Szene: Porträt Ferry Brouwer

Szene: Porträt Ferry Brouwer Noch Fragen!

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Er war Mechaniker bei Größen wie Phil Read und Jarno Saarinen. Er hat Arai-Helme nach Europa gebracht und mit seinem Yamaha Classic Racing Team Zigtausende entzückt. Aber vor allem ist Ferry Brouwer ein sehr neugieriger Junge.

 Noch Fragen! Siemer

"Komm rein“, schallt es freundlich durchs Gartentor, Ferry Brouwer geleitet schnellen Schritts am Anbau seines herrlich restaurierten Bauernhauses vorbei, öffnet eine Flügeltür und macht Licht. In seiner Werkstatt – „Wo denn sonst?“ – will er aus seinem Leben berichten. Das Sitzplatzangebot rund um einen kleinen Schreibtisch verrät, dass hier schon öfter über Gott und die Welt, zwei und vier Takte, Schrauben und Mütter geplaudert wurde. Ferry zeigt auf einen besonders kleinen Stuhl und erzählt, dass einmal wöchentlich auch sein fünfjähriger ­Enkel mitreden darf und er jede Woche bedauert, in der dieses Treffen aufgrund anderer Termine ausfällt.

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Ein bewegtes Leben

Mit Arai Helmet Europe brachte der Holländer die japanischen First-Class-Hüte zu uns, wurde der „Arai-Man“. Als Initiator großer Straßensport-Revivals und Besitzer des Yamaha Classic Racing Teams hat er in der klassischen Szene ewigen Ruhm erworben. Unvergessen die Centennial-TT in Assen 1998, als die ehemaligen Weltmeister gleich dutzendweise mit ihren legendären Rennern antraten. Auch die Bikers‘ Classics in Spa-Francorchamps hat er stark geprägt, nicht zuletzt mit seiner herrlichen Kollektion bestens präparierter Yamaha-Renner, auf denen Steve Baker, Phil Read, Giacomo Agostini und viele andere mal wieder am Kurzhub-Gasgriff drehen durften.

Siemer, Fred
Ferry Brouwer

Eine traumhafte Sammlung mit bis zu 25 Maschinen. „Aber das ist vorbei“, schmunzelt der 64-Jährige. Noch heute können viele nicht glauben, was sie Anfang letzten Jahres lesen mussten: Das Yamaha Classic Racing Team geht auf Abschiedstournee. Ist der Mann krank? Sichtbar nein. Also noch mal:

Ferry, warum hast Du 2013 aufgehört?
„Weil ich spätestens mit 65 wirklich kürzertreten wollte, und das hatte ich mir schon lange vorgenommen. Ich weiß, dass viele Fans erstaunt sind. Auch Yamaha war erstaunt. Aber ich denke, wir haben den Leuten – und dem Werk – über viele Jahre einiges gegeben. Für mich war es zum Schluss ein Fulltime-Job, Margriet, meine Frau, war ebenfalls sehr stark eingebunden, es reichte.“

Verspürst Du Trauer, wenn Du an die schöne Sammlung denkst?
„Nein, nein, sogar Rennmotorräder sind nichts anderes als Dinge. Ich bin kein materialistischer Mensch, also kann ich Dinge loslassen. Außerdem: Ich habe als junger Mann an führenden Rennmotorrädern geschraubt. Dann habe ich viele Rennmotorräder restauriert und schließlich mit diesem wunderbaren Team so viele Leute begeistert. Was will ich noch mehr?“

Dem Enkel in der Werkstatt lauschen, zum Beispiel, oder in der Schule der Enkelin anderen Kindern beim Lesen helfen. Viel lieber jedenfalls, als mit alternden Superstars über Startgelder streiten. Anders als oft vermutet, hat Ferry beim Racing Team stets draufgezahlt. Aber nicht nur er: „Alle Mechaniker haben in ihrer Freizeit, ohne Lohn geschraubt. Das können die auch nicht ewig machen. Die haben doch Familie."

Was Ferry und seine schraubenden Freunde über Jahre restauriert, nachgebaut und gepflegt haben, zerstreut sich in alle Winde. Unter ­anderem die Reproduktionen der V4-125er und -250er gehen an ­Yamaha, „und das ist für uns alle wie eine Goldmedaille: Das Werk stellt sich unsere Arbeit ins Museum.“

Der Beginn der Erfolgsgeschichte

Ferry und Yamaha. Eine lange Geschichte. Schon von Kindes­beinen an hatte er seinen Vater begleitet, wenn der als Mechaniker holländische Racer betreute, als Sechsjähriger sah er 1955 seine erste TT in Assen. Ende 1967 waren die beiden in Zandvoort und trafen dort zufällig das Yamaha-Werksteam. Ferry erzählte einem Japaner, der halbwegs Englisch konnte, von seiner Leidenschaft für Rennmotor­räder. Der Japaner hieß Minoru Tanaka und lud ihn fürs kommende Jahr nach Assen ein. Wie immer schmuggelte Ferry sich auch 1968 ins Fahrerlager, Tanaka war hocherfreut: „Du kannst uns helfen.“

Ehe der 19-jährige Jungmechaniker sich versah, schraubte er am Motorrad von Phil Read. Der Brite gewann nicht nur die Dutch TT, sondern später auch den WM-Titel. Am Sonntag nach den Rennen sollte Ferry den 125er-V4-Motor öffnen und alles schon mal für Spa präparieren. „Wenn der Motor nach dem Einbau sofort wieder läuft, kannst Du den Rest der Saison bei uns bleiben“, äußerte Tanaka beinahe kühl. Eine Prüfung wie aus dem Nichts. Ferry bestand, die beiden wurden sehr gute Freunde, immer wieder kreuzten sich ihre Wege.

Wie nervös warst Du, damals in Assen?
„Diese Motoren waren für mich Heiligtümer. Aber zittrige Hände konnte ich mir nicht leisten, ich wollte diese Chance unbedingt ergreifen. Ich habe alles aufgesogen, voller Euphorie, und am Montag bei meinem Arbeitgeber, einem braven Opel-Händler, gekündigt.“

Phil Read hat 1968 seinen dritten und vierten Titel eingefahren. Wie hat er Dich behandelt?
„Ich kenne zwei Phils: Während der Rennen sehr ehrgeizig, manchmal launisch und streng. Aber privat war er lange Zeit fast väterlich zu mir, ich habe viele Monate bei ihm und seiner Frau gewohnt. Phil hat schnell gemerkt, wie tief mein Interesse ging, und er hat mich machen lassen.“

Trotzdem bemerkenswert, dass er einen so jungen Mechaniker holte.
„Wahrscheinlich schon. Zuerst habe ich ja noch im Yamaha-Team für ihn gearbeitet. Aber als er Privatfahrer war, hat Phil mich von sich aus angeheuert. Sogar während meines Militärdienstes bin ich zu einigen Rennen angereist. Ich hatte bei meinem Vater, der für wirklich viele Racer geschraubt hat, schon sehr früh gelernt, wie penibel und systematisch man an der Rennstrecke arbeiten muss. Das hat Phil wohl gefallen.“

Warum habt Ihr Euch dann trotzdem getrennt?
„1971 hatte für uns mit drei Siegen in vier Rennen super angefangen. Vor dem fünften Rennen in Spa aber hat Phil, ohne mich zu informieren, einen anderen Mechaniker das vordere Schutzblech abbauen lassen. Der Mann vergaß, den Bremsschlauch zu fixieren, Phil schoss schon bald von der Strecke. Und machte mich verantwortlich. Da bin ich gegangen.“

Phil Read gewann in dieser Saison keinen weiteren 250er-Grand Prix, holte dennoch mit knappem Vorsprung den Titel. Währenddessen heuerte Ferry bei Chas Mortimer an, der dann im kommenden Jahr, unter anderem mit Saarinen, Sheene und Andersson, für das Yamaha-Semi-Werksteam startete. „Wir haben dort schon viele Werksteile bekommen und hatten gute Kontakte zu den japanischen Ingenieuren. Deshalb wehre ich mich immer ein wenig, wenn es heißt, Saarinen sei als Privatfahrer Weltmeister geworden.“

Mit der von Ferry betreuten Zweizylinder-125er fuhr auch Chas Mortimer ganz nach vorn. Er holte sogar mit Abstand die meisten Punkte, doch weil nur die besten sieben von dreizehn Ergebnissen gewertet wurden, durfte sich am Ende ­Angel Nieto Weltmeister nennen.

Wie bist Du dann 1973 zu Jarno Saarinen gekommen?
„Wir hatten ja 1972 eng mit dem Werk zusammengearbeitet, sie konnten uns immer auf die Finger schauen. Ich habe mich riesig gefreut: Endlich griff Yamaha in der Königsklasse an, und ich sollte dabei sein. Gegen Ago. Und gegen Phil, der zu MV gewechselt war. Wir starteten mit zwei Siegen, in Hockenheim riss leider die Kette ...“

... und dann das grausame Ende in Monza. Was ging in Dir vor?
„Weißt Du, darüber ist so viel geredet und geschrieben worden, eigentlich wäre es im Interesse aller damals Beteiligten, wenn wir diese Tragödie endlich ruhen ließen. Nur so viel: Wir haben damals sehr eng miteinander gelebt, wir Mechaniker und die Fahrer. Du hast also auch einen Freund verloren. Aber Bill Ivy war ebenfalls ein Freund und noch manch anderer. Mit Jarno und seiner Frau Soili war ich zwischen den Rennen oft privat unterwegs, wir haben uns sogar gemeinsam Versailles angeschaut. Ja, und das Trinken, das hab ich von Jarno gelernt. Er war ein sehr positiver, fröhlicher Mensch. Und an der Rennstrecke absolut professionell.“

Techniker für verwegene Ideen

Das Phänomen Saarinen beschäftigt Ferry Brouwer bis heute. Er sucht  Antworten. Auf alles. Auch auf die Frage, warum der Finne noch immer so populär ist. Ohne Zweifel besaß er viel Talent. „Aber das hatten andere auch. Wenn ich nur an seinen 500er-Teamkollegen von 1973 denke, Hideo Kanaya. Der war meines Erachtens genauso gut wie ­Jarno.“ Ferry hat seine eigene Theorie, und die hat sehr viel mit dem Lebensgefühl der frühen 70er-Jahre zu tun. „Viele suchten damals das Abenteuer. Und dann kommt da dieser stets sympathisch lächelnde Rennfahrer Jarno Saarinen, der einfach deutlich lockerer auftreten konnte als manch anderer. Und außerdem mit Soili eine reizende Frau hatte, die ihn stets begleitete, außer aufs Podium. Die beiden als Paar, das kam an. Wirklich.“

Siemer, Fred
Ferry, der Schrauber.

Ferry Brouwer verließ den Grand Prix-Zirkus, wurde Werk­statt­leiter eines neuen, rasch aufstrebenden Motorradladens, heiratete ­seine Margriet, die er übrigens bei Yamaha in Amsterdam kennengelernt hatte, und blieb dem Sport verbunden: Für seinen Chef, Ton van Heugten, baute er ein Cross-Gespann mit auf 830 cm³ aufgeblasenem XS 650-Motor und leitete das firmeneigene Rennteam.

So musste ­Tanaka San nicht lange suchen, als er 1974 einen Techniker für eine verwegene Idee brauchte: Unter der Regie von Yamaha Europa sollten Dreizylinder antreten. Die Vorlage lieferte der enthusiastische ­Gespannfahrer Rudi Kurth, der einen TD3-Twin mit einem weiteren Zylinder gekoppelt und aus Yamaha-Teilen auch die Kurbelwelle aufgebaut hatte. Ferry fand die Sache spannend, aber nicht nur als 500er: „Mit 250er-Teilen konnte man ebenso eine 350er aufbauen.“ So geschah es. 1976 verbesserte eine Hoeckle-Kurbelwelle das Triebwerk, Kent Andersson wurde 1977 Teammanager, die Fahrer hießen Gia­como Agostini und Takazumi Katayama. „Drei tolle Typen. Kent war mein Freund, aber er stand auf Stahl. Richtig misstrauisch reagierte er auf Titan oder Magnesium, und so wog unsere 350er am Ende mehr als die 500er, Ago fand sie grässlich und wollte sie schon bald nicht mehr pilotieren. Takazumi war ein Fahrer mit höchstem technischen Gespür, er kam prima zurecht und half uns sehr bei der Entwicklung.“Ende 1977 wurde Katayama als erster Japaner Weltmeister.

Fortsetzung der Erfolgsstory: der Einstieg in den Helmmarkt

Auf Licht folgt oft Schatten, das weiß einer, der unter kleinen Leuten in einem ärmeren Viertel Den Haags aufwuchs. Tochter Naomi war gerade zwei, als Ferry arbeitslos wurde.

Siemer, Fred
Ferry zeigt uns den Helm, den er bei einem Unfall auf dem Kopf hatte.

Aber Ferry ist hellwach. Wo er geht und steht, lernt er. Sein Vater war sein Lehrmeister: „Du hast zwei Ohren zum Hören, zwei Augen zum Sehen, einen Mund zum Fragen.“ Er kann systematisch arbeiten: Der Helmmarkt bot Chancen. Er kann überzeugen: Es gab da eine Marke, deren Logo ihm gefiel und die in Europa noch nicht wirklich vertreten war. Ferry bekam den Vertrag, und was folgte, wäre eine tolle Geschichte für ein Wirtschaftsmagazin, denn der Mechaniker Brouwer etablierte Arai binnen kurzem als eine der wenigen Helmmarken im Hochpreissegment, nicht zuletzt, indem er fast die gesamte Prominenz der Zwei-und Vierrad-Rennfahrer als zufriedene Werbeträger nutzte. Ferry wurde wohlhabend, arbeitete viel und manchmal zu viel, verantwortete schließlich den Import in 47 Länder. 2008, nach 25 Jahren, verkaufte er.

Was bedeutet die Zeit mit Arai?
„Sehr viel lernen und – auch für Margriet – sehr viel arbeiten. Ich agierte wie bei einem Rennen: Wo bin ich besser als meine Gegner, wo kann ich sie überholen? Trotzdem eine gewaltige Umstellung. Anfangs war ich mit meinem Renndienst noch sehr viel in den Fahrerlagern, habe mit Fahrern gesprochen. Aber ich hatte nichts mehr mit ihren Motorrädern zu tun.“

Hast Du deshalb angefangen, Motorräder zu restaurieren?
„Nein, das hat mit meinem Vater zu tun. Er war – genau wie mein Freund Minoru Tanaka – im Jahr 1990 gestorben. Und ein Bekannter aus Den Haag hatte ihm – warum auch immer – ein Puch-Moped aufbewahrt. Er hat es mir gegeben und gesagt: Hier, nimm Dein Erbe. Während ich diese kleine Puch in der Werkstatt hatte, bin ich meinem Vater und all den Jahren mit ihm sehr nahe gewesen, da habe ich verstanden, warum er Motorräder restaurierte. Nicht, weil er die Uhr zurückdrehen wollte, sondern um die Erinnerung am Leben zu halten.“

Und das wolltest Du dann auch: Erinnerungen erhalten?
„Nicht sofort. Als ich 1998 die Centennial veranstaltet habe, dachte ich wirklich, wir könnten noch einmal die guten alten Zeiten zurückholen. Perfekte Motorräder, massenhaft Zuschauer, prächtige Stimmung. Und dann kamen viele meiner geliebten Helden mit Bauchansatz und Halbglatze ins Fahrerlager. Da wurde mit klar, dass wir nur Erinnerungen konservieren können.“

Deine schönsten Erinnerungen haben mit Yamaha zu tun, stimmt‘s?
„Immer mit meiner Familie. Und das Beste an Yamaha ist, dass ich dort Margriet kennengelernt habe, ihr habe ich viel zu verdanken. Aber ich weiß, was Du meinst: Ich war sehr eng dran in einer sehr erfolgreichen Zeit, okay. Dennoch habe ich mich in meinem Rennteam nur deshalb auf Yamahas eingeschränkt, weil ich diese Motorräder am besten verstehe. Ich kenne ihre Seele. Darum denken nun alle wie selbstverständlich, mein Traummotorrad müsse eine Yamaha sein. Niemand fragt mich danach.“

Oh, verdammt. Ferry, was ist eigentlich Dein Traummotorrad?
„Die Zündapp GS 125. Im Werkstrimm natürlich, mit Amal-Vergaser und Sechsganggetriebe.“

Es würde Ferry diebisch freuen, sich diesen Traum zu erfüllen. Allen zeigen, dass er nicht auf Straßenrenner festgelegt ist. Dass seine Neugier weiter brennt. Und er immer noch Fragen hat.

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