Leistung: zirka 50 PS bei 5500/min, Primärtrieb über Duplex-Kette, angeblocktes Vierganggetriebe, Sekundärtrieb über Rollenkette.

Fahrwerk:
Einrohrrahmen mit doppelten Heckrohren, unten offen, vorn geschobene Kurzschwinge, hinten Schwinge mit Federbeinen, vorn innenbelüftete Doppelduplex-Trommelbremse Ø 250 mm, Vollnaben-Trommelbremse hinten, Alufelgen v+h jeweils 18 x 3.00 Bereifung: Bridgestone 120/90-18 BT 45.

Maße und Gewichte:
Radstand 1488 mm, Sitzhöhe 795 mm, Tankinhalt 28 Liter, Leergewicht fahrfertig 168 kg.

Höchstgeschwindigkeit: zirka 190 km/h

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MOTORRAD 20 / 2023

Erscheinungsdatum 15.09.2023